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Lesestoff: Vor 50 Jahren wirft Opel einen Amerikaner auf den deutschen Automarkt

Opel Admiral A
Themenstarteram 1. Februar 2014 um 10:16

Vor fünfzig Jahren

Opel wirft einen Amerikaner auf den deutschen Automarkt

Im unerbittlichen Kampf um Marktanteile bläst die deutsche GM-Tochter zum Angriff mit amerikanischem Design

 

Kennen Sie noch das süße handtellergroße Kleingebäck von der Handwerksbäckerei um die Ecke? Oben eine Kuppel, meist unverziert und unten die komplette Unterseite aus Zuckerguss? Das war beim Bäcker ein „Amerikaner“ und für uns Kinder katapultierte das in unseren Fantasien in die süße „Neue Welt“. So mußte es dort sein: Tiefer, größer, breiter.

Mit diesen Attributen wurde auch das Design des neuen Oberklasse-Opels belegt, dessen Produktion vor fünfzig Jahren, im Februar 1964, in Rüsselsheim begann.

Mit 4,85 m Länge und 1,90 m Breite war das Auto im amerikanischen Gewand 12 cm länger und 9 cm breiter als das Vorgängermodell und erschienen wie aus einer anderen Welt. Das noch vor Verkaufsbeginn eilends an die knapp 3000 Händler versandte Verkäufer-Handbuch bemüht sich das neue glattflächige Design entsprechend aufzubereiten: „Auf übertriebenen Chrom-Zierrat wurde bewußt verzichtet. Die bisherigen Chromleisten in der Rumpfmitte wurden weggelassen. An ihre Stelle tritt durch geschickte Konturengestaltung eine durchgehende Lichtkante, die geradlinig vom Scheinwerfer bis zum Schlußlicht verläuft. Durch die Lichtkante wird – wie in der Architektur – eine klare Gliederung der Flächen erreicht, wodurch die Wagen noch niedriger und langgestreckter wirken.“

Design als Angriff auf die Konkurrenten Mercedes 220 SE und BMW V8 – das scheint die Devise der Strategen in Rüsselsheim gewesen zu sein, die durch Highlights in der Ausstattung (V8-Motoren im Admiral und Diplomat) bei moderaten Preisen im oberen Segment unbedingt punkten wollten.

»Die Mehrheit der potentiellen Käufer entschied sich dennoch für die zwei teureren, aber mehr Wohlstand ausstrahlen Sechszylindermodelle des Konkurrenten Daimler Benz. Wir mussten, sagte Opels-Chef Ingenieur Hans Mersheimer, den deutschen Geschäftsmann endlich ein paar höhere Sprossen auf der Leiter anbieten.«, wußte der Spiegel zu berichten.

Im Spitzenmodell Diplomat werkelte ein V8 Motor mit 190 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 200 km/h (preis 17.500,- DM). Der aus dem Vorgänger stammende Sechszylinder arbeitet im Modell Kapitän mit 100 PS bei 155 km/h Spitzengeschwindigkeit (10.990,- DM). Im Modell Admiral, technisch mit dem Kapitän identisch, erhält man für 1200 Mehrpreis eine höherwertige Ausstattung. Würde damit der Angriff auf die Oberklasse gelingen?

Um diese heikle Aufgabe lösen zu können, vertrauten die Planer der Konzernmutter GM allein dem ureigenen Designstudio in Detroit. So entstand die Form der neuen Serie A weitestgehend in den USA. Den Europäern im fernen Rüsselsheim kam dabei lediglich die Aufgabe zu „produktionstechnische Kriterienerfüllung“ zu garantieren, erinnerte sich später Ex-Design-Deutschland-Chef Killmer.

„Aus welcher Perspektive man diese Karroserie auch betrachten mag, sie ist meisterhaft gestaltet.“ so das Verkäufer-Handbuch 1964, „funktional perfekt, als Ausdruck des Stilempfindens des modernen Menschen aber nicht weniger überzeugend – so präsentieren sich die 'Großen Drei' von Opel.“

