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Classic Driving News

Der extremste Keil aus den USA

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Der amerikanische Vector W8 sollte ab 1990 alle europäischen Supersportwagen überholen. Die Vorraussetzungen dazu hatte er: 634 PS, 854 Nm und eine Spitze von 350 km/h. Nach 19 Exemplaren in drei Jahren war jedoch Schluss. Was blieb, ist ein amerikanischer Traum.

Der Vector W8 gehört ohne Frage zu einer ganz seltenen Fahrzeuggattung: Zu den Sportwagen, bei denen selbst unerschrockene Testfahrer unwillkürlich einen Schritt zurückweichen, sobald das Garagentor aufgeht und sie der schieren automobilen Gewalt gegenüberstehen. Schwarz, 2,08 Meter breit und kaum 108 Zentimeter hoch, scheint er zähnefletschend nur auf den Versuch zu warten, ihn in Betrieb zu nehmen. Erstmal gestartet, so sein Gesichtsausdruck, wird er schon einen Weg finden, seinen Fahrer in die ewigen Jagdgründe zu eskortieren. Soll er nur kommen.

Sechsliter-V8 mit bombastischem Sound

Die Fahrertür des Vector W8 schwingt nach oben auf, der breite Seitenschweller gemahnt ein bisschen an den Flügeltürer, und die eingetunnelte Sitzposition im Cockpit vermittelt ziemlich viel vom spröden Charme eines Gruppe-C-Rennwagens, der aus dem Tank heraus verdächtig nach Nitroglyzerin riecht. Himmel, worauf haben wir uns denn da wieder eingelassen. Der sechs Liter große V8, hinter dem Fahrer quer installiert, springt unproblematisch an und scheint irgendeine kalifornische Unflätigkeit aus den vierkantigen Endrohren zu brummeln; schon im Leerlauf klingt er wie der Morgenfluch von John Wayne.

Anzurollen ist unproblematisch. Die Dreigang-Automatik ist dem Vector W8 über einen Wandler verbunden, genug Drehmoment bieten sechs Liter Hubraum ja ohnehin schon direkt nach dem Aufwachen, aber da ist ein Garagentor, durch das wir niemals passen werden. Der Vector ist von innen so unübersichtlich, dass sein Erfinder, der deutschstämmige Amerikaner Gerald Wiegert, zum Rangieren einst Kameras plante, auch als Rückspiegel.

Seltsamerweise geht es dann doch rechts und links ungeschält auf die schwäbische Landstraße. Auffällig: Der Vector W8 läuft erstaunlich unproblematisch, er folgt der schwergängigen Lenkung durchaus präzise, die Schaltarbeit übernimmt die Automatik, und auch das Bremsen vermittelt kein Gefühl der Unsicherheit. Wir freunden uns mit dem Biest langsam an.

Als ein Hinweisschild Richtung Autobahn auftaucht, bekommen wir Lust auf eine Prise Höchstgeschwindigkeit. 314 km/h soll der Vector W8 gehen, sagte einst sein Erbauer. Der heutige Besitzer winkt ab. Reifenprobleme. Die noch als Erstausstattung montierten 16-Zöller sind bereits 20 Jahre alt, neue gibt es nicht mehr, man müsste auf 17 Zoll umrüsten, ja, das ginge, Felgen gibt es dafür auch. Aber da die schwarze Flunder derzeit unter vector_w8_verkauf@web.de im Angebot ist, stellt sich die Frage nach dem momentanen Sinn der Investition.

