• Online: 3.043

rpalmers Blog

Uninteressantes für Interessierte

Mon Feb 29 14:12:29 CET 2016    |    rpalmer    |    Kommentare (50)    |   Stichworte: 1990, 4, 40m Klasse, 460, 90er, Dedra, fiat, Kompaktklasse, Lancia, Mittelklasse, Tempra, Vento, Volkswagen, Volvo, VW, Youngtimer, Zentral Mittelklasse

Beim durchblättern alter Autozeitschriften traf ich auf diesen Begriff: „Zentrale Mittelklasse“. Was soll das eigentlich sein? Ich kannte die Kompaktklasse/C-Segment und die Mittelklasse an sich (D-Segment). Diese spaltet man gerne noch in die „Obere Mittelklasse“ ab. Aber von zentral habe ich bislang nichts gehört.

 

Nun in einem VW-Pressetext fand ich die Antwort: Unter diesem Begriff verstand man in den frühen 1990er Jahren Fahrzeuge der „4,40m-Klasse“. Das waren zum Teil Stufenheck-/Kombiversionen bekannter Kompaktwägen, aber auch eigenständige, kleinere Limousinen die irgendwann, zum Teil nachfolgelos eingestellt wurden.

 

1990 umfasste der europäische Markt dieser Klasse 1,4 Millionen Stufenheckfahrzeuge, allein in (West)-Deutschland wurden im gleichen Zeitraum 415.000 Fahrzeuge verkauft. Die Mittelklasse selbst (4,60m Klasse, wie z.B. Passat) dagegen umfasste im Vergleichszeitraum nur 100.000 Exemplare in Deutschland und 370.000 in Europa. Betrachtet man rein diese Zahlen, so kann man die Aussage, diese Klasse sei "der Trend im Automobilmarkt der 90er Jahre" durchaus nachvollziehen.

 

VW wollte offenbar ebenso in dieser Klasse mitmischen. Wettbewerbsprodukte gab es ja genug: Der Volvo 460, den Lancia Dedra, Nissan Primera, Fiat Tempra, Peugeot 405, Toyota Carina und auch der Opel Vectra. Hierbei fällt schon auf, dass es zum Teil Fahrzeuge sind, welche von einem Kompakten abgeleitet wurden, aber auch etablierte Mittelklässler, wie der Vectra, der eigentlich in Konkurrenz zum Passat stand. Was hatte man selber im Programm? 1990 war das noch der Jetta, eine ca. 4,38m lange Stufenheckversion des Golf 2, der mittlerweile das Image eines Seniorenautos anhaftete.

 

VW VentoVW VentoDas sollte sich ändern, schließlich wollte man ja diese Fahrzeugklasse aufmischen. Unter dem Motto "Frischer Wind in der Mittelklasse" stellte man 1992 der Öffentlichkeit den "Vento" vor. Obwohl es sich wieder um eine Stufenheckversion des Kompaktwagens Golf handelte, wähnte man sich dennoch souverän in der Mittelklasse. Der neue Name sollte für ein neues Image zweckdienlich sein, ebenso wie die vergrößerte Eigenständigkeit und Aufwertung gegenüber dem Golf. Anfangs plante man auf der Basis des Vento sogar eine Kombiversion, was jedoch letztendlich als Golf Kombiversion realisiert wurde. Die Spuren sieht man aber noch heute, wo der Kombi und die Stufenversion in einem Teilekatalog zusammengefasst wurden.

Die Eigenständigkeit wurde rein äußerlich wieder mal mit der geänderten Front realisiert. So hielten Rechteckscheinwerfer, ein dazu angepasster Grill sowie Motorhaube und eine bulligerer Frontstoßstange Einzug. Am Heck bediente man sich dem Stil des Hauses, das Rückleuchtendesign wurde dem Sportcoupe Corrado angelehnt.

 

