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Halbgott

Eindrücke niedergeschrieben

Thu Oct 22 07:51:16 CEST 2009    |    Schattenparker48352    |    Kommentare (9)    |   Stichworte: Freiheit, Gerechtigkeit, Gesellschaft, Gewalt, JVA

Ich durfte vor 2 Tagen an einer “Fortbildung” in unserer Justizvollzugsanstalt teilnehmen. Diese wurde speziell für Jugendschöffen organisiert. Das ganze begann hinter der ersten Tür mit der Abgabe des Personalausweises. Wir waren 20 Schöffen und ein Richter. Als eine Justizvollzugsbeamtin kam, nahm sie die Frauen mit in den Besucherwarteraum. Hier wurde jede einzeln “durchsucht”, ich gehe davon aus, dass man es bei richtigen Besuchern sorgfältiger macht, in unserem Fall hat sie nur unsere Hosen- und Jackentaschen geprüft. Wir wurden durch unzählige Türen geführt. Wie das eben für eine JVA so typisch ist. Eigentlich wollte ich die Türen mitzählen, aber irgendwann wars mir doch genug 😉 Wir gingen durch das Verwaltungsgebäude in einen Konferenzraum. Dort begrüßten uns der Geschäftsleiter, sowie die beiden Abteilungsleiter für den Jugendstrafvollzug und den Jugenduntersuchungshaftvollzug.
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Der Geschäftsleiter erzählte uns allgemeines über das Gefängins, das erst 2002 geöffnet - ist wohl das falsche Wort 😉 - wurde. Vor uns stand ein großes Modell des gesamten Geländes (ähnlich wie auf dem Bild) und erklärte uns, wo was zu finden ist. Zur aktuellen Belegung gab es erstaunliches zu hören (ich habe die ganz genauen Zahlen nicht mehr im Kopf). Die JVA hat eine Gesamtkapazität von 600 Gefangenen, derzeit inhaftiert sind ca. 400. Davon 106 im Jugendstrafvollzug, 13 in Jugend-U-Haft, 31 in Erwachsenen-U-Haft. Die JVA ist im übrigen ein reines Männergefängnis (zumindest was die Gefangenen selbst betrifft). Die Beamten sagten uns, dass generell die Zahlen in Brandenburgs Gefängnissen rückläufig sind, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, wie Berlin z.B. Dort sind Gefängnisse in Tegel und Moabit gnadenlos überbelegt, einen Berliner Gefangenen in ein Brandenburger Gefängis zu verlegen, ist übrigens eine Frage des Geldes und der Politik, also hält man im Moment an der Landestrennung fest.

Die beiden Abteilungsleiter erklärten uns wie die Aufnahme in die JVA und der allgemeine Tagesablauf für die Jugendlichen aussieht. Der Tag beginnt (um 6 Uhr), für viele Insassen vielleicht das erste Mal im Leben, mit Regelmäßigkeit. Die Bediensteten (nicht Wärter 😉 ) müssen am Morgen eine Lebendkontrolle machen - nicht nur aufschließen, sondern auf Lebendigkeit überprüfen. Schon zum Zeitpunkt des Weckens, muss sich der Gefangene im Klaren darüber sein, was er am Tag machen möchte: zum Sport gehen oder zum Gottesdienst, die Küche nutzen oder in den Fitnessraum… Ein Großteil nimmt an betrieblichen Maßnahmen oder sogar Berufsausbildungen in den hauseigenen Werkstätten teil. Der andere Teil verbringt seinen Tag auf der Zelle. 2x/Tag gibt es eine Stunde Freigang. Gegessen wird nicht in riesigen Speisesälen sondern in der Zelle oder eben in speziellen Räumlichkeiten in den Werkstätten. Die Arbeit endet um 15 Uhr, dann haben die Jugendlichen Freizeit, zumindest so wie sie es am morgen “bestellt” haben. Zu den sportlichen und kreativen Betätigungen kommen aber natürlich auch Therapien. Alkohol- und Drogensucht sind ein großes Thema und werden auch behandelt, andere werden auf ihre Entlassung vorbereitet oder brauchen Unterstützung in der Lösung familiärer Probleme.

Die U-Haft für Jugendliche scheint noch etwas besonders zu sein, auch für die Bediensteten: die Jugendlichen werden (für sie) ganz überraschend festgenommen und in die Haft gebracht, sie dürfen sich nicht verabschieden, haben Kontaktsperre, vielleicht sogar keinen Cent Geld einstecken. Man sollte meinen, das brauchen sie da auch nicht, aber das tun sie. Sie werden aus ihrem Leben gerissen und eingesperrt, vielen “geht der Arsch auf Grundeis”. Das Amtsgericht bemüht sich entsprechende Verhandlungen innerhalb von 14 Tagen zu führen, so dass die Jugendlichen entweder entlassen werden dürfen oder die Eingliederung in den Strafvollzugsalltag beginnen kann.

