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Karosserie-Neigetechnik in Kurven (ICE-like)

Themenstarteram 20. Juli 2012 um 12:50

Hi!

Ich weiß die Überlegung gibt's schon länger und ich hab mal einen Bericht über diese Technik von einem A5-Prototypen gesehn, losgelassen hat es mich trotzdem nicht.

Natürlich dient das Neigesystem dem Komfort durch absorbieren der Zentripetalkräfte, aber ich würde dieses Thema gerne mal von einer sportlichen Seite beleuchten:

Durch das einseitige Absenken der Karosserie (bspw. nach rechts) verschiebt sich statisch der Schwerpunkt also sowohl nach unten als auch nach rechts, was zu einer höheren Radlast auf der rechten Seite bzw. einer geringeren Radlastverschiebung, während der Kurvenfahrt führt, so meine Vermutung.

Ich befürchte jedoch, dass nicht nur einseitig agiert wird und auch die gegensetzliche Seite angehoben wird, sodass die Karosserie um eine Achse rollt und sich der Schwerpunkt "nur" leicht nach rechts verschiebt.

Über die eingeschränkten kurveninneren Federwege oder das erhöhte Aufschaukelrisiko bei Lastwechseln oder schnellen Änderungen des Kurvensinns möchte ich hier gar nicht reden, sondern ich wollte nur die Frage stellen, ob sich an der Schwerpunktlage überhaupt etwas ändert.

Ich habe schon mehrere kontroverse Antworten bekommen und in diesem Forum noch nicht dieses Thema gefunden.

Vielen Dank für die Antwort(en) im Voraus! :)

Gruß

Twaht

Beste Antwort im Thema

Hallo Twaht,

ob sich die Schwerpunktlage ändert hängt von der Lage des momentanen Drehpunktes der "Karosserie" ab. Es können drei Fälle unterschieden werden:

- Schwerpunkt und Drehpunkt fallen zusammen: Keine Verschiebung des Schwerpunktes. Die Beanspruchung des Fahrwerks ist so wie sie auch ohne Neigetechnik wäre. Einen Drehpunkt vorzusehen ist also völlig überflüssig.

- Schwerpunkt liegt unter dem Drehpunkt: Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung Kurvenaußenseite. Die Karosserie nimmt die gewünschte Schräglage in Richtung Kurveninnenseite ein. Die Verschiebung des Schwerpunktes nach außen führt zu einer Lasterhöhung auf der Kurvenaußenseite und entsprechend zu einer Reduzierung innen.

- Schwerpunkt liegt über dem Drehpunkt: Schwerpunkt verschiebt sich auch in Richtung Kurvenaußenseite. Die entstehende Schräglage, jetzt aber hin zur Kurvenaußenseite, ist gerade nicht erwünscht. Dieser Fall wird deshalb vermieden. Er führt ebenfalls zu einer Lasterhöhung auf der Kurvenaußenseite und zu einer Reduzierung auf der Innenseite.

Die im Fall drei verursachte Neigung zur Kurvenaußenseite entspricht im übrigen der Neigung wie sie bei jedem "Normalfahrzeug" auftritt; bei höherwertigen Fahrzeugen wird sie häufig durch den Wankausgleich minimiert. Sie entsteht, weil in diesem Fall etwa die Mitte des Fahrwerks als der momentane Drehpunkt anzusehen ist und somit der Schwerpunkt über dem Drehpunkt liegt.

Gruß, Palver

PS: Die Aussagen sind insofern stark vereinfacht, als bei realer Neigetechnik kein einfacher Drehpunkt vorhanden ist, sondern eine mehr oder weniger komplizierte "Neigekonstruktion". Deshalb auch die Formulierung "momentaner Drehpunkt".

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Hallo Twaht,

ob sich die Schwerpunktlage ändert hängt von der Lage des momentanen Drehpunktes der "Karosserie" ab. Es können drei Fälle unterschieden werden:

- Schwerpunkt und Drehpunkt fallen zusammen: Keine Verschiebung des Schwerpunktes. Die Beanspruchung des Fahrwerks ist so wie sie auch ohne Neigetechnik wäre. Einen Drehpunkt vorzusehen ist also völlig überflüssig.

- Schwerpunkt liegt unter dem Drehpunkt: Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung Kurvenaußenseite. Die Karosserie nimmt die gewünschte Schräglage in Richtung Kurveninnenseite ein. Die Verschiebung des Schwerpunktes nach außen führt zu einer Lasterhöhung auf der Kurvenaußenseite und entsprechend zu einer Reduzierung innen.

