Diskussion zur Rolle des KBA: Offizieller französischer Untersuchungsbericht zu Takata-Airbags 2025
Der offizielle französische Untersuchungsbericht zur Problematik der explodierenden Takata-Airbags ist jetzt für die Öffentlichkeit verfügbar (in französischer Sprache):
„Mission relative aux véhicules équipés d‘airbags de la marque Takata“
(Untersuchungsbericht der IGEDD zu Fahrzeugen mit Airbags der Marke Takata)
von Dominique Auverlot (Koordinator) und Philippe Ledenvic, IGEDD. IGEDD = Inspection générale de l'environnement et du développement durable [Generalinspektion für Umwelt und nachhaltige Entwicklung]
vom 1. Juli 2025 im Auftrag des französischen Verkehrsminister Philippe Tabarot vom 22. Januar 2025.
https://www.vie-publique.fr/files/rapport/pdf/299711.pdf#page15
Der Bericht befasst sich kritisch mit der Rolle des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) im Rahmen der europäischen Überwachung von Fahrzeugherstellern. Die Empfehlungen der IGEDD sind auch Grundlage für die einschneidenden Maßnahmen der französischen Regierung mit dem Dekret vom 29. Juli 2025 gewesen.
Der Untersuchungsbericht der IGEDD im Auftrag des französischen Verkehrsministers stellt die führende Rolle des KBA im Umgang mit der Takata-Problematik in Europa dar. Das KBA sei auch die Institution gewesen, die 2016/2017 das Überwachungsprogramm der Fahrzeughersteller initiiert habe mit Airbag-Probennahmen und technischen Tests an den ausgebauten Gasgeneratoren. Die französischen Untersucher stellen fest, dass das Überwachungsprogramm des KBA von 2016/2017 nicht verhindert habe, dass es zu Gasgenerator-Berstungen gekommen sei, zunächst in den französischen Überseegebieten ab 2018 und seit 2023 auch in den europäischen Mittelmeerländern sowie in Frankreich. Als mögliche Gründe führen sie an, dass verschiedene Einflussfaktoren jenseits der klimatischen Umgebungsbedingungen möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt worden sein könnten und dass die vom KBA geforderte Anzahl der zu Testzwecken auszubauenden Airbags wahrscheinlich zu niedrig angesetzt war. Außerdem kritisieren die Inspektoren die (europaweit gültige) Zertifizierungspraxis für pyrotechnische Gegenstände in Fahrzeugen durch das vom KBA hierfür beauftragte „Bundesamt für Materialforschung und -prüfung“ (BAM). Auch eine fehlende Unterrichtung der entsprechenden französischen Behörde DGPR über die Airbag-Risiken wird bemängelt.
Um sich ein eigenes Bild zu machen …
Auszüge aus dem Untersuchungsbericht zur Rolle des KBA
(halbautomatische Übersetzung ins Deutsche):
Seite 5:
Im Rahmen seiner Überwachungsaufgaben für pyrotechnische Produkte, insbesondere für Takata-Airbags, die in Freiberg hergestellt werden, hat das deutsche Kraftfahrtbundesamt (KBA) ab 2016/2017 alle in Deutschland ansässigen europäischen Fahrzeughersteller aufgefordert, ein Überwachungsprogramm einzurichten, das darin besteht, die in Fahrzeugen in Deutschland und in den Ländern mit dem höchsten Risiko in der Europäischen Union befindlichen Airbags auszubauen, zu testen und die Ergebnisse dem KBA zu melden.
Seite 20:
(…) Die zweite Phase, 2013-2019, betraf ebenfalls hauptsächlich Nordamerika und beginnt mit einem Unfall in Florida im Jahr 2013 mit einem Airbag, der nicht Teil einer fehlerhaften Charge war. (…)
Die US-Regierung ordnete dann für einen Zeitraum von drei Jahren (2016-2019) einen großflächigen Rückruf aller Fahrzeuge mit „PSAN 2004“-Airbags ohne Trocknungsmittel an. Europäische Hersteller leiten für einige Fahrzeuge Rückrufe ein und führen für andere in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt eine Überwachung durch, stellen jedoch keine besonderen Verschlechterungen fest.
