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Felix Baumgartner im Interview mit MOTOR-TALK - „Mir fehlt die natürliche Angst, das ist manchmal hinderlich“

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Vom Nürburgring kehrten schon viele (selbsternannte) Helden mit gestrichen vollen Hosen zurück. Jetzt steigt hier einer ins Auto, der schon oft hoch hinaus wollte – und wieder herunter.

Nürburg - Am Rande des 24-Stunden-Qualifikationsrennens trafen wir den Stratosphären-Springer Felix Baumgartner. Im Gespräch mit MOTOR-TALK zeigt er sich bodenständiger als wir das von einem Himmelsstürmer erwartet hätten.

MT: Herr Baumgartner, nach Ihrem weltberühmten Sprung sollen Sie Ihrer Mutter versprochen haben, künftig größere Risiken zu meiden. Was machen Sie also auf der gefährlichsten Rennstrecke der Welt in einem 570-PS-Auto?

FB: (Lacht) Mit dem Rückzug war für mich eher gemeint, dass ich als Fallschirmspringer nicht mehr um die Welt reise und extreme Dinge mache. Ich springe noch zum Spaß, so wie ich 1986 begonnen habe. Und ja, es ist die Nordschleife. Aber der Motorsport ist hier nicht unbedingt als Extremsport einzustufen.

MT: Was sagt Ihre Mutter, was sagt Ihr Vater dazu?

FB: Meine Mutter macht sich Sorgen. Da kannst du 50 Jahre alt sein, eine Mutter-Sohn-Beziehung ist immer sehr speziell. Mein Vater ist Künstler, malt Akt und Aquarell und kann mit meiner Welt nichts anfangen. Er stammt aus einer sehr armen Eisenbahnerfamilie. Wenn er sieht, dass sich hier 25 Leute ums Auto kümmern und zig Reifen an einem Wochenende verschlissen werden, kann er das nicht verstehen. Er dreht jeden Euro dreimal um.

MT: Ihr Vater ist konservativ, Ihre Mutter Hausfrau. Wieso sind Sie so ein Risikosucher?

FB: Das ist in mir drin. Jeder Mensch kommt mit einer gewissen DNA auf die Welt. Ich wollte schon als Kind immer oben sein, bin auf Bäume geklettert, um die Welt von oben zu sehen. Als ich vom Fallschirmspringen hörte, war das sofort mein Ding, dann kam das Base-Springen. Mein Bruder ist genau das Gegenteil von mir. Er arbeitet als Koch.

MT: Wie kommt man vom Sprung aus der Stratosphäre zum Autorennen?

FB: Ich hatte drei Kindheitsträume: Fallschirmspringen, Hubschrauberfliegen und Motorsport. Mit 16 Jahren bin ich das erste Mal mit einem Fallschirm gesprungen. Das war leicht, weil es günstig war. Hubschrauber bin ich 2006 in Amerika geflogen. Aber für den Motorsport war in meiner Familie nie Geld da. Lange sah es so aus, als ob das ein ewiger Traum bleiben würde.

MT: Bis Volkswagen mit dem Scirocco-Cup und Audi mit dem 24-Stunden-Rennen kam?

FB: Beim Scirocco-Cup bin ich als Promi gestartet. Und habe mich nicht so schlecht geschlagen. Dann kam Audi mit dieser Idee. Natürlich wollte ich das sofort machen. Aber nur unter der Bedingung, es professionell zu tun. Es wäre dumm und sträflich, ohne sehr gute Vorbereitung an einem der schwierigsten Rennen der Welt teilzunehmen.

MT: Kann das der Beginn einer Rennfahrerkarriere sein?

FB: Nein. Als Spätberufener werde ich im Motorsport keine großen Schritte mehr machen. Das ist klar. Aber auf ein gewisses Level mit einem halbwegs guten Tempo und sauberer Fahrweise kann ich es noch bringen. Am wichtigsten ist mir: Ankommen, und das Auto heil übergeben.

MT: Was wollen Sie am Ring erreichen?

FB: Mein Ziel ist es, mich bis zu einem gewissen Level weiterzuentwickeln. Ich habe Gespür für ein Auto, kann sehr schnell Entscheidungen treffen und habe eine gute Übersicht, nach hinten und nach vorne. Gerade bei Nachtfahrten braucht man eine ungeheure Kopfdisziplin. Man muss sich Runde für Runde dazu zwingen, in jeder Kurve das Richtige zu tun. Einlenkpunkt, Bremspunkt - du kannst dir keine Fehler erlauben.

MT: Wie fühlt sich die Nacht für jemanden an, der sonst die Sonne liebt?

FB: Anstrengend. Auf der Strecke gibt es viele Eindrücke, die ablenken. Blitzlicht von Zuschauern, Feuerwerkskörper. Und dann diese Gerüche! Jeder hat einen Grill an und das rieche ich im Auto. Da fahre ich mit 240 über die Strecke und rieche Currywurst.

