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Die Bedeutung des Vorfahrtsrechtes und deren Kontrolle für die Verkehrssicherheit

Themenstarteram 24. März 2012 um 17:13

Da die Diskussion immer mal wieder in anderen Themen aufkommt bzw. dort am Rande geführt wird, hier mal ein eigener Thread zu dem Thema, dass ich persönlich sehr interessant finde und das mir gerade in der öffentlichen Diskussion etwas zu kurz kommt.

Nahezu im kompletten Straßenverkehr gibt es Vorfahrtsregelungen, beispielsweise die Vorfahrtsstraße (Zeichen 306), auf der dort fahrende Fahrzeuge an jeder Kreuzung Vorfahrt haben, d.h. nicht bremsen müssen (und auch nicht sollen!), um wartenden Verkehr das Einfahren zu ermöglichen. Vielmehr muss der wartepflichtige Verkehr gemäß Zeichen 205 Vorfahrt gewähren, d.h. eine ausreichend große Lücke abwarten. Vorfahrtsstraßen sind in der Regel alle BAB, Bundesstraßen und viele Durchgangsstraßen. Wo dies nicht durch Schilder geregelt ist, gilt im Umkehrschluss rechts-vor-links.

Eine ähnliche Regelung gilt für Fahrstreifen. Fahrzeuge, die den Fahrstreifen wechseln, sind wartepflichtig gegenüber Fahrzeugen, die sich bereits auf dem Fahrstreifen befinden.

All dies sind Grundregeln, die man bereits in der Grundschule lernt und dessen theoretische Kenntnis sowie praktische Befolgung Voraussetzung zum Erlangen der Fahrerlaubnis sind. Man könnte auch sagen, Vorfahrtsregeln sind logisch, da ein Verkehrsfluss sonst kaum möglich wäre bzw. für den Fall des Fahrstreifenwechsels das Gesetz sonst nicht in Einklang mit dem Interesse der Unfallvermeidung stehen würde.

In der Praxis sieht es leider gänzlich anders aus:

So listet das statistische Bundesamt unter den Ursachen für Unfälle mit Personenschäden für das Jahr 2010 (https://www.destatis.de/.../pressebroschuere_unfaelle.pdf) unter anderem:

15,9% Geschwindigkeit

15,2% Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren

14,4% Vorfahrt, Vorrang

14,4% sind also unmittelbar auf Vorfahrtsmissachtungen zurückzuführen, ein nicht geringer Teil dürfte noch mal beim Abbiegen (z.B. Vorfahrt eines Radfahrers missachtet), Wenden und Ein- und Anfahren dabei sein. Berücksichtigt man weiterhin, dass die Unfallursache „Geschwindigkeit“ keinesfalls ausschließt, dass dem Unfall nicht auch eine Vorfahrtsmissachtung zu Grunde lag (der mit geringerer Geschwindigkeit – aber eben auch ohne Vorfahrtsmissachtung – nicht passiert wäre), so dürfte man – ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen – auf mindestens 25% kommen. Mit anderen Worten, bei mindestens ¼ aller Unfälle mit Personenschäden war eine Missachtung des Vorfahrtsrechts zumindest mitursächlich.

Angesichts dieser Zahlen fragt man sich natürlich, welche Strategie Bund und Länder verfolgen, um derartige Unfälle zu verringern. Ein Blick in den Bußgeldkatalog offenbart zumindest schon einmal, als wie schwerwiegend Vorfahrtsverstöße angesehen werden:

- Sie missachteten die Vorfahrt des bevorrechtigten Fahrzeugs, so dass ein anderer wesentlich behindert wurde. 25 Euro

- Sie missachteten als Wartepflichtiger die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs, so dass ein Vorfahrtberechtigter gefährdet wurde. 100 Euro, 1 Punkt

Sie missachteten als Wartepflichtiger die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs. Es kam zum Unfall. 120 Euro, 3 Punkte

 

Im Kontext des Bußgeldkatalogs nimmt die Unfallursache Nr. 2 im deutschen Straßenverkehr also im Vergleich zu Geschwindigkeitsüberschreitungen eine deutlich untergeordnete Rolle ein, wird trotz Gefährdung und selbst bei Unfall oft niedriger bestraft als diese. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Kontrolle.

Während Geschwindigkeitskontrollen allgegenwärtig sind, Abstandskontrollen zumindest stellenweise anzutreffen sind, erfolgt eine Ahndung von Vorfahrtsmissachtungen in der Regel nur im Zusammenhang mit Unfällen (also nicht-präventiv) oder nach Anzeigen durch Privatpersonen (was meist im Sande verläuft).

Interessant ist natürlich, dass Rotlichtverstöße, also potentielle Vorfahrtsmissachtungen wiederum sehr rigide geahndet werden und teilweise sogar automatisch kontrolliert. Die Befolgung durch ampelgeregelte Vorfahrtsrechte ist, so wird es hier jeder bestätigen können, schon aus diesem Grunde ungleich höher.

Eine weitere „Stufe“ ist das STOP-Schild. Dieses soll dafür sorgen, dass der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer seine Aufgabe, den vorfahrtsberechtigten Verkehr auch zu beobachten ernst nimmt, also nicht „auf gut Glück“ in den Kreuzungsbereich einfährt. Die Befolgungshäufigkeit liegt hier erfahrungsgemäß unter der einer Ampel, generell scheinen STOP-Schilder aber geeignet, gefährliche Kreuzungen zu entschärfen.

