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Steuergeräte, Kabelbäume, Kondensatoren: Elektronik im Youngtimer - Elektronik ist für Klassiker gefährlicher als Rost

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Nicht mehr Rost ist der größte Feind des Autos, sondern Elektronikprobleme. Für Youngtimer-Fahrer wird die technische Komplexität der Fahrzeuge zunehmend zum Problem.

Nicht mehr nur der Rost macht Oldtimer-Liebhabern das Leben schwer. Defekte Steuergeräte und längst vergessene Codes legen Autos lahm Nicht mehr nur der Rost macht Oldtimer-Liebhabern das Leben schwer. Defekte Steuergeräte und längst vergessene Codes legen Autos lahm Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK

Von Haiko Prengel

Berlin - Rostigstes Hobby der Welt, so wird das Fahren und Pflegen von Oldtimern gern genannt. Die Autos, die in die Kfz-Werkstatt von Daniel Knoll kommen, haben ernstere Probleme als ein paar Roststellen am Blech. Sie leiden unter Elektronikproblemen. So wie der silberne Jaguar XJ6C Baujahr 1975, der gerade auf der Hebebühne steht. Das seltene und schöne Auto springt nicht mehr an. „Am Fürst der Finsternis sind schon viele Schrauber verzweifelt“, sagt Knoll und beugt er sich wieder über den Motorraum.

„Fürst der Finsternis“ klingt nach einem Fantasy-Roman, ist aber ein geflügeltes Wort unter Besitzern klassischer Jaguar. Gemeint ist damit der Elektronikhersteller Lucas, der bis in die 1990er-Jahre der britischen Automobilindustrie zulieferte. Seine Bauteile sorgen bis heute dafür, dass in klassischen Jaguar die Lichter ausgehen.

Daniel Knoll hat auch privat ein Faible für britische Klassiker. Privat fährt er ein MGB Coupé aus den Siebzigern - und einen modernen Mini Couper S Countryman Daniel Knoll hat auch privat ein Faible für britische Klassiker. Privat fährt er ein MGB Coupé aus den Siebzigern - und einen modernen Mini Couper S Countryman Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Auf dem Hof von Daniel Knolls Fachwerkstatt „Heritage Motors“ für Oldtimerelektronik in Stahnsdorf bei Berlin stehen etliche Jaguar-Wracks. „Die dienen nur noch als Teilespender“, sagt der 45 Jahre alte Elektrotechniker. Vieler der ausgeschlachteten Autos sehen auf den ersten Blick gar nicht schlecht aus. Aber wegen ihrer Elektronikprobleme lohnt es sich nicht mehr, sie zu reparieren.

Das Blech wird stabiler, die Technik anfälliger

Die Schrauberszene befindet sich gewissermaßen im Wandel. Früher starben Autos den Rosttod. Abertausende von alten Opel Kadett, VW Golf oder Mercedes Strichacht gingen in den Schrott, weil sich die Karosse in eine Ruine verwandelt hatte. Und wenn diese Fahrzeuge doch überlebt haben, sind ihre Besitzer in der Regel bis heute mit der Rostbekämpfung beschäftigt.

Je jünger Old- und Youngtimer von den Baujahren her werden, desto mehr verlagert sich das Problem in Richtung Elektronik. Die Autos, die vor 30 Jahren auf den Markt kamen und heute ins H-Kennzeichenalter kommen, waren von der Blechsubstanz oft sehr gut. Späte Exemplare von Daimlers S-Klasse-Baureihe W126 oder der Audi 80 B3 liefen mit verzinkten Blechen vom Band. Dafür wurde die Elektronik immer komplexer, und die Autos auf diesem Gebiet immer anfälliger.

„Früher gab es drei Ursachen, warum ein Motor nicht lief“, erklärt Fachmann Daniel Knoll: „Kein Sprit, keine Luft oder kein Funken.“ Wenn man in den Motorraum eines C-Kadett oder Ford Taunus aus den Siebzigern schaut, sieht es dort aufgeräumt aus. Motor, Vergaser, Zündanlage, das war's. Heute sind die Motorräume bis auf den letzten Zentimeter gefüllt mit Kabeln, Sensoren und Nebenaggregaten.

Der Golf IV hatte schon 45 Steuergeräte

Mitte bis Ende der 1980er kamen die ersten 16-Ventil- und Turbo-Motoren in Großserie heraus. Ob Opel Kadett GSi, Honda CRX oder Mercedes 190E 2.3-16: Plötzlich konnten auch Normalverdiener leistungsstarke Wagen mit 150 oder mehr PS fahren. Das Grundprinzip war bei allen Herstellern gleich: Eine optimale Brennkurve holt die bestmögliche Leistung aus dem Hubraum heraus.