- Schwerpunkt liegt über dem Drehpunkt: Schwerpunkt verschiebt sich auch in Richtung Kurvenaußenseite. Die entstehende Schräglage, jetzt aber hin zur Kurvenaußenseite, ist gerade nicht erwünscht. Dieser Fall wird deshalb vermieden. Er führt ebenfalls zu einer Lasterhöhung auf der Kurvenaußenseite und zu einer Reduzierung auf der Innenseite.

Die im Fall drei verursachte Neigung zur Kurvenaußenseite entspricht im übrigen der Neigung wie sie bei jedem "Normalfahrzeug" auftritt; bei höherwertigen Fahrzeugen wird sie häufig durch den Wankausgleich minimiert. Sie entsteht, weil in diesem Fall etwa die Mitte des Fahrwerks als der momentane Drehpunkt anzusehen ist und somit der Schwerpunkt über dem Drehpunkt liegt.

Gruß, Palver

PS: Die Aussagen sind insofern stark vereinfacht, als bei realer Neigetechnik kein einfacher Drehpunkt vorhanden ist, sondern eine mehr oder weniger komplizierte "Neigekonstruktion". Deshalb auch die Formulierung "momentaner Drehpunkt".

Themenstarteram 20. Juli 2012 um 17:21

Vielen Dank für die konstruktive Antwort Palver!

Nach kleinen Vorstellungshilfen hat dann doch alles für mich zusammengepasst :)

Das heißt also selbst bei einer perfekt funktionierenden Elastokinematik (also absolut keine Abhängigkeit der Orientierung des Rades von der Einfederung) findet eine ungünstige Radlastverschiebung durch die Karosserieneigung statt, sollte Schwerpunkt und "Drehpunkt" nicht absolut aufeinanderfallen.

Zitat:

Original geschrieben von auditwaht

Das heißt also selbst bei einer perfekt funktionierenden Elastokinematik (also absolut keine Abhängigkeit der Orientierung des Rades von der Einfederung) findet eine ungünstige Radlastverschiebung durch die Karosserieneigung statt, sollte Schwerpunkt und "Drehpunkt" nicht absolut aufeinanderfallen.

Ich glaube, da hast du Palver missverstanden. Er hatte nicht umsonst drei Fälle unterschieden, und nicht etwa nur die zwei, ob Schwerpunkt und Drehpunkt übereinstimmen oder nicht.

Tatsache ist: eine Radlastverschiebung hast du in der Kurve immer, solange das Auto auf der Straße fährt (statt zwischen zwei Schienen auf Schwerpunkthöhe). Denn die kommt dadurch zustande, dass du zum Fahren einer Kurve eine Querkraft an den Rädern aufbringen musst. Diese Kraft greift notwendigerweise unterhalb des Schwerpunkts an, und dadurch entsteht ein Drehmoment um die Längsachse. Wenn das auto diesem Drehmoment nachgibt, lehnt es sich nach außen aus der Kurve heraus: es wankt. Diese Wankbewegung hört erst auf, wenn durch ungleichmäßige Verteilung der Radlasten ein Gegen-Drehmoment entsteht --- oder sie hört gar nicht auf, dann bist du soeben fachmännisch aus der Kurve geflogen. Du hast also eine größere Radlast auf der Kurven-Außenseite, weil das die Räder auf diese Weise das Auto davon abhalten, einfach quer aus der Kurve zu rollen.

Der Sinn einer Neigetechnik, was die Radlasten angeht, ist dann also der, dass man diesen unerwünschten Radlast-Unterschied, der sowieso schon besteht, durch einen künstlich erzeugten Unterschied in Gegenrichtung teilweise wieder kompensieren kann. Man bringt also Last auf die kurven-inneren Räder zurück, die durch die Kurvenfahrt von diesen weggezogen wurde, indem man den Schwerpunkt nach innen verschiebt.

Ob man diesen Effekt leichter mittels Kippen des Aufbaus oder mittels seitlicher Verschiebung erreichen kann, hängt von der Konstruktion des Fahrzeugs ab. Je höher der Schwerpunkt, desto eher kann man einen Neigemechanismus darunter positionieren, und desto mehr nützt das Kippen, weil sich dann der Schwerpunkt entsprechend weit seitwärts bewegt. Andererseits könnte es in so einem Fall durchaus mehr helfen, diesen Platz dafür auszunützen, dass der Schwerpunkt generell tiefer zu liegen kommt.

Kurz: in PKW ist Neigetechnik eher fiktiv --- die sind zu flach, als dass das nutzbringend einzubauen wäre.