Generell scheint die Häufigkeit von Vorfahrtsmissachtungen in folgender Reihenfolge zunehmend zu sein:

1. Ampelgeregelte Kreuzungen

2. Kreuzungen mit STOP-Schild

3. Kreuzungen mit Vorfahrt-achten-Schild

4. Spurwechsel innerorts

5. Spurwechsel BAB

6. Spurwechsel Beschleunigungsstreifen > Hauptfahrbahn BAB

 

Daher stellt sich natürlich die Frage, wie man dem Problem entgegnen kann. Als Ursachen für Vorfahrtsmissachtungen kann man meiner Meinung nach grob folgende Punkte abgrenzen:

1. Keine ausreichende Fokussierung auf das Verkehrsgeschehen

2. Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten/Geschwindigkeitsdifferenzen

3. Abwälzung von Verantwortung und Materialverschleiß auf andere (andere bremsen lassen statt Vollgas zu geben)

4. Erzwingen der Vorfahrt / Aufzwingen der eigenen Wunschgeschwindigkeit

Schon heute werden viele dieser Situationen entschärft, indem man beispielsweise die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Kreuzungsbereichen reduziert oder den Fahrstreifenwechsel von der mittleren auf die rechte Spur im Bereich von Beschleunigungsstreifen untersagt. Generell scheint die Verlockung groß, die Verantwortung offiziell wie moralisch auf die Vorfahrtsberechtigten abzuwälzen. Was prinzipiell nachvollziehbar ist (mit den Fehlern anderer rechnen), nimmt teils aber absurde Züge an (Teilschuld bei Geschwindigkeiten über 130 km/h auf BAB trotz Vorfahrt) und kann häufig als Symptombekämpfung angesehen werden.

 

Meine Fragen zur Diskussion daher:

- Wie kann man dem Problem der Vorfahrtsmissachtungen nach dem Verursacherprinzip begegnen (also ohne Vorfahrtsberechtigte weiter in ihren Rechten einzuschränken und ihnen zusätzliche Pflichten aufzuerlegen)? Was haltet ihr von Lösungen, wie z.B. Beschleunigungsstreifen auf den ersten 50% mit einer durchgezogenen Linie zu versehen?

- Wie lässt sich spezifisch auf die verschiedenen Ursachen (s.o.) eingehen? Fehlt es Verkehrsteilnehmern eher an der Übersicht und Fähigkeit, Situationen einzuschätzen oder ist eine "Oberlehrer"-Mentalität und die Gewohnheit, Verantwortung auf andere abzuwälzen (Beispiel Beschleunigungsstreifen) vielleicht das größere Problem?

- Sind Vorfahrtsmissachtungen typische „Versehensverstöße“, die von „schwächeren Verkehrsteilnehmern“ (Wenigfahrer, ältere Menschen) begangen werden? Erklärt dass die Zurückhaltung von Politik und Medien bei diesem Thema? Gibt es hier vielleicht spezielle Ansätze in der Verkehrserziehung?

- Wie sind Vorfahrtsmissachtungen eurer Meinung nach definiert, d.h. wo fängt die Behinderung an und wo die Gefährdung? Anders gefragt: Welche Lücke ist eigentlich groß genug zum Einfädeln?

- Welche Rolle spielt die Geschwindigkeit für die Vorfahrt? Haltet ihr es für fair, dass manche Gerichte Vorfahrtsberechtigten eine Teilschuld geben, weil diese zu schnell waren, als ihnen die Vorfahrt genommen wurde? Führt das vielleicht gerade erst zu Trotzreaktionen und Vorfahrtsmissachtungen ("den Raser brems ich jetzt mal aus")? Sollte das Sichtfahrgebot gelten und wartepflichtiger Verkehr auch mit Schnellfahrern rechnen müssen (wenn sie sie sehen können)?

- Wie ließen sich Kontrollen des Vorfahrtsrechts gestalten? Würden Videofahrzeuge, die Autobahnen auf und ab fahren und gefährliche Spurwechsler rausziehen, helfen? Welche Rolle spielen die Medien (Stichwort: Fixierung auf „Raser und Drängler“, Dokumentationen über die Autobahnpolizei)?

 

Ich hoffe auch eine faire und sachliche Diskussion - und bevor hier die Gemüter hochkochen: Denkt immer daran, mal hat man Vorfahrt und mal nicht, daher sollte eigentlich jeder beide Seiten kennen. ;)

Beste Antwort im Thema
Themenstarteram 24. März 2012 um 17:13

Da die Diskussion immer mal wieder in anderen Themen aufkommt bzw. dort am Rande geführt wird, hier mal ein eigener Thread zu dem Thema, dass ich persönlich sehr interessant finde und das mir gerade in der öffentlichen Diskussion etwas zu kurz kommt.

Nahezu im kompletten Straßenverkehr gibt es Vorfahrtsregelungen, beispielsweise die Vorfahrtsstraße (Zeichen 306), auf der dort fahrende Fahrzeuge an jeder Kreuzung Vorfahrt haben, d.h. nicht bremsen müssen (und auch nicht sollen!), um wartenden Verkehr das Einfahren zu ermöglichen. Vielmehr muss der wartepflichtige Verkehr gemäß Zeichen 205 Vorfahrt gewähren, d.h. eine ausreichend große Lücke abwarten. Vorfahrtsstraßen sind in der Regel alle BAB, Bundesstraßen und viele Durchgangsstraßen. Wo dies nicht durch Schilder geregelt ist, gilt im Umkehrschluss rechts-vor-links.

Eine ähnliche Regelung gilt für Fahrstreifen. Fahrzeuge, die den Fahrstreifen wechseln, sind wartepflichtig gegenüber Fahrzeugen, die sich bereits auf dem Fahrstreifen befinden.

All dies sind Grundregeln, die man bereits in der Grundschule lernt und dessen theoretische Kenntnis sowie praktische Befolgung Voraussetzung zum Erlangen der Fahrerlaubnis sind. Man könnte auch sagen, Vorfahrtsregeln sind logisch, da ein Verkehrsfluss sonst kaum möglich wäre bzw. für den Fall des Fahrstreifenwechsels das Gesetz sonst nicht in Einklang mit dem Interesse der Unfallvermeidung stehen würde.