MT: Berühmt geworden sind Sie als Einzelner, der mit spektakulären Aktionen glänzte. Hier sind Sie Teil eines Teams, umgeben von einer Masse von Profis und Amateuren. Kann Felix Baumgartner das?

FB: Das ist eine Riesenumstellung. In meinem Sport war ich allein für Sieg und Niederlage verantwortlich. Hier bin ich nur ein kleiner Teil eines Teams. Wenn ich einen Fehler mache, wirkt der sich auf alle aus. Das ist teilweise schon stressig.

MT: Wie gehen Sie damit um?

FB: Mein Motto zielt auf Sicherheit: Es ist besser, drei, vier Sekunden hinter einem anderen Fahrzeug herzufahren und Zeit zu verlieren, als mit jemandem zusammen zu stoßen. Richtig schwer wird es bei Regen. Was bedeutet das für mich? Wie viel langsamer muss ich fahren? 20 Prozent? 50 Prozent? Aber ich habe keinen Maßstab, weil ich diese Situation auf der Nordschleife noch nicht hatte.

MT: Sie sind noch nie bei Regen auf der Nordschleife gefahren?

FB: Leider nein. Ich hatte das Pech, dass es bisher immer trocken war, wenn ich gefahren bin. Ich würde das gern probieren, aber das liegt ja nicht nur an mir.

Optimal fühle ich mich, wenn ich alles in kleinen Dosierungen steigern kann. Dann kann ich jeden Eindruck, jede Situation abspeichern.

Das war bei dem Projekt Stratos genauso. Wir haben alles vorher getestet. Am Boden, in der Luft, in einem Windkanal. Dann mit einem Sprung aus 20 Kilometer, dann aus 30 Kilometer. Wenn ich von Beginn an alles auf einmal machen müsste: das erstes Mal auf der Strecke fahren, in diesem Auto, bei Regen, bei Nacht - das wäre zu viel. Das kann kein Mensch verarbeiten.

MT: Beim Stratosphärensprung waren Sie mit 1.350 km/h schneller als jeder Mensch zuvor. Wie ist Ihr Verhältnis zu Geschwindigkeit?

FB: Geschwindigkeit hängt davon ab, wo sie stattfindet. Auf der Nordschleife sind 300 km/h wahnsinnig schnell. Die Strecke gibt dir eine Linie vor. Je schneller du fährst, desto schwieriger wird es, diese Linie zuhalten. Dabei meine ich drei bis vier km/h mehr. Diese drei bis vier km/h mehr sehen nicht sehr viel schneller aus. Aber sie machen den Unterschied. Drei km/h bedeuten bei einem zweistündigen Turn: Wenn ich ins Ziel komme, haben die anderen schon geduscht. Grundsätzlich habe ich kein Problem mit Geschwindigkeit. Das ist in manchen Punkten hinderlich, weil mir ein bisschen die natürliche Angst fehlt.

MT: Ein bisschen Angst spüren Sie aber noch?

FB: Es gibt ein paar Stellen auf der Nordschleife, da muss ich „die Arschbacken zusammenkneifen“. Die Fuchsröhre zum Beispiel. Die kann mit Vollgas gefahren werden. Die ersten Male bin ich dort kurz vom Gas. Doch inzwischen heißt es jedes Mal Luft anhalten und durch.

MT: Es gibt kritische Stimmen zu Ihrer Teilnahme am 24-Stunden-Rennen. Dass Sie kein Rennfahrer sind. Dass Sie hier so im Fokus stehen. Wären Sie lieber ‚einer von Vielen‘?

FB: Audi hat mir das hier nicht angeboten, weil ich ein guter Rennfahrer bin. Sondern weil ich einen Namen habe, und Auto fahren kann. Am Anfang gab es eine Art Aufnahmeprüfung mit dem Sepp (Haider, Ex-Rallye-Profi). Der Sepp ist frei von allen Eitelkeiten. Er hat sich meine Fähigkeiten nüchtern angeschaut und gesagt: ‚Ok, er kann das‘. Audi und ich – wir würden das nicht machen, wenn wir festgestellt hätten, dass ich hinten und vorne nicht Auto fahren kann.

Natürlich erreiche ich nicht das Level, auf dem die Jungs hier sind. Meine Team-Mitglieder sind Top-Rennfahrer, mehrfache Le-Mans-Sieger. Nun bin ich der Star im Team. Obwohl ich fahrerisch nicht der Star bin. Da komme ich als Felix Baumgartner und habe eine Unterstützung, die sich viele engagierte Amateure wünschen. Das ist schwierig, aber ich kann es nicht ändern.

MT: Lieber Felix Baumgartner, vielen Dank für das Gespräch!

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