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Classic Driving News

Ford Granada 2.0: Currywurstreise im Ruhrpott

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Hauptkommissar Horst Schimanski schmiss vor 20 Jahren hin. Wir kauften uns einen Ford Granada, fuhren nach Duisburg und gingen wie beim Tatort auf Spurensuche.

Privat fährt er 17M und im Dienst Ford Granada. Dem besorgt er es so richtig in einer Kiesgrube am Hafen, gleich in der ersten Folge mit dem Titel Duisburg- Ruhrort. Verzweifelt untersteuernd wehrt sich die hellblaue Limousine gegen die hochtourigen Drifts, die Kriminal- Hauptkommissar Horst Schimanski ihm gnadenlos abringt. Es ist ein Zweiliter-Vierzylinder - der Citroën CX kam erst später. Der spießige Ford, so ganz ohne Ghia- Glamour und Sechszylinder-Sound, ein Held der Facharbeiter- Klasse, passte einfach besser zum Revier als französische Avantgarde.

So einen Granada für kleines Geld kaufen und damit nach Duisburg fahren, auf Currywurst-Tour, kulinarische Hommage an den unsterblichen Horst mit der Knitterjacke, das wär's. Und wir erzählen nichts den Frauen. Internetrecherche, in Köln steht einer - bei Auto Mobile Cuffaro in Deutz,590 Euro, fahrbereit, TÜV bis Juni. Es ist unser Kandidat, wir riskieren es, Kaufzusage per Fax. Mein Freund Christoph kommt mit, er kann schrauben, falls was passiert. Er ist Schimanski-Fan, hat alle Folgen auf Video. Mag am liebsten Zabou in der Kinofassung, findet aber auch "Zweierlei Blut" ganz toll.

Einsatzwagen: Granada ohne Extras außer Servolenkung

Was soll schon passieren: Vergaser, null Elektronik, Hinterradantrieb, keine Extras außer Servolenkung. Und wo nichts ist, kann auch nichts kaputtgehen. Salvatore spricht bedenkenlos vom Nordkap oder Sizilien, dagegen wäre Duisburg - Stuttgart geradezu ein Klacks. Dass der brummige OHC-Motor zunächst keinen Leerlauf hat, entschuldigt er mit dem Wetter. Wir finden das Auto prima.

Es regnet in Strömen, der Vierzylinder-OHC-Motor klingt mürrisch, als hätte man ihn aus dem Tiefschlaf gerissen. Widerwillig saugt er die kalte, feuchte Luft durch seinen Weber-Doppelvergaser. Gegenüber an der Esso- Tankstelle reißen wir erst einmal die Schonbezüge runter und saugen die Zigarettenkippen und Kronkorken auf, die noch in den Türtaschen liegen.

15 Jahre nachdem die letzte Tatort-Klappe fiel, begeben wir uns auf Spurensuche in die Stadt Montan an Rhein und Ruhr. Gibt es das alte Duisburg noch, das schäbig-schöne, herrlich-morbide, das zwischen 1981 und 1991 29 Mal sonntags die TV-Zuschauer fesselte? Die Stadt, in der sich ein Polizist mit fragwürdigen Methoden wie die Axt im Walde aufführte und sein zart besaiteter Kollege Christian Thanner nicht selten flehte: "Horst, das kannst du doch nicht machen" oder drohte "Horst, du sollst zum Alten kommen". Eine Milieustudie aus dem kantigen Cockpit des Granada soll es werden, mit Currywurst-Buden, Trinkhallen, Hafenanlagen und Kokereien. Schweflige Luft in Bruckhausen, türkische Brautmoden in Marxloh, graubraunes Wasser um die Schrottinsel in Ruhrort und ein paar Straßen weiter der Erotikpalast von Porno-Queen Helen Duval.

Auf der A3 wissen wir noch nicht,was uns erwartet. Der Ford nimmt jetzt das Gas sauber an, erklärt wie sein eigener Tempomat120 km/h zum Lieblingstempo - Viergang, versteht sich. Duisburg ist trotz Strukturwandel nach wie vor der größte Stahlstandort Europas, Thyssen- Krupp hält die Werke Beeckerwerth, Bruckhausen und Ruhrort weiter unter der feurigen Glut der Thomasbirne.

Duisburg ohne Stahl, das wäre wie Paris ohne Eiffelturm

Auf der A40 nehmen wir die Abfahrt Kasslerfeld, einziger Farbfleck in dieser spätwinterlichen Hafentristesse ist das zarte Grün der Motorhaube.Wie Schimanski haben wir entschieden, uns nur von Currywurst zu ernähren. Aber das Duisburg von heute ist nicht mehr das Duisburg der achtziger Jahre. Es ist schöner, anders, riecht nicht mehr so nach Maloche. Die Lücken abgeräumter Industrieanlagen sind größer geworden, der Hafen hat zwischen Schwanentorbrücke und Schifferstraße sein Gesicht verändert. Türme aus Glas und Aluminium haben die morbiden Silos und Kontore verdrängt. Aus alten Backsteinbauten wurden teure Lofts.

