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Goify's Blog

Mobilität heute und andere Absurditäten

Mon Mar 28 22:30:41 CEST 2011    |    Goify    |    Kommentare (5)    |   Stichworte: Architektur, Prag, Reise, Reisen, Tschechien

Hallo ihr Blogleser,

der Uhu hat mich mit seinem Blog inspiriert, war ich doch vor vier Jahren auf nen Kurztrip auch mal dort. Da ich als Regensburger recht nah dran wohne, war es kein Problem sehr früh los zu fahren und spät abends wieder daheim zu sein und alles gesehen zu haben, was einen Architekturstudenten interessiert.

 

Als erstes nimmt sich ein kluger Student natürlich diverse Architekturführer zur Hand und merkt alle interessanten Gebäude ein um sie anschließend in ner Karte einzutragen, um sich ne günstige Route daraus zu bauen. Waren am Ende ca. 25 Gebäude, die mir in den zwei Führern auffielen und ich unbedingt sehen wollte.

 

Also ab in den Golf, Tempomat 130 und auf nach Prag über Wernberg-Köblitz. Ich hatte eine sehr gute

Fahrt, da die Autobahn fast neu war und nur halbleer, oder voll?

 

Das erste Highlight auf der Anreise war das Tanzende Haus von Frank Gehry - bekannt von Bilbao. Hmm, muss man mögen, damit es einen anspricht. Für mich ist es einfach nur verbogen.

 

 

Um nicht zu viel Laufen zu müssen, habe ich sinnvollerweise in der Nähe vom halbrunden Restaurant für die Expo '58 geparkt. Bemerkenswert ist, dass dieses Restaurant ein Austellungspavillon auf der Expo '58 in Brüssel war und aufwändig nach Prag transportiert wurde. Tragischer Weise brannte es 1991 ab und wurde rekonstruiert. Das merkte man ihm an, die Fensterprofile waren zu modern für einen so alten Bau.

 

 

Obwohl es geschlossen war, hatte ich von dort eine hervorragende Sicht auf das leider etwas eingetrübte Prag. Was sofort auffällt ist der irgendwie befremdlich wirkende Fernsehturm mit irgendwelchen Objekten, die an seinen Pfeilern hängen, aber dazu später mehr. Ein wenig später fand ich ein Bild im Netz, mit einem Aston Martin im Vordergrund. Ratet mal, wo das Bild aufgenommen wurde. Genau, ein paar Kilometer westlich mit Blick auf die Stadt.

 

 

So langsam stieg ich den Berg herab und lief über die Brücke Štefánikov most, die ehemalige Franz-Josef-Brücke. Heute ein nicht sonderlich ambitionierter Stahlbetonbau aus den Jahren '49 bis '51, jedoch aufwändiger, als so mancher Brückenneubau aus den 70ern. Erstaunlich fand ich das riesige Schlagloch am Anfang. Man konnte schön sehen, welches Fahrwerk am besten mit dem Fauxpas des Straßenbaus umging.

 

 

Auf der Rechten Seite näherte man sich mehr und mehr dem Ministerium für Industrie und Handel der Tschechischen Republik und dahinter, viel spannender ein steinverkleideter Klotz aus den '30ern, dem Geschäftspalais Merkur. Dieses Gebäude ist in den unteren Etagen fast vollständig verglast (wir Architekten sagen da gerne aufgeglast, aber dieses Wort gibt es nur bei uns) und beinhaltet im EG einen Autohändler für exklusive "US-Cars" für die oberen 10.000 Tschechiens.

 

 

Also weiter in die Stadt hinein, beim Pulverturm vorbei weiter den Berg hoch Richtung 216 m hohen Fernsehturm aus den späten 80ern. Ein ganz außergewöhnliches Gebilde. Es besteht aus drei Pylonen, welche das Grundgerüst darstellen. Daran angehängt diverse Plattformen für den Rundfunk und ein großes Café. Um dort hin zu gelangen gibt es einen Hochgeschwindigkeitsfahrstuhl, jedoch war das Restaurant geschlossen und so konnte ich dieses Erlebnis nicht mitnehmen. Was aber sofort auffällt sind die an den Pylonen außen hoch kletternden, übernatürlich großen Babys. Diese sind eine Installation des tschechischen Künstlers David Cerný.

Die Prager Bevölkerung mochte diesen Turm nicht, da sie glaubte, dass im Inneren eine Art Abschirmzentrale für westliche Rundfunkstrahlen installiert sei.

 

 

Wieder hinab gewandert lief ich direkt am ehemaligen Gebäude des Föderalparlaments am Wenzelsplatz vorbei, was zur Zeit meiner Reise das Radio Free Europe enthielt, also einen Radiosender für Osteuropa und Zentralasien. Es ist ein moderner Bau, welcher von 66 bis 1972 aus Stahlbeton im unteren Bereich errichtet wurde. Darauf wurde ein Stahlskelett aufgesetzt, welcher fast schon schwebend wirkt. Einzig ein paar Stützen und drei Wände für die Queraussteifung verbinden es mit dem Unterbau. Die teilweise Verkleidung aus Naturstein und die durch Verwitterung dunkel gewordene Kupferverkleidung lassen es sehr düster und schwer wirken, was jedoch durch den vermehrten Einsatz von Glas wieder auflockern und eine Art Transparenz schaffen. Also ideal für einen Regierungsbau, solide und transparent. Genau so, wie das Regierungsviertel in Berlin, jedoch aus weißem Sichtbeton.

