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Siemens testet Oberleitungs-Lkw - Dieser Truck fährt mit Strom aus der Leitung

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Auf einem stillgelegten Militärflughafen in der Uckermark testet Siemens Oberleitungs-Lkw. Wir haben uns die Technik einmal aus der Nähe angesehen.

Der umgebaute Mercedes Actros ist das erste Erprobungsfahrzeug von Siemens Der umgebaute Mercedes Actros ist das erste Erprobungsfahrzeug von Siemens Quelle: MOTOR-TALK

Groß Dölln – Ein Pkw steht weitaus mehr als er fährt. Statistisch gesehen wird er nur in fünf Prozent der Zeit genutzt. Bei einem Lkw verhält es sich umgekehrt. Deshalb gibt es keine schweren Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb. Die notwendigen Batterien wären zu schwer. Dennoch gibt es Möglichkeiten, den Güterverkehr zu elektrifizieren, sagt Bahn-Spezialist Siemens: zum Beispiel Oberleitungen. Im Gegensatz zu Straßenbahnen, Zügen oder Bussen fahren Lkw allerdings nicht in einer festen Spur.

eHighway - so stellt sich Siemens die Zukunft vor. Probleme mit der Stromversorgung sieht das Unternehmen nicht eHighway - so stellt sich Siemens die Zukunft vor. Probleme mit der Stromversorgung sieht das Unternehmen nicht Quelle: MOTOR-TALK Die Lösung: Die Oberleitungen stehen an stark frequentierten Strecken wie beispielsweise in Häfen zur Verfügung, und die Lastkraftwagen können sich auf Knopfdruck ein- und auskoppeln. Wie das funktionieren soll, zeigt Siemens auf einem Testgelände in Groß Dölln. Auf dem ehemaligen russischen Militärflughafen hat das Unternehmen eine zwei Kilometer lange Teststrecke gebaut. Seit 2010 sind dort verschiedene Oberleitungs-Lkw mehrere 1.000 Kilometer hin und her gefahren.

So fühlt sich es sich im Strom-Lkw an

Den ersten Lkw rüstete Siemens allein um. Noch heute fährt dieser Diesel-Hybrid-Actros in Groß Dölln. Heute, wie so oft, mit Jörg Grützner am Steuer. Der ehemalige Berufskraftfahrer hat den Fernverkehr gegen die zwei Kilometer lange Teststrecke getauscht. Der Laserscanner an der Front des Actros erkennt die Oberleitung über dem Lkw und zeigt das in einem Display an. Grützner drückt auf einen Knopf. Gegen ein automatisches Einkoppeln hat die StVO etwas einzuwenden.

Der Stromabnehmer setzt sich in Bewegung, und der gesamte Lkw beginnt zu schaukeln. Sobald der Kohleträger die Leitungen berührt, stellt der Dieselmotor die Arbeit ein. Grützner gibt Gas. Ein digitaler Balken mit zwei weißen Bällen darauf zeigt ihm, ob er sich noch in der Spur bewegt. Grützner braucht das Kontrollinstrument nicht mehr. Der Stromabnehmer misst ohnehin 2,80 Meter in der Breite, so viel wie die gesamte Spur.

Wenn der Fahrer blinkt, fährt der Stromabnehmer von alleine ein Wenn der Fahrer blinkt, fährt der Stromabnehmer von alleine ein Quelle: MOTOR-TALK Grützner setzt den Blinker, um ein Überholmanöver zu demonstrieren. Die Technik versteht und fährt den Stromabnehmer wieder ein. Beim Actros wiegt der Aufbau samt Elektromotor noch Tonnen und beeinträchtigt die Ladekapazität des Lkw. Bei neueren Versuchsfahrzeugen misst der Aufbau hinter dem Fahrerhaus nur einen halben Meter. Das Zusatzgewicht will derProjektleiter Martin Birkner auf eine Tonne reduzieren. Diese Tonne werde von der Politik bereits als mögliches Zusatzgewicht für besonders effiziente Lkw diskutiert, sagt Birkner.

Die Fahrt mit Oberleitung ist nach Angaben von Siemens doppelt so effizient wie die mit einem Dieselantrieb. Der Selbstzünder in herkömmlichen Lkw hat einen Wirkungsgrad von 30 bis 40 Prozent, halb so viel wie ein Elektro-Lkw. In Zahlen heißt das: Ein 40 Tonner benötigt 32 Liter Diesel je 100 Kilometer, ein elektrischer Lkw, der mit Oberleitungen und kleinen Batterien oder Brennstoffzelle fährt, benötigt 170 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Doch das kostet. Wie viel genau, ist noch nicht klar. Es gibt Studien, die gehen von 2,5 Millionen Euro pro „Doppelkilometer“ aus, also für einen Kilometer in zwei Fahrtrichtungen. Andere Studien rechnen mit 1,1 Millionen Euro.

MT-Redakteurin Sabine beim Probesitzen im Actros MT-Redakteurin Sabine beim Probesitzen im Actros Quelle: MOTOR-TALK Hinzu kommen die Kosten für den Lkw. Auch hier ist noch unklar, was Elektromotor und Stromabnehmer kosten werden. Das Ziel von Siemens: Die Zusatzkosten müssen sich nach drei bis vier Jahren für den Fahrzeugbesitzer rechnen, den höheren Wiederverkaufswert nicht eingerechnet. Die Kohleträger müssen bei den üblichen Wartungsintervallen von Lkw alle 6 bis 12 Monate ausgetauscht werden.

Der Spediteur muss allerdings für die Stromkosten aufkommen. In den USA, wo Siemens bereits einen Feldversuch am Hafen von Los Angeles gestartet hat, denkt die Regierung über ein Mautsystem nach. In Schweden möchte die Regierung die Oberleitungen möglicherweise kostenlos anbieten.

Siemens glaubt an die Technik. Sie sei flexibel und bei der Bahn erprobt. Wettereinflüsse gebe es nur bei starkem Sturm, etwa durch umgestürzte Bäume. Einsatzgebiete sieht Siemens im Pendelverkehr, beispielsweise zwischen Bahnhof und Hafen, beim Minenverkehr und im Güterverkehr. Nach Versuchen in den USA und Schweden möchte Siemens die Oberleitungen auch auf deutsche Straßen bringen. Im Dezember 2014 hat die Bundesregierung einen entsprechenden Feldversuch beschlossen. Wo er stattfindet und wer ihn umsetzt, ist allerdings noch offen.

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