Sat Dec 18 23:45:31 CET 2010 | GaryK | Kommentare (88) | Stichworte: LPG Grundlagen
Und nun gehts weiter mit der Frage aus Teil 1, warum langsame Flammgeschwindigkeiten durch Sauerstoffüberschuss (Magerlauf) trotz der geringeren theoretischen Flammspitzentemperatur besonders hässliche Konsequenzen haben.
Was bedeutet eine langsame Flamme für die Auslasstemperatur? Bei der adiabaten Expansion gilt die Poisson'sche Gleichung :
T1 * V1^(kappa-1) = T2 * V2^(kappa-1)
V1 und V2 sind durch die Verdichtung vorgegeben, T1 durch die Temperatur nach Kompression zuzüglich dem Temperatursprung durch die Verbrennung. Bleibt T2 übrig, die Gleichung lässt sich also lösen. Keine Bange, ich verzichte auf eine Beispielrechnung.
Aber es ist zu sehen: Je höher also der Volumenunterschied und damit der Druckunterschied zwischen Kolben oben und Kolben unten ausfällt, desto stärker kühlt sich das heiße Brenngas bei einer Volumenänderung durch den nach unten laufenden Kolben ab und verlässt dann den Brennraum als Abgas. Das Kappa ist eine Stoffkonstante, die sich nicht beeinflussen lässt.
Zwischen oben und unten wird das Abgas also einen geometrisch definierten, nur von der Verdichtung abhängigen Faktor gekühlt. Abbrand, der erst später entsteht, wird folglich später gekühlt. Der Kolben ist bereits weiter unten und damit das Verhältnis aus den Anfangs- und Endvolumina geringer. Daher ist das Abgas bei zu langsamem Abbrand am Ende heißer. Das passt vereinfacht gut ins Bild: Energie, die nicht über den Kolbendruck abgeführt werden kann muss als Abgas raus. Nebenbemerkung: Die höhere Verdichtung ist auch das, was den Diesel effizienter macht. Der nutzt die Wärme der Verbrennung durch die höhere Expansion (=Verdichtungsverhältnis) besser aus.
Somit festzuhalten: schnelle Flamme gleich hohe Peaktemperatur oben, effiziente Expansion und damit geringe Auslasstemperatur unten. Langsame Flamme gleich niedrige Peaktemperatur, ineffiziente/späte Expansion und dadurch hohe Auslasstemperatur unten. Als Grenzfall betrachtet wäre der Kolben unten, dann bequemt sich das Gas zu verbrennen und die komplette adiabate Flammtemperatur muss als Abgas aus dem Zylinder raus. Das freut das Auslassventil nicht wirklich, das bekommt spontan rote Backen und weiche Knie.
Dieses Ventil wird im geschlossenen Zustand erfreulicherweise durch den Zylinderkopf gekühlt, öffnet nun und muss heißes Abgas rauslassen. Dabei heizt es sich stark auf, wird dann während des Ansaugtraktes geschlossen und kühlt dadurch am "kalten" Zylinderkopf wieder ab. Bei Turbos mit den hohen Abgasmengen hat man natriumgefüllte Ventile, diese verteilen die Hitze besser auf das ganze Ventil. Sonst würde nur vorne der Ventilteller geröstet und hinten bliebe es kalt.
(Abschnitt editiert) Wenn das Ventil geröstet wird längt es sich, dadurch drückt die Nockenwelle das Ventil früher runter, schließt später und das Gas kann vorzeitig und damit zu heiß austreten, die Kühlungsphase verkürzt sich. Das rösten wird ebenfalls passieren, wenn der Ventilsitz zu stark eingeschlagen ist - das Ventil schließt nicht mehr richtig, verliert den thermischen Kontakt und kann daher nur noch schlecht auskühlen, lässt zudem die heißen Brenngase vorzeitig raus. Dann geht der Ventiltod richtig schnell.
