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Motorkultur

Das Coupé kommt nach Hause

verfasst am

Driving home for Christmas

Es gibt alte Autos, an denen hängt man. Entweder, weil Papa sie damals gefahren hat oder weil man schöne Sachen drin erlebt hat oder - weil man sie einfach schon sehr, sehr lange besitzt. Der Ford Granada 2.0 L war mein zweites Auto, 1992, und irgendwie wurde er 1994 zwar durch einen resedagrünen Audi 100 ersetzt… trennen konnte ich mich aber nie von ihm. Männer sind Jäger und Sammler. Er verbrachte die Jahre in dieser oder jener Scheune und die letzten 10 in meiner eigenen angemieteten. Unter einer zentimeterdicken Schicht aus Staub, Stroh und Vogeldreck hat diese Zeitmaschine unbewegt und treu gewartet. Gute wie schlechte Zeiten überdauert. Heute bringen wir ihn nach Hause.

Nein, kein Schwelgen in Erinnerungen diesmal. Nur noch einmal kurz auf der Motorhaube sitzen, sie ist noch verbeult von damals. Wir haben verschiedene Frühstücks darauf eingenommen. Sowas geht ja bei neueren Autos gar nicht mehr, man würde da runter rutschen. Von den Kratzern einmal abgesehen. Und was sollen die Nachbarn denken?

Also - was haben wir hier? Einen 1975er Ford Granada L mit der 2.0 Liter V6-Maschine, 90PS, Heckantrieb. Erster Hand, Erstbesitzer verstorben. Originalfarbe Babyblau, weit vor meiner Zeit aber rot gespritzt. Innen blau und schwarz, keine Extras, keine Servolenkung, keine Klimaanlage. Aber die heute sehr seltene Fastback-Form, also ein übergroßes zweitüriges Dinosaurier-Coupé. Im Tank 15 Jahre altes Super verbleit, Batterie tot, diverse Durchrostungen und drei platte Reifen. Korrodierte Kontakte, verölte Dichtungen, Schimmel an allen Kanten. Mir geht trotz des traurigen Anblicks das Herz auf. Mein Granada.

 

 

Am Audi V8 hängt der schwere Trailer mit Stahlwinde, die Schleppstange zum Rausziehen liegt im Kofferraum. Man möchte auf alles vorbereitet sein. Örg und ich überlegen kurz, ob es ZU optimistisch wäre, den Wagen zu überbrücken, um ihn aus eigener Kraft auf den Trailer fahren zu können. Was viel einfacher wäre als die Seilwinden-Aktion. Nur - wenn altes Benzin verdunstet, bleibt nach wenigen Jahren eigentlich eine harzige, nicht zündbare Masse übrig, die den Doppelvergaser nebst allen Leitungen verklebt. Sollen wir es dennoch wagen? Ja. Der großzügige Motorraum läd zum Schrauben ein. Kerzen raus und sauber gemacht, Batterie vom V8 überbrückt, Luftfilter ab und jede Menge Startpilot in den Vergaser. Und? Sehen Sie selbst!

 

 

Er läuft! 34 Jahre alte Stirnräder aus Bakkelit mahlen drehfreudig ineinander, Stößelstangen treiben unter 15 Jahre altem Motoröl die Ventile auf und zu und das gute alte Super zündet irgendwie. Wie auch immer. Ich kann mein Glück kaum fassen. Und dieser V6 klingt so traumhaft, blubbert er doch fast wie ein V8! Die Reifen werden schnell mit einer Fahrradpumpe aufgepustet, dann Kupplung treten, Gang rein… und ich fahre nach so vielen Jahren wieder ein paar Meter mit meinem Coupé!

 

 

Dieser semi-debil strahlende Blick ist mir fast ein bisschen peinlich. Haben Sie eine Vorstellung, was so ein Moment für einen Autoliebhaber bedeutet? Was in solchen Minuten durch den einfach gestrickten Männerkopf geht?

Im Handschuhfach kleben die englischen Fruchtbonbons von der letzten Fahrt mit Verfallsdatum November 1994. Die Plakate einer Comicausstellung kleben noch auf den Türen. Am Armaturenbrett prangt gut lesbar mein damaliges Motto: Ich hör jetzt auf mich zu verlieben. Nicht, dass es anschließend auch nur ansatzweise funktioniert hätte, aber ich hatte es mir zumindest vorgenommen. Aufkleber aus Dänemark im Fenster, Kinder, wie die Zeit vergeht. Der Granada ist noch immer da, damals schon sehr alt, heute anmutend wie ein Saurier aus einer vergessenen Zeit. Jurassic Car. Und er fährt aus eigener Kraft.

 

Tatsächlich klettert sogar die Temperatur des uralten Kühlwassers, und mit immer noch unerwarteter Drehfreudigkeit zirkel ich den alten Herren aus eigener Kraft auf den Trailer. Kommt mir da Heizungsluft entgegen? Das Gebläse püstert vorsichtig. Licht, Hupe, alles funktioniert nach mehr als einem unbewegt herumgestandenen Jahrzehnt noch immer. 15 nasse Herbste und 15 kalte Winter haben ihre Spuren in den vergessenen Ford gezeichnet. Er hat eisern Wind und Wetter getrotzt, nachdem er mich auf seiner letzten Reise so wacker bis nach Cannes und Nizza gebracht hat. Was für eine treue Seele.

