Hersteller gegen Zulieferer
Wie ein kleines Teil für Audi zum Streit um Milliarden Euro führen könnte
Autohersteller Audi und Zulieferer Vitesco streiten schon seit Monaten um ein Teil namens Riemenstartergenerator. Wer hat die Schäden zu verantworten, wer muss den Tausch bezahlen, wann liefert Vitesco genug? Jetzt eskaliert die Situation. Es könnte um Milliarden Euro gehen.
Von Michael Freitag
22.01.2024, 11.05 Uhr • aus manager magazin 2/2024
Auf die Fähigkeiten seiner Riemenstartergeneratoren ist Autozulieferer Vitesco offenbar stolz: Statt der Lichtmaschine binde man einen 48-Volt-Motor als Startergenerator in den Riementrieb und spare so 10 Prozent Kraftstoff. Als die Regensburger, mit 9,1 Milliarden Euro Umsatz und 38.000 Beschäftigten einer der Kolosse der Verbrennerwelt, die Technologie 2018 an die Premiummarke Audi verkauften, fabulierte die damalige Mutter Continental: Audis Luxuslimousine A8 werde jetzt „emissionsfrei segeln“ bis Tempo 160.
Sechs Jahre später hat sich die Motorenallianz zur Streitgemeinschaft entwickelt – mit möglicherweise milliardenschweren Schäden: für Audi, für Vitesco oder sogar für beide.
Der Streit um die hohe Fehlerquote bei den Anlassern tobt intern bereits seit einigen Monaten. Vitesco-Aufsichtsratschef Siegfried Wolf (66) verärgerte den Audi-Vorstand schon im Sommer. Er suchte die Unterstützung der in Ingolstadt durchaus einflussreichen Porsche-Familie, um die Sache schadensfrei für Vitesco zu lösen. Inzwischen aber ist das Problem eskaliert. Audi hat seine Juristen eingeschaltet.
10 Prozent weniger Kraftstoffverbrauch? Bringt der Riemenstartergenerator von Vitesco nur, wenn er nicht defekt ist Foto: PR
Audi setzt die von Vitesco gelieferten Teile seit 2018 in Sechs- und Achtzylindermotoren ein; die Missstimmung begann damit, dass Modelle mit diesen Antrieben immer mehr Aussetzer hatten. Von gut 1000 Schäden pro Woche ist bei Audi die Rede, mal ein paar mehr, mal weniger. Für die USA jedenfalls haben sich Audi-Chef Gernot Döllner (55) und seine Leute zu einer Serviceaktion entschieden, es soll in Kürze losgehen: Kundinnen und Kunden dürfen ihre Autos in die Werkstatt ihres Vertrauens bringen, die Riemenstartergeneratoren werden kostenlos getauscht. Das sei kein Rückruf, darauf legen die wenigen bei Audi Wert, die über das Thema sprechen.
Doch was erträglich klingt, kann sehr ärgerlich werden. So ein Tausch ist teuer, schon die vorsichtigeren Schätzungen gehen in Richtung 1000 Euro. Finanziell in die Vollen geht es aber, weil Audi für solche Tauschangebote so viele Teile bräuchte, dass nicht mehr genügend für die bestellten Neuwagen da wäre. Schon ein Bestellstopp für Sechszylinder im April 2023 tat weh; die betroffenen Modelle wie die Sportvarianten S6 und S7 bringen besonders viel Rendite.
Erst recht problematisch wird der Streit aber, weil Vitesco nicht so viel liefert, wie Audi gern möchte. Rund 6000 Stück pro Woche seien vereinbart und würden in guten Zeiten auch geliefert, heißt es in Ingolstadt. Einkaufschefin Renate Vachenauer (53) und inzwischen auch der im Volkswagen-Konzern verantwortliche Dirk Große-Loheide (59) versuchten alles, um Vitesco-Chef Andreas Wolf (63) und seine Leute trotz des Streits gnädig zu stimmen.
Auffällig harter Kurs
Jetzt kündigte Vitesco aber offenbar an, die Lieferung ab Mitte Januar deutlich zu reduzieren. Von einer Halbierung ist die Rede, weder Audi noch Vitesco wollen sich dazu äußern. Audi jedenfalls will – Stand Januar – notfalls vor Gericht ziehen.
Nicht unschwer auszumalen, dass längst auch ein heftiger Streit über die Schuldfrage ausgebrochen ist. Das ursprüngliche Problem ist gefunden. Vitesco allerdings geht davon aus, dass Audis Bauvorschriften schuld sind. So wie Audi bestellt habe, könnten die Teile einfach nicht unendlich halten. Audi sieht das anders. Vitesco ist verantwortlich.
In der Regel werden solche Streitigkeiten in der deutschen Autoindustrie friedlich geregelt. Es gibt Krisengipfel, im Zweifel schalten sich die Chefs ein. Der Zulieferer fährt die Kapazität hoch, bekommt gegebenenfalls eine Preiserhöhung. Oder, wenn er in der schwächeren Position ist, gibt er bei den nächsten Orders satte Nachlässe.
Die Vitesco-Leute allerdings gelten als tough. Rechtsvorstand Stephan Rölleke (55) fährt auch bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover wegen der Rolle von Conti und Vitesco im Dieselskandal einen auffällig harten Kurs. Wirkliche Kraft entfalten würde da wohl nur, so erscheint es Insidern, wenn Audi Vitesco aus der Haftung entließe.
Die Summen, um die es geht, laufen derweil gefährlich hoch. Wenn Vitesco tatsächlich massiv reduziert, könnte Audi seine Werke nicht voll auslasten, besonders Neckarsulm liefe untertourig. Zehntausende der lukrativsten Modelle könnten unter Umständen nicht gebaut werden. Dazu kommen die Tauschkosten, die immer weiter steigen. Etwa vier Milliarden Euro habe Ingolstadt als möglichen Schaden und entgangenen Gewinn für 2024 genannt, falls Vitesco tatsächlich sehr stark reduzieren würde, heißt es in der Konzernzentrale in Wolfsburg.
Das sei ein Extremszenario, sagen sie in Ingolstadt. Schon die Hälfte wäre sehr viel, man werde etwa versuchen, Kundinnen und Kunden von anderen Motoren zu überzeugen. Es bleibt aber die Frage, wer das Ganze bezahlt. Zu möglichen Rückstellungen mag sich Vitesco nicht äußern. Zum Ende des dritten Quartals 2023 hat der Konzern die kurz- und langfristigen Rückstellungen für sonstige Risiken und Verpflichtungen gegenüber Ende 2022 reduziert auf gut 540 Millionen Euro. Und darin sind auch Garantie- und Haftungsrisiken enthalten.
Zwei Nebendarsteller dürften gerade ziemlich genau hinschauen, was in Ingolstadt und Regensburg abläuft: Georg Schaeffler (59) und Klaus Rosenfeld (57), Haupteigner und Vorstandschef des Zulieferers Schaeffler. Sie wollen Vitesco komplett übernehmen, werden für die Erhöhung ihres Anteils wohl fast zwei Milliarden Euro ausgeben. Nicht auszudenken, wenn da ein Megaschaden dazwischenkäme.