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Mon Nov 09 13:16:22 CET 2009    |    taue2512    |    Kommentare (7)    |   Stichworte: Frankreich, Oradour-sur-Glane, Reisetipp

Ganz Deutschland feiert heute die Wiedervereinigung, die sich vor nunmehr 20 Jahren abgespielt hat. Sogar hier in Frankreich berichten gerade die sonst eher am europäischen Geschehen uninteressierten französischen Medien mit Sondersendungen über den Jahrestag zum Fall der Mauer und die Hintergründe.

 

Von der „partie socialiste“ bis hin zur „la Stasi“ kann so nun fast jeder jüngere Franzose beim nächsten Schüleraustausch in Richtung Deutschland mit seinen Gasteltern und Schulkameraden dort über die jüngere Geschichte der DDR mitreden. Das ist auch gut so!

 

Zu meiner Schulzeit jedenfalls – und das ist nun wirklich nicht so verdammt lange her – wurde im Westen die ehemalige DDR vor dem Mauerfall so gut wie ganz vom Geschichts- und Geografieunterricht ausgesperrt. Man sollte gerade mal die Länder der DDR auswendig lernen – auch die ungefähre Lage der Städte, viel mehr Informationen flossen damals im Unterricht an meiner Schule nicht und ich vermute heute eine gezielte Nachrichtensperre der westlichen Kultusministerien dahinter!

 

Doch was weiß der geneigte Deutsche eigentlich über sein Nachbarland Frankreich? Gut, dass Frankreich nicht föderalistisch, sondern zentralistisch in Paris regiert wird – aber trotzdem eine Demokratie ist? Gut, eins – setzen!

 

Und was noch? Das vielleicht der ein oder andere (Ur-)Großvater seinen Militärdienst in im Zweiten Weltkrieg im besetzten Frankreich hinter sich gebracht hatte. Ja, auch das sollte bekannt sein. Okay, und wie wird oder wurde vielmehr diese Zeit der deutschen Besatzung im Allgemeinen in Deutschland dargestellt? Insgesamt ruhig, hier und da ein paar Partisanen und der vielverfilmte Kampf der Résistance gegen die „bösen Deutschen Nazis“.

 

Hier in Frankreich wurde über lange Zeit hinweg der Nachkriegsgeneration das Bild eben dieses „bösen Deutschen“ von den Medien eingetrichtert, im Nachmittagsprogramm liefen ständig statt kindgerechter Zeichentrickserien alte Schwarz-Weiß-Filme über den Krieg, immer aus französischer Sicht und was die dargestellten deutschen Truppen in diesen Streifen angeht auch immer schön originalgetreu auf zackigem Befehls-Deutsch: „Achtung!“, „Jawohl!“, „Schnell, schnell!“ und „Papiere bitte!“ kann deshalb so manch ein Franzose dank dieser Dauerberieselung mittlerweile quasi akzentfrei aufsagen.

 

Und so kommt schon manchmal vor, das fast jeder Nachkriegs-Franzose der auf einen Deutschen trifft erst mal aus mangelndem Schuldgefühl heraus seine kleinen Späße mit diesen zackigen Floskeln macht. Als Deutscher sollte man hier in einer solchen Situation dann nicht unbedingt pikiert oder düpiert sein. Aber wenn spätestens einem der französische Gesprächspartner die rechte Hand zum Gruß entgegenstreckt, darf man diesen schon freundlich darauf hinweisen das dies mittlerweile sogar in Deutschland verboten ist, genauso wie auch die Verwendung der Insignien des Dritten Reiches unter Strafe gestellt sind.

 

Danach ist der Franzose schlauer und lenkt normalerweise sehr schnell auf andere Themen um, die zur allgemeinen Völkerverständigung besser beitragen.

 

Aber es gibt auch Fleckchen in Frankreich, in denen es auch nach über 65 Jahren schwierig mit eben dieser Völkerverständigung ist. Hier bei mir im Süden Frankreichs war es ja während des Krieges ja in der Tat relativ ruhig, die Demarkationslinie zur „neutralen Zone“ verlief in ein paar Kilometern Entfernung und es gab keine nennenswerten Übergriffe der Wehrmacht auf die Zivilbevölkerung.

 

In anderen Teilen sah es aber während der Besatzungszeit deutlich anders aus.

 

Aber wer von Euch hat in der Schule etwas vom kleinen Ort „Oradour-sur-Glane“ gehört? Keiner?

 

Oradour-sur-Glane liegt nur ein paar Kilometer nordwestlich der Stadt Limoges im Departement Limousin. 

 

 

Hier spielten sich am 10.6.1944 unbeschreiblich schreckliche Szenen ab, als die 3. Kompanie einer SS-Panzerdivision auf Ihrem Wege in die gerade eben erst befreite Normandie im Norden Frankreichs ein Widerstandsnest in diesem Ort vermutete und ein Massaker an der dortigen Bevölkerung anrichtete. Dieses wird als das Massaker von Oradour-sur-Glane in allen Lexika auf unterschiedlichste Weisen referenziert.