"Fürst der Finsternis": Der Zulieferbetrieb Lucas hat unter Fahrern klassischer Jaguar keinen guten Ruf "Fürst der Finsternis": Der Zulieferbetrieb Lucas hat unter Fahrern klassischer Jaguar keinen guten Ruf Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Um die zusätzlichen PS aus den Maschinen herauszukitzeln, mussten immer mehr Abläufe im Motor überwacht werden: Wie gut ist der Sprit? Wie viel Luft ist im Umlauf? Verbrennt der Kraftstoff in den Brennkammern optimal? „Um das zu messen, muss es Computer geben“, erklärt Daniel Knoll. Klopfsensoren, Luftmassenmesser, Drosselklappen-Potenziometer: Überall stecken Teile, die dem Steuergerät mitteilen, in welchem Funktionszustand der Motor gerade ist.

Doch all diese Steuergeräte mit ihrer empfindlichen Peripherie können kaputtgehen. Denn die Bauteile altern genauso wie Blech. Einen rostigen Radlauf oder ein Loch im Schweller kann man schweißen. Der Grund für einen elektronischen Defekt ist meist nicht so offensichtlich. „Das kann bei modernen Autos sehr viele Ursachen haben“, so Daniel Knoll.

Im Prinzip begann die Verwendung von Steuergeräten im Automobilbau in großen Stückzahlen bereits 1967, als Volkswagen die Bosch Jetronic einführte. Auch Steuergeräte wurden bereits in den 1970ern verbaut, allerdings war ihre Anzahl noch begrenzt. Hatte ein Golf II bloß zwei Steuergeräte (für Motor und Schubabschaltung), waren es beim Golf III schon vier (Motor, ABS, Airbag, Automatikgetriebe) und beim Golf IV dann 45 Steuergeräte.

Kleines Problem, langwierige Suche

„Das war ein Sprung in der Komplexität“, unterstreicht Stephan Joest, Elektronikexperte beim Oldtimer-Dachverband Deuvet in Düsseldorf. Eindrückliches Beispiel sei der VW Phaeton, der bereits auf dem Weg zum Youngtimer ist. In der Limousine stecken drei Bussysteme (Antrieb, Komfort, Info), ein optionaler Bus, diverse Sub-Bussysteme, 61 Electronic Control Units, 250 CAN Bus Messages, 2.500 Signale, 3.860 Meter Kabel und 2.110 Kabelzuschnitte. „Also hochkomplex und statistisch betrachtet hochanfällig“, so Joest.

Wegen der überbordenen Elektronik sind Hobbyschrauber beim XJ40 schnell überfordert Wegen der überbordenen Elektronik sind Hobbyschrauber beim XJ40 schnell überfordert Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Das Ziel des Dachverbands ist der Erhalt von automobilem Kulturgut. Daher betrachtet der Deuvet die Entwicklung mit Sorge. Eine normale Kfz-Werkstatt sei in der Regel nicht in der Lage, die Funktionsweise von Elektronikkomponenten zu verstehen – „außer man schließt ein Diagnosegerät an“, erklärt Joest. Aber selbst dann weiß man unter Umständen nur, welches Bauteil ein Problem hat. Aber nicht, welches.

Bei einem Jaguar XJ40 suchte Oldie-Elektriker Knoll fünf Stunden. Beim XJ40 hat das Antiblockiersystem ein eigenes Steuergerät, es sitzt im Motorraum unter dem Bremsflüssigkeitsbehälter und spuckte eine Fehlermeldung aus, dass das ABS nicht mehr funktioniert. Schuld war ein korrodierter Kontakt des Sensors am Vorderrad, der das System abstürzen ließ. Knoll wechselte die Zuleitung vom Sensor zum Kabelbaum aus und das Problem war gelöst.

Oft reicht das leider nicht: „Manchmal muss ich Kunden auch sagen, dass man ihr Auto nicht mehr zu vertretbaren Kosten reparieren kann“, sagt Knoll. Der Jaguar XJ40 ist ein Auto, mit dem sich viele Youngtimer-Liebhaber verheben. Die Edel-Limousinen kosteten einmal ab 80.000 Mark, heute gibt es sie für 3.000 Euro und weniger. Denn der schicke Klassiker mit seinen vielen Komfortextras ist anfällig. Im Alter gehen diese Extras oft kaputt. Dann wird ein vermeintliches Schnäppchen schnell zum Groschengrab.

Wenn ein W140 erst einmal anfängt zu spinnen ...

Als deutsches Paradebeispiel gilt hier Daimlers S-Klasse der frühen Neunziger Jahre, der W140. Automatisch schließende Türen, Einparkhilfe, diverse Fahrassistenten: Für den W140 ließen sich die Ingenieure wunderbare Dinge einfallen. Im Alter fängt die komplexe Elektronik dahinter häufig an zu spinnen. Und wenn so ein W140 erst einmal anfängt zu spinnen, „dann ist man als gewöhnlicher Schrauber verloren“, sagt Daniel Knoll.

