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Classic Driving News

Der 32-Liter Sportwagen-SUV

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Der Lamborghini LM 002 war ein SUV-Vorreiter, doch nicht gerade alltagstauglich: Er überforderte die Finanzen aller, die keine Ölquellen besaßen. Ex-Model Jana Rybska fährt trotzdem einen.

Hand aufs Herz: Vor dem LM 002 haben wir doch alle Angst. Auch die Männer. Schon wenn er dasteht, als unüberschaubare Sammlung von Kanten, Ecken und Ausbuchtungen, ist er ein furchterregender Anblick. Aber ihn auch noch fahren? Ihn vielleicht sogar in die eigene Garage stellen? Völlig undenkbar.Man hüpft schließlich auch nicht freiwillig in einen aktiven Vulkan.

Lamborghini LM 002 ist nicht völlig unbeherrschbar

Wie kommt dann ausgerechnet eine zarte Frau wie Jana Rybska, frühere Miss Tschechien und erfolgreiches Model, zu einem Lamborghini LM 002? "Mein Mann hat ihn mir damals geschenkt", sagt sie, als wäre es ein Strauß Rosen gewesen. Ein Verdacht keimt auf: Vielleicht haben wir den Dinosaurier nicht richtig verstanden? Ist er etwa nicht böse, sondern lieb? Unterdrücken wir also den Fluchtreflex, nähern wir uns. Und siehe da, das erste Missverständnis klärt sich auf, bevor man in ihm Platz nimmt: Der LM 002 ist nicht völlig unbeherrschbar.

Am Fahrereinstieg sitzt ein massiver, elektrischer Zentralschalter. Einmal gedreht, und das Monster schweigt. Gut zu wissen, das macht Mut. Zweites Missverständnis: Er hat zwar die optische Präsenz eines Überseecontainers. Dazu in etwa die gleiche Form. Was aber nicht bedeutet, dass innen viel Luft ist. Wer einsteigt, wird von Leder und Edelholz auf wunderbar luxuriöse Weise ein geklemmt. Immerhin geht es allen Passagieren gleich - jeder hat keinen Platz, sich zu rühren. Nur die Hand, die den erschütternd gewöhnlich wirkenden Zündschlüssel hält, lässt sich noch bewegen. Also reinstecken, drehen und gleich ein drittes Missverständnis beseitigen: Nur weil auf diesem Wagen Lamborghini steht, heißt das nicht, dass er keine Manieren hat.

Stier-Temperament trotz hohem Gewicht

Nein. Das vermeintlich kapriziöse, nervöse, böse - sagen wir einfach: countachiöse 5,2 Liter große Herz aus dem flachen Flügeltür-Boliden benimmt sich anders als erwartet: Es benimmt sich. Willig zwölfzylindert es los, fällt sofort in einen freundlich singenden Leerlauf und dreht auch kalt sauber hoch. Der Klang ist gedämpft und eher sirrend als brummelnd. Ein Monstermotor? Eher ein Mustermotor. Noch ein Missverständnis klärt sich schnell. Denn das Kupplungspedal ist gar nicht wirklich festgerostet. Es geht nur einfach unfassbar schwer. Und dann? Nun ja, dann ist es so weit. Er fährt. Nicht gerade mit dem überschäumenden Temperament eines Murcièlago, aber für 2,7 Tonnen Leergewicht doch wie ein Stier: 8,2 Sekunden, und schon stemmt sich der Lamborghini LM 002 mit 100 km/h durch den Wind.

Die zwölf Freunde unter der seltsam geformten Motorhaube des Lamborghini LM 002 machen ihre Arbeit richtig gut, und trotzdem wirken sie mit ihrer feinnervigen Art in diesem Kampfwagen wie auf der falschen Party. Die eigentlich satte Zahl von 510 Newtonmeter ist erst bei 4.500/min erreicht, die 450 PS versammeln sich gar bei extremen 6.800 Touren. Solche Drehorgien kosten Überwindung, erst recht in einem Geländewagen. Und sie kosten noch etwas anderes, aber zum Thema Tankstelle kommen wir später. Die Schaltung knorpelt ein wenig; die Eigenschaftswörter exakt, präzise und leichtgängig würden nicht eben ins Schwarze treffen. Dafür geht die Lenkung so leicht, dass man unwillkürlich prüft, ob das Lenkrad mit dem Rest des Wagens verbunden ist.

