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Polo WRC: Erster Testflug mit dem VW-Allradler

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Ein Jahr vor dem Debüt in der Rallye-WM durfte auto motor und sport als weltweit einzige Zeitschrift hinter dem Lenkrad des neuen VW Polo WRC Platz nehmen. Natürlich haben wir den 300 PS-Allradler beim Tracktest in Südfrankreich ordentlich in die Mangel genommen.

Das Wetter war sonnig an jenem Vormittag in Südfrankreich, die Stimmung der meisten VW-Teammitglieder eher nicht. Denn gerade war der neue Werksfahrer Sébastien Ogier überraschend zu den Testfahrten nach Corbières gekommen. Doch der Drittplatzierte der Rallye-WM 2011 musste warten, bevor er das erste Mal im Polo WRC Platz nehmen durfte. Zuerst war auto motor und sport mit dem Tracktest an der Reihe. Versprochen ist versprochen. Da gibt´s kein Pardon.

Während das Team sich um Ogier schart und ungeduldig von einem Fuß auf den anderen steigt, kommt der auto motor und sport-Mann ordentlich ins Schwitzen. Nicht etwa, weil es besonders heiß gewesen wäre. Doch es drückt die Last der Verantwortung. Auch wenn es keiner der Techniker so deutlich sagt, die Mienen der Männer in der dunkelblauen Uniform sprechen Bände: Tu unserem Auto bloß nichts an! Sonst kannst du was erleben! Dieser Polo ist im Moment unser einziges Testauto!

Schlammschlacht im VW Polo WRC

Zum Glück entpuppt sich der Polo WRC vom ersten Meter an als grundehrlicher, verlässlicher Gefährte: Wer schon mal in einem Rallyeauto gesessen ist, wird mit dem Kleinen aus Hannover schnell Freundschaft schließen. Der 1600er-Turbo hängt gierig am Gas, selbst als noch das  Elektronik-Mapping mit der Kennziffer 1 aktiviert ist.

"Das ist das Kennfeld für die Verbindungsetappen im normalen Straßenverkehr", erklärt Beifahrer Timo Gottschalk, der im Januar 2011 an der Seite von Nasser Al-Attiyah die Dakar-Rallye für VW gewann. "Wenn du den Drehschalter am Lenkrad auf 5 drehst, steht die volle Leistung parat. Mit dem Umluftsystem."

Das ALS (Anti Lag System) hält den Turbolader auch im Schubbetrieb bei Laune und sorgt so für absolut verzögerungsfreies Ansprechen des Motors sowie für das wohlklingende Sprotzeln und Knallen aus dem Auspuff. Leider mögen es die Techniker nicht besonders, wenn der Motor beim Tracktest so geknechtet wird. Also muss ein Kompromiss her, Mapping 2.

Kein Problem, denn nach tagelanger Sintflut ist der Untergrund in Corbières so aufgeweicht, dass der schmucke, auf Hochglanz polierte Polo in kürzester Zeit aussieht wie ein Erdferkel nach einer Fango-Kur. Müßig zu erwähnen, dass im schlammigen Terrain das Ringen um Traktion wichtiger ist als die Frage, ob der Motor noch ein Quäntchen strammer zur Sache geht.

Viel wichtiger als der Elektronikwählschalter ist der Knopf links oben auf dem Lenkrad. Hier wird der Scheibenwischer eingeschaltet. An den tiefer gelegenen Stellen des Rundkurses klatscht der Matsch in kuhfladengroßen Batzen gegen die Scheibe. Hier verlangt der Polo nach einem straffen Zügel. Denn das Heck würde sich jetzt gerne nach vorne drängeln. Also: Tapfer auf dem Gas bleiben, aber mit Gefühl. Und zügig gegenlenken. Dank der extrem direkten Lenkung - von Anschlag zu Anschlag sind es nur eineinhalb Umdrehungen - fällt es nicht allzu schwer, die Ausfallschritte des Hecks zu parieren.

VW Polo WRC mit mehr Federweg als Dakar-Touareg

Erstaunlich ist das Schluckvermögen das Fahrwerks: Kein Wunder, denn in der Schotter-Abstimmung stehen stattliche 275 Millimeter Gesamtfederweg zur Verfügung. Das sind 25 Millimeter mehr als beim durch das Regelwerk limitierten Dakar-Siegerauto, dem Race-Touareg. "Je mehr Federweg, desto besser die Traktion", erläutert Polo-Konstrukteur François-Xavier Demaison.

