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Die Geschichte der Minivans - Vom ersten Multipla zum Ende des Pragmatismus

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Vom Transporter mit Fenstern über den Auto-Modetrend bis zum Trend-Ende unserer Tage: Wir blicken zurück auf die Geschichte der Minivans.

Der Autonova Fam nahm alle wesentlichen konzeptionellen Merkmale folgender Minivans vorweg – und war damit seiner Zeit zu weit voraus Der Autonova Fam nahm alle wesentlichen konzeptionellen Merkmale folgender Minivans vorweg – und war damit seiner Zeit zu weit voraus Quelle: wikipedia

Von Arild Eichbaum

Früher galt: Wer viel zu transportieren hatte, ob nun Personen oder Güter, fuhr einen Kombi. Wer noch mehr zu transportieren hatte, fuhr einen Kleinbus oder Kastenwagen. Und wer viel zu transportieren hatte, aber weder einen Kombi noch ein unkomfortables Nutzfahrzeug fahren wollte, stand dumm da.

Das galt bis in die frühen 1980er-Jahre. Ideen, Familien viel Raum auf wenig Platz zu verschaffen, gab es trotzdem schon früher. Umgesetzt wurden indes die wenigsten, der gemeinsame Nenner eines mehr oder minder ausgeprägten Onebox-Designs blieb.

Die Transportfrage kam direkt nach dem zweiten Weltkrieg auf, denn es gab viel zu aufzubauen. Größere Onebox-Lieferwagen wie Peugeot D3, Citroën HY oder auch VW T1 und Ford FK waren zwar vorhanden, aber passten nicht unbedingt zu jedem Privathaushalt. Etwas Kleineres, wesentlich Erschwinglicheres musste her. Kein Problem für Fiat: Der 1956 präsentierte Multipla auf Basis des 600 brachte auf 354 Zentimetern Länge bei 220 Zentimetern Radstand sechs Insassen unter. Der 720 Kilo leichte Heckmotor-Zwerg mit 29 PS genehmigte sich zwischen 6 und 8 Liter. Bis zu seiner ersatzlosen Einstellung 1967 überzeugte der Fiat 600 Multipla rund 240.000 Kunden.

Eine Studie auf der IAA 1965

1965 stellte Motorjournalist Fritz B. Busch auf der IAA eine gemeinsam mit dem Deutschen Michael Conrad und dem Italiener Pio Manzù ersonnene Studie eines Stadtwagens vor. Der in nur einem Exemplar hergestellte „Autonova Fam“ – „fam“ für familiare – diente als Gegenentwurf zu den damaligen Pkw. Die Modelle der Automobilindustrie waren in den Augen Buschs „unzweckmäßig“ und „nicht verkehrsgerecht“.

Der Plymouth Voyager war als geräumiges Allroundtalent maßgeblich am Verschwinden des US-amerikanischen Station Wagons Schuld. Er übernahm gar dessen Holzdekor Der Plymouth Voyager war als geräumiges Allroundtalent maßgeblich am Verschwinden des US-amerikanischen Station Wagons Schuld. Er übernahm gar dessen Holzdekor Quelle: Wikimedia Commons Der Kombiwagen mit Pkw-Fahrwerk maß 3,50 Meter in der Länge und jeweils 1,50 Meter in der Breite und Höhe. Das ganz auf ideale Raumnutzung konzipierte Fahrzeug mit einer Karosserie der italienischen Firma Sibona-Basano nahm fünf Personen samt Gepäck auf und zeichnete sich durch einen Wendekreis von nur 8,40 Metern aus. Vier Türen und eine nach US-Vorbild waagerecht geteilte Heckklappe vereinfachten Einstieg und Beladung des Fam.

Eines der zahlreichen Highlights war die mit einem unten abgeflachten Lenkrad versehene Lenkung, die mit ansteigendem Einschlag immer direkter übersetzte. Futuristisch wirkte das Armaturenbrett mit bloß einem Instrument, gleichfalls die komplett am Lenkrad positionierten Bedienhebel oder die Beschleunigung per Knopf am Steuerknüppel.

Am Boden des Innenraums gab es nur ein Bremspedal. Die Variomatic aus den holländischen DAF-Pkw ersparte ein Kupplungspedal. Die komplette Auflistung aller Finessen würde den Rahmen sprengen. Es blieb leider bei der Studie. Allerdings konnte sich das kantige Gefährt auf die Fahnen schreiben, einer ganzen Generation von Minivans als Vorbild gedient zu haben.

Vom Minimax zum Voyager

Szenenwechsel: In den USA war der Appetit auf große Motoren noch nicht vorbei. Die gab es in den 1970er-Jahren aber zunehmend nur noch in Nutzfahrzeugen. Die Van-Abteilungen der Großen Drei – Chrysler, GM und Ford – kamen diesem Trend ein Stück weit mit komfortableren Versionen ihrer Lastesel entgegen. Doch waren die großen Vans auch nach Überarbeitung durch einen Custom-Betrieb immer noch ungeschlachte Nutzfahrzeuge mit primitivem Fahrwerk.

Mustang-Vater und Ford-Präsident Lee Iacocca hatte deshalb den Konstrukteur Hal Sperlich einen modernen Minivan mit dem Projektnamen Minimax kreieren lassen. Dessen Prototyp gefiel dem Patriarchen Henry Ford II gar nicht. Kurz darauf entließ er die beiden. Die Fachkräfte wechselten zu Chrysler.

Chrysler selbst stand das Wasser Ende der Siebziger bis zum Hals, Missmanagement und veraltete, kaum gefragte Modelle waren Schuld. Iacocca warb eine Milliardenbürgschaft vom Kongress ein und schaffte es, den Konzern mit neuen, zeitgemäß sparsamen und vergleichsweise kompakten Fahrzeugen in die Gewinnzone zurückzuführen.

