Wie der Westen die Nahrung der Armen verfeuert

Sprit für die Welt

Von Lester Brown

Autos, nicht Menschen verbrauchen den größten Teil des Getreides, das 2006 im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich verarbeitet wurde. Das US-Landwirtschaftsministerium schätzt, dass der weltweite Maisverbrauch 2006 um etwa 20 Millionen Tonnen über dem Vorjahr lag. Davon wurden vermutlich 14 Millionen Tonnen zur Herstellung von Ethanol verwendet, nur 6 Millionen Tonnen dienen der Produktion von Nahrungsmitteln. Insgesamt hat sich die Getreidemenge, die zu Ethanol verarbeitet wird, in fünf Jahren verdreifacht, von 18 Millionen Tonnen in 2001 auf geschätzte 55 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr.

Der Appetit der Welt auf Treibstoff ist unersättlich. Das Getreide, das nötig ist, um den 120 Liter fassenden Tank eines Geländewagens mit Ethanol zu füllen, reicht aus, um einen Menschen ein Jahr lang zu ernähren. Von der Menge, die destilliert werden muss, wenn der Tank alle zwei Wochen gefüllt wird, könnten sich 26 Leute ein Jahr lang satt essen.

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendwo in der Welt der Bau einer weiteren Ethanol- oder Biodiesel-Raffinerie angekündigt wird. Allein von Oktober 2005 bis Oktober 2006 wurden in den USA 54 neue Ethanol-Destillen geplant. Fast alle werden bis Ende dieses Jahres in Betrieb sein und insgesamt jährlich etwa 39 Millionen Tonnen Getreide verbrauchen, überwiegend Mais. In South Dakota, einem der zehn größten Getreideproduzenten Amerikas, wird schon heute mehr als die Hälfte der Ernte zu Sprit verarbeitet.

Maisimportierende Länder wie Japan, Ägypten und Mexiko befürchten bereits, dass die absehbare Kürzung der US-Maisexporte, die Zweidrittel der weltweit exportierten Gesamtmenge ausmachen, ihre Vieh- und Geflügelindustrie bedrohen könnte. In einigen Importländern wie etwa Mexiko oder Nigeria ist Mais das wichtigste Grundnahrungsmittel. In den USA wird Mais hauptsächlich indirekt konsumiert. Fast alle Lebensmittel, die im Kühlschrank lagern, basieren letztlich auf der Verfütterung von Mais.

Seit fast alles, was essbar ist, zu Treibstoff verarbeitet werden kann - ob Weizen, Reis, Sojabohnen oder Zuckerrohr - verschwimmen die Grenzen zwischen der Nahrungsmittel- und der Energieindustrie. Früher waren Geflügel- und Viehzüchter die einzigen Getreidekäufer. Heute kommen die hinzu, die Benzin für die Tankstellen liefern.

Wenn der Ölpreis steigt, wird es immer profitabler, aus Agrarprodukten Biogas, Ethanol oder Biodiesel herzustellen. Im Ergebnis bedeutet das, es hängt vom Ölpreis ab, ob die nachwachsenden Rohstoffe zu Nahrungsmitteln oder zu Treibstoff verarbeitet werden. Fällt der Preis für die Verwertung als Nahrungsmittel unter den Preis für Benzin, verkaufen die Hersteller ihr Getreide an die Sprit- statt an die Brotfabriken.

Treibstoff aus Biomasse wird vor allem in Brasilien, den USA und Westeuropa hergestellt. Brasilien, der größte Zuckerproduzent der Welt, verarbeitet bereits heute die Hälfte der Ernte zu Ethanol, der Zuckerpreis ist heute doppelt so hoch wie 2004. In Europa liegt der Schwerpunkt auf Biodiesel. Von den rund vier Millionen Tonnen Treibstoff, der dort 2005 aus nachwachsenden Rohstoffen destilliert wurde, waren 3,2 Millionen Tonnen auf Pflanzenbasis hergestellter Biodiesel. 0,7 Millionen Tonnen waren aus Getreide oder Zuckerpflanzen destilliertes Ethanol.

