Kleine Servicebibel für das Mercedes 722.6 5-Gang Automatikgetriebe
Ich möchte euch mit diesem Post eine kleine Servicebibel für das Mercedes 722.6 5-Gang Automatikgetriebe an die Hand geben.
Die Inspiration kam durch diesen Beitrag für den M113 sowie die Liste von Walter.
Wer sich für die grundlegende und erweiterte Funktion des 722.6 interessiert findet hier ein PDF Dokument der Automatic Transmission Service Group (ATSG).
Leider ist die Datei zu groß, um sie auf Motor Talk hochzuladen. Dementsprechend muss ich auf einen Fremdanbieter setzen.
Beziehen werde ich mich ausschließlich auf das 722.6 bis Baujahr 2002, so wie es im 210, 202 und weiteren Fahrzeugen verbaut wurde.
Bei diesen Fahrzeugen wurden Schaltschieberkästen mit den Nummern A 140 oder R 140 verbaut.
Die Baureihe 211 setzt auf die Teilenummer A 211, welche nicht mit den oben genannten Baureihen kompatibel ist.
Grundsätzlich sind die 722.6 sehr haltbar. Laufleistungen von 500.000KM und mehr sind keine Seltenheit.
Hier spielen vor allem zwei Dinge eine große Rolle. a) Regelmäßige Ölwechsel/Spülungen und b) Die Nutzung des KFZ durch den Vorbesitzer
Da von Mercedes erst Jahre später ein einmaliger Ölwechsel bei 60.000KM vorgeschrieben wurde, sind die meisten Getriebe stark abgenutzt.
Dies äußert sich besonders durch hartes schalten im kalten Zustand, schlupfende Schaltvorgänge und ein allgemein verschlechtertes (hartes) Schaltverhalten im warmen Zustand.
Ich empfehle einen regelmäßigen Ölwechsel bei normaler Nutzung ohne Hänger Betrieb jeweils alle 60.000KM. Für AMG und V8 Fahrzeuge verkürzt sich das Intervall um 30.000KM.
Fahrzeuge mit denen regelmäßig ein Hänger gezogen wird, sollten alle 30.000KM frisches Öl bekommen.
Sofern das Fahrzeug keine Ablassschraube am Wandler hat (ab 1999), muss oder sollte das Getriebe ohne Reiniger gespült werden (Edit: Hierbei handelt es sich um meine persönliche Meinung. Siehe den ersten Kommentar von dickschiffsdiesel). Ich empfehle eine Mindestmenge von 16L für den optimalen Effekt.
Meist fallen die Probleme erst auf, wenn man sich bewusst damit beschäftigt oder das EGS (Elektronisches Getriebesteuergerät) vom Öl befreit werden muss.
Somit wären wir auch schon bei einem der häufigsten Probleme, nämlich dem Getriebestecker. Die O-Ringe werden mit der Zeit undicht, und durch die Kapillarwirkung zieht das Öl ins EGS.
Sollte dieser Fehler lange Zeit nicht bemerkt werden, treten Störung in der Kommunikation mit dem Getriebe auf. Die Folge kann auf Dauer ein Getriebeschaden sein.
Meist äußert sich der schleichende Defekt durch unerklärliches Schaltverhalten.
In dem Fall, dass Öl im EGS vorhanden ist (sichtbar durch einen nassen Stecker), muss dieses gründlichst mit Bremsenreiniger gesäubert werden.
Der Getriebestecker ist vorher zu ersetzen.
Ein weiteres oft auftretendes Problem sind die Elektroplatinen, auf denen die Drehzahlsensoren sitzen.
Das Plastik reißt gerne, oder die Sensoren versagen mit der Zeit ihren Dienst. Ein entsprechender Fehler wird abgelegt, und die Platine ist zu ersetzen.
Im Laufe der Zeit hat Mercedes die Getriebe mehrfach überarbeitet. Grundsätzlich sind die Getriebe aus den letzten Baujahren haltbarer.
Einzelheiten sind in den Dokumenten der ATSG nachzulesen.
Mechanische Defekte sind glücklicherweise recht selten. Dies ist wie oben schon erwähnt von Punkt a) und b) abhängig.
Hin und wieder versagen die Wandler Ihren Dienst, oder die Lager der Lamellenkupplungen bekommen Spiel, was letztendlich zu einem Totalausfall führen kann.