Phänomenaler Blick durch eine esstischgroße Windschutzscheibe

Klar, sagen wir, umrüsten, denn ein handgefertigtes Coupé, das als Highspeed-Raubtier zur Welt kam, fühlt sich in einem Radfahrer-Hotel mit vegetarischer Küche kaum zu Hause. Der Besitzer lacht. Wir einigen uns darauf, noch ein paar Kilometer durch die esstischgroße, extrem geneigte Frontscheibe auf die vorüberfliegende Natur zu schauen, dann kommt der Vector wieder in den Stall. Den Heimkehrer still betrachtend, entsteht der Gedanke, dass er das gleiche Gefühl heraufbeschwört wie alle großen Design-Gegenstände: Im Grunde brauchen sie nicht einmal zu funktionieren; man stellt sie hin, schaut sie an und ist in der Seele ergriffen. Der Vector W8 verfügt über solch ein Potenzial. Wiegert, der einst für General Motors zeichnete und auch die Welt der Militärflugzeuge liebte, wollte schon zu Beginn der 70er Jahre "einen Starfighter für die Straße? bauen. Geplant als rein amerikanische Technik-Attacke, schwebte ihm als Fernziel vor, sämtliche europäischen Supersportwagen zu überholen.

Der Vector-Schöpfer kreierte auch James-Bond-Fahrzeuge - und den Jet-Rucksack

Bereits 1972 hatte Wiegert eine noch antriebslose Coupé-Studie auf der Los-Angeles-Motorshow gezeigt, ziviler geprägt für einen Zweiliter-Vierzylinder mit bis zu 250 PS. Doch der auffällig kreative Kalifornier mochte sich nicht nur auf ein Projekt konzentrieren. Er entwarf nebenher zum Beispiel Wet-Bikes, die es bis zum Filmruhm brachten im James-Bond-Streifen "Der Spion, der mich liebte". Und als bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 1984 plötzlich ein Stuntman per Düsenrucksack ins Stadion schwebte, wurde ein weiteres Projekt weltberühmt, an dem Wiegert mitgearbeitet hatte.

Drei Jahre zuvor hatte der Technik-Freak den Vector W2 als Prototyp gezeigt, W stand für Wiegert, 2 für die beiden Turbolader, die den 5,7-Liter-Small-Block-V8 aus der Chevrolet-Produktion unter Druck setzten. In Europa sollte der Vector über das automobile Schlaraffenland von Helmut Becker in Düsseldorf vertrieben werden. Erste Werbeaktion: Becker besorgte einen Termin auf dem Flughafen Köln und ließ den Vector zum großen Fressen antreten; verschlungen werden sollten Ferrari, Porsche, De Tomaso, Lamborghini.

Irgendwie nahm das der W2 persönlich. Beim Anlassen entwickelte sich ein munterer Kabelbrand im Motorraum, und als das um sich greifende Feuer gelöscht war, blieb nur noch eine rauchende Immobilie. Das Warmlaufen hatte sich Wiegert sicher anders vorgestellt; der Test wurde nie wiederholt. Andererseits absolvierte ein W2 zwischen 1978 und 1990 mehr als 250.000 Kilometer. Damit dürfte er einen Weltrekord für Prototypen halten.

Preise zwischen 300.000 und 400.000 Dollar

Der erste Vector W8 Twinturbo wurde im September 1990 präsentiert, auf der New-York-Autoshow. In den nächsten Jahren entstanden 17 Kundenautos und zwei Prototypen. Die Preise lagen zwischen knapp 300.000 und mehr als 400.000 Dollar. In der Technik unterschied sich der W8 nicht wesentlich vom W2. Kern seines Monocoques ist ein Rahmen aus Chrom-Molybdän-Rohr, verbunden mit Aluminium-Honeycomb-Waben, Karbon- und Kevlarteilen. Das Chassis wiegt nur 160, die Karbon-Karosserie 45 Kilogramm.

Heute gehört ein Vector W8 zu den superseltenen Youngtimer-Exoten, die um die 200.000 Dollar kosten, sollte überhaupt einmal einer in den Handel kommen. Demnächst soll bei RM Auctions ein Exemplar versteigert werden; die Branche wartet gespannt auf das höchste Gebot.

Wie es der Firma Vector nach dem W8-Projekt weiter erging? Die Besitzer wechselten, rund 20 Vector M 12 mit Countach-Motor folgten. Dann übernahm Wiegert die Marke erneut - und kündigte sofort ein 2.000-PS-Coupé mit Zehnliter-V8 an, gut für 450 km/h. Damit ist wieder alles beim Alten: Kraft muss man einfach wagen.

 

Quelle: Motor Klassik

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