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Wie reagiert Seat auf Kataloniens Krise? - Seat: Stolz Kataloniens, Erbe der Diktatur

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Was heute auf den Straßen vor katalanischen Wahllokalen passiert, prägt, was morgen auf diesen Straßen fährt. Das zeigt schon die Geschichte Seats. Und nicht nur die.

Der Schatten von politischen Ereignissen fällt auch auf Autobauer: Wo Seat künftig produziert, könnte vom Verlauf der katalonischen Unabhängigkeitsbemühungen abhängen. Die Modellgeschichte ist jedenfalls eng mit jener des Landes verbunden Der Schatten von politischen Ereignissen fällt auch auf Autobauer: Wo Seat künftig produziert, könnte vom Verlauf der katalonischen Unabhängigkeitsbemühungen abhängen. Die Modellgeschichte ist jedenfalls eng mit jener des Landes verbunden Quelle: dpa / Picture Alliance / MOTOR-TALK

Barcelona – Ein großer Teil der Bevölkerung Kataloniens will die Unabhängigkeit von Spanien. Die angedachte Abspaltung vom Königreich wirft Fragen auf. Die aus automobiler Sicht brennendste ist: Wie würde der ansässige Autohersteller Seat reagieren? In Katalonien bleiben oder nach Spanien umsiedeln? Rein geographisch gehört das Unternehmen seit seiner Gründung untrennbar zu Katalonien. Doch aus historischer und politischer Perspektive könnte der Autohersteller gar nicht weiter von der um Autonomie bestrebten Region entfernt sein.

Denn zur Welt kam die Marke Seat als Prestigeprojekt der Militärdiktatur unter Francisco Franco. Und stammt somit aus einer Zeit, in der Katalonien vermutlich den stärksten Repressalien seit der Annektierung durch Spanien vor mehr als 300 Jahren ausgesetzt war. Der Faschismus prägte die ersten Jahrzehnte der Modellgeschichte. Und sorgte, lange bevor VW kam, für Seat-Modelle auf Fiat-Basis.

Adéu, Catalunya - Hola España?

Das erste Seat-Modell: Der 1400 wurde im Werk in der Zona Franca nahe des Hafens von Barcelona gefertigt. Heute entsteht hier kein komplettes Fahrzeug mehr Das erste Seat-Modell: Der 1400 wurde im Werk in der Zona Franca nahe des Hafens von Barcelona gefertigt. Heute entsteht hier kein komplettes Fahrzeug mehr Quelle: By Jmcastano (Own work) [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons Für einige Wirtschaftsexperten steht fest: Spaltet sich die Region ab, ist Seat schneller in Spanien, als die Katalanen „Arona“ sagen können. Für diese Theorie gibt es plausible Gründe: Ein unabhängiges Katalonien wäre nach aktueller Gesetzeslage nicht mehr Teil der Europäischen Union – und damit auch nicht länger Teil des Binnenmarktes. Für jedes in die EU exportierte Modelle müsste Seat Zölle entrichten. Und das wohl langfristig, denn der Weg zurück in die Union wäre für Katalonien mehr als eine Formsache. Die spanische Regierung müsste zustimmen. Aus aktueller Sicht wäre ein "Ja" aus Madrid unwahrscheinlich.

Wahrscheinlich ist, dass bei Seat mindestens eine Exitstrategie in der Schublade liegt. Nach Angaben des lokalen Unternehmerverbandes "Empresaris de Catalunya" zogen sich schon 2016 einige Unternehmen aufgrund der unsicheren Lage aus Katalonien zurück. Für einen Verbleib spricht im Falle Seats, dass ein solcher Abzug kompliziert wäre.

Allein im Stammwerk in Martorell bei Barcelona beschäftigt Seat mehr als 12.000 MitarbeiterNicht nur für Belegschaft, Hallen und Fertigungsstraßen müsste der Hersteller schnell Ersatz finden. Auch der Großteil der spanischen Zulieferer, mehr als 150 große Unternehmen, sitzt in Katalonien. Darunter Größen wie Bosch, Siemens, Denso oder Johnson Controls. Viele wählten den Nordosten Spaniens wegen der Nähe zum Seat-Werk. In der Autoindustrie Kataloniens arbeiten fast 40.000 Menschen - die meisten, weil es das große Seat-Werk gibt.

