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Das Protokoll einer Farce

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Haben Sie eigentlich verstanden, worum es beim Auspuffkrieg in Silverstone ging? Wir erklären den Affentanz um Drosselklappen und Walzenschieber. Das Protokoll zeigt, dass die Formel 1 in England keine gute Figur machte.

FIA-Rennleiter Charlie Whiting war ein armer Hund. Alle 30 Minuten stand eine andere Delegation vor der Tür des Rennleiters. Im Arm der Emissäre ein Berg Dokumente, deren Inhalt nur Motoreningenieure verstehen. In den Gesprächen mit Teamchefs und Fahrzeugtechnikern gewann man oft den Eindruck, dass nicht einmal die wussten, was richtig und was falsch war.

Worum ging es? Die FIA wollte das aktive Anblasen des Diffusors in Phasen des Gaswegnehmens unterbinden. Doch das stellte sich als äußerst komplex, ja fast unmöglich heraus. Ein Team sah immer einen Nachteil für sich. Die einen, weil sie ihr Autokonzept auf diese Technik getrimmt hatten. Die anderen, weil sie argumentierten, dass diese Technik streng genommen illegal sei. Was die FIA in Valencia auch bestätigt hatte.

Nach der Zwischenlösung von Valencia, wo es lediglich verboten war, die Motoreinstellungen zwischen Training und Rennen zu ändern, sollte der Auspuffblaserei in Silverstone endgültig der Garaus gemacht werden.

FIA versucht auf Wünsche einzugehen

Der Fehler begann damit, dass man zu viel auf die Klagen der Motorhersteller hörte. Die argumentierten, dass die Einstellungen zur Erzeugung von Auspuffgasen in einer Phase, in der es eigentlich gar keine Auspuffgase geben dürfte, auch dazu bestimmt seien, das Leben der Motoren zu verlängern. Das konnte man glauben oder auch nicht.

Selbst für die FIA-Spezialisten war es schwierig festzustellen, ob alle vorgebrachten Punkte der Wahrheit entsprachen. Das führte zu einem Gefeilsche wie auf einem Teppichbasar in Teheran. Die FIA schwankte zwischen einem harten Kurs und individuellen Zugeständnissen für einzelne Motorenhersteller, je nach Bauart des Triebwerks.

Zwei Motoren-Konzepte: Drosselklappen und Walzenschieber

Das Problem dabei ist, dass die vier Motoren nicht baugleich sind. Renault und Ferrari verwenden Drosselklappen, Mercedes und Cosworth Walzenschieber. Drosselklappen haben baubedingt Nachteile bei Vollgas und beim Ansprechverhalten bis zehn Prozent Gaspedalstellung, sind aber besser im Bereich dazwischen.

Damit begannen die Diskussionen. Unter dem Vorwand, dass man sich Sorgen um die Standfestigkeit der Motoren mache, kämpfte jeder um möglichst viele Zugeständnisse. Man argumentierte mit Einstellungen von 2009, einer Zeit, in der die Auspuffgase noch nicht als aerodynamisches Hilfsmittel eingesetzt wurden. Im Hinterkopf immer mit dem Ziel, dass am Auspuff im Schleppbetrieb doch noch genug Gas ankommt, um die Abtriebsverluste zu minimieren. Ab 30 Prozent Drosselklappenöffnung hätte sich auch der aerodynamische Effekt nämlich wieder bemerkbar gemacht.

Red Bull kämpft um Auspuffgase

Die Lobbyisten gaben sich vor Charlie Whitings Büro die Türklinke in die Hand. Dabei wurde nicht immer sachlich argumentiert. Sogar gefälschte Daten von 2009 sollen präsentiert worden sein. Red Bull entfachte den größten Wirbel. Technikchef Adrian Newey hatte genauer nachgerechnet und war zu der Erkenntnis gekommen, dass sein Auto und der Renault unter dem Verbot am meisten zu leiden hätten.

"Weil das Konzept unserer Autos auf diese Technik ausgerichtet wurde." Mark Webber gestand Timo Glock bei einer Fahrradtour um die Rennstrecke am Donnerstag: "Wenn das Verbot kommt, haben wir auf bestimmten Rennstrecken ein Riesenproblem." Der nach vorne angewinkelte Red Bull RB7 braucht einen konstanten Auspuffstrahl, um den Diffusor seitlich gegen Luftwirbel abzudichten, die zu Strömungsabrissen führen könnten.

Renault legt alte Vergleichsdaten vor

Teamchef Christian Horner kontaktierte sogar FIA-Präsident Jean Todt, um das Schlimmste abzuwenden. Man reichte Datenblätter ein, wonach 2009 die Drosselklappen im Schleppbetrieb um 50 Prozent geöffnet und bei sechs statt nur vier Zylindern eingespritzt und gezündet wurden. Allerdings nur in Ausnahmefällen.

Renault verhindert dadurch den so genannten Blow-by. Das Öffnen der Drosselklappen im Schleppbetrieb spannt die Kolbenringe für den Moment vor, wenn der Fahrer wieder Gas gibt. Blieben die Drosselklappen komplett geschlossen, würden die Ringe beim Gasgeben anfangen in ihren Sitzen zu schwingen. Das erhöht den Druck im Kurbelhaus und kann zu Motorschäden führen.

