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Silber-Storch mit Stern auf dem Schnabel

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Der Mercedes W03 für die Formel 1 Saison 2012 wurde am Dienstag (21.2.) in Barcelona präsentiert. Wir haben die ersten Bilder vom neuen Silberpfeil und sagen Ihnen, welche Tricks sich die Ingenieure aus Brackley haben einfallen lassen, damit Michael Schumacher und Nico Rosberg endlich auf Titeljagd gehen können.

Barcelona, 21. Februar um 8.24 Uhr. Tatort Boxengasse. Der neue Mercedes W03 wird in der Boxengasse des Circuit de Catalunya enthüllt. Zu diesem Zeitpunkt ist der neue Silberpfeil schon kein neues Auto mehr. Er hat bereits drei Tage auf der Rennstrecke hinter sich.

Vergangenen Donnerstag gab es den so genannten Shakedown in Silverstone. Am Sonntag ein voller Testtag in Barcelona mit den ersten 300 Kilometern auf Rennreifen. Den gab es extra, weil Mercedes in Jerez auf einen der vier Tage verzichtet hatte. Am Montag legte die Mercedes-Truppe ihren Filmtag ein.

Am Dienstag trifft der Mercedes nun erstmals auf die Konkurrenz. Michael Schumacher beginnt die zweite Testwoche in Barcelona. Danach wechselt man sich im Cockpit ab: Rosberg am Mittwoch und Freitag, Schumacher am Donnerstag.

Als die beiden Piloten das Tuch vom neuen Mercedes W03 gezogen hatten, kam ein Auto zum Vorschein, das man auf den ersten Blick wiedererkennt. Auffälligstes Merkmal ist die lange dünne Nase. Sie erinnert an einen Storch. Doch was steckt wirklich hinter dem neuen Silberpfeil, der dem Team den ersten GP-Sieg bringen soll? Wir haben den Mercedes W03 von der Nasenspitze bis zum Heckflügel seziert.

Die Furcht der Konkurrenz, Mercedes habe mit der Vorstellung des neuen Autos nur solange gewartet, um einen technischen Supercoup zu verbergen, bewahrheitete sich vorläufig nicht. Doch das silberne Auto zeigt eine ganze Reihe von interessanten Detaillösungen, die man so bei den anderen Autos nicht erkennen kann. Sportdirektor Norbert Haug drückt es vorsichtig aus: "Wir haben einige Überlegungen in das Auto einfließen lassen, die man nicht auf den ersten Blick sieht." Aber auf den zweiten.

Mercedes W03 länger als sein Vorgänger

Zunächst fällt auf: Der neue Mercedes W03 ist ein längeres Auto als der alte. Der Radstand wurde deutlich gestreckt. Um wie viel müssen Fotos an vergleichbaren Stellen ergeben. Wer die Antwort nicht abwarten kann, der kann selbst nachmessen. Bringen sie zwei Fotos von 2011 und 2012 auf gleiches Format und orientieren Sie sich dabei an den Rädern. Die müssen den Durchmesser von 660 Millimeter aufweisen. Daran können sie alle anderen Maße ableiten, vergessen Sie aber nicht den Verzerrungsfaktor.

Ein längerer Radstand erlaubt mehr Platz zwischen Vorderrädern und Seitenkästen. Das hilft bei der Beruhigung der vom Vorderbau des Fahrzeugs aufgewirbelten Luft. "Länge läuft", heißt ein bekannter Spruch der Ingenieure. Das Auto wird automatisch im Fahrverhalten berechenbarer.

Weil man mehr Platz hat, schwere Komponenten am Boden zu verteilen, sinkt 2012 auch der Schwerpunkt. Ein weiterer Vorteil gegenüber dem Vorjahr. Außerdem lässt sich erkennen, dass die Fahrer tiefer im Cockpit sitzen. Die Karbonröhre fällt von ihrem höchsten Punkt an der Vorderachse zum Chassis hin kontinuierlich ab.

Runde und spitze Storchennase

Beginnen wir bei der Nase des Mercedes W03. Sie ist spitz und extrem dünn und hat noch ein Nasenloch als Luftzufuhr für einen F-Schacht im Frontflügel. Norbert Haug verrät: "Wir haben alle Crashtests auf Anhieb bestanden." Angesichts der Storchennase muss man den Karbonexperten in Brackley ein Kompliment machen. Da waren Meister des Laminierens am Werk. Der Frontflügel hängt nach dem Vorbild Ferrari an breiten Stelzen. Er unterscheidet sich deutlich von den 2011 gezeigten Modellen.

Wie bei Red Bull weist der Flügel von vorne gesehen zwei Mulden zur besseren Ausrichtung der Strömung unterhalb des Flügels auf. Eine innen am Übergang zum genormten mittleren Flügelteil, eine außen. Die Spalte im Hauptblatt zur Beschleunigung der Luft fällt mehr als doppelt so breit aus wie zuvor und reicht bis zu den Endplatten.

