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Classic Driving News

Romeo und Julia Reloaded

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Dieses Alfa Romeo 2000 S Coupé von Vignale kehrte auf verschlungenen Wegen nach 33 Jahren zu seinem einstigen Besitzer zurückt: Romeo und Julia reloaded.

So war das eben damals, 1974, als das gerade mal 15 Jahre alte Alfa Romeo 2000 Vignale-Coupé noch kein Oldtimer und der Begriff Youngtimer noch unbekannt war: Der Alte musste einem jüngeren, einem sportlicheren Alfa Romeo Platz machen - einem ganz normalen 1750 GT Veloce von 1969. Das Bertone-Coupé war handlich und kompakt, nicht ganz so auffällig wie der 4,7 Meter lange Vignale, und es ging nicht dauernd irgendetwas kaputt.

Max Bertschinger erinnert sich: "Das herrschaftliche Vignale-Coupé, auf das ich anfangs sehr stolz war, passte irgendwann nicht mehr zu mir. Es wirkte mit den großen Glasflächen und den spitzen Heckflossen schon etwas altmodisch. Außerdem hatte ich mit dem Zweiliter-Vierzylinder dauernd irgendwelche Problemen. Ich bin mehrmals mit dem Wagen liegen geblieben."

Durch Handwäsche zum Alfa-Fan

Doch wie kommt überhaupt ein damals 19-jähriger Auto-Liebhaber in den Besitz eines derart seltenen, nur 15 Mal gebauten und gewiss nicht ganz billigen Designer-Alfa? Ganz einfach: durch seinen netten Herrn Papa. Julius Bertschinger war ein großer Alfa-Fan. In dessen kleinem, erlesenen Familien-Fuhrpark befanden sich um 1965 drei wertvolle Alfa-Prachtstücke: eine 2000 Belina, ein 2600 SZ Zagato-Coupé und eben das 1962 angeschaffte Vignale-Coupé. Sohn Max durfte an den Wochenenden meistens alle drei Alfa waschen: "Trotz der anstrengenden Handarbeit hat mir das bei diesen Autos sogar Spaß gemacht. Und ich durfte sie später selbst umparken."

Nach bestandener Führerscheinprüfung hat Julius Bertschinger das Vignale-Coupé seinem Sohn Max überlassen, der für den Unterhalt des Wagens selbst aufkommen musste. "Das war nicht ganz ohne Risiko", erinnert sich Bertschinger junior, "mein Vater hatte schon damals, wie er sagte, so viel Geld in den Vignale gesteckt, dass man davon einen Ferrari hätte kaufen können."

Trotzdem war die Karosserie des großen Coupés nie ganz dicht, sorgte die Elektrik für Überraschungen, und der Motor überhitzte gelegentlich. Die Trennung von dem großen Flossentier fiel damals nicht besonders schwer. Dennoch hielt Max Bertschinger der italienischen Marke die Treue: Dem piniengrünen Alfa Romeo 1750 GT Veloce folgte 1976 ein 2000 GT Veloce.

Im Internet taucht das seltene Vignale-Coupé wieder auf

Dann ging es mit Hubraum und Motorleistung steil nach oben: Alfa Romeo 75 3.0 America, 164 3.0 V6, GTV 2.0 V6 Turbo. Dabei behielt der unverbesserliche Alfisti natürlich auch die Klassiker im Auge - einschließlich der Alfa-Modelle aus seiner Jugend, die schon längst nicht mehr im Besitz der Familie waren. Dann die große Entdeckung: "Als ich im Spätsommer 2003 im Internet verschiedene Fotos von schönen Alfas betrachtete, erkannte ich unseren 2600 Zagato wieder, der mit einem Kennzeichen aus Essen auf einer Wiese parkte."

Bertschinger konnte den Besitzer des Zagato ausfindig machen und ihn anschließend besuchen. Der Alfa-Sammler wollte sich nicht von dem über 200 km/h schnellen Sechszylinder-Geschoss trennen, gab aber einen wichtigen Hinweis, wo sich derzeit das Vignale-Coupé befindet. Max traf sich mit dem neuen Vignale-Eigentümer in der Schweiz. Er wohnte gar nicht so weit entfernt von den Bertschingers und hatte den Wagen bereits 1975 erworben. "Es war ohne Zweifel unser Vignale, ich erkannte ihn schon am Geruch und an einigen Karosserie-Eigenheiten", erzählt Bertschinger. "Und das Beste daran: Das Coupé war perfekt restauriert und befand sich auch technisch in hervorragendem Zustand."

Auf Basis des 2000 Spider schuf Michelotti eine elegante Schönheit

Heinz Koller, der neue Besitzer, hatte das seltene Stück von 1979 bis 1990 mit viel Fachwissen restauriert und alle Kinderkrankheiten behoben. Nur verkaufen wollte er den Vignale nicht. Doch nach vier Jahren Überzeugungsarbeit konnte Bertschinger 2007 sein außergewöhnliches und exklusives Jugendauto zurückkaufen. Giovanni Michelotti schuf im Auftrag des bei Turin beheimateten Karosseriebauers Vignale die elegant und großzügig geschnittene Coupé-Karosserie. Ihre Dimensionen erinnern an einen großen Fiat oder gar Maserati.