Lamborghini LM 002 braucht ungefähre Richtungsempfehlungen

Schon wieder ein Missverständnis: Es geht nicht darum, den Lamborghini LM 002 zu steuern. Sondern darum, seinen Pirelli Scorpion Zero mit der aberwitzigen Dimension 345/60 R17 ein paar ungefähre Richtungsempfehlungen zu geben. Respekt vor diesen speziell auf Wüstensand abgestimmten Walzen ist angebracht: Jedes Stück kostet 800 Euro. Doch als hätten die Reifen deshalb ein schlechtes Gewissen, legen sie sich für ihr Gehalt mächtig ins Zeug: Mit dem Tragkraftindex von 123 kann jeder von ihnen 1.550 Kilogramm schleppen. Und weil hinter der 123 auch noch ein V steht, geht das sogar bis 240 km/h. Das genügt: Die überlieferten Höchstgeschwindigkeiten des Lamborghini LM 002 reichen von 210 bis 223 km/h. Im Fahrzeugbrief stehen gar nur 201 km/h.

Egal, alles über Tempo 120 ist eine schreckliche Vorstellung. Schließlich fällt es schon bei 80 schwer, den kantigen Wahnsinn auf der Straße zu halten. Die vier Scorpione walzen, wohin sie wollen. Der Fahrer beschränkt sich am besten darauf, alle paar Minuten zu überprüfen, ob die angepeilte Himmelsrichtung stimmt. Die Fahrerin natürlich auch: Jana Rybska diente der Wagen in den letzten Jahren vor allem als exotisches Vehikel rund um ihr Feriendomizil auf Ibiza. Wenn es sein muss oder der Fotograf es gerade gerne hätte, setzt sie das mehr als zwei Meter breite Stück italienischer Automobilbaukunst sogar zweihundert Meter rückwärts auf einem kurvigen Waldweg in einen Tunnel hinein. Jeder Mann würde sich an die Stirn tippen. Und Jana rollt rückwärts durch den Wald, in die enge Betonröhre.

Lamborghini LM 002-Entwicklung forderte viel Geduld

Der Rambo Lambo braucht offenbar keine harte Männerhand. Sondern eher etwas weibliche Nachsicht, Einfühlsamkeit und Geduld. Geduld war auch eine wesentliche Voraussetzung bei der Entwicklung des Lamborghini LM 002. Über 9 Jahre zog sie sich hin, unter anderem, weil Lamborghini durch wirtschaftlich schwierige Zeiten schlitterte wie ein Countach über Glatteis. Ferrucio Lamborghini, der charismatische Gründer, hatte sich 1973 endgültig aus seinem Unternehmen zurückgezogen, um Vino anzubauen. Händeringend suchten die neuen Eigner, die Schweizer Georges-Henri Rossetti und René Leimer, nach frischen Geldquellen. Gut, dass das amerikanische Konsortium MIT einen Partner für die Entwicklung und Produktion eines Jeep-Nachfolgers suchte. Die Chance für Lamborghini, schließlich hatte man als Traktorenhersteller begonnen.

Gleichzeitig allerdings hatte Lamborghini gemeinsam mit BMW den M1 entwickelt. Und sollte ihn anschließend auch produzieren. Leicht unsolide jedoch der Umgang mit Finanzen: Man investierte das von der italienischen Regierung vorgeschossene Geld für die Produktion des M1 in die Entwicklung des Geländewagens. Die Kooperation mit BMW endete darauf mit einer Vollbremsung, der M1 wurde bei Baur in Stuttgart gefertigt. Andererseits konnte Lamborghini 1977 auf dem Automobilsalon in Genf den Cheetah präsentieren. Die entgeisterten Messebesucher sahen einen unförmigen Heckmotor-Prototyp mit Rohrrahmen-Chassis, Fiberglas-Karosse, Einzelradaufhängung und Allradantrieb. Ein schwächlicher Chrysler-V8 mit 183 PS und Dreigang-Automatik sorgte für Vortrieb.