In „einem der modernsten Automobilwerke der Welt“ wurden, bei identischer Karosserie gleich drei Fahrzeuge mit den klangvollen Namen „Kapitän“ und „Admiral“ produziert, ab Herbst 1964 auch der „Diplomat“. Dem „American style“ des KAD dieser Serie A stand man wohlwollend bis skeptisch gegenüber. Den Käufern in Deutschland wurden daher besonders „solide Konstruktion und weitgehende Wartungsfreiheit“ sehr ans Herz gelegt. Fahrzeuge anderer europäischer Hersteller wirkten alt und verstaubt. Insbesondere dem nach Absatzzahlen im Segment der Oberklasse nur wenig weiter vorn liegenden Mitbewerber Mercedes wollte man die begehrten Kunden aus der gut verdienenden und aufstrebenden Mittelschicht abjagen, was auch Opels aggressive Preispolitik erklärt. Ganze 6000,- DM Preisdifferenz zum nur mit einem Sechszylinder ausgestatteten Mercedes 220 SE waren für den Diplomat mit seinem V8 ein schlagendes Argument. Im März wurden die endgültigen Preise bekanntgegeben:

Die Händler erwarteten 10.990,- DM für den Kapitän (zum Vergleich 500,- DM mehr als für einen Mercedes 190 mit vier Zylindern).

Der Rivale für den Mercedes 220 und 220 SE wurde der Opel Admiral mit einem Verkaufspreis von 12.200,- (der damit 1550,- DM oder 3250,- DM günstiger war).

Das Preisduell schließlich gegenüber dem Mercedes 300 SE gewann klar der Diplomat V8, mit einem Verkaufspreis von 17.500,- DM. Für diese Differenz zwischen Mercedes und dem weit günstigeren Opel Diplomat mit seinem V8-Motor hätte man einen neuen Opel Kadett oder VW Käfer kaufen können.

Aber neben den inneren Werten setzten die Strategen aus Detroit vor allem auf das amerikanische Design, mit dem Opel die Marktführerschaft zuletzt in den fünfziger Jahren endlich zurückerlangen wollte, mit einem „jungen und supermodernen Automobil“, das vor allem in der Luxusversion, dem Admiral „als Inbegriff für schwere Luxus-Limousinen“ als großer alter Name bei anspruchsvollen Autofahrern nach wie vor lebendig sein müßte.

In der Werbung wurden vor allem junge und karriereorientierte Menschen angesprochen, ganz anders z.B. bei Mercedes, das sich zu dieser Zeit eher an die arrivierte (zuweilen staatsmännische) Kundschaft richtete. Würde das Kalkül des „american way of life“ aufgehen?

Die Zeit der zahlreichen Chromleisten und überbordenden Heckflossen bei barock-schwelgenden Formen neigte sich unaufhörlich dem Ende zu. Bereits mit dem Opel Rekord war in der Mittelklasse ein äußerst erfolgreiches Fahrzeug vorgestellt worden, was dem Konkurrenten Ford mit seinem 17M Paroli zu bieten wußte. Selbst in der Kleinwagenklasse stand mit dem Kadett und seinen bereits 250.000 verkauften Einheiten als Herausforderer des VW Käfer ein leistungsfähiges Auto bei den Händlern.

Mit dem neu vorgestellten KAD suchte man 1964 die erfolgreiche Fahrzeugpalette nach oben hin abzurunden als „die dezent, aber eindrucksvoll gesteigerte Eleganz der äußeren Erscheinung“.

Dem neuen Styling konstatierten Fachjournalisten, im Zusammenhang mit einer breit angelegten Werbekampagne beginnend am 18.4.1964, denn auch „Geglückt ist den Formgebern die Aufgabe, viel Blech und wenig Chrom zu einer Harmonie zu bringen. Vereinfacht sind die Armaturen des Diplomat – so will es eben der Komfortwagen: Nichts überflüssiges!“

Fünfzig Jahre danach läßt sich die Frage, aus wessen Feder dieser amerikanischste aller Opel stammt, nicht sicher beantworten. Aber es gibt einige sachdienliche Hinweise:

Im Dezember 1958 wird Bill Mitchell (1912-1988) neuer Designchef in Detroit. Unter seiner Ägide werden Pläne für ein „personal luxury car“ weiterentwickelt.

Dabei will er sich vorsichtig gegen „oversized fins“ und „abundant chrome“ seines Vorgängers und Exchefs Harley Earl abgrenzen. Während eines Londonaufenthaltes beobachtet Mitchell an der Auffahrt zum Claridge's Hotel einen Rolls-Royce, im Karroserieaufbau von Hooper & Co., der häufig Rolls-Royce-Chassis verwendet. Zurück in den USA soll er seinem Designer Ned Nickles aufgefordert haben, diese geschwungene Linie mit der langgestreckten, sportlichen Form eines Ferrari zu verbinden.