In Asien bauen vor allem China und Indien Ethanol-Fabriken. 2005 verarbeitete China 2 Millionen Tonnen zu Ethanol - hauptsächlich Mais, aber auch Weizen und Reis. In Indien wird Ethanol vor allem aus Zuckerrohr gewonnen. Thailand konzentriert sich auf Ethanol aus Maniok, während Malaysia und Indonesien verstärkt in Ölpalmen-Plantagen und in neue Biodiesel-Raffinerien investieren.

Die weltweiten Investitionen in Bio-Treibstoffe drohen außer Kontrolle zu geraten. Sie drohen das Getreide, das für die Vieh- und Geflügelzucht benötigt wird, dramatisch zu verknappen. Und, noch schlimmer, die gewaltige Zahl von Biodiesel- und Ethanolfabriken, die im Bau oder in Planung sind, könnte dazu führen, dass schon in naher Zukunft nicht mehr genügend Getreide für den menschlichen Verzehr zur Verfügung steht. Kein Zweifel: Die Bühne ist frei für den Konflikt zwischen den 800 Millionen Autobesitzern und den weltweit 2 Milliarden Allerärmsten, die nur überleben wollen.

Angesichts des Benzindurstes der Welt scheint es unvermeidlich, dass die Getreidepreise weiter steigen. Schon jetzt sind die Preise für Weizen und Mais auf historische Höhen geklettert, der Weizenpreis stieg 2006 um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die einzige Frage ist, wann auch die Preise für Lebensmittel steigen.

Für die 2 Milliarden ärmsten Menschen der Welt, die mindestens die Hälfte ihres Einkommens für Nahrung ausgeben, könnten steigende Getreidepreise schnell lebensbedrohlich werden. Sie könnten Aufstände um Nahrungsmittel in den Ländern auslösen, die auf Getreide-Importe angewiesen sind, und so den globalen ökonomischen Fortschritt gefährden.

Es gibt allerdings Möglichkeiten, diese Entwicklung zu vermeiden. Den Teil des Treibstoffs, der zurzeit durch Ethanol abgedeckt wird, könnte man um ein Mehrfaches und zu einem Bruchteil der Kosten dadurch beschaffen, dass der Standard für niedrigen Kraftstoffverbrauch um 20 Prozent angehoben wird. Eine andere Möglichkeit wären hocheffiziente Hybrid-Motoren. Zu Lebensmitteln für die gut 800 Millionen Menschen auf der Welt, die chronisch hungrig und unterernährt sind, gibt es hingegen keine Alternative. Die Welt braucht dringend eine Strategie, um den aufkommenden Konkurrenzkampf zwischen Brot und Sprit beizulegen.

ZUR PERSON
Lester Brown ist Präsident des Earth Policy Institute in Washington und Autor des Buchs "Plan B 2.0 Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation", Kai Homilius Verlag, Berlin; 386 Seiten; 19,90 Euro. Mit seinen Schriften hat Brown bedeutenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Umwelt- und Ernährungsproblemen genommen. Die "Washington Post" hat Brown als einen der einflussreichsten Denker der Gegenwart bezeichnet.

Spiegel

97 Antworten

Also diese Phänomen hat doch einen namen...
..ich glaube...
...ich hab es gleich...
..ach jetzt ist es mir eingefallen...
...Marktwirtschaft oder?

Konkurrenz gibt es überall. Es ist halt traurig, dass es immer die Schwächsten trifft.

Aber mal ehrlich: Der Preis für Getreide ist wirklich sensationell niedrig. Ein Bauer bekommt nicht mal 10 cent für das Kilo Getreide. Wenn man nun 1,5 kg Getreide für 1 kg Brot braucht, dann sieht man, dass der Rohstoff kaum einen Einfluss auf den Preis der Lebensmittel hat.

Für Länder, die Lebensmittel exportieren, ist diese Entwicklung doch wünschenswert. Es kommt endlich Geld ins Land. Benachteiligte gibt überall. Aber man kann nicht die Augen verschließen und warten bis das Erdöl ausgeht. Die Senkung des Verbrauchs ist eine stetige Entwicklung, aber keine Alternative.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass South Dakota Mais nach Äthiopien exportiert - also warum sollte die USA keine Biomasse zu Energie verarbeiten.

Diese Technologie kann doch auch eine große Chance für Länder ohne Bodenschätze und kleinem Budget sein. Diese könnten jetzt mit Ackerbau Energie gewinnen und sich (teilweise) unabhängig zu machen.

