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Kiffer am Steuer: Der Führerschein ist oft sofort weg - Mediziner fordern ein Umdenken

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Angetrunken am Steuer? Bis 0,5 Promille völlig legal. Bei Marihuana reichen dagegen schon Nanogramm, um den Führerschein zu verlieren. Mediziner und Juristen fordern eine Reform.

Schon Gelegenheitskiffer riskieren den Verlust des Führerscheins, wenn mehr als 1,0 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut nachgewiesen werden. Mediziner kritisieren, dass dieser Wert nichts über die Fahrtauglichkeit aussagt Schon Gelegenheitskiffer riskieren den Verlust des Führerscheins, wenn mehr als 1,0 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut nachgewiesen werden. Mediziner kritisieren, dass dieser Wert nichts über die Fahrtauglichkeit aussagt Quelle: dpa/Picture Alliance

Von Haiko Prengel

Berlin - Ohne einen Beutel Kunst-Urin setzt sich Lars Renners (Name geändert) nicht ans Steuer. Jeden Morgen legt der Handwerker aus Dortmund das Präparat unter den Fahrersitz. Dort kommt die gelbliche Flüssigkeit besser auf Körpertemperatur. Kunst-Urin aufwärmen – das klingt nach bizarren Sex-Spielchen. Doch Renners pflegt keinen ausgefallenen Fetisch. Er hat einfach Angst vor der Polizei und dem Verlust seines Führerscheins.

Renners ist das, was man einen Gelegenheitskiffer nennt. Alle paar Tage raucht der Familienvater abends einen Joint zur Entspannung – so, wie andere zum Feierabend ihr Bierchen trinken. Das Problem: Als Handwerker ist er viel mit dem Auto unterwegs. „Ich bin auf die Fleppe angewiesen”, sagt der Familienvater.

Wer sich in Deutschland unter Drogeneinfluss ans Steuer setzt, hat seine Fahrerlaubnis in der Regel verwirkt. Das entschieden Gerichte immer wieder, zuletzt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Januar 2016. Ein Autofahrer aus Nordrhein-Westfalen hatte sich erfolglos durch mehrere Instanzen geklagt, weil er den geltenden Grenzwert für Cannabis von 1,0 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut nicht akzeptieren wollte.

Wer von der Polizei mit kleinen Mengen Cannabis oder Restwirkstoff im Blut erwischt wird, riskiert heute keine strafrechtliche Verfolgung mehr - wohl aber den Verlust des Führerscheins Wer von der Polizei mit kleinen Mengen Cannabis oder Restwirkstoff im Blut erwischt wird, riskiert heute keine strafrechtliche Verfolgung mehr - wohl aber den Verlust des Führerscheins Quelle: dpa/Picture Alliance Er rauche nur gelegentlich einen Joint, wenn er wegen seinen Schlafstörungen nicht zur Ruhe finde, verteidigte sich der Mittdreißiger und legte Klage gegen die Entziehung seines Führerscheins ein. Das Gericht entschied: Auch wenn Cannabis nur gelegentlich konsumiert werde, „ab einem Grenzwert von 1,0 ng THC/ml Blutserum kann eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht mehr ausgeschlossen werden”.

MPU als einziger Ausweg

Die Rechtsprechung stößt bei vielen auf Unverständnis. Nicht nur bei Drogenkonsumenten, sondern auch bei Juristen und Medizinern. „Viele Delinquenten sind gar nicht unter aktivem Drogeneinfluss gefahren. Trotzdem werden sie wegen willkürlich festgelegter Grenzwerte belangt”, beklagt Ulli H. Boldt. Der Berliner Anwalt ist auf Verkehrsrecht spezialisiert und vertritt jedes Jahr mehr als 100 Mandanten, die wegen positiver Drogentests ihren Führerschein verloren. Die Leute kämen aus allen Gesellschaftsschichten – „vom Bauarbeiter bis zum Manager”, sagt Boldt.

