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Mercedes G-Klasse: Von den Anfängen bis heute - Die Geschichte des Mercedes-Geländewagens

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Fast 40 Jahre lang baute Mercedes den Geländewagen G-Klasse fast unverändert. 2018 hat ihn der Nachfolger abgelöst. Rückblick in die Geschichte des kantigen Originals.

Alt und neu - der G-Klasse können Jahre und auch Jahrzehnte nichts anhaben Alt und neu - der G-Klasse können Jahre und auch Jahrzehnte nichts anhaben Quelle: Daimler

Von Markus Schönfeld

Berlin - „Streng vertraulich“ steht auf dem Umschlag des internen Lastenhefts aus dem April 1974. Daneben ein Mercedes-Stern und der Begriff „Gelände-Pkw“. Diese Wort-Kombination klingt heute etwas sperrig. Zu Zeiten der Strich-Achter-Limousine versteckte sich dahinter eine echte Sensation. Geländefahrzeuge kannte man nur aus der Landwirtschaft oder vom Militär. Warum sollte es also Menschen geben, die statt in einem bequemen Pkw mit einem Geländewagen auf der Straße fahren wollen?

Potenzial gab es. Selbst der Schah von Persien, seinerzeit Daimler-Großaktionär, betonte stets die Notwendigkeit für einen wendigen Gelände-Mercedes. Land Rover aus England hatte es bereits vorgemacht und zahlungskräftigen Käufern 1970 den Range Rover mit V8-Motor serviert. Jeep aus Amerika nahm mit dem Cherokee einen komfortablen Offroader ins Programm. Doch diese Marken besaßen eine lange Allrad-Tradition. Von Mercedes kannte man nur den klobigen Unimog. Für die Entwicklung eines Gelände-Pkw musste also ein Partner mit mehr Offroad-Erfahrung her.

Joint Venture: Steyr-Daimler-Puch

Die richtigen Leute dafür fand Mercedes im Sommer 1969 im österreichischen Graz. Dort hatte sich die Firma Steyr Puch mit dem wendigen Arbeitsgerät Haflinger und dem schweren Pinzgauer einen Namen gemacht. Die Idee einer gemeinsamen Geländewagen-Konstruktion konkretisierte sich 1971.

Robust sollte er sein, mit extremen Offroad-Fähigkeiten – allerdings bei ausgeprägtem Mercedes-Komfort auf der Straße. Der schriftliche Segen der Vorstandsvorsitzenden Dr. Joachim Zahn (Daimler-Benz AG) und Dr. Karl Rabus (Steyr-Daimler-Puch AG) folgte im Herbst 1972. Das Projekt Puch HII (Haflinger II) war geboren.

Die Leitung des Konstruktionsteams übernahm Erich Ledwinka, Chefingenieur von Steyr-Daimler-Puch. Während Mercedes bereits 1973 das kantige Design des HII in Form eines Holzmodells lieferte, reifte in Graz das bis heute gültige technische Konzept: Leiterrahmen, starre Achsen mit komfortablen Spiralfedern und zwei Differenzialsperren. Der Allradantrieb sollte bei laufender Fahrt starr zugeschaltet werden können. Genau wie die Sperren und – das war ein technischer Leckerbissen – das synchronisierte Untersetzungsgetriebe.

Im besagten Lastenheft von April 1974 tauchten zum ersten Mal alle Karosserievarianten mit genauen Abmessungen auf. Der offene Wagen mit kurzem (2.400 Millimeter) und langem Radstand (2.850 Millimeter) oder die Karosserievariante GP mit Planverdeck in beiden Radständen. Dazu die Station Wagon mit festem Dach in beiden Längen. Gesamtbreite bei allen: 1.700 Millimeter. Zahlen, die für G-Fans bis heute in Stein gemeißelt sind. Denn mehr als 40 Jahre später findet man sie immer noch an der G-Klasse wieder.

1979 beginnt die Produktion in Graz-Thondorf

Der Öffentlichkeit wurde die Baureihe W460 im Februar 1979 präsentiert. In Österreich, der Schweiz, England, Jugoslawien und einigen afrikanischen Ländern als Puch – in allen anderen Teilen der Welt als Mercedes G. Angetrieben von Pkw-Motoren aus dem Mercedes-Regal, fand der „G-Wagon“ international großen Absatz. Mehr als zehn Jahre lang verließ er nahezu unverändert das Werk.