Bei den schnellen Flammen sollte nun die adiabate Flammtemperatur aus dem letzten Beitrag im Hinterkopf auftauchen und einem mitteilen, dass die höchste Brenntemperatur ohne Rücksicht auf Kompression und sonstige Systemänderungen bei Lambda = 1 erreicht wird. Diese Flammen knapp um/unter Lambda=1 brennen vergleichbar schnell wie fette, aber in der Spitze heißer. Das heißt, hier ist die thermische Last des "Normalbetriebs" am höchsten. Was einen (Tuner oder Gasumrüster) dazu animieren sollte, bei Volllast nicht knapp unter lambda=1 zu sein. Lambda 0.85 (oder was der Hersteller eigentlich haben möchte) ist deutlich kälter, brennt noch marginal schneller und freut damit den Motor mit geringen Abgastemperaturen. Dies betrifft besonders Fahrzeuge bis Euro-3, diese haben meist nur eine Sprungsonde. Damit sehen deren Steuergeräte nur dass das Gemisch fett ist, aber nicht ob es fett genug und damit "kalt" genug ist. Zu fett kostet zunächst Kraftstoff, irgendwann den Katalysator, aber wenigstens keinen Motor.
Apropos genug, genug der Theorie - es gibt jetzt Messwerte um diese theoretischen Überlegungen praktisch zu belegen. Nebenan ist die Abbrandgeschwindigkeit eines Experimentalmotors bei Benzin- bzw. LPG Betrieb als Funktion des Kurbelwellenwinkels aufgetragen, Quelle ist (wiederum) die Zeitschrift Energy Conversion and Management 46 (2005), Seite 2317–2333. Man kann gut sehen, dass Propan unter Verwendung des gleichen Zündwinkels gerade bei hohen Drehzahlen schneller abgebrannt ist wie 'Gasoline', auf Altdeutsch 'Benzin'. Das bedeutet zwangsläufig, dass die Spitzentemperaturen und Drücke am Ende der Verbrennung höher sein müssen wie unter Benzin, aber über einen höheren Kolbendruck eigentlich mehr Arbeit verrichtet werden kann. Die paar Grad früher durchgebrannt machen den Braten aber nicht fett. 10° Kurbelwinkel sind bei 6000 UPM etwa 270 Mikrosekunden! Idealerweise liegt der Spitzendruck irgendwo um 15° nach OT, behaupten zumindest die Motorenbauer. Und nun schaue man sich aus dem vorherigen Beitrag des ersten Teils an wie langsam Flammen im mageren Bereich werden können. Somit ist zu erwarten, dass die Abgastemperaturen bei korrektem Lambda und schnellerem Abbrand durch LPG oder Ethanol zwangsläufig sogar etwas sinken. Ideal wäre es, wenn die Zündung ein paar Grad später gestellt wird, damit die Druckspitze genau zum "idealen" Zeitpunkt von ca 12-15° nach OT auf den Kolben trifft und nicht vorher auf die noch weit oben stehende Kurbelwelle drückt. Zu früh gezündet zu haben ist auch nicht gut. Normalerweise laufen die Motoren durchaus bei hoher Last mit 35-40° Vorzündung.
Die durch die höhere Flammengeschwindigkeit bedingten höheren Kolbendrücke und Spitzentemperaturen werden vom selben Autorenteam bestätigt, siehe nebenstehende Grafiken. Das heißt, in der Spitze (Kolben oben) verbrennt LPG tatsächlich heißer. Die heißere Verbrennung beträgt jedoch nur etwa 50K im Peak oben und das ganze auf einem Niveau von bereits 2700K beim Benzin, also etwa 2400°C über Umgebungstemperatur. Daher beträgt der prozentuale Temperaturunterschied gerade 2%. Würde das LPG flüssig eingespritzt wären es immer noch 1.3-1.5%. Auf Dauer hält diese Temperaturen übrigens kein Zylinderkopf aus - das funktioniert nur weil es wenige Mikrosekunden später bereits wieder kälter wird.
Bei Abgastemperaturen von 800-900°C interessiert dies das Auslassventil nicht wirklich, das freut sich vielmehr über die schnellere Flamme und wie schön das Gas expandiert und damit abkühlen konnte. Leider liegen mir dazu keine Messdaten vor, aber ich erwarte bei einer blitzsauberen Abstimmung unter LPG und einer perfekt dosierenden / präzisen Anlage sogar geringere Abgastemperaturen. Nachtrag: Man schaue in das Attachment zum ersten Kommentar!