Die technische Basis lieferte der 2000 Spider mit seinem kurzen 2,5-Meter-Radstand. Trotzdem ist das Vignale-Coupé gleich lang wie die viertürige 2000 Berlina. Einen großen Beitag leistet hierzu das, von der Seite betrachtet, in Fahrtrichtung schräg abgeschnittene Heck mit dezenten Flossen, das dem Wagen eine gewisse Dynamik verleiht. Im Verbund mit den vergrößerten Kühleröffnungen neben dem Scudetto und den wuchtigen Stoßstangenhörnern hat das Coupé für Bertschinger sogar "einen leicht amerikanischen Einschlag".

Ziemlich amerikanisch sitzt man auch auf den extrabreit geformten und weich gepolsterten Frontsitzen. Gut im Blickfeld liegen vier Rundinstrumente, die zusammen mit deren Trägereinheit deutlich breiter als im Spider angeordnet sind. Das Raumgefühl unter dem hohen, großzügig verglasten Dach ist sehr üppig und wird durch die tiefe Sitzposition verstärkt. Dank der niedrigen Gürtellinie sieht man dennoch hervorragend in alle Richtungen nach draußen.

Müheloses Fahren im Vignale-Alfa

Wer direkt von einem modernen, hochgeschlossenen Mittelklassewagen wie dem Opel Insignia umsteigt, der fühlt sich in etwa so, als säße er auf einem fliegenden Teppich. Der komfortabel gefederte Alfa fährt völlig mühelos. Der drehmomentstarke Zweiliter-Motor zieht schon bei niedrigen Touren kräftig an. Die Fünfgangschaltung gefällt mit relativ kurzen Wegen, und der Wagen hängt vorbildlich und fein dosierbar am Gas. Anstatt des Alfa-typischen, sonoren Vierzylinder-Trompetens vernehmen die Insassen vor allem mechanische Geräusche wie ein kerniges Singen und Heulen.

Der komfortabel abgestimmte Vignale ist trotz seiner sportlichen Herkunft kein großer Kurvenräuber und will mit etwas Gefühl durch Biegungen geführt werden. Das gut 1,3 Tonnen schwere Prachtstück braucht eine gewisse Zeit, um sich an einen Richtungswechsel zu gewöhnen: Bis es sich allmählich in die Kurve gelegt hat, ist diese oft schon zu Ende - und es geht wieder Geradeaus. Auf einem Parkplatz sprechen wir über die Entstehungsgeschichte des manuell gefertigten Einzelstücks. Hemdsärmlige Fertigungsqualität

Bertschinger geht davon aus, dass der am 1. Januar 1959 erstmals zugelassene Wagen der erste aus der Serie von 15 Alfa 2000 Vignale-Coupés sei und bereits auf zwei Autosalons gezeigt wurde: im Dezember 1958 in Turin und im März 1959 in Genf. "Interessanterweise", berichtet Bertschinger, "besaß das Fahrzeug in Turin noch eine andere Frontpartie und anders geformte seitliche Kiemen".

Spätere, ab 1960 gebaute Versionen unterschieden sich bereits von dem Bertschinger-Coupé. So gab es auch eine Variante mit Doppelscheinwerfern im Stil des Fiat 2300. Dass jedes Auto von Hand auf das Chassis eines Alfa Romeo 2000 Spider aufgebaut ist, zeigt sich auch an unserem Exemplar. Hier fallen insbesondere die einfach gestalteten, aus Rohren geformten Scharniere der Türen und Hauben auf, die aus Gewichtsgründen in Aluminium ausgeführt sind.

Auch die Innenverkleidungen der Türen oder die Einstiegsleisten wirken in der Fertigungsqualität etwas hemdsärmelig. "Hier muss man dem Restaurierer ein großes Kompliment machen", sagt Bertschinger, "dass er sich nicht dazu hinreißen ließ, mit modernen, edlen Materialien das Auto künstlich aufzuhübschen". Sowieso nicht zu vertuschen wäre eine Karosserie-Ungleichheit am Heck gewesen: Die Dreiecks-Spickel gegenüber dem rechten und linken unteren Rand des Kofferraumdeckels sind unterschiedlich breit, was man mit dem bloßen Auge gut erkennen kann.

Preise in Baden-Baden und Schwetzingen für das seltene Alfa-Coupé

Trotz oder gerade wegen dieser offensichtlichen Unstimmigkeiten und der feinfühligen Restaurierung gewann Max Bertschingers wieder entdecktes Jugend-Coupé in diesem Jahr einige Preise bei Schönheitswettbewerben. In Baden-Baden wählte die Jury das Vignale-Coupé unter rund 30 Teilnehmern zum Sieger in der Sonderklasse Alfa Romeo, in Schwetzingen reichte es immerhin für einen zweiten Platz. Dadurch flammte bei Max Bertschinger die nur noch spärlich glimmende Leidenschaft für die italienische Marke wieder zu einer hell lodernden Flamme auf.

Der sich im Ruhestand befindende Spezialist für Bank-Sicherheitssysteme möchte sich eine kleine Alfa-Sammlung zulegen, die aus allen vier 2000er-Varianten besteht. Ein Spider ist schon vorhanden, ebenso ein im vergangenen Jahr erworbener 1750 GT Veloce, "piniengrün wie mein erstes Bertone-Coupé". Und es wirkt: Der 57-jährige Alfa-Fan spricht über seine geliebten, italienischen Autos mit der jugendlichen Begeisterung eines Romeo Montague.

 

Quelle: Motor Klassik

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