Einig waren sich die beiden Abteilungsleiter, dass so ein Gefangener einen straffen Tagesplan hat und froh ist auch mal Stunden für sich zu haben.
Nun saßen da 20 Schöffen und irgendwie hatten wahrscheinlich alle das Gefühl: “So schlecht gehts denen da scheinbar nicht”! Damit begann dann auch der kleine Rundgang. Wir schauten uns das Mehrzweckgebäude an. Dort befinden sich Unterrichts- und Freizeiträume, eine Art Aula, die auch für den Gottesdienst genutzt wird und angrenzend die Turnhalle. Weiter ging es in den Trakt des Jugendvollzugs. In einem Haus befinden sich 3 Etagen, auf jeder Etage 2 Flure (in L-Form) mit je 20 Zellen, in der Mitte findet sich jeweils eine Kanzel, von der aus man beide Flure einsehen kann. Im Jugendstrafvollzug sind jeweils 2 Beamte pro Etage im Dienst, nachts nur einer für das ganze Haus!

Und dann schloss der Beamte eine bewohnte Zelle auf. Und obwohl man das ja aus diversen Dokus aus dem TV kennt, so wurde mir doch mulmig. Ein Schrank, ein Bett, Tisch und Stuhl, ein Regal und eine kleine Nasszelle. Viel mehr als 6qm werden das wohl nicht sein. Es war irgendwie erschreckend. Man kann sicher so hausen, aber jahrelang? gewöhnt man sich an sowas? Der Gefangene hatte auch einen Fernseher. Einen solchen zu bekommen bedeutet eine Menge Aufwand und viel Geduld für den Gefangenen. Die Nutzung des Gemeinschaftsraums in dem auch ein TV Gerät steht, muss morgens beim Wecken bekanntgegeben werden.
Ein Gefangener, der vormittags arbeitet und am nachmittag noch zum Sport geht oder einen “Umschluss” hat (zu einem anderen Gefangenen in die Zelle), der mag seine Zeit da rum kriegen, aber einer der da von früh bis abend in der Zelle sitzt? Und solche gibt es auch. Die durften wir dann zumindest hören.

Zu jedem Haus gehört ein kleiner Innenhof (im Winkel des L) auf dem die Freistunde gewährt wird. Wir traten da raus um ihn uns anzuschauen und schon wurde es laut auf dem Hof, denn die Jungs haben natürlich gesehen, dass wir da waren und fühlten sich mal wieder so groß, wie wahrscheinlich zu ihrer Tat, die sie mal begangen haben.

Sehr nervig war der Herr, Abteilungslieter Sicherheit, der uns rumführte. Nicht nur, dass er scheinbar endlos erzählen konnte, der Inhalt gefiel mir dann irgendwann auch nicht mehr. Ganz sicher hat er andere Erfahrungen gemacht als ich, ist auch wesentlich älter als, aber ich sehe meine Aufgabe als Jugendschöffin darin, den Jugendlichen den Sinn von Gerechtigkeit zu vermitteln und sie auf den “richtigen” Weg zu bringen (siehe das Urteil, das wir gefällt haben ). Der Herr war die ganze Zeit damit beschäftigt, die Jugendlichen nach allen Regeln der Kunst über einen Kamm zu scheren: ALLE haben ein zerrüttetes Familienumfeld, ALLE können weder lesen noch schreiben, ALLE sind dumm, aus ALLEN wird niemals etwas, fast ALLE kommen früher oder später wieder. All das liegt nicht im Sinne eines Jugendschöffen, von daher war ich dann irgendwann echt genervt von seinen Erzählungen.

Der Rundgang endete im Konferenzraum mit einigen erstaunlichen Gegenständen, die Gefangene so schmuggeln oder herstellen: eine Handgranate aus Brotteig z.B., oder ein Handschellenschlüssel geschmuggelt in einer Taschentuchverpackung von Amerika bis in die JVA, eine Tätowiermaschine…

Der Besuch in der JVA war für mich auf jeden Fall sehr wichtig, zumal mich das ganze sehr interessiert und ich als Kind/Jugendliche immer mal den Wunsch hegte in diese Richtung zu arbeiten. Prinzipiell könnte ich mich wohl auch freiwillig engagieren, aber darüber denk ich nochmal nach. Für meine zukünftigen Urteile wird der Besuch auf jeden Fall von Vorteil gewesen sein.