Seite 22:
2.2.2 Die europäischen Hersteller verzeichnen in der gleichen Zeit keine Berstung von Airbag-Gasgeneratoren
Die von den Unteruchern befragten europäischen Hersteller stellten fest, dass es damals keinen Fall einer Berstung des Airbag-Gasgenerators in der Europäischen Union gegeben hatte. Die folgende Karte, die Takata im Sommer 2016 an einige europäische Hersteller übergab, zeigt den Standort der 68 bekannten Airbag-Auslösungen von Takata zu diesem Zeitpunkt. Unter der Annahme, dass sie korrekt ist, zeigt sie, dass bis zu diesem Zeitpunkt in der Europäischen Union kein Fall einer Berstung des Airbag-Gasgeneratorgehäuses aufgetreten war [siehe Abbildung der Karte im Anhang].
Takata-Europa wies sie außerdem darauf hin, dass die in den USA festgestellten Mängel Herstellungsfehler seien und dass das deutsche Takata-Werk in Freiberg (dessen Produktion 2006 begann) aus mindestens zwei Gründen deutlich effizienter sei als das mexikanische Pendant: Die Luftfeuchtigkeit werde dort kontrolliert (was das Eindringen von Feuchtigkeit in das Gehäuse während der Fertigung verhindere) und die Produktion sei dort stärker automatisiert.
Seite 23:
Diese Argumente führten dazu, dass mehrere europäische Hersteller annahmen, dass das Risiko für einige Jahre auf ein akzeptables Niveau reduziert sei und sie ihre Fahrzeuge weiterhin mit Takata-Airbags ausstatten könnten.
Mitte der 2010er Jahre war das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt, KBA, diejenige europäische Behörde, die sich mit der Problematik der Airbags befasste, insbesondere im Rahmen der Marktüberwachung von Airbags, die in den deutschen Takata-Fabriken hergestellt wurden.
Laut den Informationen, die das KBA den Untersuchern übermittelt hat, stand es bis zur Takata-Insolvenz im Jahr 2017 in engem Kontakt mit dem Unternehmen Takata und danach mit dem Unternehmen Joyson Safety Systems, JSS, das die Geschäftstätigkeit von Takata übernommen hatte, insbesondere das Geschäft mit den Airbags, aber ohne den Passivbereich.
Das Kraftfahrt-Bundesamt forderte ab 2016/2017 alle in Deutschland ansässigen europäischen Hersteller auf, ein Überwachungsprogramm einzurichten, das darin besteht, Airbags in ihren Fahrzeugen in Deutschland und in Ländern der Europäischen Union auszubauen, zu testen und die Ergebnisse zu melden. Die Anzahl der ausgebauten Airbags und deren Herkunftsort variiert stark je nach Hersteller und die Anzahl kann sehr hoch sein, wenn die Hersteller auch den Anforderungen der NHTSA entsprechen müssen. Die Gutachter unterscheiden hier zwei Arten von Fahrzeugherstellern, die Fahrzeuge in Europa verkaufen.
Die eine Gruppe von Herstellern hatte bereits ab 2016/2017 Rückrufe in Europa gestartet – den ersten Rückruf im Juni 2015. Dies waren hauptsächlich diejenigen Fahrzeughersteller, die auch in den USA präsent waren, wo sie erstmals mit den Rückrufen von 2013 wegen Herstellungsfehlern konfrontiert worden waren und danach mit den Rückrufen im Zeitraum von 2016 bis 2019 für alle Fahrzeuge mit den Takata-Airbags, die mit dem Treibmittel „PSAN 2004“ ohne Trocknungsmittelzusatz hergestellt worden waren.
Die anderen Hersteller richteten auf Anweisung des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) ein Überwachungsprogramm für ihre Airbags ein und riefen erstmals 2017/2018 die ersten Fahrzeuge zurück und 2020 die letzten Fahrzeugmodelle, nachdem sie erste Anzeichen einer Verschlechterung oder eines möglichen Versagens ihrer Airbags festgestellt hatten.
