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Mit Sebastian Vettel an der Strecke

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Sebastian Vettel hat während der Testtage von Barcelona einen Tag frei. Der Weltmeister nimmt sich Zeit für einen exklusiven Ausflug mit auto motor und sport.de an den Streckenrand.

Dritter Testtag in Barcelona. Im Red Bull sitzt heute Mark Webber. Kollege Sebastian Vettel hat trotzdem keinen ruhigen Tag. "Da ist mehr los als an einem richtigen Testtag", stöhnt Vettels Pressedame Britta Roeske. Vor der Mittagspause nimmt sich Vettel trotzdem anderthalb Stunden Zeit. Zusammen mit Vater Norbert, ein paar Kumpels und auto motor und sport geht es auf Streckeninspektion.

Wir fahren die Servicestraße parallel zur Rennstrecke zu einer Art Aussichtsplattform, von der man die Kurven eins und zwei aus der Vogelperspektive beobachten kann. Wenn man sich umdreht, blickt man direkt auf Kurve fünf, eine langsame 180 Grad-Kehre.

Mercedes-Rennleiter Norbert Haug ist ebenfalls vor Ort. Der eine will vom anderen wissen, wie es so läuft. Small-Talk in der Formel 1-Gemeinde. Die letzten Geheimnisse bleiben ein Geheimnis. Wir schauen jetzt auf die Kurvenkombination am Ende der Zielgeraden.

Reifen machen Vergleich unmöglich

"Eigentlich kannst du da gut die unterschiedlichen Fahrstile erkennen", sagt Vettel, schränkt aber ein: "In diesem Jahr wird das aber alles durch die Reifensituation überlagert. Für einen echten Vergleich müssten alle auf neuen Reifen unter Qualifikationsbedingungen fahren. Sobald du mit gebrauchten Reifen unterwegs bist, wird dir die Linie vom Grip aufgezwungen. Du bist dauernd am Anpassen."

Den Einwand, dass die Pirelli nach dem Einbruch nach der ersten Runde eine Zeitlang konstant bleiben, lässt Vettel nicht gelten: "Die Rundenzeiten bleiben gleich oder werden leicht langsamer. Das heißt aber nicht, dass der Reifen gleich bleibt. Wäre das so, müsstest du ja schneller werden, weil du jede Runde Sprit verbrennst." Jetzt wäre ein verstellbarer Frontflügel gut, denkt Vettel laut nach: "Dann könntest du auf den Reifenabbau vom Cockpit aus reagieren. Jetzt bleibt dir nichts anderes übrig, als dich mit deinem Fahrstil darauf einzustellen."

In den ersten beiden Kurven sieht man gut, wer mit frischen oder alten Reifen unterwegs ist. "Nur ein frischer Reifen hat den Grip, der dich dorthin bringt, wo du das Auto haben willst. Mit alten Reifen triffst du den Scheitelpunkt in der ersten Kurven nicht richtig und bezahlst dafür in der zweiten und dritten Kurve. Du triffst dann den Einlenkpunkt für die schnelle Rechts am Ausgang der Kombination nicht mehr richtig. Das hängt alles zusammen."

Schumacher verbremst sich

Kurve fünf ist von unserem Standpunkt auf der Außenseite nicht besonders spektakulär. Aus dem Cockpit sieht der enge Linksbogen schon ein bisschen schwieriger aus. "Du bremst dich bergab auf die Kurve zu. Das ist immer heikel, weil du schnell mal zu spät dran bist. Dann bleibt das kurveninnere Rad stehen, und du musst eine weite Linie nehmen." Wie auf Befehl verbremsen sich gerade Michael Schumacher und Mark Webber.

Der Bremspunkt an dieser Stelle ist für Vettel Gefühlssache. "Da fehlen Anhaltspunkte neben der Strecke. Das einzige, an dem du dich orientieren kannst, ist eine blöde Bodenwelle in der Bremszone." Auch der Kurvenausgang ist interessant. "Da siehst und hörst du, wie viel Grip der Reifen noch hat. Wenn die Drehzahl stark abfällt und der Fahrer den Heckflügel spät flach stellt, dann sind die Reifen alt." Als Schumacher ein zweites Mal vorbeikommt, führt er genau das vor. "Die Reifen sind alt", sagt Vettel mit Kennerblick.

Vettel hat nur am Limit Spaß

Rennfahrer sehen mehr. Webber fährt durch die Kurve, scheinbar wie immer, trotzdem prophezeit der Teamkollege: "Der Mark fährt jetzt an die Box." Tatsächlich biegt der Australier am Ende der Runde in die Boxen ab. Woran hat Vettel das erkannt? "Der Mark hat den Heckflügel nicht mehr flachgestellt. Das bringt ja nichts, wenn es deine letzte Runde ist."

Die Reifen sind das Hauptthema unter den Fahrern. Vettel vergleicht mit der Bridgestone-Zeit. "Wenn die Pirellis neu sind, bist du im Qualifikationstrim ein bisschen langsamer als früher. Den großen Unterschied spürst du mit alten Reifen. Da bist du schnell jenseits der 1.30er Marke. Das hat dann mit Formel 1-Fahren nicht mehr viel zu tun." Formel 1-Piloten sind eben immer auf Vollgas geeicht.

Trotzdem kann der Fahrer der entscheidende Faktor sein, wenn der Grip der Reifen langsam schwindet: "Du musst beim Attackieren der Kurve den Gripverlust mit einkalkulieren und deine Ideallinie dementsprechend variieren. Das kann der eine vielleicht etwas besser als der andere." Von einem lässt sich Vettel nicht abbringen: "So richtig Spaß macht es nur, wenn du am Limit bist."