Viele bekommen ihren Führerschein erst wieder, wenn sie eine so genannte Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) bestanden haben – im Volksmund „Idiotentest” genannt. In einem teuren, monatelangen Verfahren müssen die Sünder nachweisen, dass sie keineswegs Junkies sind, sondern ihr Drogenkonsum praktisch nur ein Ausrutscher war und keine Abhängigkeit vorliegt. Neben Sitzungen beim Psychologen und Reaktionstests am Computer muss der Betroffene mitunter ein Jahr lang mit Hilfe von Labortests belegen, dass er drogenfrei bleiben kann.

Das Problem: Aus medizinischer Sicht bedeutet regelmäßiger Cannabiskonsum nicht, dass die Betroffenen automatisch eine Gefahr für den Straßenverkehr sind. Der Übergang zwischen gelegentlichem Drogenkonsum und einer Abhängigkeitserkrankung sei fließend, sagt Christel Lüdecke von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin.

„Hochkritisch” seien dagegen die Grenzwerte für den Nachweis der einzelnen Betäubungsmittel, die der Gesetzgeber im Jahr 2008 erließ. Lüdecke zufolge können Menschen mit 1,0 ng/ml THC im Blut durchaus nüchtern und in der Lage sein, ein Auto zu fahren. In anderen Ländern liegt der Grenzwert deshalb viel höher, in der Schweiz etwa bei 3,0 ng/ml THC.

Wie schnell Drogen abgebaut werden, hängt von der körperlichen Konstitution eines Menschen ab. „Hinzu kommt, dass der Konsument nie weiß, welche Zusammensetzung die Droge hat”, erklärt Lüdecke. Denn Cannabis oder Kokain sind illegal und unterliegen keinen Qualitätskontrollen. Manchmal sind sie weniger stark, manchmal mehr.

Lüdecke ist Chefärztin in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus in Göttingen. Dort hat sie täglich mit Drogenkonsumenten zu tun. Viele Patienten kämen erst, wenn es schon ernste Probleme gebe, berichtet sie: „Entweder es gibt wegen der Drogensucht Probleme mit der Justiz, mit den Partnern oder sie haben den Führerschein verloren.”

Die Grenzwerte sind willkürlich

Klarer Fall: Wer bekifft ist und Auto fährt, gefährdet sich und andere. Aber viele Kiffer sehen nicht ein, warum sie auch nüchtern nicht Auto fahren sollen Klarer Fall: Wer bekifft ist und Auto fährt, gefährdet sich und andere. Aber viele Kiffer sehen nicht ein, warum sie auch nüchtern nicht Auto fahren sollen Quelle: dpa/Picture Alliance

Die Grundlagen zur Bewertung von Drogenfahrten, die sogenannte „Begutachtungslinie zur Kraftfahrzeugeignung“, wird derzeit überarbeitet. In dem Gremium sitzt auch Christel Lüdecke. Besonders schwierig sei es, mangelndes Trennungsvermögen von Cannabiskonsum und Autofahren nachzuweisen, sagt die Ärztin. Der Grenzwert von 1 ng/ml THC könne dies nicht belegen: „Die Grenzwerte sind einfach willkürlich. Und im Vergleich zum Alkohol wird hierzulande mit zweierlei Maß gemessen.”

Alkohol ist auch eine Droge, die jedes Jahr im Straßenverkehr viele Menschenleben fordert. Aber Alkohol ist legal. Lars Renners könnte jeden Morgen ein, zwei Bier trinken – bis 0,5 Promille Blutalkohol und ohne Fahrauffälligkeiten könnte ihm nichts passieren.

Kifft er, statt zu trinken, würde es anders laufen. Auch wenn er erst am nächsten Tag angehalten wird, würde sein Urin möglicherweise mehr als 1 ng/ml THC aufweisen – und Renners wäre seinen Führerschein los. Deshalb das synthetische Urin, mit dem er die Polizisten im Notfall auf der Toilette übertölpeln möchte.

Sind die Beamten wirklich so naiv? „Natürlich wissen unsere Beamten, dass manche Autofahrer sie mit künstlichem Urin veräppeln möchten. Deshalb bitten wir sie auch im Verdachtsfall, auf der Toilette einen Türspalt offen zu lassen”, sagt Stefan Drescher, Polizeihauptkommissar bei der Berliner Polizei und zuständig für die Verkehrsüberwachung. 1.500 Kraftfahrer wurden 2015 in der Hauptstadt wegen Drogeneinfluss aus dem Verkehr gezogen.