Cadilac und Chevrolet, beides GM-Töchter der Oberliga, lehnen die Entwürfe ab. Im mittleren Preissegment von Pontiac, Oldsmobile und Buick kommt es zur Ausschreibung, die Buick nach hartem Ringen für sich entscheiden kann. Mitchells Plan wird nahezu unverändert in nur eineinhalb Jahren zur Produktionsreife gebracht. Im Oktober 1962 läuft die Serienproduktion an. Bei einem Radstand von 2,93 m und einer Länge von 5,28 m verfügt der Buick Riviera über ein Fullsize-Frame mit sogenanntem Kreuzrahmen-Chassis und ist dabei sogar 15 cm kürzer als andere Buicks.

Markantes Erkennungszeichen des Entwurfs ist nicht nur das Coke-Bottle-Design der hinteren Heckpartie, sondern auch die Frontlinie, die einem gedachten W folgt, oder steht es gar für ein umgekehrtes M, wie Mitchell?

Dieser auf dem Pariser Autosalon erstmals präsentierte Buick Riviera stand für das neue GM-Design, mit dem auch die Stylisten in Detroit den europäischen Geschmack treffen wollten, zumal der Buick bei europäischen Journalisten sehr positiv aufgenommen wurde. Die neue Sachlichkeit entsprach dem Zeitgeist, weg vom überbordenden Chromzierat. Die rahmenlosen, vollständig versenkbaren Scheiben würden dem späteren Coupé des Opel Diplomat Pate stehen. Ein neuer Stil war geboren, der zusammen mit dem Design der Corvette Sting Ray (ebenfalls aus Mitchells Designstudios stammend) für die nächsten fünfzehn Jahre für GM stilbegründend sein würde.

Im Dunstkreis dieser designerischen Meilensteine werden in den Studios erste Entwürfe für eine europäische Version entwickelt und als Modell nach Rüsselheim zur Produktionsplanung geschickt. Das charakteristische Coke-Bottle-Design wird weggeglättet und scheint beim späteren Serienmodell nur noch schwach durch in der nach hinten breiter wirkenden Heckpartie (Spurweite vorn 1,49 m und hinten 1,51m). Auch die „W-Front“ wird vorsichtig begradigt.

Daß der europäische Wagen kürzer werden würde als ein Buick verstand sich von selbst. Und dennoch wird der Amerikaner in Rüsselsheim zum größten Fahrzeug, was Opel je auf die Räder stellt.

Neben der durchgehenden Frontsitzbank im Kapitän beflügeln die Fantasie zukünftiger Admiralbesitzer die Liegesitze. Stahlkurbeldach, Nebelleuchten, Rückwandscheibenentfeuchter und Servolenkung sind die erhältlichen Zusatzausstattungen.

Im Spitzenmodell des Diplomat locken elektrische Fensterheber, ein verschließbarer Ablagekasten zwischen den Frontsitzen, Nußbaumfurnier-Auflagen an der Instrumententafel und der V8-Motor.

Die V8-Motorisierung des Diplomat mit einem 4,6-Liter-Motor mit 190 PS fällt völlig aus dem Rahmen. Dieser Motor katapultiert den Diplomat in seinerzeit sagenhaften 11 Sekunden von 0 auf 100 km/h bis zu einer prestigeträchtigen Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h. Im später lieferbaren Coupé werkelt sogar ein 5,4-Liter-Achtzylinder mit 230 PS. Doch von diesem Boliden werden bei Karmann in Osnabrück nur 347 Exemplare gebaut.

