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Autoland Israel: Sabra Sport, Sussita, Zibar - Wie die Roadster aus Haifa Kamelfutter wurden

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Sabra was? Israelische Autos sind hierzulande kaum bekannt, dabei wurden und werden dort interessante Fahrzeuge hergestellt. Eine Rückschau zum 70. Geburtstag Israels.

Von Haiko Prengel

Berlin/Haifa – Die Kamele sind schuld. Den Niedergang der israelischen Autoindustrie haben die Höckertiere verursacht, glaubt man der Legende. Denn die paarhufigen Wüstenschiffe können ganz schön gefräßig sein, und manchmal fressen sie sogar Autokarosserien. Jedenfalls, wenn sie aus so schmackhaftem Kunststoff sind wie bei Sabra, der Automarke aus dem Heiligen Land.

Das klingt nach einem Scherz am Schrauber-Stammtisch, ist aber tatsächlich wahr. Jedenfalls erzählt man sich diese Anekdote so gern in Israel, dass sie heute jeder Autofan kennt - zumindest in dem Land, das in diesem Jahr runden Geburtstag feiert. Vor 70 Jahren wurde der Staat im Nahen Osten gegründet, am Mittwoch begannen die Feierlichkeiten.

Was viele nicht wissen: In Israel wurden Autos gebaut. Sogar ziemlich lange, vom Ende der 1950er bis in die 1980er Jahre hinein. Viele davon sind allerdings nicht mehr übrig. Was eben auch daran liegen soll, dass Kamele sich in der Wüste über die Kunststoff-Karosserien hergemacht haben, und die Sabra-Wracks mindestens angeknabbert oder gar aufgefressen haben. Da half den Sabra-Modellen auch der piksig-stachelige Kaktus im Firmenlogo nicht.

Nitzan Primor ist einer der wenigen Glücklichen, die heute noch ein Auto „Made in Israel“ steuern, und überdies noch eines in außergewöhnlich gutem Zustand. Der Geschäftsführer eines Pharmaunternehmens fährt in seiner Freizeit gerne im 1962er Sabra Sport über die Straßen von Netanja, einem Küstenort zwischen Haifa und Tel Aviv.

Gerade in den Sommermonaten ist das ein herrliches Vergnügen, denn der Sabra Sport ist ein offener Roadster und durchaus flott. 71 PS bringt der Motor auf die Hinterachse, dank der Kunststoff-Karosserie wiegt der Flitzer kaum mehr als 800 Kilogramm: „Das Auto macht richtig Spaß“, erzählt der Klassiker-Liebhaber aus dem Nahen Osten.

Start in Haifa 1957

Im Jahr 1957 hatte sich in Haifa die Autocars Company Limited gegründet. Israels erster und bis auf ein paar Nischenfirmen bislang einziger großer Automobilhersteller. Relativ schnell konnte Autocars eine größere Serienproduktion aufbauen und schaffte es, bis zu 1.500 Fahrzeuge pro Jahr vom Band laufen zu lassen.

Dies war nur möglich, weil Autocars von Anfang an eng mit europäischen Herstellern zusammenarbeitete, allen voran mit Reliant aus Großbritannien. Reliant war damals ein Pionier der Fertigung von Kunststoffkarosserien. Die Briten schickten ab 1960 ihre innovativen Fahrzeugteile als praktischen Bausatz nach Israel. Die Motoren bezog Autocars von Ford. So entstand der erste Sabra. Ein recht einfacher Kombi mit einer Außenhaut aus Fiberglas und einem 1,0 Liter großen OHV-Vierzylinder aus dem Ford Anglia.

„The Sabra – little but tough“ (Der Sabra - klein, aber zäh). So warb der Hersteller damals in Reklame-Anzeigen. Der Kombinationswagen sei leicht, widerstandsfähig und im Falle eines Unfalls oder Schadens leicht zu reparieren - also das „ideale Fahrzeug für Business und Freizeit, in der Stadt und auf dem Land.“

Tatsächlich steckte nicht nur der israelische Automobilbau damals in den Kinderschuhen. Auch in Deutschland fuhren die meisten Menschen um 1960 herum noch Motorrad oder gingen zu Fuß, ein Auto war Luxus. Bei der Autocars Company in Haifa kam nach dem ersten Sabra-Kombi rasch der Sabra Sport hinzu: ein offener Roadster, dessen Grundform einfach vom Reliant Ashley 1172 kopiert wurde.

Sabra Sport mit 71 PS auf 866 Kilo

Der knallrote Sabra Sport von Nitzan Primor verließ 1962 die Produktionshallen. Unter der Haube steckt ein 1,7 Liter großer Motor aus dem Ford Consul. Die 71 PS beschleunigen den exakt 866 Kilogramm schweren Roadster auf 91 Meilen beziehungsweise 146 Kilometer pro Stunde, was für damalige Verhältnisse durchaus ansehnlich war.

Später kam sogar ein Modell mit Sechszylinder auf den Markt, der Sabra Six mit einem 2,6-Liter-Aggregat von Ford. Zudem erweiterte die Autocars Company das Angebot um die zweisitzige Limousine Carmel sowie um ein viersitziges GT-Coupé. Der Kombi wurde auf den Namen „Sussita“ getauft. Bei den Motoren bediente man sich ab Mitte der 1960er Jahre auch beim Traditionsunternehmen Triumph.

Der Absatz der Autocars Company entwickelte sich gar nicht schlecht, auch wenn man nicht mit den großen Autokonzernen aus den USA oder Westeuropa mithalten konnte. Immerhin 69.000 Autos sollen über die Jahre in Israel entstanden sein. Neben dem heimischen Markt konnte Autocars seine Sabra-Vehikel auch exportieren, etwa in die Niederlande oder nach Kanada. In Griechenland wurde außerdem die Limousine Carmel als Modell „Attica“ in Lizenz gefertigt.