In der Praxis sieht es leider gänzlich anders aus:

So listet das statistische Bundesamt unter den Ursachen für Unfälle mit Personenschäden für das Jahr 2010 (https://www.destatis.de/.../pressebroschuere_unfaelle.pdf) unter anderem:

15,9% Geschwindigkeit

15,2% Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren

14,4% Vorfahrt, Vorrang

14,4% sind also unmittelbar auf Vorfahrtsmissachtungen zurückzuführen, ein nicht geringer Teil dürfte noch mal beim Abbiegen (z.B. Vorfahrt eines Radfahrers missachtet), Wenden und Ein- und Anfahren dabei sein. Berücksichtigt man weiterhin, dass die Unfallursache „Geschwindigkeit“ keinesfalls ausschließt, dass dem Unfall nicht auch eine Vorfahrtsmissachtung zu Grunde lag (der mit geringerer Geschwindigkeit – aber eben auch ohne Vorfahrtsmissachtung – nicht passiert wäre), so dürfte man – ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen – auf mindestens 25% kommen. Mit anderen Worten, bei mindestens ¼ aller Unfälle mit Personenschäden war eine Missachtung des Vorfahrtsrechts zumindest mitursächlich.

Angesichts dieser Zahlen fragt man sich natürlich, welche Strategie Bund und Länder verfolgen, um derartige Unfälle zu verringern. Ein Blick in den Bußgeldkatalog offenbart zumindest schon einmal, als wie schwerwiegend Vorfahrtsverstöße angesehen werden:

- Sie missachteten die Vorfahrt des bevorrechtigten Fahrzeugs, so dass ein anderer wesentlich behindert wurde. 25 Euro

- Sie missachteten als Wartepflichtiger die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs, so dass ein Vorfahrtberechtigter gefährdet wurde. 100 Euro, 1 Punkt

Sie missachteten als Wartepflichtiger die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs. Es kam zum Unfall. 120 Euro, 3 Punkte

 

Im Kontext des Bußgeldkatalogs nimmt die Unfallursache Nr. 2 im deutschen Straßenverkehr also im Vergleich zu Geschwindigkeitsüberschreitungen eine deutlich untergeordnete Rolle ein, wird trotz Gefährdung und selbst bei Unfall oft niedriger bestraft als diese. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Kontrolle.

Während Geschwindigkeitskontrollen allgegenwärtig sind, Abstandskontrollen zumindest stellenweise anzutreffen sind, erfolgt eine Ahndung von Vorfahrtsmissachtungen in der Regel nur im Zusammenhang mit Unfällen (also nicht-präventiv) oder nach Anzeigen durch Privatpersonen (was meist im Sande verläuft).

Interessant ist natürlich, dass Rotlichtverstöße, also potentielle Vorfahrtsmissachtungen wiederum sehr rigide geahndet werden und teilweise sogar automatisch kontrolliert. Die Befolgung durch ampelgeregelte Vorfahrtsrechte ist, so wird es hier jeder bestätigen können, schon aus diesem Grunde ungleich höher.

Eine weitere „Stufe“ ist das STOP-Schild. Dieses soll dafür sorgen, dass der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer seine Aufgabe, den vorfahrtsberechtigten Verkehr auch zu beobachten ernst nimmt, also nicht „auf gut Glück“ in den Kreuzungsbereich einfährt. Die Befolgungshäufigkeit liegt hier erfahrungsgemäß unter der einer Ampel, generell scheinen STOP-Schilder aber geeignet, gefährliche Kreuzungen zu entschärfen.

Generell scheint die Häufigkeit von Vorfahrtsmissachtungen in folgender Reihenfolge zunehmend zu sein:

1. Ampelgeregelte Kreuzungen

2. Kreuzungen mit STOP-Schild

3. Kreuzungen mit Vorfahrt-achten-Schild

4. Spurwechsel innerorts

5. Spurwechsel BAB

6. Spurwechsel Beschleunigungsstreifen > Hauptfahrbahn BAB

 

Daher stellt sich natürlich die Frage, wie man dem Problem entgegnen kann. Als Ursachen für Vorfahrtsmissachtungen kann man meiner Meinung nach grob folgende Punkte abgrenzen:

1. Keine ausreichende Fokussierung auf das Verkehrsgeschehen

2. Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten/Geschwindigkeitsdifferenzen

3. Abwälzung von Verantwortung und Materialverschleiß auf andere (andere bremsen lassen statt Vollgas zu geben)

4. Erzwingen der Vorfahrt / Aufzwingen der eigenen Wunschgeschwindigkeit

Schon heute werden viele dieser Situationen entschärft, indem man beispielsweise die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Kreuzungsbereichen reduziert oder den Fahrstreifenwechsel von der mittleren auf die rechte Spur im Bereich von Beschleunigungsstreifen untersagt. Generell scheint die Verlockung groß, die Verantwortung offiziell wie moralisch auf die Vorfahrtsberechtigten abzuwälzen. Was prinzipiell nachvollziehbar ist (mit den Fehlern anderer rechnen), nimmt teils aber absurde Züge an (Teilschuld bei Geschwindigkeiten über 130 km/h auf BAB trotz Vorfahrt) und kann häufig als Symptombekämpfung angesehen werden.

 

Meine Fragen zur Diskussion daher:

- Wie kann man dem Problem der Vorfahrtsmissachtungen nach dem Verursacherprinzip begegnen (also ohne Vorfahrtsberechtigte weiter in ihren Rechten einzuschränken und ihnen zusätzliche Pflichten aufzuerlegen)? Was haltet ihr von Lösungen, wie z.B. Beschleunigungsstreifen auf den ersten 50% mit einer durchgezogenen Linie zu versehen?