Sperlich konnte nun an der Minivan-Studie weiterarbeiten. Aus der Minimax-Idee wurden Ende 1983 Plymouth Voyager, Dodge Caravan und Chrysler Town& Country - hierzulande besser bekannt als Chrysler Voyager. Das Rezept: Ein Pkw-Fahrwerk mit Frontantrieb unter einer selbsttragenden, für amerikanische Verhältnisse kompakten Karosserie. Der Erfolg des Modells war gigantisch. Allein 209.895 Einheiten wurden im ersten Jahr in Nordamerika verkauft.

Espace: Französisch für Raum

In Europa hatte Matra seit 1978 an einer Großraumlimousine getüftelt. Ursprünglich sollte das Fahrzeug den Ende 1983 eingestellten Talbot-Matra Rancho beerben. Markeneigner PSA sah für das Modell allerdings keinen Markt und plante ohnehin nicht mehr fest mit Talbot.

Nach 191.674 Exemplaren war der erste Renault Espace 1991 bereit für einen Nachfolger Nach 191.674 Exemplaren war der erste Renault Espace 1991 bereit für einen Nachfolger Quelle: Renault Der Konkurrent sah es anders: Renault erkannte das Potenzial des Konzepts und übernahm das Projekt, inklusive des fast fertig entwickelten Vans. Beinahe unverändert kam der Entwurf als Renault Espace auf den Markt. Bemerkenswert am Espace war zunächst das Raumkonzept mit sieben Sitzen. Davon waren fünf einzeln herausnehmbar, was bis zu drei Kubikmeter Stauraum schuf.

Ebenso spektakulär war der von Matra entwickelte, mehrschichtige Polyesteraufbau auf einer tragenden Struktur aus galvanisiertem Stahl. Hierdurch konnte das Gewicht des 4,25 Meter langen Espace auf dem Niveau eines Mittelklasse-Pkw gehalten werden. Der Espace wog nur 1.200 Kilogramm. Ab 1984 fand der Franzose zahlreiche Fans.

Japan: Wenig Raum, kleine Autos

In Japans Metropolen entstanden deutlich winzigere Vans. Platz ist rar, deshalb schossen die vielfach in Abmessungen und Motorisierung limitierten Autos in die Höhe. Gänzlich unkonventionell in diesem Aspekt war der schon 1982 eingeführte Nissan Prairie mit vorderen Klapp- und hinteren Schiebetüren – ohne B-Säule. Seit Februar 1983 produzierte Mitsubishi den Space Wagon. Kantig, praktisch und sehr kompakt, nahm er die Voyager-Silhouette ebenso vorweg wie das Pkw-Konzept des Espace, mit vier konventionellen Türen.

Die wichtigen Automärkte USA und Europa waren aufnahmefähig für die neuen Konzepte. Das zeigte sich am Erfolg der Minivans von Chrysler und Renault. Dass die kompakten Vans nie zum Statussymbol taugten, kam dem Absatz diverser japanischer Angebote zugute. Deren Wertschätzung war in Europa damals nicht extrem hoch. Nun konnten die Importeure jedoch mit praktischen Vorteilen auftrumpfen.

Die Hochphase

Die 1990er- und 2000er-Jahre wurden zur Van-Hochphase. Asiaten, Amerikaner und Europäer bauten ihr Angebot ohne Unterlass aus. Egal, ob auf Kleinwagen-, Kompakt- oder Mittelklassebasis, ob Neueinführung oder Nachfolgemodell, ob Fronttriebler oder Allrad: Für jedes Bedürfnis gab es ein passendes Fahrzeug.

Lieber einen Kia Carnival, Nissan Vanette, Toyota Previa, Mitsubishi oder einen Mazda5? Oder doch einen europäischen Renault Scenic, Opel Zafira, Ford C-MAX, S-Max oder den aufsehenerregenden Fiat Multipla? Alternativ standen noch Citroën C3 Picasso, Hyundai ix20, Kia Venga, Lancia Musa, Nissan Note oder Renault Modus zur Wahl.

Um pragmatische Kunden bewarben sich auch Pontiac Transport, Ford Aerostar und Nachkommen, Chrysler Pacifica, Mercedes R-Klasse oder Audi A2. Um den Profit durch geteilte Entwicklungskosten zu steigern, enstanden die Eurovans Citroën Evasion, Fiat Ulysse, Lancia Zeta und Peugeot 806 gemeinsam. Gleiches galt für VW Sharan, Ford Galaxy und Seat Alhambra.

Wem aus dieser breiten Platte nichts so recht zusagte, der wurde womöglich mit einem Hochdachkombi glücklich. Ursprünglich als Nutzfahrzeug konzipiert, entstanden ab den Neunzigerjahren auch Pkw-Versionen von Citroën Berlingo, Renault Kangoo oder VW Caddy.

Ende des Pragmatismus

Die Kunden waren vor allem größerer Vans ab den späten 2000er-Jahren langsam überdrüssig. Verstärkt gekauft wurden nun Fahrzeuge mit ebenfalls großzügigen Raumverhältnissen und hoher Sitzposition, die aber mehr Prestige mitbrachten. Die Geschichte der Minivans scheint sich bei der SUV-Mode nun zu wiederholen: Kaum ein Hersteller, der ohne SUV in mehreren Größen auskommt.

Unter den Vans schrumpft unterdessen das Angebot. Einige, wie Peugeot 806, Opel Meriva oder Ford B-Max, sind bereits durch SUVs ersetzt worden. Andere wie VW Touran oder Renault Scenic erzielen noch ordentliche Absätze. Aber ihre Zahl wird weiter schrumpfen.

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