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Motorkultur

Im toten Winkel: Der Toyota Cressida von 1977

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In dieser neuen Rubrik wollen wir Euch in Zukunft einige jener Autos vorstellen, die bisher nie grosse Beachtung fanden und trotzdem einen zweiten Schulterblick wert sind. Manche dieser Karren haben die Missachtung verdient, die ihnen wiederfuhr, andere waren vielleicht zu selten, viele hat man schlichtweg vergessen. Motoraver schaut für Euch noch einmal etwas genauer in den Rückspiegel - wie beim Toyota Cressida von 1977...

 

Cressida bezeichnet den dritten Mond des Uranus. Cressida ist ebenso der Name einer Prinzessin Troyas aus der griechischen Mythologie. Cressida steht aber auch für ein Toyota-Mittelklassemodell, das besonders in seiner ersten Generation (1977-1980) nicht nur mit einem gelungenen Erscheinungsbild zu gefallen wusste - sofern es jenseits des hiesigen Marktes verkauft worden war. Denn in den späten siebziger Jahren hatten es vor allem Autos aus Fernost in Deutschland alles andere als leicht.

Die Hitparaden zu dieser Zeit wurden überwiegend von ABBA, Boney M. und Smokie beherrscht, auf unseren Strassen machten der Ford Taunus II, der Opel Ascona B und der frisch überarbeitete VW Passat B1 den Kampf um die Gunst der Käufer unter sich aus. Autos aus Japan galten allenfalls als gelbe Bedrohung, und die wenigen Reiskocher, die dennoch den Weg in deutsche Vorstädte und Reihenhaussiedlungen gefunden hatten, wurden von Gevatter Rost im Eiltempo dahingerafft. Das oftmals schwülstige, chromüberladene Design der Datsuns, Toyotas und Mazdas passte einfach nicht zur neuen Sachlichkeit des Zeitgeschmacks.

Dabei waren diese Fahrzeuge für einen ganz anderen Zweck entwickelt worden - die Eroberung des nordamerikanischen Marktes. Denn 1977 war auch die Zeit der ersten grossen Energiekrise, und die Big Three aus Detroit hatten den horrend gestiegenen Kraftstoffpreisen nur wenig entgegen zu setzen. So nutzten die Japaner die Gunst der Stunde und eroberten sich mit konsequentem Leichtbau, effizienten Motoren und oppulent ausgestatteten Fahrzeugen zu sensationell günstigen Preisen einen satten Marktanteil.

Der Cressida ging aus dem 1971 eingeführten Modell Corona II hervor (die erste Modellpflege des Corona und die Markteinführung des Cressida gingen einher) und löste diesen als umbenanntes Corona-Facelift auf dem amerikanischen Markt sogar ganz ab. In Deutschland hingegen liefen beide Modelle parallel, bis Toyota den Corona 1981 zugunsten des Cressida wieder vom Markt nahm.

Das der Cressida seine Mission primär in der neuen Welt zu erfüllen hatte, liess seine den amerikanischen Ansprüchen angepasste Ausstattung bereits erahnen. Eine Automatik war Standart, ein 5-Gang-Schaltgetriebe optional verfügbar, ebenso wie die Klimaanlage und elektrische Fensterheber. Dafür gehörten ein AM/FM-Stereo-Cassettenradio mit Verstärker, Servolenkung, Armlehnen hinten (vorne gegen Aufpreis) und Heckscheibenheizung zur Serienausstattung.  

Zwei Motoren standen zur Auswahl: ein 2,6 Liter Reihensechszylinder mit trinkfesten 115 PS (der im Vergleich zu amerikanischen Motoren aber immer noch moderate Verbräuche an den Tag legte) und ein sparsamer Zweiliter-Reihenvierzylinder mit 100 PS. Beiden Treibsätzen eilte der Ruf voraus, die leisesten Motoren ihrer Zeit zu sein und in Kombination mit den (trotz Starachse und Blattfedern im Heck) äusserst sanften Fahrwerken den besten Fahrkomfort in der Mittelklasse zu bieten.

Was ihnen in den Vereinigten Staaten gelang, blieb den Japanern in Deutschland versagt - Erfolg. In seiner zweiten Modellgeneration (ab 1980) verkam der Cressida zu einem gesichts- und charakterlosen Gefährt, dessen wenig attraktive Aussenhaut überdrehte Features verbarg, wie zum Beispiel Digitalarmaturen. Der hier gezeigte Cressida Station Wagon des Jahres 1978 ist einer der wenigen, die noch im Originalzustand unterwegs sein dürften. Sein Erstbesitzer lässt seinem Kombi ausser regelmässigen Wäschen und einem Garagenstellplatz keine besondere Behandlung zukommen, der Wagen dankt es ihm mit jener Zuverlässigkeit, die Toyota einst berühmt machte; ausser den regulären Inspektionsarbeiten fielen bis heute keine ausserplanmässigen Reparaturen an. Und da der Cressida erst knapp 130.000 Kilometer abgespult hat, wird er wohl auch in Zukunft den Wohnwagen der Familie gewohnt verlässlich zu den verschiedensten Urlaubsorten am Mittelmeer ziehen.

Fazit: Lange Zeit wurden japanische Fahrzeuge der 70er und 80er Jahre verschmäht, zudem leistete der natürliche Verfall ganze Arbeit, um diese Prunkschiffe auszurotten. Nur wenige Autos dieser Zeit bieten eine derart komplette Ausstattung gepaart mit einer gefälligen Karosse wie der Cressida - zudem dieses zeittypische Konzept ohne Reue genossen werden kann, denn die Zuverlässigkeit ist hoch und die Autos immer noch billig - sofern man überhaupt noch einen findet. Es muss ja nicht immer Knudsen-Taunus sein...  

 

 

 

Quelle: Motoraver Magazin

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