FIA reagiert vorschnell auf Renault-Klagen

Die FIA-Techniker zeigten Renault zunächst die kalte Schulter, ließen sich dann aber doch erweichen, als Newey neue Beweismittel aus dem Jahr 2009 einreichte. Das erste Training war gerade 17 Minuten alt, als McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh eine E-Mail mit brisantem Inhalt ins Postfach flatterte. Renault und damit auch Erzfeind Red Bull wurde eine Spezialbehandlung zuteil. Dass Ferrari wegen des baugleichen Motors das gleiche Sonderrecht zustand, wurde in der ganzen Aufregung zunächst übersehen.

McLaren konfrontierte Whiting daraufhin mit Studien, dass der Luftdurchsatz bei 50 Prozent geöffneten Drosselklappen bis zu 70 Prozent beträgt und die dementsprechende Menge auch am Auspuff ankomme. "Ein klarer Wettbewerbsvorteil", polterte Whitmarsh, "weil die Aerodynamik davon profitiert. Wir haben bei zehn Prozent Öffnen der Walzenschieber einen Verlust von 30 bis 40 Punkten Abtrieb errechnet." Überraschenderweise litt McLaren in Silverstone mehr unter dem Verbot als Red Bull.

FIA rudert wieder zurück

Simulationen von Mercedes ergaben einen Vorteil von einer halben Sekunde für Red Bull bei den ungleichen Rahmenbedingung. Also wieder Kommando zurück. 45 Minuten vor Beginn des dritten Trainings erklärte die FIA, dass eine zehn prozentige Öffnung im Schleppbetrieb für alle Teilnehmer bindend sei. Also zehn statt 100 Prozent Luftdurchsatz, Einspritzen und Zünden bei vier statt acht Zylindern.

Damit war sichergestellt, dass der Auspuffstrahl im Schleppbetrieb des Motors nicht für die Aerodynamik zweckentfremdet wird. "Die kleinen Teams hätten in der Kürze der Zeit keine Chance mehr gehabt, ihre Autos auf die geänderten Bedingungen umzutrimmen", begründete Whiting die Kehrtwende, die wiederum Red Bull auf die Palme brachte.

Renault profitiert auch von der Nachzündung

Horner konterte, dass die Mercedes-Teams das Geschenk der Spätzündung auf vier Zylindern bekommen hätten. Also stehe den Renault-Teams auch ein Entgegenkommen zu. Das war aber nur die halbe Wahrheit. Renault profitiert von der Nachzündung sogar noch mehr. Der so genannte Vierzylinder-Modus verbessert das für die Drosselklappentechnik kritische Ansprechverhalten auf den ersten zehn Prozent Gaspedalstellung.

Die Walzenschieber-Steuerung hat da Vorteile, wie Mercedes-Chefkonstrukteur Andy Cowell erklärt: "Bei Walzenschiebern bleiben an den Kanten der Walze Spritreste hängen. Die werden beim Beschleunigen mit verbrannt und reichern so das Gemisch in der ersten Phase der Beschleunigung an."

Renault-Ingenieur Remi Taffin atmet auf, dass man inzwischen wieder auf den Stand Valencia zurückgekehrt ist: "Durch das Einspritzen und Spätzünden aller acht Zylinder im Schleppbetrieb konnten wir den Nachteil unserer Drosselklappen in dem kritischen Bereich komplett kaschieren. Wir haben deshalb sogar die Steuerung der Drosselklappen vereinfacht. Ein komplettes Verbot hätte uns vor ernsthafte Schwierigkeiten gestellt. Der Vierzylinder-Modus erlaubt es uns wenigstens, so schnell wie möglich aus der Zone von null bis zehn Prozent Gaspedalstellung rauszukommen. Auf einer Skala von eins bis zehn hätten wir bei der Fahrbarkeit unseres Motors gegenüber der Nulllösung dann nur noch ein bis zwei Punkte verloren."

Sauber und Ferrari stellen sich quer

Red Bull lenkte schließlich für Silverstone ein und hoffte auf Kompromissbereitschaft der Gegner für den Rest der Saison. Man wollte wieder zurück zu den Regeln von Valencia. Anblasen ist erlaubt mit der Einschränkung, dass die Motoreinstellungen im Training und Rennen identisch sein müssen.

Sauber machte Red Bulls Plan zunächst einen Strich durch die Rechnung. Die Schweizer hatten eine teure Unterbodenentwicklung auf Eis gelegt, weil sie davon ausgingen, dass Anblasen verboten wird. Bei der entscheidenden Abstimmung zwei Stunden vor dem Rennen wagte sich auch Ferrari erstmals aus der Deckung und legte ein Veto ein.

Einigung im Sinne des Sports

Nach der Zielflagge löste sich die hektische Betriebsamkeit rund um den Auspuff plötzlich in Wohlgefallen auf. Auch Ferrari und Sauber gaben ihren Segen. Im Sinne des Sports. Auch wenn die Formel 1 für den Rest der Saison mit einer Technik fährt, die dem Buchstaben des Gesetzes nach illegal ist.

Die Rückkehr zur Valencia-Regel ist dennoch die sauberste Lösung. Ein Verbot mitten in der Saison bestraft die Teams, die in gutem Glauben Entwicklungsarbeit auf der Basis einer Technik gemacht haben, die zu Saisonbeginn noch legal war. Trotzdem war es wichtig, den Streit so schnell wie möglich zu beenden. Lotus-Teamchef Tony Fernandes sprach aus, was alle denken: "Ich verstehe hier nur Bahnhof. Und die Fans auch."

 

 

 

Quelle: Auto Motor und Sport

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