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In der Ferrari-Box: (Hilfs-)Mechaniker bei den F1-Clienti - Mein Tag im Dienst des sich aufbäumenden Pferdes

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Für einen Tag tauschte MOTOR-TALK-Redakteur Philipp seine Hobbywerkstatt gegen die Ferrari-Box. Er schraubte an alten F1-Flitzern und stellte fest: Manches ändert sich nie.

MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse tauscht Hobbygarage gegen Formel-1-Box und ist für einen Tag Crewmitglied bei Ferrari MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse tauscht Hobbygarage gegen Formel-1-Box und ist für einen Tag Crewmitglied bei Ferrari Quelle: Ferrari

Hockenheim – Ein warmer Luftzug weht durch die Box am Hockenheimring. Das Rolltor steht offen. Hinter einer Absperrung drängen sich begeisterte Menschen, fotografieren, strecken die Hälse.

Mittendrin stehe ich – in einem weiß-roten Polohemd, auf der Brust ein sich aufbäumendes Pferd. Um mich herum sieben knallrote Formel-1-Wagen aus den Jahren 1998 bis 2008. Der Geruch von hochoktanigem Benzin und Abgasen liegt in der Luft. Trotzdem ist es ruhig. Nur alle paar Minuten heult ein Schlagschrauber die markerschütternde Melodie der Boxengasse.

Die Boliden machen Eindruck. So nahe wie bei den Ferrari Racing Days kommt man ihnen auch als Zuschauer selten Die Boliden machen Eindruck. So nahe wie bei den Ferrari Racing Days kommt man ihnen auch als Zuschauer selten Quelle: Ferrari

Teil des Mythos

Normalerweise schraube ich an einem in die Jahre gekommenen Granada. Doch heute tausche ich Ford gegen Ferrari, Blaumann gegen rotes Hemd und staubige Hobbygarage gegen klinisch saubere Box. Für ein paar Stunden bin ich Teil eines Mythos, Teil von 66 Jahren Rennsport-Geschichte, Teil der berühmtesten Automarke der Welt. Nicht bei einem echten Formel-1-Rennen, auch wenn der Ablauf hier beinahe gleich ist.

Auf Veranstaltungen wie den Ferrari Racing Days können Superreiche, die einen ehemaligen F1-Ferrari besitzen, ihren Rennern freien Lauf lassen. Zwischen einer und drei Millionen Euro zahlen die sogenannten F1-Clienti für so einen Rennwagen. Bringen, Abholen - all das erledigen dann die Mechaniker von Ferrari für sie. Und ich bin einer von ihnen, zumindest ein bisschen.

In Sekundenschnelle haben die Mechaniker die Reifenwärmer aufgezogen In Sekundenschnelle haben die Mechaniker die Reifenwärmer aufgezogen Quelle: Ferrari

Urlaub in der Box

Mauricio ist der Boss in der Box. Er hat graues, lockiges Haar, ist ein gutes Stück älter als die restlichen Mechaniker und – fast nie da. Ständig läuft er im Fahrerlager umher, hängt im Gespräch mit wichtigen Leuten oder am Telefon fest. An den Rennern hat er vermutlich zu Schumis Zeiten das letzte Mal geschraubt. Wir begrüßen uns nur kurz, dann gibt er mich in die Obhut von Gianni, er ist sowas wie sein Stellvertreter in der Schrauberhalle.

Gianni ist um die 40 Jahre alt, routiniert und streng - und etwas weniger schlank, als viele der jungen und natürlich durch die Bank italienischen Mechaniker. Er erzählt mir, dass das hier gerade eigentlich Urlaub ist.

Ich verstehe ihn nicht recht, weil mein Puls im Urlaub üblicherweise niedriger liegt als in diesem Moment. Aber er erklärt weiter: Das ganze Jahr werden die Autos gewartet, zwischen den Renntagen in Maranello zerlegt und wieder zusammengebaut. Ungefähr 1.500 Kilometer fahren die Clienti in einer Saison. Danach werden Motor und Getriebe komplett überarbeitet oder ersetzt. Das ist die eigentliche Arbeit. Jetzt müssen die Boliden nur noch funktionieren. Auf den Punkt, wie in der Formel 1.

Was Gianni erzählt, passt zum Geschehen. In der Box herrscht entspannte Atmosphäre. Die Mechaniker in Rot erledigen Kleinigkeiten und sind lässig. Nur ich bin krampfhaft locker. Enttarnt mich meine beige Hose bei den vielen Ferrari-Fans, die neugierig in die Box schielen? Alle anderen Mechaniker tragen untenrum Schwarz. Ich versuche meine Hände nicht in die Hosentaschen zu stecken – meinem neuen Chef würde das sicher nicht gefallen.

Während die F1-Ferrari an der Boxenmauer vorbeifliegen, können wir den weiteren Ablauf durchsprechen Während die F1-Ferrari an der Boxenmauer vorbeifliegen, können wir den weiteren Ablauf durchsprechen Quelle: Ferrari

Aufnahmeprüfung bestanden

Gianni bricht das Eis. Er gibt mir ein Head-Set und erklärt, wie es funktioniert. Wir senden ein, zwei Funksprüche auf Englisch hin und her. Ich werde lockerer. Dann hat er die erste kleine Aufgabe für mich. Kimi Räikkönens Rennwagen aus der Saison 2008 muss aus der Box. Mit dem F2008 gewann Ferrari zum 16. und bisher letzten Mal die Konstrukteurs-WM. Gemeinsam mit einem weiteren Mechaniker schieben wir den Boliden in die grelle Sonne. Unter Giannis strengem Blick versuche ich einen Reifenwärmer auf den Slick vorne rechts zu fummeln. Mein Versuch, mir den Vorgang bei den anderen genau abzugucken, scheitert kläglich. Alles geht so schnell und jetzt weiß ich nicht, wo dieser kleine Metallhaken hingehört. Gianni eilt zu Hilfe und gibt mir einen kleinen Stubs in die richtige Richtung. So bestehe ich die “Aufnahmeprüfung” gerade noch.

