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Classic Driving News

Sehr individuell: Audi 100 „Chromobil“

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Mit dem Modell 100 gelang Audi 1968 der Aufstieg in die obere Mittelklasse. Es war der Anfang der Erfolgsstory des Ingolstädter Unternehmens unter diesem Namen, nachdem die Auto Union Mitte der sechziger Jahre zu Grabe getragen worden war. Heute sind die Ur-100er rar geworden. Alexander Huss, genannt Alex, hält ihnen seit vielen Jahren die Treue.

Er sieht aus, als hätte Alex ihn irgendwann aus Kalifornien zurück geholt: Der L.A. Aufkleber auf dem Heckblech, die wuchtigen Chromstoßfänger, die roten Rückleuchten, selbst die Kennzeichenhalter, die nur Nummerntafeln im Moped-Format zulassen. Doch das alles ist bloß Staffage, wie sein Besitzer gesteht: „Dieses Auto hat seit seiner Erstzulassung im Jahr 1970 immer eine deutsche Zulassung gehabt. Es ist mir 1997 hier in München aufgefallen, bei einem Fähnchenhändler an der Wasserburger Landstraße.“ Rund anderthalb Jahre lang stand sich der Zweitürer dort, auf der bekannten Gebrauchtwagenmeile, die Reifen eckig. Beim ersten Kontakt verlangte der Händler 1200 Mark für den zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alten Ingolstädter. Alex lehnte dankend ab. „Wäre es einer der wesentlich häufiger zu findenden Viertürer gewesen, hätte ich keinen weiteren Gedanken an den Wagen verschwendet“, bekennt der Fan der bayerischen Stufenheck-Limousinen. So aber fragte er in Abständen nach, und als der Preis – wohl durch den Verfall des KFZ-Briefes - auf 400 Mark gesunken war, bot Alex frech 250 Mark – und bekam den Zuschlag. Zusammen mit einen Bekannten rückte er kurz drauf bei dem Händler an, bewaffnet mit dem Kaufpreis, einer funktionstüchtigen Batterie und Überführungskennzeichen. „Den leeren Kühler haben wir mit Wasser von der benachbarten Tankstelle aufgefüllt, die Kiste tatsächlich zum Laufen gebracht und dann mitgenommen“, erinnert sich Alex. Seine Absicht war es, den Zweitürer alltagstauglich zu machen, was dann doch nicht ohne größeren Aufwand abging: „Die Lampentöpfe waren durch, auch die A-Säulen zeigten morsche Stellen. Stehbleche, alle vier Radläufe, der Wagenboden und die Endspitzen – überall bestand Handlungsbedarf.“ Und so handelte Alex entsprechend, was ihm als gelerntem Karosseriebauer fachlich nicht schwer fiel, aber doch einige Monate lang eine Menge Freizeit kostete. Beim Zusammenbau orientierte sich Alex dann mehr am eigenen Geschmack als dem originalen Auslieferungszustand. Neben den oben erwähnten Änderungen erhielt der Audi 100 Sidemarkers, verstärkte Hinterachsfedern und eine dezente Tieferlegung durch den Einbau der Coupé-Vorderachse. Außerdem bekam er eine andere Dachhaut spendiert, die mit dem Werks-Schiebedach. Das im Zuge der Modifikationen verwendete Getriebe hat eine längere Übersetzung und stammt aus einem Audi 100 GL. Es wird nicht mehr über eine Mittelschaltung, sondern über einen Lenkradschalthebel bedient. Der Meilentacho mit dem Drehzahlmesser und die grüne Colorverglasung stammen tatsächlich aus den USA, ebenso die Hupe, die zuvor in einem 72er Cadillac Dienst tat. Ein Elektrolüfter für den Kühler und eine moderne 80 Ampere Lichtmaschine sind Zugeständnisse an den Betrieb als Alltagsfahrzeug, denn als solches dient der inzwischen fast 40 Jahre alte Bayer seinem Eigentümer bis heute. Die Laufleistung nähert sich inzwischen der 400.000 Kilometer Grenze, was selbst für die als stabil bekannten Mitteldruck-Motoren beachtlich ist.

Inzwischen ist der „Chromobil“ genannte Audi 100 in der Bayerischen Landeshauptstadt und ihrer Umgebung bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. „Selbst wildfremde Menschen sprechen mich zeitweise an, um mir mitzuteilen, wann sie mich neulich wo haben fahren sehen“, freut sich Alex. Seine Familie nimmt seine Audi 100 Leidenschaft mit Gleichmut hin, die Audi-Szene hingegen reibt sich an dem Outlaw-Outfit des Zweitürers, wogegen die Ordnungsmacht inzwischen kapituliert zu haben scheint: „In den ersten sechs Jahren oder so haben mich die Münchner Polizisten bei jeder Gelegenheit heraus gewunken und überprüft. Inzwischen ist das nicht mehr der Fall, sie kennen das Auto längst und wissen, es ist alles in Ordnung damit.“ Selbst ein H-Kennzeichen trägt der „Schein-Ami“ inzwischen…

Selbst ein H-Kennzeichen trägt der „Schein-Ami“ inzwischen…

von Michael Grote

 

Quelle: Carsablanca

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