Tüddelkram und andere Katastrophen
Wie man aus kleinen Problemen große machen kann
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Jack GT
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Wed Oct 21 22:15:08 CEST 2020 | Jack GT | Kommentare (22)
Zugegeben, die Überschrift ist etwas reißerisch. In diesem Beitrag geht es darum, ob mit einem günstigen Miet-Bulli die „große Freiheit“ auch in Corona-Zeiten möglich ist. Da bleibt es nicht aus, das wir uns auch ein paar bitteren Wahrheiten beschäftigen müssen. Und bevor jemand dies vermutet: Der Ausflug wurde weder vergünstigt noch gesponsert, es handelt sich nur um einen Erfahrungsbericht.
Bloß weg hier!
Ein Gedanke, der nicht erst seit Corona so manchem durch’s Hirn gegangen sein dürfte. Da nicht jeder sich gleich einen entsprechenden Camper kaufen will oder gar den Geldbeutel dafür hat, hat die Industrie dafür nicht nur alle Arten von Campern erfunden, sondern es gibt auch Camper-Vermietungen wie Sand am Meer. Wer hier „einfach mal leihen“ denkt, ist erstaunt, was es alles gibt: Von den „großen Fischen“ wie Autovermietern und Autohäusern über spezielle Vermietungen (wie Ahoi-Bullis, Bullibü) bis hin zum privat angebotenen Camper bei Kleinanzeigenportalen ist alles dabei.
Die Qual der Wahl
Wer sich durch die Angebote wühlt, stellt schnell fest: Gar nicht so günstig. In der Regel beginnt mit Nebenkosten der Spaß bei um und bei 100€ pro Fahrzeug und Tag, wenn man das Referenzfahrzeug der Klasse – also eine VW-Bus sucht. Angebote, die günstiger sind, holen das Geld häufig bei den Nebenkosten wieder rein. Vergünstigungen gibt es natürlich, je länger der Mietzeitraum wird und je weniger „Hauptsaison“ ist – wie in der Hotelbranche. Wie bei der Hotelbuchung ist auch der Mietzeitraum: Meist fängt die Miete am (späten) Nachmittag an und endet am Vormittag. Etwas ärgerlich, denn der Kunde zahlt für den ersten Tag voll, den er nicht richtig nutzen kann, ebenso wie beim letzten. Zusammenfassend habe ich Angebote, die unter 80 bzw. 75€/Tag liegen als "billig" eingeschätzt und versucht, dass günstigste schnell verfügbare Angebot zu bekommen.
Wochenend-Trip
Die Illusion, das Auto kurz für’s Wochenende anzumieten, bekommt damit schon Kratzer: Meist ist die Mindestmietdauer 3 Tage, wer das Wochenende ganz will, muss also schon Freitag mieten, um das Fahrzeug nachmittags zu holen und kann bzw. darf die Miete erst Montagmorgen beenden. Ein schneller Check in der Woche zeigte: Schnell für das nächste Wochenende ist eigentlich zwischen Frühling und Herbst nichts zu bekommen: alles schon ausgebucht. Wir wurden nur bei einem Vermieter noch fündig - der kam uns übrigens von den Vermietzeiten dann auf Nachfrage auch noch um jeweils 1-2 Stunden in jede Richtung entgegen - klasse!
Telefonettiges
Interessant dabei: ein Anruf bei den Vermietern förderte teilweise Angebote zu Tage, die auf der Website so nicht ins Auge fallen. Als wir beim Hotline-Mitarbeiter nach dem günstigsten Angebot fragten, konnte uns dieser eine Kategorie nennen, die wir erst daraufhin im Webangebot fanden. Nachfragen lohnt sich also. Dieses per Internet gebucht, wobei auf der Kreditkarte ein umfangreicher Betrag für eventuelle Schäden geblockt wird. Das Angebot, dass wir genutzt haben (Beach Hostel T6 Transporter von roadsurfer) kostet 249€ für 4 Tage, ergo ca. 63 € pro Tag, dazu kommt dann noch eine Reinigungspauschale von einmalig 89 Euronen.
Fiete ab zur Miete!
Fast alle Anbieter haben ihre Flotten in den Industriegebieten, denn da sind Stellplätze und Räumlichkeiten günstig. In diesem Fall ging es in die Hamburger Hafenumgebung, wo sich jede Menge Camper tummelten. Positiv: Im Vornherein konnte abgesprochen werden, dass Fahrzeug früher abzuholen – das gibt mehr Tag fürs Geld. Der Check-In verlief soweit recht einfach: Es wurde nachgefragt, ob eine Einweisung gebraucht würde und diese dann bei einem bereitstehenden Fahrzeug erteilt, auf Abstände geachtet. Der eigentlich gemietete Bulli wurde nur per schneller Schlüsselübergabe übergeben. Schnell eingestiegen und ab: Aber nach einem Kilometer fiel auf: Der VW-T6 ist nur zu Dreiviertel vollgetankt. Wieder zurück auf dem Hof konnte eine komfortable Lösung gefunden werden: Der Vermieter bot an, entweder voll zu tanken (was wiederum Zeit gekostet hätte) oder einen Emaillebecher im gleichen Wert zu schenken.