Wenn die Abgastemperaturen deutlich nach oben weglaufen und Auslassventile trotz korrekten Ventilspiels verbrennen, dann stimmt in den allermeisten Fällen das Gemisch nicht. Wie gezeigt hilft gegen eine Fehldosierung auch eine Flüssigeinspritzung nicht. Man darf dann suchen ob eine Düse versifft oder zu knapp dimensioniert ist, eine Fehlabstimmung mit falschen Einspritz-/Einblasmengen vorliegt, sich der Verdampfer verstellt hat oder dieser einfach nicht die Spitzenleistung schafft und obenrum zu wenig Druck bereitstellt. Ein völlig versiffter Gasfilter kann ähnliche Effekte haben. Erfreulicherweise haben die modernen Anlagen u.a. deswegen alle einen Raildrucksensor. Gegen einen Abstimmungsfehler oder zu knapp dimensionierte bzw. unpräzise dosierende Düsen kommt dieser aber nicht an.
Das heißt zusammengefasst: die "kälteste" Anlage ist die mit der besten Dosierung/Abstimmung. Ob gasförmig eingeblasen oder flüssig eingespritzt wird ist nebensächlich, es entscheidet die Qualität. Und zwar der Einblasdüsen als mechanisch ausführende Einheit, des Steuergeräts mit seiner Software und Sensorik als Steuerungsebene und vor allem die der Abstimmung seitens des Umrüsters.
Nachtrag: Direkt der erste Kommentar von Gasvectra hat ein nettes Attachment mit Messwerten nebst der belastbaren Aussage, dass korrekt dosiertes Gas sogar "kälter" verbrennt wie Benzin: ca. 800°C statt 857°C Abgastemperatur.
Diese Daten mit Messungen aus Osnabrück stützen die aus den Flammgeschwindigkeiten erwarteten Abgastemperaturen perfekt. 57°C weniger Abgastemperatur bei Gas wie dort gemessen ist sogar mir beinahe etwas zu viel. Herzlichen Dank übrigens für diese Daten!
Mögliche Erklärung des erstaunlich hohen Unterschieds ist (neben der Flammgeschwindigkeit) spekulativ folgende: Benzin hat als Aerosol (Flüssigtropfen-Gasgemisch) eine inhomogene Gemischbildung. Damit kann die Flammgeschwindigkeit durch Stofftransport aus der flüssigen in die Gasphase begrenzt sein. Bei hohen Drehzahlen steht nur wenig Zeit zur Verdampfung des Benzins nebst Verteilung im Zylinder zur Verfügung.
Das bedeutet bildlich beschrieben: Das Benzin liegt zum Zündzeitpunkt teilweise noch als mikrofeiner Tropfen vor, die Sauerstoffmenge ist aber in Summe auf vollständige Verbrennung bemessen. Damit brennt es außerhalb des Tropfens im Luftüberschuss (mager), nahe des Tropfens jedoch im Luftmangel (fett). Modellhaft darf daher angenommen werden, dass ein Teil eher fett & schnell und ein anderer Teil mager & langsam verbrennt. Dieses Problem hat LPG/CNG mit der sauberen Durchmischung (Gas in Gas) naturgemäß nicht, Alkohol durch die hohe Oberflächenspannung (tendenziell große Tropfen) und die hohe Verdampfungsenthalpie jedoch verstärkt.
Diese These lässt sich mit zwei Beobachtungen stützen. Beobachtung 1: Höhere NOx Bildung bei Benzin und hoher Drehzahl, siehe nebenstehende Grafik. Quelle sind die im oberen Beitrag verlinkten Autoren. NOx steigt u.a. dann an, wenn stöchiometrisch eigentlich korrekte Gemische nicht mehr sauber verbrennen - NOx kommt daher in lokalen Magerlaufbereichen besonders deutlich hoch. Ab ca 4000 UPM geht Stickoxid beim Benziner im Vergleich zum LPG Motor hoch, scheinbar reicht die Zeit nicht mehr um das Benzin vollständig und damit sauber zu vergasen. Damit gibts im Benzinbetrieb magere und fette Zonen, der Anteil magerer Zonen treibt die Abgastemperatur höher als diese eigentlich sein sollte.
