Land Rover Defender LD 3.5 Test
14.11.2011 18:50 | Bericht erstellt von Dr. Quack
Testfahrzeug | Land Rover Defender L316 |
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Leistung | 130 PS / 96 Kw |
Aufbauart | SUV/Geländewagen/Pickup |
Kilometerstand | 129000 km |
Getriebeart | Handschaltung |
Erstzulassung | 6/1993 |
Nutzungssituation | Privatwagen |
Testdauer | mehr als 5 Jahre |
Einleitung
Bei dem Fahrzeug handelt es sich um einen dreituerigen Land Rover Defender 110 V8 Petrol der hier in Suedafrika als Pick-Up registriert worden ist. Das Auto hat ein mechanisches Fuenfgangetriebe mit Transfercase, mit dem es nochmal fuenf sehr kurz uebersetzte Gaenge fuers Gelaende besitzt und fuer besonder unwirtliche Passagen eine mechanische Differentialsperre des Zentraldifferentiales. Wem das noch nicht reicht, der kann sich mit der Seilwinde aus potentiell ueberraschend auftauchenden tiefen Schlammloechern herausziehen oder das Auto, wie ich vor einiger Zeit in einem Film ueber das suedliche Afrika gesehen habe, auch senkrecht an einen Baum haengen. Wie alle Land Rover dieser Generation verfuegt er ueber einen permanenten Allradantrieb und hat eine vordere und hintere Starrachse, die and Laengslenkern und Panhardstaeben gefuehrt und mit langhubigen Schraubenfedern abgefedert werden. Hinten gibt es auch einen stark unterdimensionierten Stabilisator, der die Rollneigung des Aufbaus vermindern soll. Auf kurvenreichen, schnellen Passagen im Gebirge bekommt meine teure Gattin leider regelmaessig das Kotzen in diesem Auto, so dass ich mir schon vor Antritt solcher Reisen vornehme, es langsam angehen zu lassen. Dann gehts ganz gut. Fuer die Passagiere stehen vier leicht unbequeme Einzelsitze zur Verfuegung und koennte hinten noch mit vier noch unbequemeren Sitzen quer zur Fahrtrichtung erweitert werden. Er hat ein sogenanntes Canopy, das man aber nur mit grossem Aufwand entfernen kann. Die Frontscheibe waere dann abklappbar, die hintere Tuer muesste aber komplett entfernt werden, so dass das Fahrzeug eine nach hinten teilweise offene Ladeflaeche haette. Der Cabrioeffekt waere damit perfekt. So haben wir das Auto bisher noch nie benutzt, denn ab und zu gibt es hier an der Kueste auch eine ordentliche Dusche. Der Motor hat eine geringere Verdichtung, damit er auch das niederoktanige Benzin in Lesotho oder Swasiland vertragen kann. Die original SU-Vergaser sind durch einen Webervergaser ersetzt worden. Zum Glueck schluckt er dadurch nicht noch mehr. Er hat ein bulliges Drehmoment und zieht von unten heraus wie 130 fette Ochsen, was auch etwa seiner Leistung in PS entsprechen duerfte. Der Vorbesitzer hat ihn mit einem Flammrohr an jeden einzelnen Zylinder ausgestattet, damit mehr Leistung rauskommt, aber ich habe ihn noch nachtraeglich mit einer verneunftigen Schalldaempferanlage ausgestattet, die zumindest bei niedrigeren Drehzahlen nur noch ein etwas gefaehrliches V8 Grummeln mit tiefen Baessen erzeugt. Hier in Suedafrika ist bei den Leuten ein deftiger Geraeuschpegel das sine qua non (ohne das geht nix), aber ich habe wohl mit meinem mitteleuropaeischen Gehoer die Aufnahmepruefung fuer die hoeheren Weihen des Afrikaautomobilsoundlevelmatric nicht bestanden. |
Karosserie
Bei unserem in Suedafrika unter British Leyland Direktiven zusammengeschraubten Land Rover handelt es sich also um einen dreituerigen Pickup mit sogenanntem Canopy, einem festen Kunststoffdachteil, das im Falle dieses Fahrzeugs sowohl das Fahrerhaus als auch die Ladeflaeche abdeckt. Theoretisch koennte es komplett entfernt werden (alles ist nur mit ungezaehlten Bolts and Nuts verschraubt) und man koennte dann sogar die Windschutzscheibe nach vorn herunterklappen – das perfekte Cabriolet – aber der Aufwand fuer einen derartigen Umbau ist enorm hoch und wir haben das demzufolge noch nie versucht. Lkw-maessig hat das Auto einen (sehr steifen) Leiterrahmen, der das Fahrwerk, den Motor und das Getriebe aufnimmt und der wie die Spritzwand nachtraeglich vollverzinkt ist. Tueren, Seitenwaende, Kotfluegel und Haube sind mit nicht-rostendem Aluminiumblechen beplankt, die erforderlichen Versteifungen sind aber leider nur aus Stahlblech gefertigt und rosten lustig vor sich hin. Die vorderen Tueren sind mit mechanischen Kurbelfenstern ausgeruestet, ueber den hinteren Sitzen befinden sich Schiebefenster. |
Platzangebot vorn: | eng | geräumig | |
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Platzangebot hinten: | eng | geräumig | |
Kofferraum: | klein | groß | |
Übersichtlichkeit: | schlecht | gut | |
Qualitätseindruck: | minderwertig | hochwertig |
- + Positiv zu vermerken, dass man beim Schrauben ueberall verhaeltnismaessig einfach ran kommt
- + Die Fahrzeugaussenhaut besteht aus Aluminium und ist daher nicht rostanfaellig.