Vermuten die Beamten bei einem Autofahrer Drogenkonsum, folgt eine Reihe von Untersuchungen: ein Pupillentest mit einer Taschenlampe, Bewegungstests wie das Laufen auf einer Linie. Erhärtet sich der Verdacht, bitten die Beamten den Autofahrer zum „Fünffach-Urin-Test”, beispielsweise auf der Toilette eines Cafés. Dabei werde gleichzeitig auf Cannabis, Amphetamin, Methamphetamin, Opiate sowie Kokain getestet.

Ist dieser Test positiv und ergeben sich weitere Verdachtsmomente etwa durch körperliche Auffälligkeiten, beantragt die Polizei in der Regel bei einem Untersuchungsrichter einen Bluttest im Labor – denn nur Blutwerte haben gerichtlich Bestand, wenn später etwaige ordnungsrechtliche oder gar Strafverfahren eingeleitet werden.

Strenge Regeln politisch motiviert

Wer in einer Polizeikontrolle drogenverdächtig ist, kann zu einem Urintest gebeten werden. Dieser kann jedoch verweigert werden Wer in einer Polizeikontrolle drogenverdächtig ist, kann zu einem Urintest gebeten werden. Dieser kann jedoch verweigert werden Quelle: dpa/Picture Alliance

Was viele Autofahrer nicht wissen: Es drohen nicht nur Bußgelder bis zu 1.500 Euro, Punkteinträge in Flensburg und bis zu drei Monate Fahrverbot. Die Behörden entziehen drogenbeeinflussten Autofahrern häufig schon beim ersten Mal die Fahrerlaubnis.

Rechtlich gesehen könne man seinen Führerschein in Deutschland auch dann verlieren, wenn der Drogentest keinen akuten Rauschzustand ergibt, rügt Verkehrsrechtsanwalt Boldt. Er sieht diese strenge Praxis politisch motiviert. Vor einigen Jahren entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Cannabisbesitz in kleinen Mengen für den Eigenbedarf nicht verfolgt werden soll. „Daraufhin wurde die Fahrerlaubnis-Verordnung massiv verschärft, um die Leute auf diese Weise zu erziehen”, meint Boldt.

„Doch pauschal zu sagen: Wer einmal Drogen nimmt, ist zum Fahren ungeeignet, halte ich für unsinnig.” Auch Psychopharmaka oder Schmerzmittel können Menschen stark beeinflussen. Aber sie sind legal. Dass sich an der geltenden Rechtsprechung etwas ändert, da ist Anwalt Boldt skeptisch. Die strengen Richtlinien und Grenzwerte seien politisch gewollt.

Der Urintest ist freiwillig

Lars Renners wird deshalb wohl auch in Zukunft mit seinem Urin-Beutel zur Arbeit fahren – auch wenn er sich unwohl damit fühlt. „Das ist halt Betrug. Wenn die Polizei mich damit erwischt, bin ich erledigt und kann mir einen neuen Job suchen, wo ich kein Auto brauche”, sagt er.

Dabei ist niemand verpflichtet, sich einem Urin-Test zu unterziehen. „Der Test ist freiwillig, genau wie Pupillentest und andere körperlichen Untersuchungen”, sagt Verkehrsjurist Boldt. Gezwungen werden könne man nur zu einem Bluttest – aber dann müssten die Beamten schon sehr sicher sein, dass dieser auch positiv ausfällt.

„Mein Ratschlag an Autofahrer ist: Seien Sie bei Kontrollen erst einmal freundlich zu den Beamten – denn die machen ja auch nur ihren Job”. Verkehrssicherheit sei ja auch wichtig. Wer unsicher ist, ob er noch Drogenreste im Blut beziehungsweise im Urin hat, kann sich übrigens auch zu Hause selbst testen – entsprechende Tests gibt es in Apotheken.

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