- Wie lässt sich spezifisch auf die verschiedenen Ursachen (s.o.) eingehen? Fehlt es Verkehrsteilnehmern eher an der Übersicht und Fähigkeit, Situationen einzuschätzen oder ist eine "Oberlehrer"-Mentalität und die Gewohnheit, Verantwortung auf andere abzuwälzen (Beispiel Beschleunigungsstreifen) vielleicht das größere Problem?

- Sind Vorfahrtsmissachtungen typische „Versehensverstöße“, die von „schwächeren Verkehrsteilnehmern“ (Wenigfahrer, ältere Menschen) begangen werden? Erklärt dass die Zurückhaltung von Politik und Medien bei diesem Thema? Gibt es hier vielleicht spezielle Ansätze in der Verkehrserziehung?

- Wie sind Vorfahrtsmissachtungen eurer Meinung nach definiert, d.h. wo fängt die Behinderung an und wo die Gefährdung? Anders gefragt: Welche Lücke ist eigentlich groß genug zum Einfädeln?

- Welche Rolle spielt die Geschwindigkeit für die Vorfahrt? Haltet ihr es für fair, dass manche Gerichte Vorfahrtsberechtigten eine Teilschuld geben, weil diese zu schnell waren, als ihnen die Vorfahrt genommen wurde? Führt das vielleicht gerade erst zu Trotzreaktionen und Vorfahrtsmissachtungen ("den Raser brems ich jetzt mal aus")? Sollte das Sichtfahrgebot gelten und wartepflichtiger Verkehr auch mit Schnellfahrern rechnen müssen (wenn sie sie sehen können)?

- Wie ließen sich Kontrollen des Vorfahrtsrechts gestalten? Würden Videofahrzeuge, die Autobahnen auf und ab fahren und gefährliche Spurwechsler rausziehen, helfen? Welche Rolle spielen die Medien (Stichwort: Fixierung auf „Raser und Drängler“, Dokumentationen über die Autobahnpolizei)?

 

Ich hoffe auch eine faire und sachliche Diskussion - und bevor hier die Gemüter hochkochen: Denkt immer daran, mal hat man Vorfahrt und mal nicht, daher sollte eigentlich jeder beide Seiten kennen. ;)

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Das ist relativ einfach.

1. Radfahrer müssen einen Führerschein machen, welcher nur 2 Jahre gültig ist und ab dem 6. Lebensjahr Pflicht ist

2. Für alle Führerscheininhaber ab dem 35. Lebensjahr alle 2 Jahre Sehtest Pflicht und ab dem 50. Lebensjahr Gesundheitsprüfung alle 5 Jahre.

3. Entschärfung bekannter Risikostellen

am 24. März 2012 um 17:35

Und was sollte dieser Aufwand bezwecken?!...demnächst fragen se mich aufm Feldweg nach n "Fahrradführerschein" ,oder was?!:D

Zitat:

Original geschrieben von razor23

Da die Diskussion immer mal wieder in anderen Themen aufkommt bzw. dort am Rande geführt wird, hier mal ein eigener Thread zu dem Thema, dass ich persönlich sehr interessant finde und das mir gerade in der öffentlichen Diskussion etwas zu kurz kommt.

Nahezu im kompletten Straßenverkehr gibt es Vorfahrtsregelungen, beispielsweise die Vorfahrtsstraße (Zeichen 306), auf der dort fahrende Fahrzeuge an jeder Kreuzung Vorfahrt haben, d.h. nicht bremsen müssen (und auch nicht sollen!), um wartenden Verkehr das Einfahren zu ermöglichen. Vielmehr muss der wartepflichtige Verkehr gemäß Zeichen 205 Vorfahrt gewähren, d.h. eine ausreichend große Lücke abwarten. Vorfahrtsstraßen sind in der Regel alle BAB, Bundesstraßen und viele Durchgangsstraßen. Wo dies nicht durch Schilder geregelt ist, gilt im Umkehrschluss rechts-vor-links.

Eine ähnliche Regelung gilt für Fahrstreifen. Fahrzeuge, die den Fahrstreifen wechseln, sind wartepflichtig gegenüber Fahrzeugen, die sich bereits auf dem Fahrstreifen befinden.

All dies sind Grundregeln, die man bereits in der Grundschule lernt und dessen theoretische Kenntnis sowie praktische Befolgung Voraussetzung zum Erlangen der Fahrerlaubnis sind. Man könnte auch sagen, Vorfahrtsregeln sind logisch, da ein Verkehrsfluss sonst kaum möglich wäre bzw. für den Fall des Fahrstreifenwechsels das Gesetz sonst nicht in Einklang mit dem Interesse der Unfallvermeidung stehen würde.

In der Praxis sieht es leider gänzlich anders aus:

So listet das statistische Bundesamt unter den Ursachen für Unfälle mit Personenschäden für das Jahr 2010 (https://www.destatis.de/.../pressebroschuere_unfaelle.pdf) unter anderem:

15,9% Geschwindigkeit

15,2% Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren

14,4% Vorfahrt, Vorrang

14,4% sind also unmittelbar auf Vorfahrtsmissachtungen zurückzuführen, ein nicht geringer Teil dürfte noch mal beim Abbiegen (z.B. Vorfahrt eines Radfahrers missachtet), Wenden und Ein- und Anfahren dabei sein. Berücksichtigt man weiterhin, dass die Unfallursache „Geschwindigkeit“ keinesfalls ausschließt, dass dem Unfall nicht auch eine Vorfahrtsmissachtung zu Grunde lag (der mit geringerer Geschwindigkeit – aber eben auch ohne Vorfahrtsmissachtung – nicht passiert wäre), so dürfte man – ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen – auf mindestens 25% kommen. Mit anderen Worten, bei mindestens ¼ aller Unfälle mit Personenschäden war eine Missachtung des Vorfahrtsrechts zumindest mitursächlich.