LM stand für Lamborghini Military

Es folgte die erfolgreiche Plagiatsklage einer Konkurrenzfirma, weil der Cheetah klar Ähnlichkeit mit ihrem Entwurf aufwies. Dazu kam ein verheerender Praxis-Test in der Wüste von Kalifornien. Danach war nicht nur Schluss mit dem Cheetah, sondern auch mit Lamborghini: 1978 wurde Konkurs angemeldet. Zwei Jahre später kaufte die reiche französische Familie Mimran das Unternehmen und machte den jungen Sohn Patrick zum Chef. Schon im Frühjahr 1981 stand in Genf der weiterentwickelte Cheetah als LM 001. LM stand für Lamborghini Military, und dieser Einsatzzweck war dem Wagen nach wie vor anzusehen. Größter Unterschied: Der Motor war nun der V12 aus dem Countach, saß aber weiter im Heck.

Überzeugen konnte der LM 001 so wenig wie der Cheetah. So fing Alfieri nochmal von vorn an - wortwörtlich, mit einem Frontmotor. Dazu schuf er ein neues Chassis, baute eine Servolenkung ein und ließ breitere Reifen aufziehen. Das ergab den LMA 002. Versuche mit anderen Motoren reichten bis zu einer Lamborghini-Bootsmaschine mit über sieben Liter Hubraum und einem Drehmoment, das jedem Planeten zur Ehre gereicht hätte, doch damit wäre der Wagen endgültig zu schwer geraten.

König Hassan von Marokko bekam den ersten Lamborghini LM 002

Auf dem Brüsseler Salon 1985 stand er dann endlich: der finale Lamborghini LM 002, mit dem Vierventilmotor aus dem Countach QV. Sein Erscheinen löste zunächst ein wahres Fieber unter den Reichen und Schönen der Welt aus. König Hassan von Marokko bekam das erste Serienfahrzeug, Keke Rosberg das zweite und Sylvester Stallone und Malcolm Forbes hatten auch bald einen. Der Sultan von Brunei orderte gleich mehrere LM, einen mit verlängertem, kombiartigen Aufbau. Es war alles drin: elektrische Fensterheber, Klimaanlage, Leder, Holz, Servolenkung, Zentralverriegelung, ein Allradsystem mit Reduktion und vorderen Radnaben, die man von Hand sperren musste.

Die Ausrüstung mit Wüstenluftfiltern und den bereits erwähnten, extrabreiten Reifen zielte auf vermögende Kunden im Nahen Osten ab; der Lamborghini LM 002 war ideal für die Falkenjagd oder schnelle Besorgungen in der nächsten Oase.Sogar die saudiarabische Armee soll sich kurzzeitig für den LM 002 interessiert haben. Bei den Privatkunden jedoch ebbte die Begeisterung schnell ab, vielleicht auch das aus einem Missverständnis. Denn trotz der 220.000 Mark, die etwa beim deutschen Importeur Auto-Kremer auf den Tisch zu legen waren, gab es keine Premiumqualität: Wasser im Fahrerfußraum oder Elektrikprobleme waren keine Seltenheit.

32 Liter Verbrauch auf 100 Kilomter

Mechanisch galt der Lamborghini LM 002 hingegen als zuverlässig. Und auch der Verbrauch schreckte wohl keinen der betuchten Besitzer: 32 Liter auf 100 km gab das Werk an. Mancher Eigner berichtet von 50 Litern. Wie viel nun genau, war schlicht egal, bei Tankversionen mit 180, 290 oder 400 Litern Fassungsvermögen. Wer sich trotzdem für den Verbrauch interessierte, kam als Käufer kaum in Frage. CO2-Werte spielten ja noch keine Rolle. Auch Jana Rybska erträgt den schier kosmischen Durst des Riesen mit einem huldvollen Lächeln. Die oft strapazierte Mär von der Tanknadel, die sich so schnell bewegt wie der Drehzahlmesser - hier wird sie wahrer als in jedem anderen Auto.

Lieber spricht die Besitzerin über die große Zuverlässigkeit: "Er hat mich nie im Stich gelassen. Nie." Verkaufen will sie den Wagen dennoch, dem Protest ihrer Kinder zum Trotz. Zu selten wird er bewegt, zu viel Platz braucht er in der Großstadt. Schade, es wäre das Ende einer ungewöhnlichen, großen Liebe. In der alle Missverständnisse längst ausgeräumt sind.

 

Quelle: Motor Klassik

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