So könnte es auch in unserer JVA aussehen; vieles ist ähnlich:

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Thu Oct 22 14:22:40 CEST 2009    |    Kurvenräuber137127

Schöner Bericht, angenehm zu lesen.

Wenn du da ausbrechen wolltest, wie würdest du das versuchen? 🙂

Thu Oct 22 16:11:47 CEST 2009    |    Schattenparker48352

Ich glaube ohne Verbündete hast du da keine Chance!!! das gefängnis an sich ist aus Sicherheitbeton oder sowas (zumindest sagte der Sicherheitstyp das) also mit Tunnel graben wird da nichts. Einfach raus über alle Zäune wird nie und nimmer was. Schlüssel nachmachen ist kein Problem, räumten die Bediensteten auch ein und es gab da auch schon mehrere Fälle. Grundsätzlich fällt es wohl auch nicht auf, wenn man auf dem Hof "rumturnt" - also die Jungs der Gärtnerei waren zB ohne Aufsicht draußen. aber außer diesen großen "alten" Schlüsseln mit diesem langen Schaft, gibt es auch noch "normale" Türschlösser, da kann man die Schlüssel nicht einfach so mal nachmachen, solche Türen gäbe es also auch zu überwinden. Über die Mauer keine Chance: erst kommt ein 4,50m Zaun mit so was wie Stacheldraht drauf, dann kommt ein Streifen Grünes und dann die Mauer mit 6,02m. Das wird wohl nix!

Ich glaubeum da raus zu kommen, sollte man sich dem hingeben und dabei sein. Heißt, an allem teilnehmen, was das Gefängnis anbietet und sich immer von der besten Seite zeigen! Denn es gibt Haftverkürzungen um die Hälfte der Zeit!!!

Thu Oct 22 16:54:08 CEST 2009    |    rallediebuerste

Oder einfach Prison Break gucken 😉

Sehr schöner Bericht! Danke dafür!

Thu Oct 22 16:56:05 CEST 2009    |    Kurvenräuber137127

Zitat:

erst kommt ein 4,50m Zaun mit so was wie Stacheldraht drauf, dann kommt ein Streifen Grünes und dann die Mauer mit 6,02m.

Du kennst dich mit den genauen Maßen aber gut aus! 😁

Thu Oct 22 17:49:49 CEST 2009    |    Antriebswelle135730

Interessanter Bericht (wie auch der verlinkte Fremdblog-Artikel).

Essen, medizinische Versorgung und Unterkunft sind kostenlos?

Thu Oct 22 19:19:32 CEST 2009    |    Druckluftschrauber2011

Im Knast habe ich mich damals auch beworben. Aber nach dem Test zur geistigen Einigung wollten die mich unbedingt gleich da lassen 😛 Scherz

Ich kannte den Artikel ja schon und auch sehr gut. 🙂

Blitzinfo zum Knast:
Übrigens war das Gelände damals eine Kaserne der Russen. Beim Tag der offenen Tür der JVA vor Inbetriebnahme haben sich Schlangen gebildet, die alle mal einen Knast von Innen sehen wollten.
Beim Bau wurden damals die Arbeiten permanent kontrolliert und überwacht, damit niemand Werkzeug oder andere Dinge irgendwo versteckt oder ähnliches Unfug macht.

Thu Oct 22 20:51:19 CEST 2009    |    Schattenparker48352

Zitat:

Du kennst dich mit den genauen Maßen aber gut aus! 😁

Auch ich machte mir Gedanken, ob man da wohl rauskommt 😉

Zitat:

Essen, medizinische Versorgung und Unterkunft sind kostenlos?

Ja, wenn es sich um das Knastessen handelt. Alles andere müssen sie sich leihen oder kaufen, deshalb meinte ich, es geht da ohne Geld nicht: obs die Zahnpasta ist oder der Fernseher.

Ein Berliner Gefangener in einem Brandenburger Gefängnis kostet pro Tag übrigens zwischen 80 und 100 Euro

Zitat:

haben sich Schlangen gebildet

ca. 13.000 Besucher an einem Tag

200m vor der Pforte

50m vor dem Gefängnisbus

Thu Oct 22 22:11:44 CEST 2009    |    henne666

ey cool... das ist ja das in Oldenburg (auf dem ersten Video), 15km von mir, das kenn ich schon aber gott sei dank nicht von innen 🙂

Fri Oct 23 08:11:04 CEST 2009    |    Schattenparker48352

alle videos sind von Oldenburg. Ist eine zusammenhängende Doku, ganz interessant

Deine Antwort auf "zu Besuch in der JVA"