Der Autotester der zeitschrift Auto, Motor und Sport meint 1965 (Heft 3): „Der Diplomat ist ein amerikanisches Auto“ (...) Mit diesen Motoren werden eine Menge Probleme gelöst. Während ein Dreiliter seine 160 oder 190 PS nur unter Aufwendung hoher konstruktiver und metallurgischer Kunst hergibt, schüttelt der 4,7 Lieter sie sozusagen aus dem Ärmel.“

Die Tester lobten „ (...) obwohl das Auto mit einer Gesamtlänge von fast fünf Metern als groß gelten kann, wirkt es keineswegs unhandlich. Im Gegenteil – der im Verhältnis angemessene Wendekreis von 12 Metern und die ausgezeichnete Übersichtlichkeit der Karosserie nehmen auch dem Unerfahrenen bald die Furcht (...).“

Im Innern des KAD geht es aufgeräumt und sachlich zu: Das Zwei-Speichen-Lenkrad (im Admiral zweifarbig lackiert) zusammen mit der serienmäßig vorhandenen Lenkradautomatik oder Schaltung läßt tatsächlich amerikanisches Straßenkreuzer-Feeling aufkommen. Der futuristische Walzentacho leuchtet grün bis 50, orange bis 100 km/h und darüber rot. „Einstecktaschen an den Türen, drei elastische Haltegriffe seitlich an den Dachrahmen, zwei Innenleuchten im Fond, Leselampe und Beleuchtung für Ascher und Zigarrenanzünder (!) an der Instrumententafel. Armstützen an allen Türen, hinten mit eingebauten Aschern.“ flötet der Verkaufsprospekt zum KAD.

Dem in der Presse konstatierten etwas an Durchzug fehlenden 2,6-Liter-Motor ersetzt Opel 1965 durch einen mit 125 PS leistungsstärkeren Motor, der ab September 1967 schließlich durch einen 145 PS starken Motor abgelöst wird. Auch der ab Oktober 1966 lieferbare V8-Motor mit 230 PS kann die Verkaufszahlen nicht wesentlich beeinflussen und schließlich zeichnet sich ab, daß allen Werbebemühungen zum Trotz, die A-Serie des KAD glücklos hinter den Erwartungen des Opel-Managements liegt. Der Amerikaner in Rüsselsheim ist angezählt, im November 1968 wird die Produktion eingestellt.

Vom Kapitän A werden zwischen April 1964 und Ende 1968 insgesamt 24.249 Einheiten verkauft. Obwohl der Admiral teurer ist verkauft er sich von Februar 1964 bis November 1968 am besten, mit 55.876 Einheiten. Das Flagschiff Diplomat wird in den Jahren 1964-68 genau 9152 mal geordert. In einer Spiegel Umfrage loben 30 % der Admiral Fahrer besonders die elegante repräsentative Karosserieform.

Die in die Knie sackenden Verkaufszahlen veranlassen Opel zu einem Modellwechsel des KAD, der sogenannten Serie B. Deren designerische Neugestaltung liegt nun zwar mehr in Rüsselsheimer Händen (eine gewissen GM-Handschrift läßt sich auch hier finden), die auch prompt das Fahrzeug um 5 cm in der Länge und Breite kürzen. Aber auch die Serie B kann nicht an die alten Erfolge anknüpfen. Opels Schlacht in den Zulassungszahlen neuer Fahrzeuge gegen die Mitbewerber Mercedes und BMW ist für lange Zeit verloren.

Am „KAD“ Serie A als Zeugnis des Wandels im Automobildesign läßt sich die Entwicklung zu einer „Neuen Sachlichkeit“ gut erkennen. Die sich heute in Liebhaberhände befindlichen Exemplare erfreuen sich in der Sammler- und „Oldtimer-Szene“ einer wachsenden Wertschätzung. Vergleichsweise weniger Exemplare als vom ewigen Mitbewerber Mercedes machen den KAD A auch fünfzig Jahre nach seiner Vorstellung nicht nur für Kenner zu einem „Genuß im Stil der Neuen Zeit“.

Peter Ewers

Beste Antwort im Thema
Themenstarteram 1. Februar 2014 um 10:16

Vor fünfzig Jahren

Opel wirft einen Amerikaner auf den deutschen Automarkt

Im unerbittlichen Kampf um Marktanteile bläst die deutsche GM-Tochter zum Angriff mit amerikanischem Design

 

Kennen Sie noch das süße handtellergroße Kleingebäck von der Handwerksbäckerei um die Ecke? Oben eine Kuppel, meist unverziert und unten die komplette Unterseite aus Zuckerguss? Das war beim Bäcker ein „Amerikaner“ und für uns Kinder katapultierte das in unseren Fantasien in die süße „Neue Welt“. So mußte es dort sein: Tiefer, größer, breiter.

Mit diesen Attributen wurde auch das Design des neuen Oberklasse-Opels belegt, dessen Produktion vor fünfzig Jahren, im Februar 1964, in Rüsselsheim begann.

