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Berlins bekanntester Oldtimer: Opel Olympia Rekord Caravan 1956 - Dieser Opel wurde seit 40 Jahren nicht gewaschen

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Was passiert, wenn ein Auto 40 Jahre lang nicht gewaschen wird? Ein Berliner Professor für Fahrzeugtechnik kennt die Antwort. Sein Opel Olympia wurde zum Rost-Experiment.

Berlins bekanntester Oldtimer steht im Kreuzberger Graefekiez. Steht, denn in der Umweltzone fahren darf das 61 Jahre alte Auto nicht Berlins bekanntester Oldtimer steht im Kreuzberger Graefekiez. Steht, denn in der Umweltzone fahren darf das 61 Jahre alte Auto nicht Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch

Von Anne Klesse

Berlin – Brandenburger Tor, Fernsehturm, Reichstag? In der Kreuzberger Schönleinstraße steht eine der vielleicht ungewöhnlichsten Sehenswürdigkeiten Berlins. Ein verbeulter, verrosteter, stellenweise mit Moos überzogener Opel Olympia Caravan, Baujahr 1956. Das Berliner Original zieht Einheimische und Touristen an. „Edgar, stell dich mal vor das Auto!“, ruft eine Frau ihrem Sohn zu und zückt das Smartphone. So ein dreckiges Auto muss die Frau samt Filius offenbar für die Daheimgebliebenen dokumentieren.

Fahrzeugtechnik-Professor Hanns-Lüdecke Rodewald lächelt darüber nur, als er seinen Wagen für uns auf die Straße schiebt. Schiebt? Ja, denn Kreuzberg liegt innerhalb der Berliner Umweltzone. Hier darf der Opel nicht fahren, er hat kein H-Kennzeichen.

1976 hat Rodewald den Opel einem Lebensmittelhändler in Koblenz abgekauft, für damals 600 Mark. Teilsynchronisiertes Dreiganggetriebe mit Lenkradschaltung. Der Vierzylinder hat 45 PS, die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 122 Kilometer pro Stunde. „Er hatte um die 90.000 Kilometer drauf – mittlerweile sind es 170.000“, sagt Rodewald und klopft dem alten Blech aufmunternd auf das Dach.

Als junger Mann kurvte er damit durch Südfrankreich, in den Siebzigern fuhr er unter dem Eiffelturm durch, „damals durfte man das noch“. Wie bei allen Automobilisten kleben zahlreiche Erinnerungen des 61-Jährigen wie der Dreck an seinem Auto. Jede Beule hat, ist eine Geschichte, von unverschuldeten Unfällen oder der Holdesten, die im Wald mit dem Opel einem Baumstumpf zu nah kam.

Ein Auto in "naturtrüb"

Das Ordnungsamt wollte den Opel Olympia schon mehrfach aus dem Verkehr ziehen. Aber das Auto ist ordnungsgemäß angemeldet Das Ordnungsamt wollte den Opel Olympia schon mehrfach aus dem Verkehr ziehen. Aber das Auto ist ordnungsgemäß angemeldet Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch

Verona-Grün hieß die Originalfarbe, hier und da blitzt sie noch durch. Zwischen dem Drecksbraun und dem Alltagsgrau. Steht der Wagen längere Zeit, nisten sich immer wieder gern Mäuse unter der Motorhaube ein. Einmal keimte ein Kirschbaum-Ableger in der Fensterrille. Moos wächst unter den Scheibenwischern, auf Dach und Motorhaube macht sich die gemeine Gelbflechte breit.