Angesichts dieser Zahlen fragt man sich natürlich, welche Strategie Bund und Länder verfolgen, um derartige Unfälle zu verringern. Ein Blick in den Bußgeldkatalog offenbart zumindest schon einmal, als wie schwerwiegend Vorfahrtsverstöße angesehen werden:

Vorfahrt nicht beachtet und dadurch einen Vorfahrtsberechtigten gefährdet 50,- EUR, 3 Punkte

 

Wohlgemerkt, dieser Tatbestand beinhaltet bereits eine Gefährdung, einen entsprechenden Tatbestand ohne Gefährdung (Behinderung wäre die Vorstufe) gibt es schlicht nicht. Nimmt man an, dass Gefährdung die Vorstufe eines Unfalls (mit möglicherweise Personenschäden auf beiden Seiten) ist, der eigentlich nur durch eine schnelle Reaktion des Vorfahrtsberechtigten verhindert werden konnte, so stellt sich durchaus die Frage nach der Angemessenheit dieses niedrigen Satzes. Interessant ist hier insbesondere das Missverhältnis aus Geldstrafe und Punkten. Im Vergleich: Ein mit 3 Punkten bewährter Geschwindigkeitsverstoß (übrigens ohne den Zusatz „mit Gefährdung“) zieht bereits 80-160 Euro nach sich.

Im Kontext des Bußgeldkatalogs nimmt die Unfallursache Nr. 2 im deutschen Straßenverkehr also im Vergleich zu Geschwindigkeitsüberschreitungen eine deutlich untergeordnete Rolle ein. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Kontrolle.

Während Geschwindigkeitskontrollen allgegenwärtig sind, Abstandskontrollen zumindest stellenweise anzutreffen sind, erfolgt eine Ahndung von Vorfahrtsmissachtungen in der Regel nur im Zusammenhang mit Unfällen (also nicht-präventiv) oder nach Anzeigen durch Privatpersonen (was meist im Sande verläuft).

Interessant ist natürlich, dass Rotlichtverstöße, also potentielle Vorfahrtsmissachtungen wiederum sehr rigide geahndet werden und teilweise sogar automatisch kontrolliert. Die Befolgung durch ampelgeregelte Vorfahrtsrechte ist, so wird es hier jeder bestätigen können, schon aus diesem Grunde ungleich höher.

Eine weitere „Stufe“ ist das STOP-Schild. Dieses soll dafür sorgen, dass der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer seine Aufgabe, den vorfahrtsberechtigten Verkehr auch zu beobachten ernst nimmt, also nicht „auf gut Glück“ in den Kreuzungsbereich einfährt. Die Befolgungshäufigkeit liegt hier erfahrungsgemäß unter der einer Ampel, generell scheinen STOP-Schilder aber geeignet, gefährliche Kreuzungen zu entschärfen.

Generell scheint die Häufigkeit von Vorfahrtsmissachtungen in folgender Reihenfolge zunehmend zu sein:

1. Ampelgeregelte Kreuzungen

2. Kreuzungen mit STOP-Schild

3. Kreuzungen mit Vorfahrt-achten-Schild

4. Spurwechsel innerorts

5. Spurwechsel BAB

6. Spurwechsel Beschleunigungsstreifen > Hauptfahrbahn BAB

 

Daher stellt sich natürlich die Frage, wie man dem Problem entgegnen kann. Als Ursachen für Vorfahrtsmissachtungen kann man meiner Meinung nach grob folgende Punkte abgrenzen:

1. Keine ausreichende Fokussierung auf das Verkehrsgeschehen

2. Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten/Geschwindigkeitsdifferenzen

3. Abwälzung von Verantwortung und Materialverschleiß auf andere (andere bremsen lassen statt Vollgas zu geben)

4. Erzwingen der Vorfahrt / Aufzwingen der eigenen Wunschgeschwindigkeit

Schon heute werden viele dieser Situationen entschärft, indem man beispielsweise die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Kreuzungsbereichen reduziert oder den Fahrstreifenwechsel von der mittleren auf die rechte Spur im Bereich von Beschleunigungsstreifen untersagt. Generell scheint die Verlockung groß, die Verantwortung offiziell wie moralisch auf die Vorfahrtsberechtigten abzuwälzen. Was prinzipiell nachvollziehbar ist (mit den Fehlern anderer rechnen), nimmt teils aber absurde Züge an (Teilschuld bei Geschwindigkeiten über 130 km/h auf BAB trotz Vorfahrt) und kann häufig als Symptombekämpfung angesehen werden.

 

Meine Fragen zur Diskussion daher:

- Wie kann man dem Problem der Vorfahrtsmissachtungen nach dem Verursacherprinzip begegnen (also ohne Vorfahrtsberechtigte weiter in ihren Rechten einzuschränken und ihnen zusätzliche Pflichten aufzuerlegen)? Was haltet ihr von Lösungen, wie z.B. Beschleunigungsstreifen auf den ersten 50% mit einer durchgezogenen Linie zu versehen?

- Wie lässt sich spezifisch auf die verschiedenen Ursachen (s.o.) eingehen? Fehlt es Verkehrsteilnehmern eher an der Übersicht und Fähigkeit, Situationen einzuschätzen oder ist eine "Oberlehrer"-Mentalität und die Gewohnheit, Verantwortung auf andere abzuwälzen (Beispiel Beschleunigungsstreifen) vielleicht das größere Problem?

- Sind Vorfahrtsmissachtungen typische „Versehensverstöße“, die von „schwächeren Verkehrsteilnehmern“ (Wenigfahrer, ältere Menschen) begangen werden? Erklärt dass die Zurückhaltung von Politik und Medien bei diesem Thema? Gibt es hier vielleicht spezielle Ansätze in der Verkehrserziehung?