Mit 4,85 m Länge und 1,90 m Breite war das Auto im amerikanischen Gewand 12 cm länger und 9 cm breiter als das Vorgängermodell und erschienen wie aus einer anderen Welt. Das noch vor Verkaufsbeginn eilends an die knapp 3000 Händler versandte Verkäufer-Handbuch bemüht sich das neue glattflächige Design entsprechend aufzubereiten: „Auf übertriebenen Chrom-Zierrat wurde bewußt verzichtet. Die bisherigen Chromleisten in der Rumpfmitte wurden weggelassen. An ihre Stelle tritt durch geschickte Konturengestaltung eine durchgehende Lichtkante, die geradlinig vom Scheinwerfer bis zum Schlußlicht verläuft. Durch die Lichtkante wird – wie in der Architektur – eine klare Gliederung der Flächen erreicht, wodurch die Wagen noch niedriger und langgestreckter wirken.“

Design als Angriff auf die Konkurrenten Mercedes 220 SE und BMW V8 – das scheint die Devise der Strategen in Rüsselsheim gewesen zu sein, die durch Highlights in der Ausstattung (V8-Motoren im Admiral und Diplomat) bei moderaten Preisen im oberen Segment unbedingt punkten wollten.

»Die Mehrheit der potentiellen Käufer entschied sich dennoch für die zwei teureren, aber mehr Wohlstand ausstrahlen Sechszylindermodelle des Konkurrenten Daimler Benz. Wir mussten, sagte Opels-Chef Ingenieur Hans Mersheimer, den deutschen Geschäftsmann endlich ein paar höhere Sprossen auf der Leiter anbieten.«, wußte der Spiegel zu berichten.

Im Spitzenmodell Diplomat werkelte ein V8 Motor mit 190 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 200 km/h (preis 17.500,- DM). Der aus dem Vorgänger stammende Sechszylinder arbeitet im Modell Kapitän mit 100 PS bei 155 km/h Spitzengeschwindigkeit (10.990,- DM). Im Modell Admiral, technisch mit dem Kapitän identisch, erhält man für 1200 Mehrpreis eine höherwertige Ausstattung. Würde damit der Angriff auf die Oberklasse gelingen?

Um diese heikle Aufgabe lösen zu können, vertrauten die Planer der Konzernmutter GM allein dem ureigenen Designstudio in Detroit. So entstand die Form der neuen Serie A weitestgehend in den USA. Den Europäern im fernen Rüsselsheim kam dabei lediglich die Aufgabe zu „produktionstechnische Kriterienerfüllung“ zu garantieren, erinnerte sich später Ex-Design-Deutschland-Chef Killmer.

„Aus welcher Perspektive man diese Karroserie auch betrachten mag, sie ist meisterhaft gestaltet.“ so das Verkäufer-Handbuch 1964, „funktional perfekt, als Ausdruck des Stilempfindens des modernen Menschen aber nicht weniger überzeugend – so präsentieren sich die 'Großen Drei' von Opel.“

In „einem der modernsten Automobilwerke der Welt“ wurden, bei identischer Karosserie gleich drei Fahrzeuge mit den klangvollen Namen „Kapitän“ und „Admiral“ produziert, ab Herbst 1964 auch der „Diplomat“. Dem „American style“ des KAD dieser Serie A stand man wohlwollend bis skeptisch gegenüber. Den Käufern in Deutschland wurden daher besonders „solide Konstruktion und weitgehende Wartungsfreiheit“ sehr ans Herz gelegt. Fahrzeuge anderer europäischer Hersteller wirkten alt und verstaubt. Insbesondere dem nach Absatzzahlen im Segment der Oberklasse nur wenig weiter vorn liegenden Mitbewerber Mercedes wollte man die begehrten Kunden aus der gut verdienenden und aufstrebenden Mittelschicht abjagen, was auch Opels aggressive Preispolitik erklärt. Ganze 6000,- DM Preisdifferenz zum nur mit einem Sechszylinder ausgestatteten Mercedes 220 SE waren für den Diplomat mit seinem V8 ein schlagendes Argument. Im März wurden die endgültigen Preise bekanntgegeben:

Die Händler erwarteten 10.990,- DM für den Kapitän (zum Vergleich 500,- DM mehr als für einen Mercedes 190 mit vier Zylindern).

