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Mit dem Denza 500 durch Peking - Daimlers Kaltstart in die Elektro-Revolution

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Daimlers Elektro-Revolution beginnt klammheimlich am anderen Ende der Welt. Auf leisen Sohlen schleicht Daimlers erstes Elektro-Serienfahrzeug, der Denza 500, durch Peking.

Peking - Wer am frühen Abend durch Sanlitun schlendert, dem schwirrt nach wenigen Minuten der Kopf. So laut und so hektisch geht es zu im nobelsten Shopping- und Partyviertel von Peking. Doch der Krach kommt aus den Läden und Lokalen, nicht von der Straße.

Obwohl die Straßen brechend voll sind, herrscht dort Stille. Denn in Peking ist die Zahl der Elektrofahrzeuge größer als irgendwo sonst auf der Welt. Nicht nur die unzähligen Roller schwirren mit Akku-Power leise durch die Stadt, immer mehr Autos kommen ohne Verbrenner aus.

Noch sind das neben den teuren Teslas vor allem lokale Produkte. Denn der Start ins Zeitalter der Elektromobilität ist auch in China schwierig, für Hersteller wie Fahrer. Für die Hersteller ist China eine Herausforderung, weil sie zumindest bis vor kurzem noch in Joint-Ventures gezwungen wurden und so Gefahr liefen, ihre Geheimnisse preiszugeben.

Daimler hat deshalb nicht einfach die elektrische B-Klasse nach China gebracht, sondern zusammen mit BYD den Denza entwickelt. Der kam Mitte 2014 auf den Markt und wurde gerade zum zweiten Mal überarbeitet. Jetzt hat der Wagen eine frische Front mit markanten Scheinwerfern, die sie in China Tiger-Augen nennen. Außerdem erlaubt ein neuer Akku mit 70 kWh eine Normreichweite von 451 Kilometern. Mit ein bisschen Aufrunden rechtfertigt er den neuen Namen Denza500.

Mit Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen

Vor der Ausfahrt im Elektro-Daimler steht allerdings erst einmal eine Führerscheinprüfung. Denn einfach den Internationalen zücken und davonsurren, das geht in China nicht. Stattdessen muss man wie bei der Musterung zum Gesundheitscheck und bekommt für jede Übung einen Stempel: Kniebeugen, Check, Blutdruck, Check, Sehkraft, Check, Hörtest, Check, Farbverständnis, Check. Erst nach einem Dutzend Stempeln und einer Stunde Videos mit Verkehrsunfällen gibt es den ersehnten Führerschein.

Auf dem Weg von der B-Klasse zum Denza hat eine 60 Mann starke Mercedes-Truppe in Pingshan mit rund 200 Kollegen aus China zusammengearbeitet. Sie krempelten das Design um, streckten das Auto um fast 30 Zentimeter und zeichneten ihm für den separaten Kofferraum einen kleinen Bürzel ans Heck. Der Denza 500 bekam einen moderneren Innenraum mit animiertem Cockpit hinter dem Lenkrad, großem Touchscreen in der Mittelkonsole und kleinem Joystick auf dem Tunnel zwischen den Sitzen eingebaut.

Vor allem haben sie einen komplett neuen Antrieb installiert: Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen vom Partner BYD sind viel anspruchsloser und genügsamer als die üblichen Lithium-Ionen-Zellen. Dass die Energiedichte nicht so groß ist, macht im Denza nichts. Im doppelten Boden gibt es genug Platz. Den nutzen die Entwickler aus: Sie schrauben Akkublocks mit zusammen 70 kWh in einen massiven Aluminiumrahmen unter dem Wagenboden.

Gesetzliche Vorteile für Elektroautos

Das gesamte Paket wiegt mehr als zehn Zentner. An der Haushaltssteckdose würde das Laden mehr als 30 Stunden dauern. Deshalb bietet Denza eine 22-kW-Wallbox an und reduziert so die Ladezeit auf weniger als drei Stunden. Dafür wächst der Aktionsradius auf rekordverdächtige Werte: Im Prüfzyklus reicht der Saft für 451 Kilometer. Nach einem halben Tag kreuz und quer durch Peking hat sich die Grafik im etwas schmucklosen Digitalcockpit kaum verändert – nach wie vor liegt die reale Reichweite bei mehr als 300 Kilometern.

Und dabei stand der Denza an diesem Tag nicht nur im Stau. Er bewies, wie gut man mit 184 PS und 300 Newtonmeter Drehmoment unterwegs ist. In vier Sekunden beschleunigt der Raumkreuzer mit der angenehm hohen Sitzposition auf Tempo 50. Für den Zwischenspurt auf 80 Sachen braucht er weitere 4,0 Sekunden, nach 10,5 Sekunden sind 100 km/h erreicht. Dass die Elektronik bei 150 km/h die Reißleine zieht, stört im chinesischen Verkehr niemanden.

Dass Denza ausgerechnet in Peking zur Testfahrt bittet, hat einen guten Grund. Nirgends verkauft das Joint Venture mehr Fahrzeuge an Privatkunden als hier. Denn in der Hauptstadt profitieren die Kunden am meisten vom Umstieg auf die Elektromobilität. Sie benötigen kein Lottoglück bei der Zulassung. Mit einem Verbrenner muss man auf ein Kennzeichen schon mal drei Jahre warten. Sie dürfen zudem an jedem Tag der Woche fahren. Das sind Vorzüge, die in Peking nur für Batterie-Autos gelten.

Der Denza 500 soll die Lücke zu Tesla schließen

3.500 Denza allein für die Privatkundschaft in Peking klingen imposant. Wenn Daimler von der elektrischen B-Klasse oder vom Smart ED in Deutschland ähnliche Mengen verkaufen würde, könnte der Konzern vor Stolz kaum gehen. Doch auf dem größten Elektromarkt der Welt ist der Stromer mit den Daimler-Genen nur eine kleine Nummer und fährt im Zulassungskeller.

Das liegt vor allem an seiner sehr speziellen Positionierung, rückt Vorstandsmitglied Zeng Hua das Bild wieder zurecht. Denn 80 Prozent der Elektroautos in China sind Billigmodelle mit bescheidener Reichweite und noch bescheidenerer Qualität. Der Denza will sich davon abheben und schließt quasi die Lücke zu Tesla: Mit Preisen ab knapp 300.000 RMB (knapp 40.000 Euro) ist er doppelt so teuer wie die lokalen Autos und halb so teuer wie ein Model S. Damit wird der Halbbruder der B-Klasse zum edlen Exoten.

Künftig wird es wird für den Wagen nicht einfacher. Auch Zeng weiß, dass es demnächst sogar noch einen Konkurrenten aus den eigenen Reihen geben wird. Nächstes, spätestens übernächstes Jahr wird Mercedes mit dem EQC in China starten. Doch Sorgen macht sich die Denza-Managerin deshalb keine. Erstens, weil Mercedes nochmal ein Stück über Denza positioniert ist. Und zweitens, weil der Markt schon jetzt riesig ist und noch viel schneller wachsen wird. „Da ist für jeden Hersteller und jedes Modell Platz.“

Quelle: SP-X

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