- + Im Falle meines Fahrzeugs ist das ganze Fahrgestell feuerverzinkt worden
- - Negativ, die starke Korrosionsneigung aller Stahlblechbauteile
- - Ich habe schon furchtbar verrostete Exemplare des Defenders gesehen, Stirnwand usw., da lohnen sich die Reparaturen nur noch fuer einen Enthusiasten.
Antrieb
Die Motorleistung ist unter Beruecksichtigung des hohen Leergewichts und der moeglichen Zuladung im Vergleich zu aktuellen SUV's mit modernen Antriebsaggregaten ein absoluter Anachronismus. Betrachtet man jedoch die Antriebseigenschaften unter dem Blickwinkel der Ausrichtung des Fahrzeugs auf den Einsatz im Gelaende und auf unbefestigten Strassen, dreht sich das Blatt. Dort reicht die Motorleistung allemal dazu aus, sich permanent im Grenzbereich zu bewegen und die hohe Motorelastizitaet im unteren Drehzahlbereich macht ein mueheloses (An)Fahren auch unter sehr schwierigen Einsatzbedingungen, wie lockerem Geroell, verschlammten Boden, steilen Anstiegen oder Gefaellestrecken und grossen Schraeglagen zur ueberwindbaren Disziplin, wo andere mit ihren Boulevardvorzeigemodellen schon laengst die Fluegel gestreckt haben - trotz einer Mehrleistung von manchmal mehr als 250 PS. Der Durchzug des Aggregats ist im Bereich von 800 bis 2000 U/min beachtlich und begeistert im Gelaende immer wieder, die Drehfreude geht zwar nur bis 3200 U/min, aber das entspricht im langen 5. bereits annaehernd 125 km/h (GPS- gemessen). |
Motorleistung: | schwach | stark | |
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Durchzug: | unelastisch | elastisch | |
Drehfreude: | zäh | agil | |
Getriebe/Schaltverhalten: | schlecht | gut | |
Verbrauch: | durstig | effizient | |
Reichweite: | gering | hoch |
- + Motor mit elektromotorenaehnlicher Elastizitaet im unteren Drehzahlbereich
- + Praezise Schaltung und gute Syncronisation
- - Getriebe sehr laut und verschleissanfaellig. aeuft uebrigens mit Motorenoel, waehrend Transfercase mit Hypoidoel laeuft.
- - Kaum bezwingbarer Durst, im Gelaende verhaeltnismaessig geringer als auf derr Landstrasse.
- - Schlecht schaltbarer Rueckwaertsgang
Fahrdynamik
Das Fahrzeug hat einen LKW-maessigen Wendekreis. Das Ein- und Ausparken wird zu einer Geduldsarbeit. Dabei ist die Servolenkung ausreichend leichtgaengig. Im unteren Geschwindigkeitsbereich ist die Beschleunigung gut, setzt aber schnelle, gut trainierte Schaltarbeit voraus. Dann kann im ueblichen Strassenverkehr zur Verwirrung anderer Verkehrsteilnehmer mehr als gut mitgehalten werden. |
Wendekreis: | groß | klein | |
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Beschleunigung: | langsam | schnell | |
Lenkung: | schwammig | direkt | |
Bremsen: | schwach | standfest | |
Fahrverhalten: | unausgeglichen | ausgeglichen | |
Kurvenverhalten: | unsicher | sicher | |
Wendigkeit: | träge | agil |
- + Im Gelaende gut beherrschbar und durch elastischen Motor immer recht einfach, das Auto in Bewegung zu haltendes Fahrzeug
- - Im normalen Betrieb in Stadt und Land schweisstreibende Arbeit, das Auto sicher und gewandt im Verkehrsfluss zu bewegen
Komfort
Dieser Land Rover hat Schraubenfedern mit hydraulischen Stossdaempfern an Starrachsen vorne und hinten. Im Gelaende, und auf unbefestigten Strassen ergibt sich durch die insgesamt weiche Abstimmung ein hervoragender Fahrkomfort, der sicher nur durch eine adaptive Luft- oder hydropneumatische Federung uebertroffen werden kann. Schlaglochreiche Strecken werden leider nicht sehr gut verdaut. Man weiss nie, ob man ganz schnell oder ganz langsam fahren soll. Ebenso ist leider das Ansprechverhalten der Federung bei hoeheren Geschwindigkeiten auf befestigten Strassen auf Querfugen oder Fahrbahnunebenheiten nicht so gut, Stoesse dringend hart zu den Passagieren durch, die sich dann beim unschuldigen Fahrer ueber seine ruede Fahrweise beklagen und ihm unmissverstaendlich zu verstehen geben, er habe von nun an eine vernuenftige Fahrweise an den Tag zu legen, sonst fliegt er raus. Hier wuerden vielleicht progressive Schraubenfedern mit besserem Ansprechverhalten im unteren Bereich Abhilfe schaffen koennen. Die Sitze vorne und hinten habe ich schon im Vorspann besprochen; die ungenuegende Verstellmoeglichkeit wird natuerlich auch durch die Spuntwand hinter den Vordersitzen hervorgerufen, die der Fahrgastzelle im Gegenzug jedoch eine hoehe Steifigkeit verleiht. |