Nitzan Primor fand seinen Sabra Sport im Ausland. Im Jahr 2005 kaufte er den Roadster von einem Sammler aus Belgien, der sein Hobby aufgeben wollte. „Das Auto war in einem sehr guten und originalen Zustand“, erinnert sich der Israeli. Was ihm an den alten Sabra so gefällt? Die Marke repräsentiere die israelische Kühnheit und Originalität, die bis heute in vielen Erfindungen des Landes zum Ausdruck komme – sei es in der Speichertechnologie DiskOnKey, den Fahrassistenzsystemen von Mobileye oder dem Navigationssystem Waze.

Auto ohne Schwächen oder Kamelfutter?

Sicher seien die Autos damals nur „Hybride“ gewesen, räumt Primor ein. Bausätze mit verschiedenen Teilen aus europäischen Autos und im Falle des Sabra Sport mit einem Design, das ein britischer Kfz-Ingenieur entworfen hatte. Stolz ist der Israeli trotzdem auf seinen Oldtimer. „Dahinter stand auch die Idee, ein Sportauto in einem jungen Land zu produzieren, das um sein Leben kämpfte, von Feinden umgeben war und sich überdies in einer schlechten wirtschaftlichen Situation befand.“

In gewisser Weise war es daher eine Sensation, als ein Prototyp des Sabra Sport 1961 auf der New Yorker Automobilausstellung präsentiert wurde und dort neben den Modellen der Automobilgiganten General Motors oder Chrysler stand. Schwächen am Sabra kann Nitzan Primor jedenfalls nicht erkennen. „Da gibt’s keine Schwächen“, betont er. „Sabra ist meine Geliebte, meine zweite Frau. Wenn Du jemanden liebst, suchst Du keine negativen Eigenschaften.“

Daniel Lehmann aus Berlin sieht das etwas nüchterner. Teile von Triumph, Ford und Reliant: Sämtliche Sabra seien nichts als technischer Mischmasch gewesen, sagt der Kfz-Mechaniker. Lehmann ist Inhaber von „Car Berlin“, einer jüdischen Kfz-Werkstatt am Berliner Kurfürstendamm. Aufgewachsen ist der 46-Jährige in Haifa, und er kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als Autos von Sabra im Heiligen Land mit das Straßenbild prägten. „Ganz ehrlich“, lacht Lehmann, „diese Autos hatten keinen einzigen Vorteil – außer dass sie als Futter für Kamele dienten.“

Vor allem an die Kunststoff-Karosserien hat Lehmann keine guten Erinnerungen. „In den Kisten war es einfach nur warm.“ Deshalb baute er als junger Kfz-Schrauber nachträglich Klimaanlagen in den Sabra Sussita ein. Der Bedarf war groß, da es im israelischen Sommer nicht selten 40 Grad heiß wird. Und ab Werk gab es so etwas bei Sabra nicht.

„Ein Hummer ist nichts dagegen“

Sein Handwerk lernte Daniel Lehmann bei Ido Cohen. Der Offroad-Enthusiast war bei der israelischen Armee in den Spezialkräften, heute baut er Wüsten-Rallyeautos und Geländewagen für Extrembedingungen. Diverse Exemplare des Modells Zibar – ein Offroader für besonders anspruchsvolles Terrain – hat er an die israelischen Streitkräfte sowie an Kunden in Russland, Südamerika und in den USA verkauft. Vom Zibar gibt es gepanzerte und nicht-gepanzerte Versionen, die stärksten Allradler leisten weit über 600 PS. „Der Hummer ist nichts dagegen“, sagt sein ehemaliger Schüler Daniel Lehmann.

Insofern lebt die israelische Kfz-Industrie weiter – auch wenn die Autocars Company und ihre Marke Sabra längst Geschichte sind. Das Unternehmen wurde Ende der 1970er Jahre aufgekauft, heute sind die Relikte Teil der Automotive Industries mit Sitz in Nazareth, die sich ebenfalls auf die Herstellung von militärischen Sonderfahrzeugen spezialisiert haben.

Aber die zivilen Sabra sind nicht tot. In Israel gibt es eine lebendige Oldtimer-Szene, obwohl das Land recht klein ist. So engagieren sich im „Five Club“ hunderte Besitzer von Vintage Cars. In den größeren Städten gibt es regelmäßige Treffen und Ausfahrten, wie Daniel Lehmann von „Car Berlin“ berichtet.

Lehmanns Berliner Firma ist ebenfalls auf die Instandsetzung von Old- und Youngtimern spezialisiert. Einen alten Sabra habe sein Team leider bislang nicht in der Werkstatt reparieren dürfen, sagt er. Den angeblich einzigen in Deutschland registrierten Sabra Sport verkaufte vor einigen Jahren ein Hamburger Händler. Wo sich der Wagen jetzt befindet, ist unklar.

Daniel Lehmann besitzt einen Sabra Sussita, wenngleich nur als Miniatur-Modell in seinem Firmen-Schaufenster. Auch wenn Sussita und Co. technisch eine Katastrophe gewesen seien: „Heute sind die Autos cool“, findet er. Deshalb will er so bald wie möglich ein echtes Exemplar nach Deutschland holen, auch um damit Flagge zu zeigen für sein Heimatland. Ein Aufkleber am Heck oder an der Seite würde dann die Herkunft des exotischen Kombis verraten: „Made in Israel“. Zum Glück gibt es hierzulande keine Kamele.

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