Jede Entwicklung, egal was und wo, hat Vor- und Nachteile.

Der Bauer in South Dakota wird an den verkaufen der den höchsten Preis zahlt. Egal ob es der Lebensmittelhändler in Äthiopien ist oder der Spritproduzent im eigenen Land.

Manchmal hat das was von den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben.

Oder was ist wichtiger, die paar Millionen Menschen die dadurch mehr Hungern oder das bisschen CO2 das dadurch weniger in der Luft ist. Und damit möglicherweise auch wieder viele Menschen vor Schäden durch den Klimawandel bewahrt ...

... tja, ich weiss es auch nicht. 😕

Gruß Meik

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Zitat:

Original geschrieben von Cham


Ich kann mir nicht vorstellen, dass South Dakota Mais nach Äthiopien exportiert - also warum sollte die USA keine Biomasse zu Energie verarbeiten.

Diese Technologie kann doch auch eine große Chance für Länder ohne Bodenschätze und kleinem Budget sein. Diese könnten jetzt mit Ackerbau Energie gewinnen und sich (teilweise) unabhängig zu machen.

Das sehe ich genauso.

Wann immer es einen technischen und wirtschaftlichen Fortschritt gibt, kriechen gleich wieder ein paar Bedenkenträger aus ihren Verstecken...🙁

Jetzt die Ethanolautos und Biodiesels für den Hunger in der 3. Welt verantwortlich zu machen ist voll ins Hirn gefu***.
Mit dem Diesel/Fusel-Boom wurde die Produktion "mal eben" um 50% ausgeweitet. Es wurde also nicht den Äthiopiern wegggenommen, sondern wurde früher schon in Äthiopien nicht produziert und heute auch nicht. Da lob ich mir einige europäische Hilfsprojekte, die Wasserstellen anzapfen und Pumen und Wasserleitungen bauen statt überzählige Getreidesäcke bei den Hungernden abzuladen. (US, CAN) und die mit "Krediten" zu bezahlen. Letzteres ist die Quelle der Armut und der Verschuldung: Erst liefern als "Hilfe", dann dies als zinsloses Darlehen für 3 oder 5 Jahre titulieren und dann mit dem Zinsknüppel zuschlagen. So kann man auch dicke Geschäfte machen.
Bertold Brecht: Ein größeres Verbrechen als eine Bank auszurauben ist, eine zu gründen.

Re: Wie der Westen die Nahrung der Armen verfeuert

Zitat:

Original geschrieben von Coup


Sprit für die Welt
Seit fast alles, was essbar ist, zu Treibstoff verarbeitet werden kann - ob Weizen, Reis, Sojabohnen oder Zuckerrohr - verschwimmen die Grenzen zwischen der Nahrungsmittel- und der Energieindustrie. Früher waren Geflügel- und Viehzüchter die einzigen Getreidekäufer. Heute kommen die hinzu, die Benzin für die Tankstellen liefern.

Na ja, für so kurz gefaßte Rückschlüsse, und immer wieder hin in die Katastrophe, mit dieser Art der Berichterstattung verdient der Spiegel halt sein Geld. Son bisschen `Bild´ist immer dabei.

Allerdings ist der hier zitierte und beklagte Sachverhalt doch ein Beitrag zur gesunden Ernährung mit einem anderen, als den spiegelchen Rückschluss, nämlich; Pflanzliche Kost statt Rindviecher und Hühnerpest.
Eine Zahl, die mir aus den Anfängen der Aufklärung im Gedächtnis haften geblieben ist: Will der Mensch Rindfleisch
verdauen, dann muss er dem Rindviech 10 x mehr pflanzliche Nahrung zum Verdauen anbieten, als dieses nachher dem Menschen, über seine Kadaver, rückführen kann.
Apropos Verdauen; Nachdem wir nun alle genau wissen, dass das Schlachtvieh unsere menschenliche Welt durch methanhaltiges Rülpsen und Furzen geruchlos aufheizt, wäre es doch wirklich nachdenkenswert, aufs ohnehin ungesunde Meet verzichten zu wollen.
Zumal der Mensch als Folge dieses Gliedes innerhalb seiner Nahrungskette ja auch noch weiter weitaus unangehemer ausgast, als dies bei pflanzlicher Kost der Fall ist.