- Wie sind Vorfahrtsmissachtungen eurer Meinung nach definiert, d.h. wo fängt die Behinderung an und wo die Gefährdung? Anders gefragt: Welche Lücke ist eigentlich groß genug zum Einfädeln?

- Welche Rolle spielt die Geschwindigkeit für die Vorfahrt? Haltet ihr es für fair, dass manche Gerichte Vorfahrtsberechtigten eine Teilschuld geben, weil diese zu schnell waren, als ihnen die Vorfahrt genommen wurde? Führt das vielleicht gerade erst zu Trotzreaktionen und Vorfahrtsmissachtungen ("den Raser brems ich jetzt mal aus")? Sollte das Sichtfahrgebot gelten und wartepflichtiger Verkehr auch mit Schnellfahrern rechnen müssen (wenn sie sie sehen können)?

- Wie ließen sich Kontrollen des Vorfahrtsrechts gestalten? Würden Videofahrzeuge, die Autobahnen auf und ab fahren und gefährliche Spurwechsler rausziehen, helfen? Welche Rolle spielen die Medien (Stichwort: Fixierung auf „Raser und Drängler“, Dokumentationen über die Autobahnpolizei)?

 

Ich hoffe auch eine faire und sachliche Diskussion - und bevor hier die Gemüter hochkochen: Denkt immer daran, mal hat man Vorfahrt und mal nicht, daher sollte eigentlich jeder beide Seiten kennen. ;)

Hallo

Ich weiß ja nicht, wo du deine Zahlen her hast. Vorfahrtverletzung mit Gefährdung kostet nicht 50 Euro sondern 100 Euro. Und das reicht finde ich.

Sie missachteten die Vorfahrt des bevorrechtigten Fahrzeugs, so dass A - 3 100,00

ein Vorfahrtberechtigter gefährdet +) wurde. Vorfahrtregelung durch

Zeichen 205/206 *).

§ 8 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 StVG; 34 BKat

Das gleiche gibts auch für rechts vor links.

Und es gibt die Vorfahrtverletzung ohne Gefährdung sehr wohl und dies ist auch so im Bussgeldkatalog verankert.

Sie missachteten die Vorfahrt des bevorrechtigten Fahrzeugs, so dass ( A - 1) 25,00

ein Anderer wesentlich behindert +) wurde. Vorfahrtregelung durch

Zeichen 205/206 *).

§ 8 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 StVG; 33 BKat

Themenstarteram 24. März 2012 um 17:49

Mein Fehler - habe jetzt jedenfalls gelernt, dass die Seite bussgeldkataloge.de Mist ist, weil vollkommen unvollständig und teilweise falsch. ;)

100 Euro finde ich übrigens nicht genug für einen Verstoss wo explizit "mit Gefährdung" dabeisteht. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen kann es ohne Gefährdung deutlich höhere Bußgelder nach sich ziehen. Ich finde, wer leichtfertigt fast einen Unfall verursacht, darf das ruhig finanziell spüren, war vielleicht nur 1 Sekunde weg von einem Personenschaden. Bei einem Unfall kommen ja zusätzlich noch entsprechende Regressforderungen hinzu.

Zitat:

Original geschrieben von razor23

Mein Fehler - habe jetzt jedenfalls gelernt, dass die Seite bussgeldkataloge.de Mist ist, weil vollkommen unvollständig und teilweise falsch. ;)

100 Euro finde ich übrigens nicht genug für einen Verstoss wo explizit "mit Gefährdung" dabeisteht. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen kann es ohne Gefährdung deutlich höhere Bußgelder nach sich ziehen. Ich finde, wer leichtfertigt fast einen Unfall verursacht, darf das ruhig finanziell spüren, war vielleicht nur 1 Sekunde weg von einem Personenschaden. Bei einem Unfall kommen ja zusätzlich noch entsprechende Regressforderungen hinzu.

Für die Zukunft;)

http://www.kba.de/.../bkat_owi_01022009_pdf.pdf

am 25. März 2012 um 20:07

Zitat:

Original geschrieben von popeye174

Das ist relativ einfach.

1. Radfahrer müssen einen Führerschein machen, welcher nur 2 Jahre gültig ist und ab dem 6. Lebensjahr Pflicht ist

2. Für alle Führerscheininhaber ab dem 35. Lebensjahr alle 2 Jahre Sehtest Pflicht und ab dem 50. Lebensjahr Gesundheitsprüfung alle 5 Jahre.

3. Entschärfung bekannter Risikostellen

Ja ja, wegen der 6-jährigen Fahrradrowdies geschehen schon ziemlich viele Unfälle... :rolleyes:

Ich muss alle 5 Jahre zur Untersuchung, da ich Privat einen LKW Führerschein gemacht habe. Finde dies Sinnvoll!

Ich fände es sinnvoll, einen Punkt wegen blöden Zitierens von frischen Beiträgen zu vergeben.

In der Sache absolut richtig, die Leuts haben das nicht mehr auf der Kette, wer wann Vorfahrt hat und zwar mit Recht.

Sehr schöne Zusammenfassung, danke für die Mühe. :)

Sehr interessante Zahlen, die aber nicht völlig überraschend kommen. Man sieht ja häufiger im Straßenverkehr, dass das mit der Vorfahrt Schwierigkeiten bereitet.. vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass man sich den anderen unterordnen muss? Also, sich selber hinten anstellen, was mit der deutschen Ego-Mentalität in Konflikt steht?

Sehr interessanter Thread, ich werde mich morgen nochmal genauer damit beschäftigen, jetzt geht's ab in die Heia. :cool:

Zitat:

Original geschrieben von hoechst

Ich fände es sinnvoll, einen Punkt wegen blöden Zitierens von frischen Beiträgen zu vergeben.

