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Erst Platz zehn, dann ins Mittelfeld

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Lotus feierte in Valencia seinen 500. Grand Prix. Einige Puristen halten das für Etikettenschwindel. Lotus-Teamchef Tony Fernandes und Technikdirektor Mike Gascoyne können mit der Kritik leben. Sie berufen sich auf die Unterstützung der Chapman-Familie.

Auf die Frage wie viel Lotus noch in Lotus steckt, antwortet Technikdirektor Mike Gascoyne gelassen mit einer Gegenfrage: "Wie viel Bruce McLaren steckt noch in McLaren?" Teamchef Tony Fernandes verweist auf die Rückendeckung der Familie von Firmengründer Colin Chapman. "Sein Sohn Clive hat sich bei mir bedankt, dass wir das Erbe des Rennstalls weiterführen. Was will ich noch mehr?"

Lotus feiert 500. Grand Prix in Valencia

Hazel und Clive Chapman waren auch nach Valencia gereist, um dort den 500. GP-Start eines Lotus zu feiern. Gascoyne ergänzt: "In Bahrain kamen der letzte Lotus-Weltmeister Mario Andretti und der frühere Teamchef Peter Warr in unsere Garage und haben gesagt: Ihr macht einen tollen Job. Sie hätten es nicht getan, wenn sie der Meinung gewesen wäre, das hier hätte gar nichts mit Lotus zu tun."

Ansonsten beschränken sich die Gemeinsamkeiten zwischen früher und heute auf einige wenige Eckpunkte. Den Sitz der Fabrik in der Grafschaft Norfolk, unweit vom alten Basislager des Rennstalls in Ketteringham Hall. Die grün-weiße Farbe der Rennautos, die an die Zeit von Jim Clark erinnert. Und Geschäftsführer Keith Saunt, der in der ersten Lotus-Ära von 1988 bis 1994 in der Finanzabteilung arbeitete. Dass es einen Unterschied zur glorreichen Vergangenheit gib, zeigt schon der offizielle Name des Teams. Was früher als Team Lotus antrat, heißt heute Lotus Racing.

Lotus-Fabrik so groß wie McLaren-Kantine

Die Fabrik in Hingham sieht so aus, als hätte sie noch zu Colin Chapmans Zeiten Dienst getan. "Sie ist ungefähr so groß wie die Kantine von McLaren", witzelt ein Mitarbeiter. Aber es ist alles da, was die 160 Mitarbeiter in dem 3.000-Seelen-Dorf brauchen: Zwei Karbonöfen, ein Supercomputer, Computergestuerte Maschinen zur Metallbearbeitung, Prüfstände zum Check von Fahrwerk und Getriebe.

"Als unser Supercomputer kürzlich ans Netz ging, hatte Hingham einen Datenausfall. Die Leute beschwerten sich, dass sie nicht mehr ins Internet kämen. Die Datenleitungen waren überlastet und der halbe Ort wurde aufgerissen, um neue IT-Technologien zu installieren", amüsiert sich Gascoyne.

Lotus plant für die Formel 1 mit 220 Mitarbeitern

Der 47-jährige Ingenieur aus Norwich war einer von vier Personen, die am 17. September 2009 versuchten, in die Fabrik zu gelangen, in der vorher Bentley seine Le Mans Autos aufgebaut hatte. "Wir mussten uns erst einmal einen Schlüssel besorgen." Inzwischen stehen 205 Mitarbeiter bei Lotus auf der Lohnliste, 45 davon im italienischen Windkanal von Aerolab. "220 werden es wohl werden", sagt Gascoyne. Hätte der Paradiesvogel unter den Technikchefs der Formel 1 nicht für einen anderen Bewerber auf einen der neuen Startplätze Vorarbeit geleistet, wären beim Saisonstart am 14. März in Bahrain nie zwei Lotus auf den Rädern gestanden.