Rodewalds Vater ist Mikrobiologe und kennt sich aus mit Flechten und Moosen. Er nennt den Wagen seines Sohnes „naturtrüb“. Für Hanns-Lüdecke Rodewald, der als Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin den Laborkomplex Fahrzeugtechnik leitet, ist sein Opel Olympia Rekord Caravan ein Experiment: „Ich möchte sehen, was passiert, wenn man ein Auto sich selbst überlässt.“

Seit 1977 hat er ihn deshalb nicht gewaschen, nicht poliert und nicht geputzt. Nur die Reifen werden ab und an gewechselt. Einmal musste er die Fahrertür schweißen. Stoßstange, Kotflügel und Scheinwerfer wurden ebenfalls geflickt. „Ich mache nur das, was absolut notwendig ist, um den TÜV zu schaffen.“ Aktuell gilt die Plakette bis Ende 2018. Jede Prüfung ist eine etwas andere Herausforderung.

100 Prozent Patinagrad

Der Innenraum verlottert original. Es riecht nach Moos und Erde. Kinderschuhe seiner drei erwachsenen Töchter liegen auf der Ablage. Hinten im Kofferraum hat Rodewald alte Fotos von sich und seinem Wagen deponiert. Damit möchte er die Geschichte des Wagens anschaulich machen: „Kaum zu glauben, aber der Opel sah mal richtig gut aus!“

Der Olympia Caravan kurz nach dem Kauf 1976 Der Olympia Caravan kurz nach dem Kauf 1976 Quelle: privat Oldtimerfans können nicht verstehen, wie er mit seinem Auto umgeht. Der betreute Verfall schließt ein H-Kennzeichen für Oldtimer aus, dafür müsste das Auto aufwendig restauriert werden. Ein Euro-Kennzeichen wiederum würde nicht passen, findet er. Außerdem müsste er den Opel dann pflegen. Rodewald liebt die Patina.

Die ist auch Thema seiner Lehrveranstaltungen. Im Labor versuchen seine Studenten, das Experiment „Rostlaube“ wissenschaftlich einzuordnen. So war der Opel Olympia Rekord Caravan schon Gegenstand einer Bachelorarbeit mit dem Titel „Untersuchung zur Patina an automobilem Kulturgut“. „Wir sind gerade dabei, eine Formel zur Berechnung des Patinagrads zu definieren“, erzählt Rodewald und fügt hinzu: „Mein Opel hat 100 Prozent Patinagrad und ist original erhalten – nicht bloß originalgetreu wie viele andere Oldtimer.“

"Ich liebe Dein Auto"

Das Ordnungsamt sieht in dem Wagen alles andere als die Schönheit der Natur. Etliche Knöllchen hat Rodewald schon erhalten. 1992 bekam er sogar eine Anzeige mit dem Vorwurf „Autowrack kraft Vermutung“. Drei Jahre später wurde der Wagen zwangsabgemeldet. „Die dachten, ich hätte illegal meinen Abfall entsorgt“, erinnert sich Rodewald und streicht liebevoll über die Fahrertür.

2008 klebten ihm die Ordnungshüter zweimal eine „Aufforderung zur Beseitigung des Fahrzeugs“ an die Frontscheibe. Seit Einführung der Umweltzone gab es weitere 14 Verfahren wegen der fehlenden Plakette, die aber alle eingestellt wurden oder mit einem Freispruch endeten. Ein parkendes Auto verursacht ja keine Abgase.

An diesem Tag ist der Wagen vor allem Sehenswürdigkeit. Viele Passanten machen Fotos von sich mit dem verbeulten Berliner Original. „Mein Wagen ist ein Natur- und Technikdenkmal“, erklärt Rodewald. Als er den Opel dann für eine Spazierfahrt im Berliner Umland auf einen Anhänger lädt, guckt der Inhaber einer nahe gelegenen Dönerbude aus seinem Laden und fragt bestürzt: „Kommt der jetzt etwa weg hier?“

Die meisten Anwohner der Schönleinstraße haben sich über die Jahre an den Anblick gewöhnt. „Ich liebe dein Auto!“, ruft eine vorbeifahrende Rollstuhlfahrerin. Manchmal bekommt das Auto sogar Liebesbriefe: „Das ist mit Abstand das schönste Auto von Berlin“, schrieb mal jemand auf einen Zettel und klemmte ihn zwischen das Moos der Scheibenwischer.

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