................................................

Finde ich durchaus nicht.

Oftmals weiß man nicht, ob sich der letzte Beitrag auf den vorletzten bezieht, oder auf einen, der Seiten weiter vorne steht.

am 26. März 2012 um 0:36

Zitat:

Original geschrieben von quali

Oftmals weiß man nicht, ob sich der letzte Beitrag auf den vorletzten bezieht, oder auf einen, der Seiten weiter vorne steht.

Mit einem full quote eines so langen Beitrags? Sowas ist mit Verlaub einfach nur dämlich.

am 26. März 2012 um 6:17

Von mir aus können die Bußgelder in den 4 stelligen Bereich steigen, denn Vorfahrtsverstöße sind mit dem Ignorieren des Rechtsfahrgebotes die nervigsten und häufigsten Regelverstöße. Davon sehr viele vorsätzlich aber die Kontrollen gelten ja nur den Rasern.

Zitat:

Original geschrieben von popeye174

Das ist relativ einfach.

1. Radfahrer müssen einen Führerschein machen, welcher nur 2 Jahre gültig ist und ab dem 6. Lebensjahr Pflicht ist

2. Für alle Führerscheininhaber ab dem 35. Lebensjahr alle 2 Jahre Sehtest Pflicht und ab dem 50. Lebensjahr Gesundheitsprüfung alle 5 Jahre.

3. Entschärfung bekannter Risikostellen

Dann müssen Autofahrer aber auch einen Führerschein bekommen der nur 2 Jahre gültig ist. Denn die meisten Vorfahrtsmißachtungen die ich beobachten kann werden von Autofahrern gemacht.

am 26. März 2012 um 7:32

Zitat:

Original geschrieben von razor23

Da die Diskussion immer mal wieder in anderen Themen aufkommt bzw. dort am Rande geführt wird, hier mal ein eigener Thread zu dem Thema, dass ich persönlich sehr interessant finde und das mir gerade in der öffentlichen Diskussion etwas zu kurz kommt.

Nahezu im kompletten Straßenverkehr gibt es Vorfahrtsregelungen, beispielsweise die Vorfahrtsstraße (Zeichen 306), auf der dort fahrende Fahrzeuge an jeder Kreuzung Vorfahrt haben, d.h. nicht bremsen müssen (und auch nicht sollen!), um wartenden Verkehr das Einfahren zu ermöglichen. Vielmehr muss der wartepflichtige Verkehr gemäß Zeichen 205 Vorfahrt gewähren, d.h. eine ausreichend große Lücke abwarten. Vorfahrtsstraßen sind in der Regel alle BAB, Bundesstraßen und viele Durchgangsstraßen. Wo dies nicht durch Schilder geregelt ist, gilt im Umkehrschluss rechts-vor-links.

Eine ähnliche Regelung gilt für Fahrstreifen. Fahrzeuge, die den Fahrstreifen wechseln, sind wartepflichtig gegenüber Fahrzeugen, die sich bereits auf dem Fahrstreifen befinden.

All dies sind Grundregeln, die man bereits in der Grundschule lernt und dessen theoretische Kenntnis sowie praktische Befolgung Voraussetzung zum Erlangen der Fahrerlaubnis sind. Man könnte auch sagen, Vorfahrtsregeln sind logisch, da ein Verkehrsfluss sonst kaum möglich wäre bzw. für den Fall des Fahrstreifenwechsels das Gesetz sonst nicht in Einklang mit dem Interesse der Unfallvermeidung stehen würde.

In der Praxis sieht es leider gänzlich anders aus:

So listet das statistische Bundesamt unter den Ursachen für Unfälle mit Personenschäden für das Jahr 2010 (https://www.destatis.de/.../pressebroschuere_unfaelle.pdf) unter anderem:

15,9% Geschwindigkeit

15,2% Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren

14,4% Vorfahrt, Vorrang

14,4% sind also unmittelbar auf Vorfahrtsmissachtungen zurückzuführen, ein nicht geringer Teil dürfte noch mal beim Abbiegen (z.B. Vorfahrt eines Radfahrers missachtet), Wenden und Ein- und Anfahren dabei sein. Berücksichtigt man weiterhin, dass die Unfallursache „Geschwindigkeit“ keinesfalls ausschließt, dass dem Unfall nicht auch eine Vorfahrtsmissachtung zu Grunde lag (der mit geringerer Geschwindigkeit – aber eben auch ohne Vorfahrtsmissachtung – nicht passiert wäre), so dürfte man – ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen – auf mindestens 25% kommen. Mit anderen Worten, bei mindestens ¼ aller Unfälle mit Personenschäden war eine Missachtung des Vorfahrtsrechts zumindest mitursächlich.

Angesichts dieser Zahlen fragt man sich natürlich, welche Strategie Bund und Länder verfolgen, um derartige Unfälle zu verringern. Ein Blick in den Bußgeldkatalog offenbart zumindest schon einmal, als wie schwerwiegend Vorfahrtsverstöße angesehen werden:

- Sie missachteten die Vorfahrt des bevorrechtigten Fahrzeugs, so dass ein anderer wesentlich behindert wurde. 25 Euro

- Sie missachteten als Wartepflichtiger die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs, so dass ein Vorfahrtberechtigter gefährdet wurde. 100 Euro, 1 Punkt

Sie missachteten als Wartepflichtiger die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs. Es kam zum Unfall. 120 Euro, 3 Punkte

 

Im Kontext des Bußgeldkatalogs nimmt die Unfallursache Nr. 2 im deutschen Straßenverkehr also im Vergleich zu Geschwindigkeitsüberschreitungen eine deutlich untergeordnete Rolle ein, wird trotz Gefährdung und selbst bei Unfall oft niedriger bestraft als diese. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Kontrolle.