Der Rivale für den Mercedes 220 und 220 SE wurde der Opel Admiral mit einem Verkaufspreis von 12.200,- (der damit 1550,- DM oder 3250,- DM günstiger war).

Das Preisduell schließlich gegenüber dem Mercedes 300 SE gewann klar der Diplomat V8, mit einem Verkaufspreis von 17.500,- DM. Für diese Differenz zwischen Mercedes und dem weit günstigeren Opel Diplomat mit seinem V8-Motor hätte man einen neuen Opel Kadett oder VW Käfer kaufen können.

Aber neben den inneren Werten setzten die Strategen aus Detroit vor allem auf das amerikanische Design, mit dem Opel die Marktführerschaft zuletzt in den fünfziger Jahren endlich zurückerlangen wollte, mit einem „jungen und supermodernen Automobil“, das vor allem in der Luxusversion, dem Admiral „als Inbegriff für schwere Luxus-Limousinen“ als großer alter Name bei anspruchsvollen Autofahrern nach wie vor lebendig sein müßte.

In der Werbung wurden vor allem junge und karriereorientierte Menschen angesprochen, ganz anders z.B. bei Mercedes, das sich zu dieser Zeit eher an die arrivierte (zuweilen staatsmännische) Kundschaft richtete. Würde das Kalkül des „american way of life“ aufgehen?

Die Zeit der zahlreichen Chromleisten und überbordenden Heckflossen bei barock-schwelgenden Formen neigte sich unaufhörlich dem Ende zu. Bereits mit dem Opel Rekord war in der Mittelklasse ein äußerst erfolgreiches Fahrzeug vorgestellt worden, was dem Konkurrenten Ford mit seinem 17M Paroli zu bieten wußte. Selbst in der Kleinwagenklasse stand mit dem Kadett und seinen bereits 250.000 verkauften Einheiten als Herausforderer des VW Käfer ein leistungsfähiges Auto bei den Händlern.

Mit dem neu vorgestellten KAD suchte man 1964 die erfolgreiche Fahrzeugpalette nach oben hin abzurunden als „die dezent, aber eindrucksvoll gesteigerte Eleganz der äußeren Erscheinung“.

Dem neuen Styling konstatierten Fachjournalisten, im Zusammenhang mit einer breit angelegten Werbekampagne beginnend am 18.4.1964, denn auch „Geglückt ist den Formgebern die Aufgabe, viel Blech und wenig Chrom zu einer Harmonie zu bringen. Vereinfacht sind die Armaturen des Diplomat – so will es eben der Komfortwagen: Nichts überflüssiges!“

Fünfzig Jahre danach läßt sich die Frage, aus wessen Feder dieser amerikanischste aller Opel stammt, nicht sicher beantworten. Aber es gibt einige sachdienliche Hinweise:

Im Dezember 1958 wird Bill Mitchell (1912-1988) neuer Designchef in Detroit. Unter seiner Ägide werden Pläne für ein „personal luxury car“ weiterentwickelt.

Dabei will er sich vorsichtig gegen „oversized fins“ und „abundant chrome“ seines Vorgängers und Exchefs Harley Earl abgrenzen. Während eines Londonaufenthaltes beobachtet Mitchell an der Auffahrt zum Claridge's Hotel einen Rolls-Royce, im Karroserieaufbau von Hooper & Co., der häufig Rolls-Royce-Chassis verwendet. Zurück in den USA soll er seinem Designer Ned Nickles aufgefordert haben, diese geschwungene Linie mit der langgestreckten, sportlichen Form eines Ferrari zu verbinden.

Cadilac und Chevrolet, beides GM-Töchter der Oberliga, lehnen die Entwürfe ab. Im mittleren Preissegment von Pontiac, Oldsmobile und Buick kommt es zur Ausschreibung, die Buick nach hartem Ringen für sich entscheiden kann. Mitchells Plan wird nahezu unverändert in nur eineinhalb Jahren zur Produktionsreife gebracht. Im Oktober 1962 läuft die Serienproduktion an. Bei einem Radstand von 2,93 m und einer Länge von 5,28 m verfügt der Buick Riviera über ein Fullsize-Frame mit sogenanntem Kreuzrahmen-Chassis und ist dabei sogar 15 cm kürzer als andere Buicks.