Ein weiterer Beleg und damit Beobachtung Nummer zwei ist aus der in Abbildung 1 gezeigten Abbrandgeschwindigkeit bei unterschiedlichen Drehzahlen erkennen. Bei hohen Drehzahlen und gleichem Zündzeitpunkt ist LPG etwa 15° früher durchgebrannt wie Benzin, bei niedrigen (und damit mehr Zeit) sind es nur 7-10° Kurbelwinkel. Die langsamere Verbrennung von Benzin bei hohen Drehzahlen (und damit wenig Zeit zur Benzinverdampfung) steht im Einklang mit der These, dass inhomogenes Gemisch unter Benzin für Brennverzögerungen und damit für höhere als zwingend nötige Abgastemperaturen sorgt. Vielleicht kümmert sich die nächste Generation von Gasanlagen sogar um eine Lastkorrektur des Zündwinkels. LPG könnte bei höheren Drehzahlen sogar etwas später zünden. Die Korrekturfunktion des Benzinsteuergerätes ist auf die Abbrandgeschwindigkeit von Benzin begrenzt und wird nicht zu spät zünden wollen. Bei LPG wären 2-5° später durchaus diskutabel.
Kurzfassung: * LPG brennt weil es etwas schneller verbrennt in der Position "Kolben oben" tatsächlich wenige Prozent (2 bis max. 3%) heißer. * LPG ist bei den für Ventile und Turbolader relevanten Abgastemperaturen "Kolben unten" sogar kälter, sofern natürlich die Anlage ausreichend präzise dosiert und abgestimmt worden ist. * die tiefsten Abgastemperaturen hat eine präzise dosierende und (qualitativ hochwertige) Anlage.
Nur weil für eine Anlage ein Abgasgutachten vorliegt heißt das noch lange nicht, dass die Anlage in jedem Auto vom nächsten mongolischen Landmaschinenschlosser in einem Tag eingebaut perfekt läuft. Ein Abgasgutachten besagt nur, dass ein Ingenieur des Herstellers ein derart umgerüstetes Auto durch die Abgasmessung des TÜV gebracht hat. Von "in einem Tag eingebaut, auf 'Autotune' gegangen, fertig" steht dort explizit nichts drin.
Verbrannte Ventile sind (bei gasfesten Ventilsitzen natürlich) daher kein Naturgesetz des LPG-Einsatzes an sich, sondern ein Fehler. Entweder in der Abstimmung oder der Dosierung. Wenn euch also ein Umrüster erzählt "nicht über 4000 Touren, kein Vollgas weil Gas brennt heißer", erzählt dem ruhig "tschüß". Gasfeste Motoren bzw. gasfeste Ventilsitze sind genauso vollgasfest wie im Benzinbetrieb. Es freut keinen Motor getreten zu werden, egal wie teuer der Kraftstoff ist.
Ist ein Motor bekannterweise nicht ausreichend gasfest, so kann auch die sauberste Abstimmung einen Ventilschaden auf Dauer nicht verhindern. Durch Schlagverschweißungen (Pitting) trägt sich der Ventilsitz ab, dadurch sinkt das Ventilspiel, das Ventil öffnet zu früh und schließt zu spät, wird ggf. undicht und das wars dann. Gas hat im Gegensatz zu Benzin keine Additive, manche Ventile vertragen das nicht.
Dass LPG halten "kann" zweigt https://www.motor-talk.de/.../...edback-zum-tollen-wagen-t6107489.html eindrucksvoll: Fast 800.000 km unter LPG, allerdings auch pfleglich gefahren bzw. behandelt. Vor allem pfleglich warmgefahren UND Langstrecke obendrauf. Wenn LPG so "böse" und "brennt heiß" wäre wie es manche machen - die Chance läge bei Null diese Laufleistungen zu erreichen. |
Tue Nov 24 22:17:09 CET 2020 | Spannungsprüfer51183
Wow Gary, danke für den tollen und anschaulichen Beitrag! Auch an alle anderen Diskussionsteilnehmer! So etwas zwischen den leider vielen unsachlichen Diskussionen zu finden tut wirklich mal gut!
Deine Antwort auf ""Gas brennt heißer", Teil 2"