Auch die E-Klasse W124 reicht aus, um den Mut zu verlieren. Tobias Melchow fährt seit einem Jahr einen W124, der wegen seiner soliden Bauweise gerne als „letzter echter Mercedes“ bezeichnet wird. Doch seit einigen Monaten plagen den 22 Jahre alten Wagen seltsame Motorenaussetzer bei höheren Umdrehungen.

Seine Werkstatt tippte auf einen maroden Kabelbaum und wechselte das Teil aus. Neupreis bei Daimler: 800 Euro, ohne Einbau. Doch die Motoraussetzer blieben. Inzwischen ist die Drosselklappe im Verdacht. Auch der Luftmassenmesser, das Überspannungsrelais oder der Nockenwellensensor kommen in Frage. „Langsam bin ich am Verzweifeln“, klagt Youngtimerfahrer Melchow.

Immerhin gibt es für eine 1990er-Jahre-E-Klasse noch genug Ersatzteile. Bei anderen Modellen und Herstellern sieht es anders aus, meist lautet die Antwort: „Nicht mehr lieferbar.“ Auch Jaguar-Fahrer kennen dieses Problem, Beispiel: Lucas-Steuergeräte. Funktioniert so eines nicht mehr, ist es schwer bis unmöglich, Ersatz aufzutreiben. Auch der silberne XJ6C auf der Hebebühne bei Heritage Motors hat Lucas-Bauteile eingebaut.

Exemplarisch hält Daniel Knoll ein Motorsteuergerät für einen Jaguar XJS hoch. „Viele Steuergeräte gibt es nicht mehr neu“, erklärt der 45-Jährige. Tauche so ein Teil mal irgendwo auf dem Markt auf, sei es Goldstaub. „Das kann auch gerne bis zu 2.000 Euro kosten.“ Dafür bekommt man schon fast einen neuen alten Jaguar.

Verband nimmt Hersteller in die Pflicht

„Natürlich wünschen sich Youngtimer- und Oldtimer-Besitzer, elektronische Bauteile direkt vom Hersteller oder zumindest von Aufbereitern beziehen zu können“, sagt Stephan Joest vom Deuvet. Für Motorsteuergeräte sei dies noch wahrscheinlich, weil diese essenziell für den Betrieb seien. „Convenience-Funktionen wie Klimaanlage oder Sitzverstellung werden dagegen eher nachrangig bedient – hier regelt die Nachfrage das Angebot.“

Beim Jaguar XJ40 hat das ABS-System ein eigenes Steuergerät - verborgen unter dem Behälter der Bremsflüssigkeit Beim Jaguar XJ40 hat das ABS-System ein eigenes Steuergerät - verborgen unter dem Behälter der Bremsflüssigkeit Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Um die Versorgung mit elektronischen Ersatzteilen zu sichern, fordert der Deuvet von den Automobilherstellern „strategische Maßnahmen“ wie zum Beispiel die Archivierung von Quellcodes und begleitenden Medien sowie von Software und Hardware. „Hilfreich wäre auch die Entwicklung von Emulatoren, die in der Lage sind, sogenannte Binaries von frühen Chipsets ausführen zu können, ohne diese rekompilieren zu müssen.“

Mit dieser Technik kann man heute auf einem Smartphone alte Gameboy-Spiele spielen, ohne die Gameboy-Hardware zu besitzen. „Das Prinzip ist dasselbe“, so Joest. Letztlich sieht der Deuvet die Sache optimistisch. Die zunehmende elektronische Komplexität von Youngtimern könne dazu führen, dass sich neue Arbeitsfelder ergeben, zum Beispiel der Beruf des „digitalen Restaurators“ oder „digitalen Archivars“.

"Leider oft Wegwerf-Autos"

Praktiker Knoll aus Stahnsdorf ist da skeptischer. Im Moment gehört er zu den wenigen Experten für die Elektrik alter Autos. „Elektrik will kaum jemand machen“, sagt der 45-Jährige. Denn es ist aufwändig. 20 Inspektionen lohnen sich für eine Werkstatt mehr, als eine stundenlange Fehlersuche bei einem alten Auto. Und die Sache wird immer komplizierter.

Als Privatwagen fährt Daniel Knoll einen Mini Cooper S, der selbst den studierten Elektroniker überfordert. „Das ist ein komplett softwaregesteuertes Auto“, sagt er. „Da mache ich nichts mehr selber. Weil es nicht mehr geht.“ Selbst wenn er die unzähligen Steuergeräte auslesen könnte, sind sie so eingebaut, dass man nicht mehr an sie herankommt. Und wenn doch, lassen sie sich nicht öffnen – oder höchstens mit Gewalt.

Knolls Prognose: In 10, 12 Jahren wird sein Mini eines Tages liegen bleiben, mit verrücktspielenden Displays und maladen Kondensatoren, die alle Steuergeräte lahmlegen. „Moderne Autos sind eben leider oft Wegwerf-Autos“, sagt Daniel Knoll.

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