Markantes Erkennungszeichen des Entwurfs ist nicht nur das Coke-Bottle-Design der hinteren Heckpartie, sondern auch die Frontlinie, die einem gedachten W folgt, oder steht es gar für ein umgekehrtes M, wie Mitchell?

Dieser auf dem Pariser Autosalon erstmals präsentierte Buick Riviera stand für das neue GM-Design, mit dem auch die Stylisten in Detroit den europäischen Geschmack treffen wollten, zumal der Buick bei europäischen Journalisten sehr positiv aufgenommen wurde. Die neue Sachlichkeit entsprach dem Zeitgeist, weg vom überbordenden Chromzierat. Die rahmenlosen, vollständig versenkbaren Scheiben würden dem späteren Coupé des Opel Diplomat Pate stehen. Ein neuer Stil war geboren, der zusammen mit dem Design der Corvette Sting Ray (ebenfalls aus Mitchells Designstudios stammend) für die nächsten fünfzehn Jahre für GM stilbegründend sein würde.

Im Dunstkreis dieser designerischen Meilensteine werden in den Studios erste Entwürfe für eine europäische Version entwickelt und als Modell nach Rüsselheim zur Produktionsplanung geschickt. Das charakteristische Coke-Bottle-Design wird weggeglättet und scheint beim späteren Serienmodell nur noch schwach durch in der nach hinten breiter wirkenden Heckpartie (Spurweite vorn 1,49 m und hinten 1,51m). Auch die „W-Front“ wird vorsichtig begradigt.

Daß der europäische Wagen kürzer werden würde als ein Buick verstand sich von selbst. Und dennoch wird der Amerikaner in Rüsselsheim zum größten Fahrzeug, was Opel je auf die Räder stellt.

Neben der durchgehenden Frontsitzbank im Kapitän beflügeln die Fantasie zukünftiger Admiralbesitzer die Liegesitze. Stahlkurbeldach, Nebelleuchten, Rückwandscheibenentfeuchter und Servolenkung sind die erhältlichen Zusatzausstattungen.

Im Spitzenmodell des Diplomat locken elektrische Fensterheber, ein verschließbarer Ablagekasten zwischen den Frontsitzen, Nußbaumfurnier-Auflagen an der Instrumententafel und der V8-Motor.

Die V8-Motorisierung des Diplomat mit einem 4,6-Liter-Motor mit 190 PS fällt völlig aus dem Rahmen. Dieser Motor katapultiert den Diplomat in seinerzeit sagenhaften 11 Sekunden von 0 auf 100 km/h bis zu einer prestigeträchtigen Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h. Im später lieferbaren Coupé werkelt sogar ein 5,4-Liter-Achtzylinder mit 230 PS. Doch von diesem Boliden werden bei Karmann in Osnabrück nur 347 Exemplare gebaut.

Der Autotester der zeitschrift Auto, Motor und Sport meint 1965 (Heft 3): „Der Diplomat ist ein amerikanisches Auto“ (...) Mit diesen Motoren werden eine Menge Probleme gelöst. Während ein Dreiliter seine 160 oder 190 PS nur unter Aufwendung hoher konstruktiver und metallurgischer Kunst hergibt, schüttelt der 4,7 Lieter sie sozusagen aus dem Ärmel.“

Die Tester lobten „ (...) obwohl das Auto mit einer Gesamtlänge von fast fünf Metern als groß gelten kann, wirkt es keineswegs unhandlich. Im Gegenteil – der im Verhältnis angemessene Wendekreis von 12 Metern und die ausgezeichnete Übersichtlichkeit der Karosserie nehmen auch dem Unerfahrenen bald die Furcht (...).“

Im Innern des KAD geht es aufgeräumt und sachlich zu: Das Zwei-Speichen-Lenkrad (im Admiral zweifarbig lackiert) zusammen mit der serienmäßig vorhandenen Lenkradautomatik oder Schaltung läßt tatsächlich amerikanisches Straßenkreuzer-Feeling aufkommen. Der futuristische Walzentacho leuchtet grün bis 50, orange bis 100 km/h und darüber rot. „Einstecktaschen an den Türen, drei elastische Haltegriffe seitlich an den Dachrahmen, zwei Innenleuchten im Fond, Leselampe und Beleuchtung für Ascher und Zigarrenanzünder (!) an der Instrumententafel. Armstützen an allen Türen, hinten mit eingebauten Aschern.“ flötet der Verkaufsprospekt zum KAD.

