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Mercedes baut ein längeres Auto

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Mercedes kommt nicht in Schwung. Zum letzten Mal gab es beim GP Kanada Punkte im zweistelligen Bereich. Zuletzt kam sogar das Kundenteam Force India vor den Silberpfeilen ins Ziel. Warum stockt der versprochene Aufwärtstrend? Und welche Konsequenzen ziehen die Ingenieure für 2012?

Erinnern Sie sich ans letzte Jahr? Kaum wurde bei Mercedes die Weiterentwicklung am MGPW01 eingestellt und nur noch Feintuning betrieben, ging es mit den Silberpfeilen bergauf. Ein ähnliches Szenario hat man im Team auch in dieser Saison erwartet. Der letzte große Entwicklungsschritt kam in Silverstone. Für den Rest der Saison wird nur noch im Detail gefeilt. Doch der Aufschwung bleibt aus. Über einen sechsten Platz sind die Mercedes-Piloten seit der Runderneuerung noch nicht hinausgekommen.

Ingenieure und Fahrer brauchen mehr Zeit um ihr Auto besser zu verstehen

Prinzipiell ist es manchmal ganz hilfreich, wenn für ein paar Rennen keine Ausbaustufen ans Auto kommen. Wenn lediglich die bestehende Technik optimiert wird. McLaren macht gerade diese Erkenntnis. Seit ein paar Rennen läuft die Entwicklungsmaschinerie nur noch auf Schmalspur. Doch die Fortschritte sind größer als zu der Zeit, in der bei jedem Rennen das halbe Auto umgebaut wurde. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Wenn sich nicht dauernd etwas ändert, haben die Ingenieure und Fahrer mehr Zeit ihr Auto besser zu verstehen.

Zuviel Entwicklungsarbeit kann zum Eigentor werden. Siehe Williams. Siehe Red Bull in den letzten Rennen. Sebastian Vettel ließ in Ungarn das Auto auf eine alte Spezifikation zurückbauen, weil er das Gefühl hatte, man stehe im Wald.

Neues Auspuffkonzept verursacht Probleme bei der Aerodynamik

Mercedes brachte in Silverstone das letzte große Facelift ans Auto. Der Auspuff bläst seitdem nicht mehr auf halber Höhe der Seitenkästen ab, sondern dort, wo inzwischen die meisten ihre Endrohre hin verlegt haben. Im Unterboden vor den Hinterrädern. Für die Techniker in Brackley war das ein halber Neubeginn. Die Verlegung des Auspuffs stellt die komplette Aerodynamik auf den Kopf. Ross Brawn sagte deshalb: "Wir müssen jetzt erst das neue Konzept verstehen lernen." 

Dieser Effekt lässt bis jetzt noch auf sich warten. Man befindet sich noch in der Lernphase. Die Spitze kann Mercedes sowieso vergessen. "Das Auto ist mit so vielen grundsätzlichen Mängeln behaftet, dass die nicht mehr vollständig zu beheben sind?, sagt einer im Team. Zum Beispiel der kurze Radstand, das Kühlsystem, die Hinterradaufhängung.

Mercedes verliert zuviel Zeit auf Red Bull, McLaren und Ferrari

Der letzte Schritt war derart umfangreich, dass es vermutlich Zeit brauchen wird, bis man die Vorteile nutzen kann. Renault wird ähnliche Mühe haben, sollte man das Experiment des hinten austretenden Auspuffs weiterverfolgen. Beide Autos verfolgen in ihrem Grundkonzept einen völlig anderen aerodynamischen Ansatz. Das repariert man nicht einfach so im Handumdrehen.

Ross Brawn lässt sich durch die zuletzt enttäuschenden Ergebnisse nicht von seiner Einschätzung abbringen: "Die Zahlen belegen, dass wir uns seit Saisonbeginn klar gesteigert haben. Der Abstand zur Spitze bleibt in etwa gleich. Und das ist schwer genug, da die drei Teams vorne im WM-Kampf mit erhöhter Kraft entwickeln." Die Wahrheit ist: Auf einer fünf Kilometer langen Strecke verliert Mercedes im Schnitt 1,2 Sekunden auf Red Bull, McLaren und Ferrari.