Während Geschwindigkeitskontrollen allgegenwärtig sind, Abstandskontrollen zumindest stellenweise anzutreffen sind, erfolgt eine Ahndung von Vorfahrtsmissachtungen in der Regel nur im Zusammenhang mit Unfällen (also nicht-präventiv) oder nach Anzeigen durch Privatpersonen (was meist im Sande verläuft).

Interessant ist natürlich, dass Rotlichtverstöße, also potentielle Vorfahrtsmissachtungen wiederum sehr rigide geahndet werden und teilweise sogar automatisch kontrolliert. Die Befolgung durch ampelgeregelte Vorfahrtsrechte ist, so wird es hier jeder bestätigen können, schon aus diesem Grunde ungleich höher.

Eine weitere „Stufe“ ist das STOP-Schild. Dieses soll dafür sorgen, dass der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer seine Aufgabe, den vorfahrtsberechtigten Verkehr auch zu beobachten ernst nimmt, also nicht „auf gut Glück“ in den Kreuzungsbereich einfährt. Die Befolgungshäufigkeit liegt hier erfahrungsgemäß unter der einer Ampel, generell scheinen STOP-Schilder aber geeignet, gefährliche Kreuzungen zu entschärfen.

Generell scheint die Häufigkeit von Vorfahrtsmissachtungen in folgender Reihenfolge zunehmend zu sein:

1. Ampelgeregelte Kreuzungen

2. Kreuzungen mit STOP-Schild

3. Kreuzungen mit Vorfahrt-achten-Schild

4. Spurwechsel innerorts

5. Spurwechsel BAB

6. Spurwechsel Beschleunigungsstreifen > Hauptfahrbahn BAB

 

Daher stellt sich natürlich die Frage, wie man dem Problem entgegnen kann. Als Ursachen für Vorfahrtsmissachtungen kann man meiner Meinung nach grob folgende Punkte abgrenzen:

1. Keine ausreichende Fokussierung auf das Verkehrsgeschehen

2. Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten/Geschwindigkeitsdifferenzen

3. Abwälzung von Verantwortung und Materialverschleiß auf andere (andere bremsen lassen statt Vollgas zu geben)

4. Erzwingen der Vorfahrt / Aufzwingen der eigenen Wunschgeschwindigkeit

Schon heute werden viele dieser Situationen entschärft, indem man beispielsweise die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Kreuzungsbereichen reduziert oder den Fahrstreifenwechsel von der mittleren auf die rechte Spur im Bereich von Beschleunigungsstreifen untersagt. Generell scheint die Verlockung groß, die Verantwortung offiziell wie moralisch auf die Vorfahrtsberechtigten abzuwälzen. Was prinzipiell nachvollziehbar ist (mit den Fehlern anderer rechnen), nimmt teils aber absurde Züge an (Teilschuld bei Geschwindigkeiten über 130 km/h auf BAB trotz Vorfahrt) und kann häufig als Symptombekämpfung angesehen werden.

 

Meine Fragen zur Diskussion daher:

- Wie kann man dem Problem der Vorfahrtsmissachtungen nach dem Verursacherprinzip begegnen (also ohne Vorfahrtsberechtigte weiter in ihren Rechten einzuschränken und ihnen zusätzliche Pflichten aufzuerlegen)? Was haltet ihr von Lösungen, wie z.B. Beschleunigungsstreifen auf den ersten 50% mit einer durchgezogenen Linie zu versehen?

- Wie lässt sich spezifisch auf die verschiedenen Ursachen (s.o.) eingehen? Fehlt es Verkehrsteilnehmern eher an der Übersicht und Fähigkeit, Situationen einzuschätzen oder ist eine "Oberlehrer"-Mentalität und die Gewohnheit, Verantwortung auf andere abzuwälzen (Beispiel Beschleunigungsstreifen) vielleicht das größere Problem?

- Sind Vorfahrtsmissachtungen typische „Versehensverstöße“, die von „schwächeren Verkehrsteilnehmern“ (Wenigfahrer, ältere Menschen) begangen werden? Erklärt dass die Zurückhaltung von Politik und Medien bei diesem Thema? Gibt es hier vielleicht spezielle Ansätze in der Verkehrserziehung?

- Wie sind Vorfahrtsmissachtungen eurer Meinung nach definiert, d.h. wo fängt die Behinderung an und wo die Gefährdung? Anders gefragt: Welche Lücke ist eigentlich groß genug zum Einfädeln?

- Welche Rolle spielt die Geschwindigkeit für die Vorfahrt? Haltet ihr es für fair, dass manche Gerichte Vorfahrtsberechtigten eine Teilschuld geben, weil diese zu schnell waren, als ihnen die Vorfahrt genommen wurde? Führt das vielleicht gerade erst zu Trotzreaktionen und Vorfahrtsmissachtungen ("den Raser brems ich jetzt mal aus")? Sollte das Sichtfahrgebot gelten und wartepflichtiger Verkehr auch mit Schnellfahrern rechnen müssen (wenn sie sie sehen können)?

- Wie ließen sich Kontrollen des Vorfahrtsrechts gestalten? Würden Videofahrzeuge, die Autobahnen auf und ab fahren und gefährliche Spurwechsler rausziehen, helfen? Welche Rolle spielen die Medien (Stichwort: Fixierung auf „Raser und Drängler“, Dokumentationen über die Autobahnpolizei)?

 

Ich hoffe auch eine faire und sachliche Diskussion - und bevor hier die Gemüter hochkochen: Denkt immer daran, mal hat man Vorfahrt und mal nicht, daher sollte eigentlich jeder beide Seiten kennen. ;)

Ich denke ein allgemeines Tempolimit könnte helfen. :D

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