Letztlich würde Seat die Entscheidung wohl auch im Hinblick auf die Lohnniveaus und Steuersätze im künftig freien Katalonien fällen. Wobei auch sicherheitsrelevante Überlegungen mitspielen dürften: Seat benötige ein "stabiles Umfeld " wird Seat Firmenchef Luca de Meo von der Badischen Zeitung im Hinblick auf den Katalonien-Konflikt zitiert. Nun ja, ein Bekenntnis zum Standort klingt anders.

Kataloniens Stolz startete als Madrider Prestigeprojekt

Die Katalanen wollen die VW-Tochter jedenfalls nicht gehen sehen, zumal Seat der größte Arbeitgeber der Region ist. Und auch, weil man stolz ist, dass der Automobilhersteller hier seit seiner Gründung fertigt. Die Wahrheit hinter der Wahrheit ist allerdings: Seat eine durch und durch katalanische Marke zu nennen, könnte in mancher Kneipe der Region zu Problemen führen. Und das hat nichts mit der nunmehr 99,99-Prozent-Beteiligung von Volkswagen zu tun.

Der "spanische Käfer": Der Seat 600 auf Basis des gleichnamigen Fiat-Modells war für viele Spanier das erste eigene Automobil Der "spanische Käfer": Der Seat 600 auf Basis des gleichnamigen Fiat-Modells war für viele Spanier das erste eigene Automobil Quelle: Keith Kendall via flickr.com (CC 3.0) Das bis heute in Katalonien verhasste Franco-Regime gründete 1950 die Sociedad Española de Automóviles de Turismo, kurz: SEAT. Um die Motorisierung im Land voranzutreiben, holte der Diktator mehrere Banken und den Autobauer Fiat ins Boot und wählte ein Industriegebiet nahe Barcelona als Produktionsstandort. Mehrheitseigentümer blieb der Staat. Doch der italienische Herstellerpartner prägte die erste spanische Marke in der Frühphase. Selbst das Markenlogo wurde jenem der Turiner nachempfunden.

Das Modellprogramm sowieso: Das Debütmodell Seat 1400 von 1953 entsprach dem gleichnamigen Fiat. Das ursprüngliche Ziel – die breite Masse von Pferd, Fahrrad und Motorroller weg und ins Autocockpit zu holen – gelang ab 1957 mit dem Seat 600 auf Basis des Fiat Seicento. Er gilt als „spanischer Käfer“. Und trug wie dieser einen liebevollen Spitznamen, der die eigentliche Typenbezeichnung im Sprachgebrauch ablöste: La Pelotilla, das Bällchen. Nicht immer beschränkte man sich aufs Kopieren. So lieferte Seat den 127 wahlweise auch als Fünftürer aus, während es das italienische Original ausschließlich mit drei Türen gab.

Kaum Importkonkurrenz durch hohe Schutzzölle

Für Seat lief es gut am heimischen Markt. Bis Mitte der 1970er-Jahre war etwa jeder zweite verkaufte PKW ein Seat. Viele Alternativen gab es auch nicht: hohe Schutzzölle und ein geringes Maximalkontingent hielten die Importwagen aus dem Land. Seats größter Konkurrent hieß Fasa, wohinter sich Renault verbarg. Das Franco-Regime wollte dem Unternehmen unter Beteiligung des französischen Herstellers und privater spanischer Geldgeber eigentlich die Produktion untersagen. Doch als der Autobauer den Bruder des Diktators in den Vorstand hievte, konnte die Produktion des Renault-4CV-Zwillings 4/4 im Jahr 1953 starten. Den größten Erfolg feierte man mit einem Ableger des Mittelklassewagens Renault Dauphine.