Den Mercedes-Ingenieuren fehlen sechs Monate Entwicklungszeit

Brawn ist sicher, dass der zuletzt eingeschlagene Weg der richtige ist. "Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Wir hätten früher auf das Auspuffkonzept von Red Bull gehen sollen. So fehlen uns sechs Monate Entwicklungszeit." Die Erfahrungen, die andere zu Saisonbeginn gemacht haben, macht Mercedes erst jetzt. So merkt man zum Beispiel, dass es mit dem MGPW02 gar nicht so einfach ist, das Auto nach vorne anzuwinkeln wie es Red Bull macht. Und das war der eigentliche Hintergrund der Auspuffverlegung. Für dieses Prinzip müssen die Auspuffgase den Diffusor seitlich abdichten, also in die Spalte zwischen Hinterräder und Unterboden blasen. So weit ist Mercedes noch gar nicht. Bis jetzt zielen die Auspuffgase noch auf das Diffusordach.

Das nächstjährige Auto wird länger

Die Anstellung des Autos hat ihre Nebenwirkungen, die durch mehr Anpressdruck erst einmal kompensiert werden müssen. "Der Luftwiderstand steigt, und hinten wird der Schwerpunkt angehoben", erklärt Brawn. Gut möglich, dass der aktuelle Mercedes überhaupt nicht auf dieses Prinzip hinzutrimmen ist. Brawn: "Die Hinterradaufhängung muss dafür konzipiert sein." Ein kurzer Radstand hilft auch nicht, weil da mit vollen Tanks der Schwerpunkt im Heck noch weiter ansteigt.

Diesbezüglich ist bereits eine Grundsatzentscheidung für das nächstjährige Auto gefallen. "Aus heutiger Sicht würden wir ein längeres Auto bauen", gibt Brawn zu.

Aerodynamiker setzten bisher auf einen kürzeren Radstand

Der Mercedes GPW02 ist das Fahrzeug mit dem kürzestesten Radstand im Feld. Im Vergleich zum McLaren fehlen 27 Zentimeter. Die Aerodynamiker hatten sich es so gewünscht, weil sie glaubten, dass die Luft schneller im Heck ankommt, je kürzer die Fläche ist, an der sich die Strömung durch Reibung abbremsen kann. Der Grundgedanke mag richtig sein, doch die mechanischen Nachteile wiegen schwerer. "Mit vollem Tank liegt der Schwerpunkt höher", bedauert Brawn. "Das hat einen größeren Reifenverschleiß zur Folge. Deshalb fällt es uns so schwer, ein gutes Setup zu finden. Entweder es passt für die Qualifikation oder für das Rennen."

Für die Mercedes-Fahrer ist nicht mehr als der siebte Platz drin

Doch selbst wenn die Ingenieure das Fahrzeug mehr Richtung Rennen abstimmen, ist für Nico Rosberg und Michael Schumacher nicht mehr als der siebte Platz drin. Es muss schon eines der sechs Topautos ausfallen, um weiter nach vorne zu fahren. Schlimmer noch: Wenn das geringste schiefgeht, die Fahrer zum falschen Zeitpunkt im Verkehr stecken, die Reifen doch zu stark abbauen oder man mit der Strategie verzockt, dann zieht Force India vorbei. Und Sauber wird dank des extrem günstigen Reifenverschleißes zur Gefahr.

Norbert Haug und Ross Brawn können nur hoffen, dass ihre Techniker den Generalumbau des Autos möglichst bald verstehen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Damit die Saison wie im Vorjahr noch halbwegs erträglich endet.

 

 

 

Quelle: Auto Motor und Sport

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