"Doch man muss auch wissen: Je länger der Federweg, desto größer die Reibung. Und es gibt ja keine Weltmeisterschaft für den längsten Hub." Kleiner Seitenhieb auf Ford-Technikchef Christian Loriaux und dessen Credo "Federweg über alles" - ein Späßchen für Eingeweihte.

Auf den höher gelegenen Streckenabschnitten von Corbières stellt sich auf der festgewalzten Naturpiste plötzlich grimmiger Grip ein. Der Polo legt los wie die Feuerwehr. In 4,1 Sekunden soll er den Spurt auf 100 km/h schaffen, heißt es von offizieller Stelle. Absolut glaubhaft. Zumal die Schaltpausen gefühlt im einstelligen Millisekundenbereich liegen.

Das Nachladen der sechs Gangstufen funktioniert denkbar einfach: Entschlossenes Ziehen am unmittelbar neben dem Volant ins Cockpit ragenden Schaltstock, das wars. Dabei kann man ruhig weiter Vollgas geben. Sobald man den Schalthebel berührt, wird die Zündung kurz unterbrochen.

VW Polo WRC mit 300 PS und 400 Nm

Seit 2010 gilt für World Rally Cars ein ziemlich restriktives Motorenreglement: Nur noch 1,6 statt zwei Liter Hubraum sind erlaubt, der Ladedruck ist auf maximal 2,5 bar begrenzt, zudem muss der Vierzylinder durch einen Luftmengenbegrenzer mit gerade mal 33 Millimeter Durchmesser schnorcheln. Benzin-Direkteinspritzung ist Pflicht. In der Praxis ist der Unterschied zu den alten Triebwerken nicht allzu groß: 300 PS schaffen auch die 1600er. Nur beim Drehmoment gilt es Abstriche zu machen: Statt über 700 Newtonmeter gebietet der Pilot jetzt nur über knapp 400 Nm.

Im sechsten Gang gehts auf eine schnelle S-Kurve zu: kurz bremsen, zwei Gänge runterschalten, einlenken. Und wieder Vollgas. Die alte Schule des Rallyfahrens mit wildem Anpendeln des Hecks kann man in den modernen Autos getrost vergessen. Im Polo stellt sich der Drift quasi automatisch ein. Und: Das Querfahren ist wunderbar einfach zu kontrollieren.

Dabei ist die 4WD-Technik des noch auf einem Skoda Fabia Super 2000-Rallyeautos basierenden ersten Volkswagen WRC denkbar einfach: In der Mitte gibt es statt Differenzial starren Durchtrieb, an Vorder- und Hinterachse tun simple Lamellendifferenziale Dienst. Kein Vergleich zu den Technikexzessen Mitte der 2000er-Jahre, als die Steuerung der Diffs von einem komplizierten elektro-hydraulischen System übernommen wurde. Das ist heute wie die Semiautomatik per Reglement verboten.

Ogier gibt sich diplomatisch

Nach einem halben Stündchen Driftvergnügen steht der Polo WRC wieder wohlbehalten im Service. Alle atmen auf, Ogier übernimmt das Volant. Als er von seiner ersten Erkundungsfahrt zurückkommt, bildet sich eine dicke Traube von VW-Männern an der Fahrertür. Alle wollen wissen: Wo stehen wir? Ogier, der ebenso wie Weltmeister Sébastien Loeb 2011 fünf WM-Läufe im Citroën DS3 WRC gewann, antwortet diplomatisch: Dies sei heute nicht die Frage, sagt er. "Wichtig ist, planvoll hinzuarbeiten auf das WM-Debüt des Polo im Januar 2013."

Bis dahin ist Ogier ein viel beschäftigter Mann. "Rund 20 Tests mit jeweils drei Tagen stehen im Jahr 2012 auf dem Programm", sagt VW-Sportchef Kris Nissen. "Zudem wollen wir mit Ogier sowie abwechselnd Kevin Abbring und Andreas Mikkelsen alle 13 WM-Läufe mit einem Skoda Fabia S2000 bestreiten, um die Mannschaft zu trainieren und Abläufe einzuüben."

Konstrukteur Demaison bestätigt: "Das einzige, was VW im Vergleich zu Citroën fehlt, ist die Erfahrung." Und Fahrer Ogier weiß: "Meine Freundin beginnt zu verstehen, dass ich 2012 ganz selten zu Hause sein werde."

 

 

Quelle: Auto Motor und Sport

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