VW Vento InteriorVW Vento InteriorAuch der Innenraum erfreute sich diverser Veränderungen. So wurde zu Beginn ein verändertes Armaturenbrett verbaut. Dieses ist deutlich rundlicher als das Golf III. Schalter und Luftdüsen sehen auf den ersten Blick gleich aus, sind es aber nicht. Optische Aufwertung erfuhr auch das Kombiinstrument mit gewölbten Zifferblättern und eigenständiger Schriftart, die an die Typographie der ehemaligen DDR-Verkehrszeichen angelehnt war. Aber auch die Sitze und die Türverkleidungen waren mit hochwertigeren Stoffen als die des Kompaktpedants bezogen. Einige nette Details wie z.B. die Ausstiegsbeleuchtung in den Türen, die beleuchteten Regulierungen der Luftdüsen, die abschließbare Rücklehne mit Mittelarmlehne und die hohe Mittelkonsole rundeten die Eigenständigkeit ab. Auch das Motorenangebot war gegenüber dem Golf etwas eingeschränkter. Motoren der 111er Baureihe (1,4l 60PS und 1,6l 75PS) bot man erst gar nicht an, der Basisbenziner leistete seine 75PS aus 1,8l Hubraum, ergänzend kam der 1,8l 90PS, der aus dem Golf GTI entnommene 2,0l 116PS 8V und auch das damalige Flaggschiff, der 2,8l VR6 mit 174PS. Bei den Diesel gab es zunächst nur Wirbelkammer-Triebwerke, turbolose 64PS und zwangsbeatmete 75PS. Später kamen die Direkteinspritzer "TDI" mit 90 und 110PS hinzu. Der Allradantrieb blieb dem Vento verwehrt, wie auch der "große GTI-Motor" (2,0l 16V mit 150PS). Auch die Zweitürervarianten, bekannt von den Vorgängern, wurden nicht offeriert.

 

Als erstes Fahrzeug dieser Klasse bot der Vento gegen Aufpreis von 1200DM die Front-Airbags an, welche später zur Serienausstattung gehörten und gegen Aufpreis mit Seitenairbags erweitert werden konnten. Auch der Sechszylindermotor war zu Beginn der Markteinführung in dieser Klasse ein Alleinstellungsmerkmal.

 

Doch Volkswagens Pläne gingen nicht auf. Zwar erreichte der Vento 1993 sogar Platz 16 der deutschen Zulassungsstatistiken, doch der erwartete Erfolg bleib zumindest in Europa aus. Jenseits des Atlantiks sah es dagegen anders aus: In den USA avancierte der "Jetta III" zum verkaufsstärksten Fahrzeug im VW-Portfolio. Auch der erhoffte Imagewechsel blieb im Heimatmarkt Deutschland aus: Zumeist präsentierten weinrote vierzylindrige GL-Versionen mitsamt älteren Besitzern das Fahrzeugmodell. Heutzutage ist der Vento aus dem profanen Alltagsgeschehen verschwunden, was nicht zuletzt auch an der hohen Rostanfälligkeit lag. Erstaunlicherweise finden sich selbst 18 Jahre nach Produktionsauslauf noch immer viele Fahrzeuge mit niedrigen Laufleistungen und in einem guten Zustand in den Fahrzeugbörsen.

 

Doch legen wir den Blick auf die damaligen Konkurrenten. Wie sieht es zum Beispiel beim Fiat Tempra aus?

 

Fiat Tempra
(Urheber: EzenBoga WikimediaCommons / GNU-Lizenz)Fiat Tempra (Urheber: EzenBoga WikimediaCommons / GNU-Lizenz)Der Tempra war die Limousine vom Kompaktmodell Tipo. Er wurde 1990 auf dem Markt eingeführt und hielt sich bis 1996 im Angebot, wo er durch den Marea abgelöst wurde. Mit einer Länge von 4,35m passt er perfekt in die "4,40m Klasse". 1991 wurde auch eine Kombiversion bereitgestellt. Auch der Tempra wurde an Front gegenüber dem Kompaktmodell verändert, am meisten augenfällig dürften die Kotflügel sein, welche zur Motorhaube gezogen wurden und die anderen Scheinwerfer. Das Benziner-Motorenangebot startet bei 70PS aus 1,4l Hubraum und endete bei 113PS aus 2,0 Hubraum. In einigen Ländern wurden auch zweitürige Versionen angeboten und es standen stärkere Benzinmotoren zur Verfügung. Obwohl Fiat im Croma den ersten Direkteinspritzer-Diesel realisierte, wurde der Tempra nur mit Wirbelkammermotoren versehen, die Auswahl reichte von 65PS – 90PS. Auch dieses Fahrzeug hatte einige nette Gadgets zu bieten, wie z.B. ein digitales Kombiinstrument in der SX-Version oder beleuchtete Lenkstockschalter.

 

In Deutschland war das Modell unerfolgreich, wohingegen in der Türkei das Fahrzeug unter Lizenzproduktion von Tofa? sich großer Beliebtheit erfreute. Im Alltag habe ich den Tempra schon lange nicht mehr gesehen, den letzten sah in 2011 in Rom. Die Modellreihe wurde zuletzt durch den Fiat Linea, welcher auf dem Fiat Punto fußt, vertreten.