Das Fahrzeug
Über den VW-Bus in der sechsten Ausführung („T6“) ist schon genug geschrieben worden, das Fahrzeug ist bewährt. Spannend bei dem gemieteten Zweiliter-Turbodiesel mit 150 PS war vielmehr der Innenraum. Der Vermieter hatte einen Transporter als „Fensterbulli“ bei einem Ausrüster selbst zum vollwertigen Camper ausstatten lassen, ähnlich wie viele Eigenausbauten aussehen: Auf der hinteren VW-Sitzbank war ein Ausklappgestell montiert, sodass beim Umlegen der Rückbank ein leicht erhöhtes Bett gebaut werden konnte, Gardinen waren eingezogen und eine Heckküche eingebaut worden, die über Wassertank, kleine Spüle, Kartuschenkocher und Besteckschubladen verfügte. Ebenso war der Bulli mittels eines im Motorraum deponierten Kabels an „Landstrom“ anschließbar, dass wiederum mit der Bordversorgung verkabelt war. Weiteres Campingzubehör wie eine komplette Kochausstattung, Sonnensegel etc. waren an Bord. Somit war ein vollwertiger kleiner Camper entstanden, der auf der umgeklappten Rücksitzbank Platz für maximal 3 Personen bot, ein Aufstelldach war nicht vorhanden. Für einen geringen Obolus war ein Fahrradträger mietbar.
Das Wochenende kann kommen
Schon beim Einladen zog der Bulli erste Aufmerksamkeit: Bei der doppelfarbigen Folierung (genauer: auf den weißen Grundlack wurde unten in türkis foliert) gucken Menschen automatisch hin, weil das Fahrzeug durch Größe und Farbe automatisch in das Auge fällt. Und das sollte auch so bleiben: Egal ob man durch Stadt, Land oder Strandpromenade an irgendwelchen Cafés vorbeifährt, Menschen gucken.
Positiv fiel gleich zu Beginn der „große Raum“ im Bulli auf, wobei sich beim Einladen als kleiner Wehrmutstropfen der Konstruktion die Bettlagerung entpuppte: Da die Matratzenteile bei dieser Konstruktion hinter dem Rücksitz gelagert werden müssen, schrumpft das nutzbare Kofferraumvolumen erheblich. So lagerten wir in den Innenraum ein. Bei größeren Reisen, bei denen man viel mitnehmen will, könnte das knifflig werden. Immerhin bietet der Raum unter der hinteren Sitzbank einigen Platz. Kind, Mutter, Vater ebenfalls verstaut und ab ans Meer.
Darüber müssen wir leider reden: Der Traum von Freiheit und die Realität
Und hier kommt etwas, worüber keiner so gerne sprechen mag: Nicht nur die Veranstalter, sondern die ganze Szene lebt von der Idee, dass man in die unberührte Natur fährt und dort frei ist. Den alten Camping-Traum hat man dabei erfolgreich aufgekocht und neudeutsch betitelt: Das Ganze nennt sich nun „Vanlife“, man macht ein „Micro-Adventure“ – toll, wa? Soziale Netzwerke wie Instagram zeigen Vans in untergehender Sonne auf saftigen Bergkuppen, vor rauschender Brandung am leeren Strand oder einsam auf der Waldlichtung. Wer’s nicht glaubt, schaue ersatzweise in die Kataloge der Campingfahrzeug-Ausstatter. Und genau das ist, wie man beim Treffen mit Bekannten erfahren kann, auch die Vorstellung der meisten Leute: „Oh wie schön, ich will auch mal voll frei sein und in die Natur – so einen Trip wollen wir unbedingt auch mal machen“.
Die Realität sieht etwas anders aus: Die ganze Branche legt jährliche Zuwachsraten hin von 7-15 Prozent – wohlgemerkt vor Corona. Nun stellen wir uns mal vor, diese ganzen Fahrzeuge, die schon in einer Großstadt recht viel Platz einnehmen, wollen just alle am Wochenende z.B. an die Küste – und ein fantastisches, einsames Plätzchen finden. Das führt in Foren häufig zu Einträgen wie „wir haben uns gerade einen kleinen Camper gekauft, wohnen in Großstadt XY und möchten am Wochenende gern in das nächste Naherholungsgebiet (z.B. bei Hamburg die Lübecker Bucht). Kann uns jemand einen Geheimtipp geben?“ Immer wieder wundern sich Menschen, dass sie dann keine Antworten bekommen, außer, sich irgendwo auf einen Friedhofparkplatz zu stellen.