Federung (komfortabel): | schlecht abgestimmt | gut abgestimmt | |
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Sitze vorn: | unbequem | bequem | |
Sitze hinten: | unbequem | bequem | |
Innengeräusche: | laut | leise | |
Bedienung: | kompliziert | intuitiv | |
Heizung/Klimatisierung: | schwach | wirkungsvoll |
- + Gemessen an einem normalen heutigen Strassenfahrzeug eine glatte 0; der Vorteil: das bringt einem die Natur wieder ganz nahe und es kann nicht so viel kaputt gehen.
- - Das Fahrzeug hat leider keine Holzsitze.
Emotion
Zu diesem Thema kann eigentlich kein vernuenftiger Kommentar mehr abgegeben werden. Alles ist in diversen anderen Beitraegen schon erwaehnt worden. Die Emotionen kommen besonders dann auf, wenn man in diesem Vehicle drinnen sitzt und nach Moeglichkeit selbst faehrt. Von tiefster Verzweifelung bis hoechster Begeisterung scheint alles moeglich. Vollstaendig davon abhaengig, welches Naturell im Auto drinnen sitzt und welche Landschaft gerade durchstreift wird. Aussenstehende moegen das mit einem gewissen Unverstaendnis erleben. Dem Enthusiasten ist das voellig gleichgueltig. |
Design: | langweilig | attraktiv | |
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Temperament (sportlich): | ausbaufähig | realisiert | |
Image: | negativ | positiv |
- + Das Design so aufregend wie das eines Lamborghini Diabolos
- - Das Image, als habe der Besitzer zu Hause auch noch einen dreistrahligen Duesenjet auf seinem Privatflugplatz geparkt
Unterhaltskosten
KFZ-Steuer pro Jahr | bis 100 Euro |
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Verbrauch auf 100 km | über 10 Liter |
Inspektionskosten pro Jahr | bis 100 Euro |
Gebrauchtwagengarantie | keine vorhanden |
Werkstattkosten pro Jahr | 500-1500 Euro |
Haftpflicht | bis 200 Euro (100%) |
Außerplanmäßige Reparaturkosten | Motor/Kraftstoffversorgung/Abgasanlage - Vergaser (400 €) |
Gesamtfazit zum Test
Ein Fahrzeug fuer den outsider, der den ewigen Stau auf der Autobahn satt hat und in der Landkarte nach den letzten verbliebenen Gravelroads sucht und der der Begegnung mit Elefanten, Nashoernern, Loewen, Giraffen, und anderem Getier mit groesstem Enthusiasmus entgegensieht.
Mon Jan 02 20:26:49 CET 2012 |
Jan_Ds
🙂 DAS nenne ich einen Test.
Mon Jan 02 20:27:55 CET 2012 |
Zeiti0019
Zur Abwechslung ein ehrlicher Test. Sauber! 🙂
Thu Nov 29 13:07:53 CET 2012 |
Standspurpirat40767
In einem ADAC freien Land, in dem grundlegende Kenntnisse der Fahrzeugmechanik eine Frage des Überlebens sind, hilft etwas Üben beim Schrauben vor dem Start, - aber wenigsten kann kann bei diesen Defendern noch selbst geschraubt werden. Das mit den Benzinpreisen in Kapstadt ist natürlich auch ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium, schliesslich kann der durchschnittliche Mittel-Europäer sein Leben als Steuersklave höchstens mit einem atemberauschenden Abenteuer auf einem Feldweg oder speziell präparierten "off-road Äckern" aufheitern. Da tut's dann auch die Diesel-Version. Ein schöner Test-Beitrag der neugierig macht. Also beim dem nächsten Urlaub in Süd-Afrika einen Defender mieten und zu Weinproben fahren.
Tue Feb 03 13:30:30 CET 2015 |
Multimeter46976
Video der Urahnen
https://www.youtube.com/watch?v=GbcyMSKJ-2Y
https://www.youtube.com/watch?v=UO33tDyRcMI