Wenn der F-Schacht eingesetzt wird, dann bläst die Luft auf der Rückseite des Hauptblattes ab, was zur Beruhigung der Strömung unterhalb der Flügelelemente führt. Nach Meinung von Experten könnte das System zudem einen Top-Speed-Vorteil von bis zu acht km/h bringen. Die Flaps werden jetzt durch einen diagonal vom Hauptblatt ausgehenden Steg stabilisiert. Auf dem Flügel thront außen ein Extraflügel mit zwei Elementen und neuerdings innen ein hakenförmiges Winglet.

Extreme Stufe in der Mercedes-Front

Die spitze Nase am Mercedes W03 fällt auch deshalb besonders stark ins Auge, weil die Stufe im Chassis größer ist als bei den anderen Autos. Man sieht mit freiem Auge, dass die Oberseite der Karbonröhre mehr als 7,5 Zentimeter ansteigt. Da man davon ausgehen muss, dass Mercedes an der Vorderachse die maximale Chassishöhe von 625 Millimetern ausnutzt, kann das nur heißen, dass die Nase weiter abgesenkt wurde als es das Maximalmaß von 550 Millimetern erlauben würde.

Der Strömung unter der Nase tut das keinen Abbruch, da die Karbonröhre in dem Bereich so dünn ist, dass unten trotzdem genügend Luft durchströmen kann. Der veritable Buckel auf der Oberseite hat bestimmt seinen tieferen Sinn. Vielleicht wollen die Mercedes-Aerodynamiker damit die Strömung über das Cockpit hinwegleiten. Beim Red Bull nimmt man ja an, dass der Schlitz in der Stufe das gleiche Ziel verfolgen soll.

An der Vorderrad-Aufhängung sind nur geringe Veränderungen zu beobachten. Der Pushrod scheint etwas steiler angestellt zu sein. Die Lenkstange verläuft wieder separat unter dem vorderen oberen Querlenker. Dafür ist die Pullrod-Hinterachse deutlich mehr nach vorne gepfeilt. Da die Karbonlenker zur Hälfte mit einem offenbar hitzebeständigen Material armiert sind, spielen sie beim Auspuff eine Rolle. Doch dazu später.

Mercedes kühlt 2012 wie Red Bull

Die Seitenkästen sind vorne etwas flacher als im Vorjahr und sie fallen sanfter nach hinten ab. Hier macht sich die zusätzliche Länge positiv bemerkbar. Auf den ersten Testbildern sind in der Seitenansicht  keinerlei Kiemen oder sonstige Luftauslässe zu erkennen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass Mercedes dem Konzept der gefalteten Kühler abgeschworen hat. Die waren zwar platzsparend, aber es dauerte eine halbe Saison, bis die Kühlprobleme gelöst waren.

Die heiße Abluft der Kühler entweicht nun nach Red Bull-Vorbild auch durch ein Kanonenrohr am Ende der langgestreckten Motorhaube. Auf der Airbox ist hinter der Öffnung für den Motor ein weiterer Schlitz angebracht, der der Kühlung dient. Es ist inzwischen Standard, dass der Getriebeölkühler im Heck platziert wird. Insgesamt wirkt die ganze Motorverkleidung am Mercedes W03 aufgeräumter und weniger zerklüftet als 2011. Damit verbessert sich auch die Strömung zu den Heckflügelelementen.

Der Auspuff liegt im abfallenden Teil der Seitenkästen, der rund um die Endrohre schwarz lackiert ist. Ein in die Verkleidung eingelassener Kanal zweigt ähnlich wie beim Sauber C31 nach unten. Die Nähe der oberen Querlenker der Hinterachse lässt vermuten, dass diese zum Ablenken der Auspuffgase zweckentfremdet werden. Doch wohin wird der Auspuffstrahl beim Mercedes W03 dirigiert?

Mercedes W03 mit Zusatzflügeln auf dem Diffusor

Jetzt kommt der interessanteste Teil des neuen Mercedes. Auf dem Diffusordach sind links und rechts je zwei treppenförmige Flügelelemente mit eigenen Endplatten montiert. Diese sind auf jeden Fall zusätzliche Abtriebsspender. Die Auspuffgase können dort den Anpressdruck noch erhöhen. Norbert Haug verspricht: "Wir werden in diesem Bereich noch viel Entwicklung sehen."

Mercedes hat seinen neuen W03 auch kräftig abgespeckt. Was nicht so einfach ist, denn ein längeres Chassis legt zunächst einmal an Gewicht zu. Doch die Diät war absolut notwendig, denn eine der großen Schwächen des Vorjahresautos war der hohe Reifenverschleiß an der Hinterachse. Der hatte auch damit zu tun, dass nicht genügend Ballast zur Verfügung stand, um die Hinterreifen zu entlasten. Das ist 2012 anders.

Die zweiwöchige Verzögerung wird laut Haug bald aufgeholt sein. "Wir haben viele der neuen Komponenten, vom Antriebsstrang über KERS, Getriebe und die Aerodynamik schon vorab auf unseren Prüfständen und im Windkanal abgecheckt. Deshalb sind wir nicht unvorbereitet in unseren ersten Test gegangen. Diesmal starten wir mit einem fertigen Rennauto. Im letzten Jahr hatten wir am Anfang ein Testauto, bei dem noch viel auszusortieren war. Wir hoffen, dass wir ab heute gleich mit unserer Entwicklungsarbeit beginnen können."

 

Quelle: Auto Motor und Sport

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