Re: Wie der Westen die Nahrung der Armen verfeuert

Zitat:

Original geschrieben von Coup


Und, noch schlimmer, die gewaltige Zahl von Biodiesel- und Ethanolfabriken, die im Bau oder in Planung sind, könnte dazu führen, dass schon in naher Zukunft nicht mehr genügend Getreide für den menschlichen Verzehr zur Verfügung steht.

Anstatt Belege zu liefern, wird hier eine These haltlos in den Raum gestellt...🙄

Es geht denke ich auch nicht um die Menge die produzierbar ist sondern darum dass die durch Biokraftstoff verursachte Preissteigerung viel mehr Leute mit niedrigstem Einkommen vor Probleme stellt ihr Essen zu bezahlen.

Und das mit den Rindviechern stimmt auch wohl. Reduzierter Fleischkonsum dient ebenso dem Klimaschutz wie weniger Kraftstoff zu verbrauchen.

Gruß Meik

Schuld an den Hungersnöten sind größtenteils die Hungernden doch selbst.
Nix zu essen da, aber dennoch 10 Kinder zeugen? Diese hungern dann auch und bekommen jeweils wieder 10 Kinder?
Besonders in diesen armen Ländern ist die Vermehrungsrate extrem hoch.

Nun sollen die Schuld an deren Sterben sein, die versuchen das Klima etwas zu schonen???

Wenn es statt 2Mrd. nur 200Mio. arme Menschen gäbe, würden deutlich weniger sterben.

Boh, wenn ich das alles so lese, wie viele Leute sich davon ernähren könnten...

Da krieg ich ja gleich Hunger! Ich glaub, da fahr ich mal mit meinem Getreidemobil zum Mc Donalds und kaufe in Dritte-Welt-Pflanzenöl gewendete Gen-Kartoffeln 😁

In dem Sinne : Immer ein schlechtes Gewissen haben bei allem, was wir tun, weils uns so gut geht. Und im Idealfall sollten wir alle danach streben, in ärmlichen Verhältnissen zu leben. Weil wenns allen schlecht ginge, müssten wir uns net schämen.

Zitat:

Original geschrieben von jonny1983


Schuld an den Hungersnöten sind größtenteils die Hungernden doch selbst.
Nix zu essen da, aber dennoch 10 Kinder zeugen? Diese hungern dann auch und bekommen jeweils wieder 10 Kinder?
Besonders in diesen armen Ländern ist die Vermehrungsrate extrem hoch.

Nun sollen die Schuld an deren Sterben sein, die versuchen das Klima etwas zu schonen???

Wenn es statt 2Mrd. nur 200Mio. arme Menschen gäbe, würden deutlich weniger sterben.

...ich glaube, das ist das

DÄMLICHSTE

was ich je auf MT gelesen haben...unter aller Sau.

Junge, wo liebst du nur? Auf diesem Planeten sicherlich nicht!

*kopfschüttel*
simmu

Also, da geht Einiges durcheinander, finde ich.

- Aus ethischer Sicht ist es verwerflich, aus Nahrungsmitteln Treibstoff zu erzeugen, während viele Menschen hungern.
- Aus Sicht der CO2-Bilanz ist es wiederum positiv - es wird bei der Verbrennung nicht mehr CO2 erzeugt, als vorher durch die Pflanzen aufgenommen wurden.
- Aus biologischer Sicht sind große Monokulturen, die für Treibstofferzeugung nötig sind, sehr problematisch.
- Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe eine interessante, neue Erwerbsquelle der krisengeschüttelten Landwirte, schafft Arbeitsplätze und ist eine Chance, gerade für arme Länder, von teuren Rohölimporten unabhängig zu werden.
- Durch die Möglichkeit, aus nachwachsenden Rohstoffen Treibstoff zu erzeugen, werden die Ölpreise daran gehindert, ins "Blaue" zu steigen...

So hat eben jedes Ding zwei Seiten - aus meiner Sicht spricht etwas mehr dafür als dagegen.
Zumindest ist die Vergärung zu Alkohol sinnvoller, als produzierte Überbestände einfach zu vernichten, wie z. B. das Zermatschen von Apfelsinenüberbeständen in den 80er Jahren....

das thema ist mal richtig alt :

http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,463602,00.html

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