Bemerkbar macht sich dies durch eine Art "Fall" nach dem Schalten. Vergleichbar mit defekten Motorlagern.
Es sei gesagt, dass der Hänger Betrieb im Modus "W" strikt zu unterlassen ist.
Für solche Belastungen und hohe Temperaturen ist der Kühlkreislauf nicht ausgelegt.
Die Lamellenkupplungen verbrennen regelrecht.
Nun zu einem der kritischsten Punkte, über den wenig bis gar nicht berichtet wird.
Der Schaltschieberkasten.
Die Schaltschieberkästen unterliegen einem massiven Verschleiß.
Mit Laufleistungen ab 200.000KM arbeiten sich die Schaltschieber in das Aluminium des Schaltschieberkastens ein und sorgen so für eine Toleranz.
Diese Toleranz führt zu einem verminderten Öldruck (Schaltdruck), welcher wiederrum zu einem schlecht(er) schaltenden Getriebe führen kann.
Man kann diesem Problem mit speziellen Kits (z.B Sonnax) entgegenwirken, oder neue (ggf. Maybach) Magnetventile verbauen. Denn eine neuer Schaltschieberkasten ist sehr kostspielig.
Es sei gesagt, die auf dem Markt als generalüberholten Schaltschieberkästen waren meist nicht auf einem speziellen Prüfstand.
Dieser Schritt ist aber zwingend erforderlich und wird nach meiner Kenntnis nur von Mercedes angeboten.
Wer sich auskennt und den Anleitungen weiter unten folgen möchte, kann um seinem Getriebe etwas Gutes zu tun, den Schaltschieberkasten reinigen.
In einem würde ich die Magnetventile inklusive Dichtungen sowie die Elektroplatine erneuern.
Benötigt werden ca. 15L Bremsenreiniger, ein sauberes Umfeld und zwei Ölwannen.
Außerdem sollte gutes Werkzeug vorhanden sein.
Ich möchte erwähnen, der Tausch des Magnetventils für die Wandlerüberbrückungskupplung (KÜB), ist in jedem Fall sinnvoll.
Besonders wenn ein defekter Wandler vermutet wird, wäre dieser Schritt, zusammen mit der Reinigung des Schaltschieberkastens ein vergleichsweise günstiger Versuch.
Damit sollten alle für den Endverbraucher relevanten Probleme abgedeckt sein.
Wer mehr Informationen benötigt, speziell was die EGS51 und deren Interna angeht, kann sich gerne bei mir melden.
Im Anschluss die benötigten Teile für gängige Reparaturen und den allgemeinen Service.
Für einen normalen Ölwechsel oder Spülung wird benötigt:
Ölwannendichtung 1x - A 140 271 00 80
Ölfilter 1x - A 140 277 00 95
Dichtung Ablassschraube 1x - N 007603 010100
Magnet 1x - A 000 988 09 52 (Sehr wichtig, die meisten 722.6 haben keinen!)
Ölwannenschrauben 6x - A 140 990 46 01
Getriebestecker 1x - A 203 540 02 53
Getriebeöl 8-9L - Fuchs Titan ATF 4134
Für den Wechsel der Elektroplatine:
Elektroplatine 1x - A 140 270 11 61
Schrauben EHS 10x - A 140 277 06 71
Getriebestecker 1x - A 203 540 02 53
Optimierung der Schaltung:
Es sei gesagt, die Produkte von Febi Bilstein sind teilweise baugleich mit denen von Mercedes.
Ich setze beim 722.6 ausschließlich auf Bauteile von Febi und habe noch nie Probleme gehabt.
Der Vollständigkeit halber verweise ich hier auf das Set "Febi 100253" für den normalen Getriebeölwechsel bzw. Spülung,
oder auf das Set "Febi 100254" für den Ölwechsel inklusive Erneuerung der Elektroplatine.
Anleitungen, Teilenummern und Bilder zum 722.6 findet ihr unter diesem Link.
Dieser Thread wurde mit den aktuellsten Informationen am 18.04.2021 erstellt. Ich übernehme keine Haftung für eventuelle Schäden oder Richtigkeit der oben genannten Informationen.
136 Antworten
Also ein Anlass zum Ölwechsel.....
Das nenne ich mal eine schnelle und vor allem sehr starke Reaktion hier im Forum
Vielen Dank dafür
R.
Werden die kopplungslammellen Prophylaktisch mitgetauscht wen man sowieso am Geribe bei ist ?? Gibt es da Toleranzen an denen man den abnutzungsgrad feststellen kann?