Seite 25:
Trotz des vom KBA eingerichteten Überwachungsprogramms traten ab 2018/2019 zahlreiche Fälle von Airbag-Versagen in den französischen Überseegebieten (DROM = Départements et régions d’outre-mer) auf, ab 2023 in den Mittelmeerländern und schließlich 2023 in Frankreich (…)
Für diese Berstungen [der Gasgenerator-Gehäuse] gibt es drei mögliche Erklärungen:
- Bei den in den USA bei den Takata-Airbags mit dem Treibmitteltyp „PSAN 2004 ohne Trocknungsmittel“ festgestellten Mängel handelte es sich um Konstruktionsfehler, die auch die in Deutschland hergestellten Airbags betreffen;
- Die Vorhersagemodelle zum Phänomen der berstenden Airbag-Gasgeneratoren, die ein hinreichend korrektes Verständnis der physikalischen Veränderungen voraussetzen, können als Ergebnis nur die Größenordnung einer risikofreien Lebensdauer der PSAN-Gasgeneratoren liefern. Darüber hinaus sind die Modellierungsergebnisse über die mögliche Lebensdauer eines in einem Fahrzeug enthaltenen Airbags von einer Vielzahl von Parametern abhängig, die insbesondere mit den klimatischen Bedingungen zusammenhängen, aber auch mit dem Fahrzeug selbst. Die Außentemperatur eines Airbags resultiert beispielsweise aus seiner Position im Fahrzeug, der Neigung bestimmter Bauteile, der Luftmasse im Innenraum...
- Das Überwachungsprogramm zur Erkennung einer Verschlechterung von Airbags, das darin besteht, Airbags auszubauen und zu testen, kann ein zukünftiges Airbag-Versagen nur verhindern, wenn die Anzahl der getesteten Airbags groß genug ist, und das auch nur dann, wenn die ausgebauten Airbags aus Fahrzeugen in den klimatisch ungünstigsten Gebieten stammen. Es ist wahrscheinlich, dass die Probenahme mehrere Hundert Airbags pro Jahr umfassen muss, möglicherweise sogar mehrere Tausend (, wenngleich sich die ursprüngliche Forderung des KBA auf nur 100 Airbags beschränkte).
Seite 36:
In Frankreich ist die Marktüberwachung für pyrotechnische Produkte bis heute auf die DGPR [Direction générale de la Prévention des risques] im Auftrag des für die industrielle Sicherheit zuständigen Ministers übertragen, wobei ein Hersteller wählen kann, sein Produkt von einem beliebigen benannten europäischen Organ zertifizieren zu lassen. Die Marktüberwachung der Takata-Airbags wurde vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) durchgeführt, die von ihm hierfür benannte Institution ist das Bundesamt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Mit Ausnahme von Volkswagen unterscheiden die meisten der von den Untersuchern angehörten Automobilhersteller nicht zwischen der Marktüberwachung von Fahrzeugen und der Marktüberwachung von Airbags.
3.2.3 Anwendung dieser Vorschriften auf Airbags, deren Gasgenerator Ammoniumnitrat ist
Das INERIS [Institut national de l'environnement industriel et des risques] teilte den Untersuchern mit, dass es keine Airbags mit diesem Stoff hinsichtlich der Konformität mit der Norm ISO 14 451 zertifiziert habe. Die Risiken dieses Stoffes sind seit langem bekannt, insbesondere seit den Unfällen auf dem AZF-Gelände in Toulouse am 21. September 2001 und kürzlich im Hafen von Beirut am 4. August 2020. Alle Airbags, die dieses Gemisch enthalten, wären also vom BAM [Bundesamt für Materialforschung und -prüfung] zertifiziert worden.
Von Seiten der DGPR [Direction générale de la Prévention des risques] wurde den Untersuchern mitgeteilt, dass sie von keinem Airbag-Hersteller und auch nicht vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) jemals eine Benachrichtigung über ein Risiko irgendwelcher Art erhalten habe.
Berechtigte Kritik am KBA ??? … zur Diskussion gestellt!
3 Antworten
Warum noch einen Thread?
(ß) Der Takata-Skandal 2025: Todesfälle in Europa : Verkehr & Sicherheit