Dem in der Presse konstatierten etwas an Durchzug fehlenden 2,6-Liter-Motor ersetzt Opel 1965 durch einen mit 125 PS leistungsstärkeren Motor, der ab September 1967 schließlich durch einen 145 PS starken Motor abgelöst wird. Auch der ab Oktober 1966 lieferbare V8-Motor mit 230 PS kann die Verkaufszahlen nicht wesentlich beeinflussen und schließlich zeichnet sich ab, daß allen Werbebemühungen zum Trotz, die A-Serie des KAD glücklos hinter den Erwartungen des Opel-Managements liegt. Der Amerikaner in Rüsselsheim ist angezählt, im November 1968 wird die Produktion eingestellt.

Vom Kapitän A werden zwischen April 1964 und Ende 1968 insgesamt 24.249 Einheiten verkauft. Obwohl der Admiral teurer ist verkauft er sich von Februar 1964 bis November 1968 am besten, mit 55.876 Einheiten. Das Flagschiff Diplomat wird in den Jahren 1964-68 genau 9152 mal geordert. In einer Spiegel Umfrage loben 30 % der Admiral Fahrer besonders die elegante repräsentative Karosserieform.

Die in die Knie sackenden Verkaufszahlen veranlassen Opel zu einem Modellwechsel des KAD, der sogenannten Serie B. Deren designerische Neugestaltung liegt nun zwar mehr in Rüsselsheimer Händen (eine gewissen GM-Handschrift läßt sich auch hier finden), die auch prompt das Fahrzeug um 5 cm in der Länge und Breite kürzen. Aber auch die Serie B kann nicht an die alten Erfolge anknüpfen. Opels Schlacht in den Zulassungszahlen neuer Fahrzeuge gegen die Mitbewerber Mercedes und BMW ist für lange Zeit verloren.

Am „KAD“ Serie A als Zeugnis des Wandels im Automobildesign läßt sich die Entwicklung zu einer „Neuen Sachlichkeit“ gut erkennen. Die sich heute in Liebhaberhände befindlichen Exemplare erfreuen sich in der Sammler- und „Oldtimer-Szene“ einer wachsenden Wertschätzung. Vergleichsweise weniger Exemplare als vom ewigen Mitbewerber Mercedes machen den KAD A auch fünfzig Jahre nach seiner Vorstellung nicht nur für Kenner zu einem „Genuß im Stil der Neuen Zeit“.

Peter Ewers

8 weitere Antworten
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8 Antworten

Sehr schön geschrieben, hat mir viel Freude gemacht beim Lesen:)

LG H

Themenstarteram 12. Juli 2014 um 23:54

Dankeschön!

Mittlerweile habe ich noch eine weitere Kuriosität entdeckt:

Innerhalb der A-Serie gibt es Fahrzeuge mit weiter in die Tiefe gezogenen Hinterradradhäusern als andere A. Es könnte sein, daß ab Betriebsferien 1967 diese weiter ausgestellten Radhäuser gebaut wurden.

Niemand weiß warum.

 

Kurios!!

für größere Reifen...

gruß

Diese schöne geschichte hält mich davon ab meinen diplo v8 zu veräußern.danke.

am 12. August 2014 um 6:38

Diese "Schreibe" stammt aus der Feder eines echten Journalisten mit Herzblut.

am 24. August 2014 um 16:34

ach ja, da kommen meine Anfangsjahre in der Motorentwicklung bei Opel wieder in Erinnerung. Sehr gut geschrieben.

Themenstarteram 17. Dezember 2014 um 9:03

Zitat:

@ABWA schrieb am 12. August 2014 um 08:38:33 Uhr:

Diese "Schreibe" stammt aus der Feder eines echten Journalisten mit Herzblut.

Danke Dir!

Mein "weißer Riese" ist noch in der Restauration. Aber dann werde ich mit 100 PS KAD A durch die Gegend brausen.

Frohe Festtage!

Themenstarteram 17. Dezember 2014 um 9:04

Zitat:

@v8 hobby schrieb am 21. Juli 2014 um 09:09:52 Uhr:

Diese schöne geschichte hält mich davon ab meinen diplo v8 zu veräußern.danke.

Das ist sehr löblich.

Und wenn Du ihn verkaufen willst, dann denk an mich.

Dein Fahrzeug ist Kult. Definitiv!!

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