Zitat:
@W639 schrieb am 13. November 2023 um 10:17:01 Uhr:
Werden die kopplungslammellen Prophylaktisch mitgetauscht wen man sowieso am Geribe bei ist ?? Gibt es da Toleranzen an denen man den abnutzungsgrad feststellen kann?
Sicherlich nicht 🙂 Dazu muss das Getriebe raus & vollständig zerlegt werden.
Ist schon klar. Das Getribe ist zerlegt... pumpe ist Defekt
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Zitat:
@W639 schrieb am 13. November 2023 um 11:09:08 Uhr:
Ist schon klar. Das Getribe ist zerlegt... pumpe ist Defekt
Dann nimm die Kupplungskörbe raus (vorausgesetzt das richtige Werkzeug ist vorhanden!) und miss nach. Ist alles oben in den PDFs dokumentiert. Du solltest aber gutes Messwerkzeug bereit haben.
Zitat:
@phoenix217
Ist alles oben in den PDFs dokumentiert.In welchenm PDF finde ich die Grenzwerte den??
Ich habe leider nichts gefunden. 😕
Zitat:
@W639 schrieb am 19. November 2023 um 18:53:58 Uhr:
Zitat:
@phoenix217
Ist alles oben in den PDFs dokumentiert.In welchenm PDF finde ich die Grenzwerte den??
Ich habe leider nichts gefunden. 😕Beispielsweise auf Seite 67 zur Kupplung K1 stehen die Werte.
Den Rest findest du auch. 🙂
Mahlzeit Freunde
Ich habe den Eindruck, als ob sich hier intensiver um die 722.6 Patienten gekümmert wird, als im W163 Forum, wo ich mein Problem dargestellt habe. Ein Kollege hat in meinem Fall auf Wandlerüberbrückungsprobleme getippt, was ich plausibel finde, da ich das Problem nur mit viel Last erzeugen kann. Mögen die Experten wie z.B. @phoenix217 doch bitte mal einen kurzen Blick auf meine Ausführungen hier
https://www.motor-talk.de/.../...illierende-drehzahl-t7566450.html?...
werfen und dann etwas dazu sagen. Der Wagen wird viel mit schwerem Anhänger auf weiten Strecken bewegt und stellt für mich ein Arbeitswerkzeug dar. Nachts auf der Autobahn liegenbleiben wäre katastrophal, daher bitte ich um Hinweise, ob es mit dem Getriebe 5 vor oder 5 nach 12 ist und wen man im Berlin empfehlen kann.
Besten Dank für eure Bemühungen und freundliche Grüße
Eric
Hallo zusammen und Eric @n757ku,
nach deiner Beschreibung schließt und öffnet die Wandlerüberbrückungskupplung (nur ?) unter erschwerten Betriebsbedingungen fortwährend, was den Verschleiß fördert und vermieden werden sollte.
Abhängig von Motordrehzahl und Motorlast wird beim Automatik-Getriebe 722.6 NAG1 die Wandlerüberbrückungskupplung im 3., 4. und 5. Gang zugeschaltet.
Die Abbildung im Anhang zeigt Betriebskennlinien, aus denen ersichtlich ist, wie solche Betriebszustände vermieden werden können. Konkret würde dies bedeuten, dass mit einem schweren Anhänger bei ca. 80 km/h von D auf 4 geschaltet wird, um bei dieser Geschwindigkeit die Drehzahl auf >3000 U/min zu erhöhen.
Lesestoff zum Automatik-Getriebe 722.6 NAG1 findest du auch in der 210er FAQ:
https://www.motor-talk.de/faq/mercedes-e-klasse-w210-q89.html
https://www.motor-talk.de/faq/mercedes-e-klasse-w210-q89.html#Q3222105
Vielen Dank für deine sehr interessanten Ausführungen. Ich bin etwas überrascht, dass der schlupfende Bereich der Wandlerüberbrückung über ein so weites Drehzahlband geht. Das ist doch wie eine rutschende Kupplung und der praktisch verschleißintensivste Betriebszustand. Überbrückung on-off halte ich mittlerweile für unwahrscheinlich, weil dafür die Amplitude von 75u/min zu gering ist. Der Drehzahlunterschied on-off war immer rund 400 - 500u/min. Wahrscheinlich eiert das Ventil für die Druckbeaufschlagung der WÜK ständig irgendwo im Schlupfbereich hin und her und will mal mehr, mal weniger überbrücken. Ist das überhaupt reparabel oder muss ein neuer Wandler her? Ich muss allerdings hinzufügen, dass der letzte Wandler, den ich in den Fingern hatte, aus einem TH-400 Getriebe stammte. Absolut nicht zu öffnen. Ist das beim 722.6 anders?