Ich werde Mechaniker Matteo und dem F2003GA zugeteilt. Der Bolide wurde früher von Rubens Barrichello gesteuert. Vier seiner 323 Grand Prix bestritt der Brasilianer in genau diesem Wagen. Im Schwesterauto wurde Michael Schumacher 2003 zum sechsten Mal Weltmeister. Matteo ist dürr und ein Stückchen kleiner als ich. Von der Statur her könnte er selbst Rennfahrer sein. Vom Alter her nicht. Er ist älter und erfahrener als die Jungspunde im Team, vielleicht sogar älter als Gianni. Ich soll ihm auf Schritt und Tritt folgen und das tue ich.

Mittlerweile kenne ich meine Position genau. Matteo und ich bringen den Renner sauber in die Box Mittlerweile kenne ich meine Position genau. Matteo und ich bringen den Renner sauber in die Box Quelle: Ferrari

Auf einmal geht alles ganz schnell

Vor jedem Start der Wagen werden Spiegel, Lenkung und Sitz justiert. Matteo erklärt mir, was er tut, ich schaue zu und bewundere seine Ruhe. Dann schnallen wir den Besitzer im Sechspunkt-Gurt fest. Der ältere Herr aus Amerika fährt seit Jahrzehnten klassische Rennwagen und steigt sofort wieder aus. Das war nur das finale Probesitzen, um zu schauen ob auch wirklich alles passt, erklärt mir Matteo.

Als die Piste für die F1-Clienti freigegeben wird, geht alles ganz schnell: Erst Anschnallen, dann runter mit den Reifenwärmern. Die Gummis sind jetzt rund 90 Grad warm. Ein kleiner roter Kasten hat die Kühlflüssigkeit des Motors auf 60 Grad vorgewärmt. Während der Fahrt wird die Temperatur auf 120 Grad steigen. Nachdem ich kurz im Weg stehe, zeigt mir Matteo meinen Platz. Wir schieben den gut 850 PS starken Rennwagen an die frische Luft. Dann startet Matteo den 3,0-Liter-V10 mit einem externen Anlasser.

Ein Sound wie vom anderen Stern erfüllt die Boxengasse. Laut, ratternd, unvergleichlich. Ich setze meine Kopfhörer auf. Ohne sie würde sich mein Gehörsinn binnen weniger Minuten verabschieden. Der Funk bleibt außerhalb von Giannis Einführungsritual leider sinnlos. Ich verstehe kein Italienisch.

Dann braust der rund 600 Kilogramm schwere Bolide kreischend aus der Boxengasse.

Volltanken, bitte: ein Anschluss für Sprit, der andere für entweichende Luft Volltanken, bitte: ein Anschluss für Sprit, der andere für entweichende Luft Quelle: Ferrari

Ein bisschen wie zu Hause

Wir sprechen schnell den weiteren Ablauf durch. Als der Wagen wieder reinkommt, kenne ich meine Position: rechtes Hinterrad. Ich schiebe, Matteo lenkt. Wir bringen den Wagen sauber in die Box. Vom Auspuff steigt der Geruch verbrannten Öls auf. Es riecht ein bisschen wie bei meinem Granada.

Die Rennaction, das Kreischen der Motoren, das alles endet so plötzlich, wie es angefangen hat. Nur unsere Arbeit geht jetzt weiter. Einen Rennwagen stellt man nicht einfach in die Garage – schon gar keinen Ferrari. Die Heizdecken der Reifen müssen zusammengerollt werden. Der rote Renner ist mit schwarzen Einschlägen übersät. Matteo drückt mir eine Dose WD40 in die Hand und erklärt, dass sich der Gummiabrieb damit am besten entfernen lässt. Ich grinse in mich hinein. Das Zeug ist wirklich zu allem gut und manche Dinge sind in jeder Werkstatt gleich.

Zeit zum Träumen

In der Box kehrt Ruhe ein. Wenn der Trubel vorbei ist und die Mechaniker aufräumen, schauen die Fans nicht mehr hin. Doch das ist egal. Mit den hartnäckigen Schmutzstellen gebe ich mir besondere Mühe. Der Renner soll strahlen; ich wienere und poliere, als ob er mein eigener wäre. Wenn ich mit ihm fertig bin, soll mir Ferrari wenigstens einen Job in der Box anbieten.

Matteo lässt mich die Reifen demontieren. Mit der Bedienung des Schlagschraubers bin ich halbwegs vertraut Matteo lässt mich die Reifen demontieren. Mit der Bedienung des Schlagschraubers bin ich halbwegs vertraut Quelle: Ferrari Wir betanken das Auto und nehmen die Abdeckung des Motors herunter. Dann demontieren wir die Räder, um die Reifen zu überprüfen. Matteo erklärt mir die Bedienung des Schlagschraubers. Jetzt kann ich ihm noch einmal zeigen, was ich drauf hab. Der Schrauber funktioniert schließlich nicht anders als das heimische Baumarkt-Modell. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon als Chef-Mechaniker bei der Scuderia Ferrari – mindestens. Unter lautem Heulen löse ich die zentralen Verschraubungen und nehme die Räder ab.

Matteo sieht zufrieden aus. Am Ende wirft er einen kurzen Blick aufs Auto und sagt mit seinem liebenswerten italienischen Akzent: „Isse okäii“. Ich bin wieder in der Realität - und mit diesem Kompliment mehr als zufrieden.

Avatar von granada2.6
Mercedes
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