Behörden, Feuerwehren und Militär setzten häufig auf die schwachbrüstigen Vierzylinder, die als Benziner bis zu 125 PS (230 GE), als Diesel aber nur 72 PS (240 GD) leisten. Bei Privatkäufern stand der 280 GE mit 150 PS starkem Sechszylinder oder der legendäre Fünfzylinder-Diesel im 250 oder 300 GD mit 88 PS höher im Kurs. Allen Modellen gemein sind das robuste Kunststoffinterieur sowie die massiven Hebel für die Bedienung von Allrad, Untersetzung und Sperren.

Luxus für die Privatkunden

Weil sich die vielen privaten Kunden mehr Komfortextras wünschten, das Militär aber weiterhin die einfache, robuste Ausführung bevorzugte, teilten die Partner die Produktion 1990 in zwei Baureihen auf. So entstand neben der ursprünglichen Variante, die zwei Jahre später intern auf W461 (militärisch: „Wolf“) getauft wurde, eine luxusorientierte Version (W463). Die kam mit Permanent-Allrad, stärkeren Motoren und gediegenem Innenraum samt Edelholz-Applikationen.

Vor allem diese Version sorgte in den folgenden Jahren für hohe Nachfrage und steigende Preise - und erhielt bald den Namen G-Klasse. Die neuen Käuferschichten bedeuteten auch neue Anforderungen. Eine davon: mehr Leistung.

Schon 1993 kam es deshalb zu einer ersten, exklusiven Kleinserie mit V8-Motor. Der limitierte 500 GE leistet 241 PS und beschleunigt den eisernen Koloss erstmals mit bollerndem V8-Sound in gut zehn Sekunden auf Tempo 100. Kein Wunder, dass die Nachfrage größer war als das Angebot und Mercedes einige Jahre später den G 500 (jetzt mit 297 PS) als Topmodell der Baureihe nachlegte.

Neue Bestimmung: AMG-Modelle mit exorbitanter Leistung

Doch der Leistungshunger der zahlungswilligen Kundschaft endete nicht bei rund 300 PS. Spätestens mit dem Erfolg des G 55 von AMG mit mehr als 500 PS hatte das G-Modell – pardon: die G-Klasse – ihre neue Bestimmung gefunden. Aus dem einstigen Arbeitstier ist ein großspuriges Hochleistungsfahrzeug geworden. Und in Graz laufen seit der Jahrtausendwende mehr AMG-Modelle vom Band als Diesel- und Militärversionen zusammen. Wohlgemerkt immer noch mit zwei Starrachsen, massivem Leiterrahmen, Differenzialsperren und der Geländeuntersetzung.

Die meisten G-Klassen der Neuzeit gehen nach Asien, in den Nahen Osten oder nach Nord-Amerika. Preislich sind sie den Pkw-Modellen längst enteilt. Der mit einem V12-Biturbo bestückte G 65 AMG mit 630 PS rangierte mit deutlich mehr als 200.000 Euro zeitweise als teuerstes Modell an der Spitze des gesamten Mercedes-Programms. Trotzdem verkaufte sich der exklusive Würfel besser und besser.

Ein neuer G musste her

2016 wurden erstmals 20.000 G-Klassen in einem Jahr produziert. Die ursprüngliche Planung sah maximal 10.000 Fahrzeuge im Jahr vor. Fahrdynamisch, aber auch sicherheitstechnisch waren die Limits der 40 Jahre alten Geländewagenkonstruktion jedoch längst erreicht. Darüber täuschten auch extrovertierte Sonderserien wie die Portalachs-Modelle 4x4hoch2 oder 6x6 oder gar der sündhaft teure Mercedes-Maybach G 650 Landaulet nicht hinweg.

Da eine Einstellung der G-Klasse nicht in Frage kam, führte also an der Grunderneuerung des Konzepts kein Weg vorbei. Erneut wurde ein streng vertrauliches Lastenheft erstellt, für eine Neuauflage des „Gelände-Pkw“. Potenzielle Kunden gibt es heute mehr als je zuvor. Und so wird nach gut 40 Jahren erstmals ein neues Kapitel in der Geschichte des Grazer Urgesteins aufgeschlagen. Mit einem komplett neu konstruierten G, vorderer Einzelradaufhängung, größeren Abmessungen. Aber mit der gleichen, kantigen Silhouette.

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