Update: Die Beantwortung meiner letzten Frage ist obsolet. Soeben habe ich erfahren, dass der Wandler zu öffnen und reparabel ist. Ein mit Mercedesteilen überholter AT-Wandler kostet bei einem Berliner Spezialisten 350€. Damit die Experten mal ein Gefühl für die Sache bekommen, gibts hier ein Video.
https://youtu.be/FKzniNkGOwg?si=eCHgvrrRzEUJIj6l
Freundliche Grüße Eric
Mein 270 macht , glaube ich, mit dem 1,5 t Wohnanhänger die Brückung gar nicht zu oder schaltet gar nicht in den fünften Gang. Was der Verbrauch bestätigt, der ist dann fast doppelt so hoch wie ohne Anhänger, obwohl man nicht schneller als 100 fährt.
Hallo zusammen und @n757ku,
bei einem serienmäßigen ML320, 163.154, M112.942 160 kW/218 PS mit 5-Gang-Automatikgetriebe W5A330 722.262 lauten die Daten für die Getriebeübersetzung 1:3,93, 2:2,41, 3:1,49, 4:1,0, 5:0,83 und die Achsübersetzung 3,69.
Mit der Serienbereifung 225/75 R16 liegen in Wahlhebelposition D
bei geschlossener Wandlerüberbrückungskupplung
und einer Geschwindigkeit von 100 km/h 2278 U/min an,
mit der Bereifung 255/65 R16 2258 U/min bei 100 km/h.
Im Video pulsiert jedoch der Drehzahlmesser um ca. 2650 U/min bei 100 km/h.
Die Wandlerüberbrückungskupplung ist - wie im Video - bei 100 km/h und ca. 2650 U/min geöffnet und das ist nachprüfbar, wenn man den Tempomat bei dieser Geschwindigkeit deaktiviert und die Motordrehzahl nicht langsam mit der Geschwindigkeit sinkt, sondern beobachten kann, wie sie schlagartig in den Keller fällt.
Steht der Wahlhebelschalter nicht auf D, sondern auf 4,
liegen bei geschlossener Wandlerüberbrückungskupplung
bei 3000 U/min 109,3 km/h (225/75 R16) bzw. 110,2 km/h (255/65 R16) an,
auf Position 3
bei 3000 U/min 73,3 km/h (225/75 R16) bzw. 74,0 km/h (255/65 R16).
Pulsiert die Drehzahl in Wahlhebelschalterposition 3
und einer Drehzahl von etwa 3500 U/min,
entsprechend einer Geschwindigkeit
von 85,6 km/h (225/75 R16) bzw. 86,3 km/h (255/65 R16)
ebenso, wie im Video gezeigt?
Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h steht die Drehzahl in Pos. D
bei 1822 U/min (225/75 R16) bzw. 1806 U/min (255/65 R16),
und das Getriebe würde stets zwischen D und 4 hin und her schalten
2196 U/min (225/75 R16) bzw. 2178 U/min (255/65 R16),
vermutlich ohne pulsierende Drehzahl.
Hallo Walter
Die Drehzahl pulsiert in Fahrstufe 3 jenseits der 3300 u/min nicht mehr. Darunter nur unter sehr hoher Last wie z. B. bergauf mit Anhänger. Die Drehzahl fällt bei Gaswegnahme stark und nichtproportional zur Geschwindigkeitsabnahme.
Hätte ich bloß dieses Diagramm früher zu Gesicht bekommen. Der Drehmomentwandler fühlte sich subjektiv geschlossen an, war aber objektiv noch im Schlupfbereich. Das wird mir jetzt eine Lehre sein, die Drehzahl bei erschwerten Betriebsbedingungen nicht unter 3300 fallen zu lassen.
Vermutlich beträgt das tatsächliche Gesamtgewicht des Anhängers 3500 kg oder mehr.
Ich kann von ähnlichen Beobachtungen berichten, hier bei einer zul. Anhängelast von 1900 kg und einem Anhänger, der beladen etwa 2400 kg wiegt.