Gewitztere schauen in die entsprechenden Apps. Hier kann jeder, der irgendwo ein lauschiges Plätzchen gefunden hat, dieses eintragen. Das schauen sich wiederum andere Interessierte an. Was dabei rauskommt ist in den meisten Fällen das: Aus lauschigen Plätzchen werden zuerst volle Plätze, dann vermüllte und verbrauchte Plätze, ärgerliche Anwohner, Polizei, Verbote.
So wird aus der Idee, bei der Miete schon “all inclusive” samt Schlaf- und Stellplatz in einer der obigen Katalogpositionen zu haben, in der Regel nichts: Die meisten stellen schnell fest, dass dann noch der Campingplatz samt Gebühren dazu kommt. Und ob die Atmosphäre da so wie auf dem einsamen Strand auf dem Hochglanzphoto ist?
Die ursprüngliche Idee wird von allen aber weiter gepflegt: Hersteller, Anbieter, Instagrammer und Co.: Wer will schon Fotos von zugepflasterten Plätzen dicht an dicht sehen? Weitererzählt werden natürlich immer die besonderen Momente. Und so lebt der Traum weiter...
Ende Exkurs uuuuund: Zurück zum Text...
Wir waren mit dem obigen T6 ein ganzes langes Wochenende unterwegs. Und haben tatsächlich die Hälfte wild gecampt. Taugt der günstige Camper denn nun etwas? Die Antwort ist ein: Ja, aber...
Für das “Ja”: Wir haben drei sonnige Tage mit dem Camper verbracht. Als gut und tauglich stellte sich die Bettkonstruktion heraus, die auf ganzer Länge ausgeklappt tatsächlich für zwei Erwachsene und 1 kleines Kind genügend Platz bietet. Die Matratze ist gut, dick und bequem: Wir haben alle drei gut geschlafen. Die Küche ist ebenfalls benutzbar und kleine Gerichte sind schnell gemacht. Zudem ist alles an Bord, was man sonst noch braucht: Markise bzw. Sonnensegel, Fensterabdeckungen, Geschirrbox, und und und. Insbesondere auf dem Campingplatz läuft der kleine Camper zu Hochform auf: Alles darf an Stühlen und Küchenkrams draußen gemacht werden, der Landstrom ist anschließbar. Hier ist auch die offene hintere Küche gut platziert: Wer gerne im Freien hantiert, kann hier “offen kochen”.
Für das “aber”: Hakelig wird es beim freien Campen. Hier gilt anders als auf dem Campingplatz: Wenig auffallen ist Trumpf – denn je weniger sich andere beeinträchtigt fühlen, umso besser geht für alle das freie Stehen. Dafür ist als erstes einmal die Lackierung wenig ideal, denn die fällt – auch der Polizei – als erstes auf. Des Weiteren die hübschen kleinen Gardinen: wirklich blickdicht sind sie nicht. Was aber ernsthaft blöde ist: Sie sind einfach zu kurz genäht: Liegt die Gardine an der einen Seite an, gibt es auf der anderen einen Spalt. So scheint immer Licht irgendwo ein. Eindeutig top of flop: Die serienmässige Innenraumbelechtung schaltet - wie bei modernen Autos so üblich – nach einer Zeit von ca. 5 Minuten ab. Da der günstige Camper die reguläre Innenraumbeleuchtung nutzt, sitzt man alle 5 Minuten im Dunkeln und muss die Tür kurz öffnen oder den Zündschlüssel drehen. Hat denn keiner vor der Vermietung mal selber das Ding probiert? Ebenso ist die Freiluft-Küche bei Regen und beim freien Campen kitzlig: Hier sieht jeder das gecampt wird. Und der eine oder andere, der vorbeiläuft, macht einen langen Hals, um zu schauen, was im Kochtopf ist. Auch nicht jedermanns Sache, so im Fokus zu stehen.
Fazit
Taugt der günstige Camper nun etwas und kann man ihn empfehlen? Für etwa die Tagesmiete eines normalen Mietwagens bekommt man einen Camper, den man empfehlen kann, wenn man mit ihm los und auf den Campingplatz will, egal ob an der See oder auf der Wiese. Hier ist das Kochkonzept am richtigen Platz und mit einer Kleinfamilie mit einem Kind reicht der Platz allemal prima aus. Das Bett ist komfortabel, der Platz ausreichend und bei Regen kann man sich kuschelig zurückziehen und sogar die Wasserstandheizung anwerfen, die Dank der Landstromversorgung nicht auf die Batterie schlägt. Wer allerdings frei stehen will oder mehr (Schlaf-)Platz braucht, sollte lieber zu den größeren Modellen greifen, wo alles innen erledigt werden kann. Und beim Leihen nicht vergessen: Eine (LED-)Kerze ist nicht nur für romantische Momente in diesem Bulli zu empfehlen .