Der City-Grill in der Steinschen Gasse ist unser erstes Ziel. Gepflegter Imbiss-Stand, großes Angebot, freundliche Bedienung, man spricht deutsch: Zweimal Currywurst mit Pommes und Mayo bitte. "Macht Vierneunzig, große Gabeln zehn Cent extra", hallt es aus der Küche. Schon stehen drei Mann Schlange - der Laden brummt, der Regen schüttet. Die harten M+S-Reifen ließen den Granada vorhin auf Basaltpflaster unfreiwillig driften.

"Ja, Schimanski, der war damals oft hier mit dem ganzen Filmteam,war ne tolle Zeit", erkärt die ältere der beiden Damen vom City Grill, während sie die Pommes im Edelstahlbottich wirbelt und salzt. "Der fuhr auch son alten Ford, zwanzig Jahre is dat locker her - da war ich noch jung. Und Charme hat der schon, der Götz George, dat is nich nur der prollige Macho, den der spielt."

Wir wählen die Nordroute - über Ruhrort, Laar, Beeck

An der König-Brauerei vorbei führt uns der Weg Richtung Bruckhausen nach Marxloh und Walsum. Der Granada vermittelt Geborgenheit in dieser gar nicht so heilen Welt mit ihren schäbigen Häusern, grottigen Straßentunnels und dampfenden Kühltürmen. Man sitzt bequem, das Raumgefühl ist viel besser als in den neuen Autos, die Übersichtlichkeit ist perfekt. Der sparsame Vierzylinder läuft jetzt freier, Christoph dreht ihn munter, manchmal rupft die Kupplung.

In Bruckhausen vor der imposanten Kulisse des ThyssenKrupp- Stahlwerks halten wir in der Kaiser-Wilhelm- Straße an einer Trinkhalle. "Gibt's hier auch Currywurst?" "Nein, nur Bockwurst", antwortet Demir, der türkische Kiosk-Besitzer freundlich. "Aber sehr gut und sehr dick". Also zweimal Bockwurst mit Brötchen. Herzhaft beißen wir rein, der scharfe Senf treibt einem die Tränen in die Augen. "Wat habt ihr denn da fünne alte Karre?" fragt ein älterer Mann in Freizeitkleidung sehr direkt, während er nebenan seinen Kaffee schlürft.

Hier sind die Menschen so, in drei Minuten wird er uns das Du anbieten und später mit dem Kopf schütteln, wenn er hört, dass wir auf Currywurst-Tour durch Duisburg sind. Plötzlich blüht der Mann im Hausanzug auf. Wortgewandt schildert Wolfram-Erwin Ott, dass er in der Schimanski-Folge "Das Mädchen auf der Treppe" eine Statistenrolle hatte. "Du, dat stimmt wierklich."

In einer Kneipenszene mit aufgebrachten Bürgern, schrie er den einen Satz, der ihn leider nicht berühmt gemacht hat: "Schimmi, hau doch ab nach Monte Carlo!" Fassungslos hören wir zu und gehen erst, als er anhebt von seinem Leben zu erzählen, dass er früher sehr wohlhabend war. Das Wort "Millionär" fällt, bevor er von Scheidung und Absturz redet. Den Statisten glauben wir ihm, nicht nur weil er den Granada plötzlich toll findet.

"Schimanski und Thanner waren öfters da"

In Marxloh neben dem Stehtisch von Peter Pomms Pusztettenstube holt uns Schimanskis langer Schatten wieder ein. An der gefliesten Wand über zwei Portionen Currywurst mit Pommes hängt eine Autogrammtafel mit grobkörnigen Farbfotos von Götz George und Eberhard Feik: "Damals waren die öfter hier, als wir noch unsere Filiale auf der Weseler Straße hatten", ruft Christine aus ihrer brodelnden Edelstahlküche.

Drei Kilometer weiter stranden wir auf der Römerstraße in Duisburg-Farn vor einer tristen Trinkhalle,weiter nach Norden wollen wir nicht - Hochfeld und Rheinhausen warten noch. Wurst gibt es im Walsumer Kiosk keine, stattdessen ein Cornetto-Erdbeer und ein Snickers. Für eine Horde Jungs in Fußballtrikots geben wir eine Runde Süßigkeiten aus. Die meisten sprechen Ruhrpott- Dialekt: "Schimanski, nie gehört, wer soll dat denn sein? Aber die alte Karre, die is geil."

 

Quelle: Motor Klassik

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