Neues Auto für Vettel

Wir setzen unsere Fahrt Richtung Kurve 9 fort. Vettel sitzt in seinem neuen Dienstwagen, einem Infiniti. Nissans Nobelmarke hat die Namensrechte für den Renault V8 gekauft. Als wir in einer Parkbucht auf der Servicestraße rangieren, amüsiert sich der Weltmeister: "Beim Rückwärtsfahren hast du nicht nur eine Kamera hinten raus, sondern auch noch eine aus der Vogelperspektive. Da ist das Einparken wirklich idiotensicher."

 

Kurve 9 ist ein 240 km/h schneller Rechtsbogen vor der Gegengeraden. An dieser Stelle haben die Red Bull-Piloten im letzten Jahr der Konkurrenz die Hosen ausgezogen. Vettel und Webber waren um 17 km/h schneller als der Rest. "Die Kurve ist nicht ohne", erklärt Vettel. "Am Anfang geht es bergauf, aber zum Ausgang hin flacht die Kurve ab. Deshalb neigt das Auto am Kurvenende meistens zum Untersteuern."

Und was passiert, wenn das Auto mal übersteuert? "Dann hast du ein echtes Problem." In diesem Jahr ist die Kurve besonders kritisch. "Schau mal die vielen Gummischnipsel rechts und links. Die Ideallinie ist richtig eingemauert. Wenn du auf den Dreck kommst, geht es ab."

auto motor und sport-Ticker bestätigt Expertenanalyse

Wer ist schnell, wer nicht? "In der Kurve musst du auf den Sound achten. Daran erkennst du, wer wie viel lupft. Die Kurve geht nämlich nicht mehr ganz voll." Als Felipe Massa nah an der Drehzahlgrenze durch das Eck nagelt, holt Vettel sein Smartphone heraus und meint: "Jetzt interessiert mich die Rundenzeit. Der Felipe war schnell unterwegs." Der Champion surft durch den auto motor und sport Live-Ticker und sieht seine Einschätzung bestätigt: "1.22,4 Minuten, was sage ich."

Eine Runde später macht Sergio Perez im Sauber einen ähnlich guten Eindruck. Wieder geht der Blick auf den Ticker. 1,22,0 Minuten schafft der Mexikaner, wenig später sogar 1.21,7 Minuten. Ein Zehntel schneller als Vettel am Vortag. "Das ist aber nicht schlecht", staunt Vettel im breiten Hessisch. "Auch wenn er mit supersoft unterwegs war, kann sich die Rundenzeit sehen lassen." Vettel fuhr seine Zeit mit den Reifen der Marke soft.

Besuch an der "Webber-Schikane"

Unsere letzte Station ist das Kurvengeschlängel am Ende der Gegengeraden und die Schikane vor der Boxeneinfahrt. Bei Red Bull wird sie die Webber-Schikane genannt, weil der Australier dort in den letzten Jahren seine Zeit gutgemacht hat. "Bei den Testfahrten hat er mir an der Stelle noch nichts abgenommen", meint Vettel zufrieden. Obwohl man in dem Links/Rechts-Slalom viel Zeit gewinnen und verlieren kann, ist es aus Fahrersicht nicht der Gipfel des Fahrgenusses.

 

"Die Schikane bricht den Rhythmus. Davor und danach sind flüssige Kurven. Auch hier ist die große Frage, wie viel du am Kurveneingang investierst. Wenn du viel Speed mit in die erste Kurve nimmst, bezahlst du am Ausgang und kommst nicht ideal in die letzte Kurve. Die geht voll, aber nur mit neuen Reifen. Sie ist wichtig, weil du den Speed auf die Zielgerade mitnehmen willst."

Schon wieder fährt Schumacher mit Webber im Schlepptau. Der Mercedes-Pilot kommt in Kurve 10 innen auf den Randstein, das Auto versetzt. "Der Randstein lädt zum Drüberfahren ein, weil er innen recht flach ist. So kannst du den Radius vergrößern und kommst schneller durch", erzählt Vettel. "Der Michael ist ein bisschen zu direkt in die Kurve rein, hat den Randstein zu weit innen getroffen. Da macht das Auto gleich einen Hüpfer."

Schumacher und Massa lassen Schikane aus

Nächste Runde: Beim Rausfahren aus Kurve 12 bricht dem Silberpfeil die Vorderachse aus. Webber fährt dem Mercedes fast ins Heck. Schumacher lässt die Schikane aus. Vettel erkennt sofort: "Der Michael biegt jetzt in die Boxen ab. Er will Mark in der Schikane nicht mehr im Weg stehen."

Massa fährt gleich zwei Mal in Folge auf der alten Strecke außen an der Schikane vorbei. "Die machen Boxenstopp-Training", bemerkt Vettel. "Wenn er jedes Mal in die Boxen muss, hat Felipe keine Lust, vorher noch durch die enge Schikane zu rollen."

Noch zehn Minuten bis zur Mittagspause. Wir kehren ins Fahrerlager zurück. Vettel hat wieder PR-Termine. Bevor er im Red Bull-Motorhome verschwindet, sagt er noch: "Findet mal raus, auf welchen Reifen der Perez unterwegs war." Wenn sich der Weltmeister für die Rundenzeit eines Sauber-Piloten interessiert, dann ist das ein Kompliment. Für den Fahrer und das Auto.

 

 

Quelle: Auto Motor und Sport

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