 

Lancia Dedra
(Urheber: Corvettec6r WikimediaCommons / GNU-Lizenz)Lancia Dedra (Urheber: Corvettec6r WikimediaCommons / GNU-Lizenz)Auch Konzerntochter Lancia bot ein vergleichbares Fahrzeug an: Den Dedra, dessen Kompakt"bruder" Delta hieß. 1989 auf dem Markt erschienen hielt sich dieser bis 2000 auf dem Markt. 1994 wurde das Modell um eine Kombivariante erweitert. Lancia verstand den Dedra als durchaus luxuriöse Alternative in dieser Fahrzeugklasse. So ist es nicht verwunderlich, dass ABS von Beginn an zur Serienausstattung gehörte, wie auch 4 Kopfstützen, 5 Gänge und Velourspolster. Auf Wunsch waren auch klassenunübliche Extras erhältlich, bspw. digitales Kombiinstrument, elektronisch geregeltes Fahrwerk, eine automatische Leuchtweitenregulierung.

Auch Allradantrieb und ein Automatikgetriebe (Welches von Volkswagen stammte) waren lieferbar. Das Motorenangebot war umfangreich, allerdings gab es nur einen 90PS starken Diesel. Bei den Benzinern reichte die Auswahl von 75PS aus 1,6l bis hin zu satten 170 "Turbo-PS" aus einem 2,0l Vierzylinder in der Integrale-Version.

 

Der Markt in Deutschland gibt nicht mehr viele gebrauchte Dedras her, obwohl dieses Fahrzeug Lancia-typisch mit interessanten technischen Details glänzte. Ich kann mich auch nicht bewusst daran erinnern, wie oft man dieses Fahrzeug während seiner aktiven Bauzeit im Straßenverkehr antraf.

 

Komplett vergessen ist mittlerweile wohl auch der Volvo 460. Dieser ist die Stufenheckversion der 400er Serie. Seine "Brüder" sind das Schrägheckpedant 440 sowie das Coupe 480, welches sich optisch von den 440/460 Modellen total abhebt.

Doch auch zwischen 440 und 460 gibt es einen kleinen Unterschied: Der 460 hat einen verchromten Kühlergrill.

 

Volvo 460
(Urheber: TRoadrunner11986 WikimediaCommons / GNU-Lizenz)Volvo 460 (Urheber: TRoadrunner11986 WikimediaCommons / GNU-Lizenz)Gebaut wurde der 460 von 1989 bis 1996 im DAF-Werk, welches später auch den Volvo S/V40 und den Mitsubishi Carisma produzierte. Mit 4,40m Länge passt auch der 460 in die hier thematisierte Fahrzeugklasse. Die Benziner basieren auf Renault-Konstruktionen, sind aber speziell für Volvo von Porsche verfeinert worden. Die Basis bildete anfangs ein katloser 80PS starker 1,7l Vergasermotor, den es in unterschiedlichen Leistungsstufen und auch mit Abgasreinigung gab. Auch ein Turbobenziner, welcher 120PS leistete, stand von Beginn an zu Verfügung. Das Motorenangebot wurde im Lauf der Produktion erweitert, so zogen auch 1,8l/90PS und 2,0l/102 & 110PS Triebwerke ein. Wer einen Diesel wollte konnte erst ab '93 auf seine kosten kommen, dann aber auch nur mit einer Version: 1,9 Turbo Wirbelkammer, 90PS.

 

Technisches Alleinstellungsmerkmal: Das Schubgliederbandgetriebe, ein stufenloses Getriebe welches man so in ansatzweise ähnlicher (Es wurde ein Keilriemen/Variomatik-Getriebe verbaut) Form auch in ehemaligen DAF-Pkws vorfand.

 

Wie die bisher vorgestellten Modelle war auch dem 460 hierzulande kein Erfolg beschieden.

 

 

Deutlich besser sah es hingegen bei den Modellen aus, welche nicht von Kompaktfahrzeugen abgeleitet wurden. Dies betrachte ich hier nicht, da sie doch eher Mittelklassefahrzeuge sind und keine "erweiterten Kompaktklässler". VW definierte sich selber diese Modelle als Wettbewerber zum Vento:

- Peugeot 405 (Gebaut 1987-1996, Als Stufen- und Kombilimousine erhältlich, 4,41m)

- Toyota Carina (Mehrere Generationen, 88-92 (4,38m) sowie 92-97 (4,45m) fallen hier in den Fokus. Gebaut als Stufen- und Fließheck, sowie als Kombi),

- Nissan Primera ("P10", '90-'97, Stufen-/Schrägheck (4,40m) und Kombi (4,50m))

- Opel Vectra (Generation "A, 1988-1995, Stufen- und Schrägheck, Länge 4,35-4,43m)

 

Auch den Astra F "Classic", den Ford Orion '91, den Peugeot 306 Sedan, den Renault 19 "Chamade/Bellevue", Nissan Sunny N14 Stufenheck, den Civic EG/EH Stufenheck etc. lasse ich aus. Zum einen, weil bis auf letzterem (dem Civic), die Stufenversionen nicht in die "4,40m Klasse" eingeordnet werden können, zum anderen weil das sonst einfach den Artikel sprengt. Auch fehlt den genannte Modellen eine versuchte "Vereigenständigung" durch eine modifizierte Front.