Santana ist nicht nur ein Hippie-Gitarrengott. Der Lizenznehmer von Land Rover hatte ab 1982 einen Defender im Programm: den Santana Cazorla Santana ist nicht nur ein Hippie-Gitarrengott. Der Lizenznehmer von Land Rover hatte ab 1982 einen Defender im Programm: den Santana Cazorla Quelle: Martin Irazu via flickr.com (CC 3.0) Ab 1956 traten Seats adaptierte Fiat-Modelle auch gegen verkappte Land Rover an. Der Landwirtschaftsgeräteproduzent Santana hatte erkannt: Ernsthafte Offroader aus „heimischer“ Produktion gab es nicht, ländliche Straßen aber in Hülle und Fülle. Santana bot mit einem Nachbau der zweiten „Landie“-Generation eine bei Landwirten und Viehzüchtern beliebte Alternative an. Später hatte man mit dem Santana Cazorla auch einen Ableger des legendären Land Rover Defender im Programm. Während Seat und Fasa-Renault mitunter nur Bausätze ihrer Lizenzpartner zusammensetzten, soll Santana so gut wie keine fertigen Teile aus England bezogen haben.

Verschärfte Konkurrenz nach Ende des Regimes

Ist es ein Ronda oder ist es ein Ritmo? Ein eigenständiges Seat-Modell oder ein verkappter Fiat? Die Frage beschäftigte in den 80er-Jahren Gerichte Ist es ein Ronda oder ist es ein Ritmo? Ein eigenständiges Seat-Modell oder ein verkappter Fiat? Die Frage beschäftigte in den 80er-Jahren Gerichte Quelle: By Pandalia (Own work) [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons Als das Franco-Regime Ende der 1970er-Jahre zusammenbrach, wurde es für die spanischen Lizenzhersteller am Markt schwieriger. Seat musste sich nach dem Wegfall der Schutzzölle plötzlich starker Konkurrenz aus dem übrigen Europa stellen. 1980 wollte man die Marke neu strukturieren, verlangte von Fiat mehr Kapitaleinsatz.

Die Folge war das Ende der Partnerschaft, Rosenkrieg inklusive: Fiat bestand nun auf Lizenzgebühren für die aktuellen Modelle – etwa den Seat Panda, Vorgänger des in Deutschland bekannteren Kleinwagens Marbella. Als die Spanier den gelifteten Ritmo als „Ronda“ vorfahren ließen und zu einem neuen Modell erklärten, zog der einstige Miteigentümer gar vor Gericht. Als stummer Zeuge der Verhandlung existiert noch ein Ronda-Exemplar mit bunten Markierungen. So hatte Seat dem Richter die Änderungen gegenüber Fiats Ritmo begreifbar machen wollen.

Zu besichtigen ist das Auto an der Geburtsstätte des ersten Seat-Modells, im einstigen Stammwerk nahe des Hafens von Barcelona. Wo heute kein komplettes Fahrzeug mehr gefertigt wird. Aktuell kommen die meisten Seats aus dem großen Werk in Martorell, etwa 30 Kilometer außerhalb der katalonischen Regionalhauptstadt. Als der gewaltige Produktionsstandort entstand, war Seat bereits Teil des Volkswagenimperiums.

Fazit: Die Politik entscheidet

Der Gegenentwurf zum mehrheitlich staatlichen Seat: Fasa produzierte ab 1953 Renault-Modelle in Lizenz. Es begann mit dem Renault 4CV-Derivat "4/4" Der Gegenentwurf zum mehrheitlich staatlichen Seat: Fasa produzierte ab 1953 Renault-Modelle in Lizenz. Es begann mit dem Renault 4CV-Derivat "4/4" Quelle: Spanish Coches via flickr.com (CC 3.0) Ob es die vollständige Übernahme Seats durch einen deutschen Konzern unter einer nationalistischen Militärregierung jemals gegeben hätte? Oder anders: Ob es Seat selbst ohne die Motorisierungspläne einer kruden Diktatur jemals gegeben hätte? Vermutlich nicht. Schon das zeigt: Automobilentwicklung und -produktion geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern ist abhängig von der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung.

Was in drei bis zehn Jahren auf den Straße steht, kann man in den Strategiepapieren der Hersteller nachlesen. Doch wie Hersteller in Zukunft agieren, was sie anbieten und wo sie produzieren, dafür sind Wahlzettel mitentscheidend. Auch solche, die gar nicht abgegeben werden durften, wie das zum Teil beim Unabhängigkeitsreferendum der Fall war. Vielleicht sogar ganz besonders solche.

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