 

 

Von dort kann man direkt in den verwahrlosten Hauptbahnhof hinabschauen, wo der Charme des ehem. Ostblockes noch mal kurz seine hässliche Seite zeig, oder ist es vielmehr der Tatsache geschuldet, dass heute einfach kein Geld für die Bahn übrig ist? Wenn man die enormen Kilometerleistungen der ganzen Autobahnneubauten Tschechiens betrachtet, könnte was letzterer These sein. Jedenfalls habe ich es mir nicht nehmen lassen, mir das genauer anzuschauen. Es regnete rein, ein paar Penner, uraltes Rollmaterial (Loks und Wagen) und überall Dreck. So wird das mit dem Aufschwung des Bahnwesen nichts, denn sonst fährt nur der damit, der sich absolut kein Auto leisten kann.

 

 

Stichwort Autos, ganz klar, der heimatverbundene Tscheche fährt Škoda, was sonst. Teilweise sieht man mal einen jüngeren BMW oder Audi, aber ansonsten alles Škoda von alt, also vom Typ 100 bis zum neuen Superb. Aber was interessieren die Autos, wenn man wegen der Architektur gekommen ist.

 

Auf dem Weg weiter kam ich an ein paar sehr schönen Künstlerhäusern aus Backstein vorbei, aber das eigentliche Ziel war die Villa Müller von Adolf Loos. Bekannter Architekt aus Wien und später Tschechien. Bemerkenswert ist seine Schrift "Ornament und Verbrechen" in denen er die überladene Dekoration damaliger Gebäude als überflüssig anprangert. In seinen Augen braucht gute Architektur solcherart Zierrat nicht. Architektur und Kunst sei voneinander zu trennen, denn: "Das haus hat allen zu gefallen. Zum unterschiede vom kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat."

Aber Ziel war ja die Villa Müller, die er Ende der 20er Jahre errichtete. Dieses Gebäude ist ein gutes Beispiel, was er unter seinem Raumplan verstand. Also eine Gegenthese zu Le Corbusiers auffassung von Architektur und gebautem Raum. Denn Loos meint, jeder Raum muss ganz genau seinen Anforderungen entsprechen, sprich ein eine Eingangshalle ist ein hoher Raum, ein Schlafraum eher niedrig u. s. w. Das mündet dann in ein aufwändigen Raumgebilde mit vielen Ebenen und vielen Stufen.

Da es jedoch (gottseidank) bewohnt war, konnte ich nur ein paar Bilder von außen machen. Ich bin nicht so wie meine ehem. Professorin, die einfach klingelt und fragt, ob sie mal rein dürfe um dann ein ganzes Semester im Schlepptau mit hinein zu lotsen.

 

 

Aber ein Highligt wartet noch, also ganz schnell zum Auto gelaufen und zur nordwestlich gelegenen Werkbundsiedlung gefahren. Denn diese gibt es nicht nur in Stuttgart, also genauer die Weißenhof-Siedlung, sondern auch in Prag. Diese entstand, wie ihr deutsches Pendant, auch Ende der 20er und 30er Jahre.

Es ist ein Entwurf, wie man zukünftig leben soll. Also Häuser gänzlich ohne Zierrat, keine Satteldächer, große Fensteröffnungen, eben ein klarer und moderner Entwurf, wie er für die moderne Menschheit eben gedacht war.

So findet man in dieser Siedlung eine ganze Anhäufung von Gebäuden, die jedem Architektur-Studenten das Herz aufgehen lassen. So wie wenn ihr auf ein Oldtimer-Treffen kommt, so ging es mir dort. Egal wohin man schaute, gab es Details zu entdecken. Und das beste daran, der vorherrschende Geldmangel der Besitzer führte dazu, dass die Häuser nahezu im Originalzustand waren. Teilweise sogar noch die damalige Farbe, natürlich ausgeblichen und in Ehren ergraut. Da wusste ich, ich möchte mal in genau so einer Siedlung leben, wo man ganz genau weiß, warum man dort wohnt und nicht in einem x-beliebigen Wohngebiet, wo sich die Häuser gleichen und man eigentlich gar nicht sagen kann, warum man hier und nicht drei Straßen weiter wohnt. Dort war jedes Gebäude genau auf den Standort und die damaligen Bewohner "maßgeschneidert" und nicht aus der Schublade gezogen worden.

Aber dazu soll es in diesem Blog noch mehr geben.

 

 

Ein langer Tag neigte sich dem Ende, die Sonne ging langsam unter und ich düste mit ganz neuen Eindrücken wieder heim.

 

Was blieb hängen? Nun, Tschechen sind anders, sie entwerfen anders, haben eine etwas andere Auffassung von Schönheit und sind gerne mal kitschig und konterkarieren sich auch mal selbst - sprich, sie nehmen sich nicht zu ernst. Sie scheinen, was die Architektur angeht weniger verkrampft zu sein, eben lockerer.

Alles in allem ist Prag eine sehr schöne Stadt, welche sich gerade im Umbruch befindet, wie so viele Städte in Tschechien. Beispielsweise ist Brünn und auch Pilsen zur Zeit eine riesige Baustelle. Sie haben es geschafft, junge und engagierte Architekten an die Macht zu lassen um so die Stadt weiterzudenken für die nächsten 50 Jahre. Man kann nur hoffen, dass altes Gutes bestehen bleibt und sich das neue harmonisch einfügt. Wunden gibt es genug, die geheilt werden müssen.

 

Ich bin schon ganz gespannt, wie ihr den doch etwas längeren Blogeintrag auffassen werdet. :)


Schreiber

Goify Goify

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