 

Knapp 650 Menschen wurden an diesem Tag ermordet. Die 180 Männer des Ortes wurden in Garagen und Häusern erschossen, während man die über 200 Kinder und mehr als 250 Frauen in die kleine Kirche des Ortes verbrachte, die Türen verbarrikadierte und den Glockenturm sprengte – der im Kirchenschiff einschlug und viele der Opfer schnell von ihren unsäglichen Qualen erlöste.

 

 

Die Kirche wurde alsdann mit Brand- und Splittergranaten von der SS in Brand gesetzt und keiner der darin Eingeschlossenen entkam dem Inferno.

 

Als Erinnerung an diesen Tag entschloss man sich später, den Ort unberührt zu lassen und eine Gedenkstätte mit einem Dokumentationszentrum vor dessen Toren zu errichten.

 

 

Ich bin im Spätsommer dieses Jahres dort gewesen und ich muss sagen, dass einem die Stimmung dieses Ortes – besonders als Deutscher - sehr betroffen macht. Man kommt sich vor, als ob man auf einen Schlag in eine andere Zeit versetzt wurde. Alte Autowracks stehen ausgebrannt in den Ruinen, hier und da finden sich Spuren menschlicher Besiedlung an diesem Ort wo alles Leben von Menschenhand an nur einem einzigen Tag für immer vernichtet wurde.

 

Man erkennt Läden, das ehemalige Postamt und nicht zuletzt die Kirche die allesamt nur noch als mahnende Gerippe stehen - der ganze Wahnsinn eines vollkommen unsinnigen Krieges, in diesem Falle sogar gegen unbeteiligte Zivilisten wird hier sehr deutlich.

 

 

Der einzige Prozess auf deutschem Boden gegen einen Beteiligten wurde übrigens in der damaligen DDR gemacht, als der ehemalige Obersturmführer Heinz Barth im Jahre 1983 zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Er befahl nach eigener Aussage vor Gericht die Erschießung von mindestens 20 Personen in einer Garage. 1997 wurde er jedoch aufgrund seines Gesundheitszustandes aus der Haft entlassen, klagte im inzwischen wiedervereinigten Deutschland erfolglos auf eine Kriegsversehrtenrente und starb erst im Jahre 2007 an Krebs. 

 

 

Der Hauptverantwortliche General Heinz Lammerding wurde zwar in Frankreich rechtskräftig verurteilt, von der Bundesrepublik allerdings nie dorthin ausgeliefert und starb im Jahre 1971 ohne auch nur jemals für die Tat belangt worden zu sein.

 

 

Wer auf dem Weg in den Urlaub gen Süden ist, kommt ja fast zwangsläufig im nahen Limoges vorbei, nachdem man Paris hinter sich gelassen hat. Einen Besuch dieses Ortes sollte man in diesem Falle unbedingt einplanen. 

 

 


Mon Nov 09 16:46:43 CET 2009    |    Trennschleifer10215

Sehr "schöner" Bericht. Bei solchen Bilder kann ich immer nur den Kopf schütteln. Leider haben es noch nicht alle begriffen.

Mon Nov 09 16:51:36 CET 2009    |    Jack GT

Furchtbar!

Mon Nov 09 16:57:10 CET 2009    |    Druckluftschrauber2011

Ich kann die Betroffenheit die man dort spürt gut nachvollziehen. :(

Mon Nov 09 20:03:14 CET 2009    |    Antriebswelle135730

Äußerst lesenswerter Artikel!

Solche Orte verdeutlichen m.E. die Schrecken des Krieges besser als mediale Aufbereitung, wo immer die Distanz zum Geschehen größer ist ...

 

Wer hat damals wem den Krieg erklärt?

Mon Nov 09 21:35:32 CET 2009    |    Tagessuppe

Wirklich wieder mal ein Toller Blog Artikel!

 

Ich finde es bewundernswert dass die diese Szenerie erhalten liessen.

 

Wenn ich durch Wien gehe, finde ich nichts was an diesen schrecklichen Krieg erinnert. Obwohl auch Wien schwer getroffen wurde. Natuerlich nicht so stark wie Dresden oder Berlin, die gar in Grund und Boden gebombt wurden.

In diesem Kontex koennte man es auch in Frage stellen, was nun schlimmer ist: Ein Massakker an 180 Dorfbewohnern, oder Tausende anonym bei einem Bombenangriff zu toeten.

Fakt ist dass dieser Krieg niemals vergessen werden darf und man darf auch nicht glauben, dass sich soetwas nichtmehr wiederholen kann, siehe Srebrenica.

In diesem Sinne sollten wir es uns auch ins Gedaechtnis rufen, und uns gluecklisch schaetzen, dass wir in diesem Sicheren, Wohlstandsumfeld leben.

Also setzen wir und wieder an unsere Luxuskarossen und aergern uns uber die unwichtigen Dinge des Lebens ;)

Mon Nov 09 22:16:01 CET 2009    |    vidaman

danke,

da kann man nur glücklich sein, dass es auf MT auch zu solchen themen kommt.

 

LG

Vidaman

Mon Nov 09 22:33:05 CET 2009    |    Olli the Driver

In der Tat, von diesem Ort hatte ich noch nie gehört. Vielen Dank für den Beitrag.

Deine Antwort auf "Reisetipp: Die Schatten des Krieges in Oradour-sur-Glane"

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