Tue Apr 09 08:49:30 CEST 2019
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JvS
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Kommentare (7)
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Erinnerungen, Erlebnisse, Geschichten, Literatur, Motorradfahren
Motorradfahren und die Gründe dafür. Also – meine Gründe dafür. 6 Grad unter Null, Ende November 2000. Vereiste Straße. Die letzten Laubfetzen, gefangen in einer gefrorenen Hülle. Morgens um sieben dröhnt eine rote Triumph Daytona von Bozen in Richtung Schluderns. 80 km habe ich noch vor mir, um 08.30 Uhr werde ich im Büro erwartet. Der Kaffee, der mir gekocht wurde, rumort im Magen.. Im Bett war’s angenehm, warm, weich und „benutzerfreundlicher“. Die Triumph zieht eine mächtige Dampffahne hinter sich her, mit der Sonne im Rücken sehe ich meinen eigenen Schatten vor mir. Eingepackt wie ein Yeti schraube ich mich den Vinschgau hoch. Die Kälte frisst sich durch die Handschuhe, die Stiefel, in den Helm. Um 08.15 Uhr schäle ich mich aus dem steif-gefrorenen Leder. Motorradfahren 12 Grad unter Null, Anfang Dezember 1993. Die Straße ist trocken, der Himmel stahlblau. Blau raucht es auch aus den beiden Auspuff-Rohren der Zweitakt-Suzuki RGV 250, während ich an der Carabinieri-Streife vorbeirolle. Ich bin auf der Fahrt nach Mals, in die Arbeit. 200 Meter nach der Streife läuft mir ein Schäferhund ins Motorrad. Ich klammere mich an den Bremshebel, die RGV überschlägt sich, landet auf meinem Knie, und ich rutsche quer über die Fahrbahn in die Leitplanken – 20 m hinter einem südwärts fahrenden LKW.. Motorradfahren 30 Grad im Schatten, aber es gibt keinen Schatten. Ich bin auf der Rückfahrt vom Lago di Caldonazzo. Unter mir die Triumph Daytona T595, über mir die Sonne, voll aufgedreht. Im schwarzen Leder bete ich Kühle herbei – der Schweiß rinnt die Arme entlang, wird vom Fahrtwind, der in die geöffneten Ärmel eintritt, getrocknet. Die Reißverschlüsse an den Beinen habe ich schon lange geöffnet, die Stiefel ebenfalls. Kurz vor dem Kollaps ein Aufschrei in den Helm: Gottverd… Sch… Mühle!! Die Triumph tut ihr Bestes, um Benzin in Hitze umzuwandeln. Mir ist speiübel, mein Unterleib schmerzt, ich will nicht mehr, aber ich bin noch mehr als Hundert Kilometer von zu Hause entfernt. Hochsommer 1997. Ein schwarzes, dumpf grollendes Motorrad presst sich die steile Straße hoch. Kehre um Kehre, hartes Anbremsen, hartes Umlegen, hartes Beschleunigen. Die Yamaha TRX hat eine weitere Serpentine auf dem Weg zum Stilfser Joch bezwungen. Gas fährt in die Zylinder, die Kupplung winselt. Fazit nach ca. 20 Minuten: eine optimale Fahrt – auch wenn Buell-Kollege Johann schon länger auf der Passhöhe steht und bereits den Helm abgenommen hat. Meine Sturmhaube ist nass, meine Handgelenke schmerzen, mein Gesicht ist verspannt. Vom Grinsen. Motorradfahren Herbst 2000. Auf der MeBo, der Schnellstraße zwischen Meran und Bozen. Es regnet in Strömen. Zehen, Finger, Schultern, alles durchgeweicht, schrumpelt zu komisch fahl-weißen Körperteilen. Kälte kriecht den Rücken hinunter, Regenwasser hinterher.. Mit 140 Sachen drücke ich die Ducati durch die Nässe, erstaunt, welch’ sicheres Gefühl mir die Maschine vermittelt. Die Kette rasselt, die Bremse verzögert nicht mehr, sondern verteilt nur noch das Wasser auf den Bremsscheiben. Beim Zwischenstop an der Tanke stinkt die Maschine brechreizend, die nassen Handschuhe lassen sich nicht mehr ausziehen, in den Stiefeln steht das Wasser.
Auf der Heimfahrt stirbt die Maschine. Irgendetwas hindert sie am Atmen, mehr als 6.000 U/min sind nicht mehr möglich, ein Ruckeln und Mahlen geht durch den Alurahmen. Der Grund: schlechtes oder verdrecktes Benzin. Nach 200 qualvollen Kilometern besinnt sich die Yamaha wieder auf ihre alte Tugenden und stiebt mit zornigem Fauchen durch den Vinschgau. Motorradfahren September 2000. Spät abends auf der Autobahn zwischen Bamberg und München. Ich friere. Ich friere wie noch nie. Ich friere mir buchstäblich den Arsch ab.. Meine Zähne klappern, meine Arme zittern, ich kann nicht mehr geradeaus, fahre Schlangenlinien. Ich sehe Dinge, die nachts nicht auf die Autobahn gehören. An der erstbesten Tankstelle fahre ich raus, ziehe mir sämtliche möglichen und verfügbaren Klamotten an, wärme mich ein bisschen an den Auspuff-Rohren, träume von einem Kachelofen in einer holzgetäfelten Bauernstube. Die längste, kälteste Nacht meines Lebens – gegen 22.30 Uhr komme ich endlich in Bergen an und lerne eine Menge netter MOFler kennen. Es wird wieder wärmer.. Warum fahre ich eigentlich Motorrad? Ich fahre nicht Motorrad, weil ich den Autoführerschein lange Zeit nicht gemacht habe, sondern viel eher deswegen:
Darum fahre ich – Diesen und weitere Texte findet Ihr auf meinem kleinen Blog "Motorprosa • Geschichten aus der Kurve" - schaut mal vorbei ;-) ![]() |
Tue Apr 09 11:13:23 CEST 2019 |
gw-günni
Super geschrieben.
Das könnte fast mein Motorrad Lebenslauf sein! Nach über 40 Jahren und 20 Motorrädern erlebt man so einiges.
Gruß und weiterhin gute Fahrt.
Tue Apr 09 11:53:44 CEST 2019 |
rjsh
Echt super geschrieben, man fühlt richtig mit.....
Wed Apr 10 09:27:31 CEST 2019 |
PIPD black
Schöner kurzweiliger Artikel mit sehr schöner Zusammenfassung.
Gefällt.🙂
Wed Apr 10 18:26:49 CEST 2019 |
sasisoli
...da fährt er zig mal ein meiner Haustür vorbei und sagt nix!
Gruß aus dem Wein- und Spargeldorf 😉
Fri Apr 19 10:25:38 CEST 2019 |
Duftbaumdeuter51504
Wirklich super geschrieben. Danke
Deine Antwort auf "Die Frage nach dem "Warum?""