Örg, die andere treue Seele, zurrt derweil den Boliden am Trailer fest und verbindet dessen Stecker wieder mit dem Audi, nachdem wir alles zurechtrangiert haben. Gut, dass der Audi so ist, wie er ist. Oder dürfen Sie mit Ihrem Opel Astra etwa auch zwei Tonnen ziehen?

Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass ich die Steckverbindung angesprochen habe. Die hat der Örg nämlich erst falsch herum reingedrückt, was wegen der Altersschwäche des Steckers kein Problem war…

Startet man den Audi V8, fordert er einen zunächst auf, das Bremspedal zu treten. Dann macht er einen Check der Systeme, sagt OK und gibt den Wählhebel für die Automatik frei. Normalerweise. Jetzt läuft er, sagt aber nicht OK und gibt auch nichts frei. Na super. Und wie kommen wir jetzt hier weg? Bei Retter Tom erreiche ich nur die geschätzte Ehefrau, und in der V8 Schmiede im Schwarzwald begrüßt mich der Anrufbeantworter. Wen kann ich noch anrufen? Wo steckt er, mein Telefonjoker? Es kann doch nicht angehen, dass dieser verschimmelte Granada nach 15 Jahren ohne Mucken zur Mitarbeit zu überreden ist und der zuverlässige, nicht mal halb so alte Audi V8 streikt, weil irgendwo ein Steuergerät schmollt???

Ruhe bewahren. Selbst ist der Mann. Der Motor läuft ja, also kann doch nur irgendwo ein kleines Problem sein. Und bei Verpolung der Elektrik bietet sich ein Blick in die Schaltzentrale an. Diese befindet sich nebst allen Relais, Sicherungen und den Diagnosesteckern im Beifahrerfußraum und entpuppt sich als erstaunlich ausführlich illustriert! Sieh da. Sicherung 28 soll augenscheinlich verantwortlich sein für die Unterbrechung des Stroms zu den Bremslichtern, zum Bordcomputer und zur Wählhebelsperre. Bordcomputer? Stimmt. Der ist ebenfalls dunkel. Also raus mit dem Lump und siehe da - sie ist die Wurzel allen Übels. Nach Erneuerung ist alles wie immer, das Leben ist schön und ich habe den Audi wieder lieb. Soooo kompliziert ist er ja eigentlich gar nicht, nur manchmal ein bisschen bockig. Oh. Das kurzzeitig stromlose BoseRadio. Es verlangt nach dem 4-Stelligen Code. Ich meine mich zu erinnern, wo ich den hingelegt hatte, aber das ist eine andere Geschichte…

Country Roads, take me home. Ohne Musik und mit einem Gespräch darüber, ob der V8 nach so langer Standzeit wohl auch so einfach anspringen würde. Oder ein beliebiges noch neueres Auto. Eher nicht, oder was meinen Sie? Angekommen bei der W8, unserer kleinen Schrauberwelt in Kiel, fahre ich den Granada erneut aus eigener Kraft vom Trailer herunter. Ich habe so wahnsinnige Lust bekommen, diesen Wagen wieder auf die Straße zu bringen, dass ich am liebsten sofort anfangen möchte! Mein Granada. Mein Symbol für die ersten verrückten Ausbildungsjahre Anfang der 90er in Kiel. Auch Fräulein Altona, hier nun erstmalig protokolliert, kann sich noch gut an diesen Autowagen erinnern. Sie sagt, der Typ, der da damals ausgestiegen ist, war um Längen zu infantil, als dass sie sich ansatzweise in ihn hätte verlieben können. Nun - das alles ist 15 Jahre her…

Die letzten Meter seiner Heimreise soll das Coupé aus eigener Kraft zurück legen. Die Tore sind geöffnet, die W8 hell erleuchtet und alles ist bereit für das Eintreffen des ergrauten Herren aus einer anderen Zeit. Oh Gott ich bin wieder 21! Stimmt. So ungefähr hat sich das damals angefühlt…

 

 

Der V6 ist aus. Der Motor tickt leise, als er abkühlt. Es riecht nach unkatalysiertem Abgas und verdampfendem Motoröl, lange habe ich das nicht mehr gerochen. 

Was für ein wunderschöner Hintern! Hat Ford jemals wieder so ein Heck gebaut? Nein. Und es wird ihnen auch nicht mehr gelingen. Eine vor langer Zeit unterbrochene Geschichte geht nun weiter. Dieser Wagen wurde vor dem Zahn der Zeit gerettet, weil Örg und ich so bescheuert waren, ihn niemals wegzuwerfen. Himmel, was bin ich in diesem Moment dankbar dafür! Ein Stückchen Vergangenheit ist in diesem Coupé konserviert worden. Nicht lange, und er wird wieder in seinem Hellblau auf der Straße stehen und zufrieden vor sich hin brabbeln. Als wolle er dem Verbrauchsminimalismus und der fortschreitenden Schrumpfung des allgemeinen Personenkraftwagens trotzen. Mit dem Granada nach Granada. Das wär doch was…

Ich wünsche Ihnen und Euch mit diesem meinem letzten Beitrag des Jahres 2008 alles Gute für das kommende Jahr! Mögen wir alle miteinander und mit unseren Autos viele verrückte Geschichten erleben und sie uns und allen anderen episch erzählen! Danke fürs Dabeisein. Wir lesen uns.

Sandmann

 

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Quelle: Chromjuwelen

Avatar von Batterietester29650
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