Themenstarteram 20. Juli 2012 um 20:33

Zitat:

Original geschrieben von Timmerings Jan

Der Sinn einer Neigetechnik, was die Radlasten angeht, ist dann also der, dass man diesen unerwünschten Radlast-Unterschied, der sowieso schon besteht, durch einen künstlich erzeugten Unterschied in Gegenrichtung teilweise wieder kompensieren kann. Man bringt also Last auf die kurven-inneren Räder zurück, die durch die Kurvenfahrt von diesen weggezogen wurde, indem man den Schwerpunkt nach innen verschiebt.

Erstmal danke für deinen ausführlichen Beitrag.

Ich habe also den Fall 2...

Zitat:

Original geschrieben von Palver

- Schwerpunkt liegt unter dem Drehpunkt: Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung Kurvenaußenseite. Die Karosserie nimmt die gewünschte Schräglage in Richtung Kurveninnenseite ein. Die Verschiebung des Schwerpunktes nach außen führt zu einer Lasterhöhung auf der Kurvenaußenseite und entsprechend zu einer Reduzierung innen.

...so zu interprätieren, dass die Karosserie sich aufgrund der wirkenden Kräfte in der Kurve nach innen neigt, der Schwerpunkt sich jedoch trotzdem nach außen verschiebt, da es im Grunde nichts anderes ist als in Fall 3, nur am Drehpunkt (bzw. der Horizontalen durch den Drehpunkt als Spiegelachse) gespiegelt sozusagen...schließlich kann man die Querkraft auch als "Neigung" darstellen, da ja nur eine Resultierende am Schwerpunkt angreifen kann.

Das ist aber nur der Effekt , der in der Kurve bei Fall 2 eintritt, richtig?

Eingeleitet habe ich das Thema aber mit der Frage, ob durch die Neigung eine Schwerpunktsverschiebung eintritt, welche du, wie ich es verstanden habe, schließlich mit "Ja, aber von viel zu geringem Ausmaß" beantwortet hast. ;)

Schöne Grüße

Twaht

 

Zitat:

Original geschrieben von auditwaht

Ich habe also den Fall 2...

Zitat:

Original geschrieben von Palver

- Schwerpunkt liegt unter dem Drehpunkt: Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung Kurvenaußenseite. Die Karosserie nimmt die gewünschte Schräglage in Richtung Kurveninnenseite ein. Die Verschiebung des Schwerpunktes nach außen führt zu einer Lasterhöhung auf der Kurvenaußenseite und entsprechend zu einer Reduzierung innen.

...so zu interprätieren, dass die Karosserie sich aufgrund der wirkenden Kräfte in der Kurve nach innen neigt, der Schwerpunkt sich jedoch trotzdem nach außen verschiebt, da es im Grunde nichts anderes ist als in Fall 3, nur am Drehpunkt (bzw. der Horizontalen durch den Drehpunkt als Spiegelachse) gespiegelt sozusagen...schließlich kann man die Querkraft auch als "Neigung" darstellen, da ja nur eine Resultierende am Schwerpunkt angreifen kann.

Nein. Neigetechnik heißt die ganze Sache ja nicht zuletzt deshalb, weil man da nicht einfach die gegebenen Kräfte einfach so wirken lässt --- denn dafür braucht man keine Technik, das machen die auch ganz von allein --- sondern aktiv mit zusätzlichen Aktoren eingreift.

Ein Drehpunkt oberhalb der Schwerpunktes wäre dabei eher sinnfrei, denn dann müsste man, um die zwei gewünschten Resultate zu haben, leider in entgegengesetzte Richtungen neigen: für den Radlast-Ausgleich müsste man aktiv nach innen kippen, für die Richtungskorektur der scheinbaren Schwerkraft (also damit die Passagiere die Kurve nicht so mitkreigen) den Aufbau einfach frei nach außen kippen lassen --- das Kettenkarussel von der Kirmes lässt grüßen.

Zitat:

Eingeleitet habe ich das Thema aber mit der Frage, ob durch die Neigung eine Schwerpunktsverschiebung eintritt, welche du, wie ich es verstanden habe, schließlich mit "Ja, aber von viel zu geringem Ausmaß" beantwortet hast. ;)

Wenn man sie in PKW anwendet: ja. Bei Zügen ist das anders, weil bei denen das Verhältnis von Schwerpunktshöhe zu Spurbreite viel größer ist, und weil die auftretenden / möglichen Querbeschleunigungen geringer sind.

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