 

 

Vergleichstest einiger der hier vorgestellten Fahrzeuge in einer niederländischen TV-Sendung, erscheinen ca. Anfang '92:

Hat Dir der Artikel gefallen? 7 von 7 fanden den Artikel lesenswert.

Fri Mar 04 09:19:47 CET 2016    |    rpalmer

@emil2267 : Dann dürfte dir der hier gefallen

Fri Mar 04 09:53:51 CET 2016    |    scion

Von den Japanern kamen auch reichlich kompakte Stufenhecks. Ob Sunny/Almera, 323/3, Civic oder Lancer


Fri Mar 04 10:47:25 CET 2016    |    Max 0763

und den fantastischen VW Santana (Passat Stufenheck) bitte nicht vergessen, wurde hier in Europa allerdings

schnell wieder aus dem Programm genommen...

Fri Mar 04 10:57:54 CET 2016    |    rpalmer

Der Santana ist aber kein Komapkter mit Stufenheck, sondern die Stufenheckversion der Fließhecklimousine Passat 32b. Nachfolger hat er ja, nach dem Facelift wurde er in Passat umgetauft und alle Nachfolger sind als "Santana" erhältlich, während man das Fließheck eingestellt hat.

Fri Mar 04 11:45:59 CET 2016    |    kat2

Ich sehe regelmäßig eine gepflegte Rover 600-Limousine mit Lederausstattung - auch ein schönes und erwähnenswertes Auto.

Fri Mar 04 11:48:47 CET 2016    |    Goify

Das schon, aber dieser ist keine vom Kompaktmodell abgeleitete Limousine wie der Vento.

Fri Mar 04 16:07:49 CET 2016    |    Standspurpirat51980

Für mich gab es bei der vorletzten Kaufentscheidung als würdige Nachfolge für den Vento nur "2" Modelle in der engen Auswahl.

Das war zum einen der Jetta (auf Basis des Golf V) oder der Octavia 2 (ebenfalls auf Basis der Golf V).

Ich habe mich zwecks Variabilität für den Octavia entschieden und bisher keinen einzigen Tag bereut. Im übrigen erinnert er mich sehr oft an den Vento.

Sat Mar 05 09:25:37 CET 2016    |    Spurverbreiterung82

Toller Artikel, macht Spaß zu lesen.

 

Ford Orion, Opel Astra Stufenheck und Renault 19 Chamade waren damals auch harte Wettbewerber des Vento. (sehe gerade, die hast du ja selbst drin)

Sun Mar 06 20:12:48 CET 2016    |    Faltenbalg132789

Toller Bericht.

Ich finde es sehr schön, wenn sich jemand hier soviel Mühe gibt mit fundierten Informationen!

 

Ich hab mich damals allerdings für einen Golf III entschieden, allerdings als GTI Sondermodell "Edition" :D Der 3er GTI wird bis heute unter bewertet...

Wed Mar 09 18:03:08 CET 2016    |    lenutomkraft

Ich möchte mal ganz entschieden bestreiten, dass der Dedra immer ABS und Velourssitze gehabt haben soll. Mein 91er 1.8 (105PS) hatte jedenfalls beides nicht. Lass' mich raten - Wikipedia ??? Velours zumindest gab's damals nur beim 2.0 in Serie .

Thu Mar 10 12:01:28 CET 2016    |    Spannungsprüfer136022

So, hier meine 2 Cent zum Thema: Mazda 323 Stufenheck, Isuzu Gemini Stufenheck....viel Spass beim verdauen!!!!

Deine Antwort auf "Zentrale Mittelklasse - "Kunstklasse" der 90er"

Blogempfehlung

Mein Blog hat am 27.03.2019 die Auszeichnung "Blogempfehlung" erhalten.

Blogautor

rpalmer rpalmer

Der User

Saab

Wir leben alle unter dem selben Himmel, nur der Horizont ist verschieden.

Schnüffler

  • anonym
  • avalex
  • HerrLehmann
  • marco03
  • Mel75
  • Mr.Kane
  • Hildegard2017
  • powerpit
  • Mister_Z
  • Lutz2

Masochisten (131)

Zuletzt geschehen