"Wir bekamen am 14. September 2009 die Zusage der FIA. Am 17. September habe ich die Negativformen für das Chassis verabschiedet, acht Tage später haben wir die erste Nase gecrasht und am 6. Januar haben wir zum ersten Mal den Motor im fertigen Auto angelassen. Wir waren nur einen Tag hinter Plan." Pressechef Tom Webb erinnert sich: "Ein emotionaler Moment. Uns standen die Tränen in den Augen. Heute ist es Routine, wenn ein neues Chassis fertig wird."

Gascoyne durfte sich keinen Fehler erlauben

So geschehen in der Woche nach dem GP Kanada, beim Ortstermin von auto motor und sport in Hingham. Aufgrund des gedrängten Zeitplans musste Gascoyne viele Kompromisse eingehen. Das Auto wurde von einer Gruppe von Ingenieuren in einem Kölner Büro gezeichnet, die Gascoyne noch aus seiner Toyota-Zeit kannte. "Sie haben die Arbeit mit acht Leuten begonnen. Inzwischen haben wir selbst soweit aufgerüstet, dass wir die Konstruktion im eigenen Haus machen können.

"Natürlich wurde das Grundmodell zu schwer, natürlich gab es zu große Sicherheitsreserven bei der Kühlung und der Berechnung des Tanks. "Ich konnte mir keinen Fehler erlauben", entschuldigt sich Gascoyne. "Es wäre ja keine Zeit gewesen, ihn zu korrigieren." Der Prototyp stand gerade mal zwei Wochen im Windkanal. "Wir mussten erst einmal eine Richtung finden. Es dauerte eine Zeit lang bis wir wussten, wo wir mit dem ersten Chassis standen, und wo es fehlte."

Lotus Barcelona-Update bringt eine Sekunde

Ein erstes Aerodynamikpaket in Barcelona brachte die erhoffte Sekunde. Dann ging es ans Abspecken. Bis zum GP Deutschland sollen durch Leichtgewichtteile beim Fahrwerk noch 15 Kilogramm raus. "Dann können wir mehr Ballast auf die Vorderachse packen. Das hilft vor allem Jarno Trulli, der für seinen Fahrstil ein Auto braucht, dass vorne zubeißt." Auch Heikki Kovalainen erwartet sich einen Fortschritt: "Die bessere Balance wird uns zwei Zehntel pro Runde bringen." Gascoyne glaubt: "Ab Hockenheim fehlen uns nur noch zweieinhalb bis drei Sekunden zur Spitze."

Das Ziel von Lotus ist der zehnte Platz. "Wir müssen der beste der Neulinge sein", fordert Fernandes, der in Malaysia das nötige Kleingeld aufgetrieben hatte, um mit rund 70 Millionen Euro in die erste Saison zu gehen. Platz zehn bedeutet 2011 mehr Geld von Bernie Ecclestone. "Um eine Platzierung in den Top Ten sicherzustellen, haben wir zwei erfahrene Piloten angestellt", sagt Gascoyne. "Wenn es mal ein verrücktes Rennen mit einem großen Startcrash, mit Regen oder einer Defektserie gibt, dann sind Heikki und Jarno eher zu Stelle als unerfahrene, junge Piloten." Deshalb steht auch schon fest: Kovalainen und Trulli fahren auch 2011 für Lotus.

Lotus beklagt zu viele Ausfälle der Technik

Unglücklich ist Lotus-Technikchef Gascoyne nur über die Standfestigkeit: "Wir haben zu viele Ausfälle aus technischen Gründen." Acht Mal vereitelte ein Defekt eine Zielankunft. Im nächsten Jahr will der Rennstall mit dem berühmten Namen im Mittelfeld mitmischen. Deshalb hat Gascoyne mit dem Design des 2011er Autos längst begonnen. Bis auf das Bremssystem, die Lenkung und das Aufhängungskonzept wird alles neu. "Das Reglement mit neuen Reifen, dem Verbot des Doppeldiffusors und des F-Schachts sowie die Kostenbeschränkungen kommen uns entgegen", glaubt er. "Spätestens 2012 herrscht bei 90 Prozent aller Parameter Gleichstand. Wer dann einen guten Job macht, kann Rennen gewinnen oder wie Jordan 1999 eine ganz dicke Überraschung schaffen."

Quelle: Auto Motor und Sport

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