• Online: 3.915

Motorkultur

1100 Kilometer im Charger: Mit dem 69er durch Kalifornien

verfasst am

"Nuke their Ass - Take their Gas". Klare Ansage an der Fullstop-Tanke im kalifornischen Hinterland. Keine Ahnung, wieviele arabische Wuestenstaaten dieses Land bereits in die Steinzeit gebombt haette, wuerde heute noch ein jeder Ami Big Block mit Vierfachvergaser fahren, aber wenigstens bemueht man sich in Nord-Kalifornien um Transparenz gegenueber dem Kunden in punkto Warenherkunft. Irgendwo bei Grass Valley, eine Autostunde noerdlich von Sacramento, fluten wir den Tank des Eisenschweins mit 15 Gallonen hochoktanigem Import-Stoff aus dem Irak. 40 Dollar kostet der Spass, fuer die naechsten 170 Meilen wird's wohl reichen...

{readme}

Drei mal werden wir noch tanken muessen, ehe wir mit dem Meilenstein der Muscle Car-Geschichte die Grenzen des San Diego Countys kurz vor der mexikanischen Grenze passieren werden, aber fuer einen ungeschweissten B-Body Survivor fliegt man doch gerne mal von Sued nach Nord und quaelt sich die letzten siebzig Meilen im Chevy Aveo Leihwagen auf unbefestigten Schotterstrassen durchs Grass Valley.

Genau aus diesem Grund veraeusserte Vorbesitzer Dan den Wagen auch. Der rostfreie Mopar-Hobel ist dem Redneck einfach zu schade, ihn tagtaeglich ueber strausseneigrosses Geroell zu pruegeln. Seit dem letzten Dukes of Hazzard-Streifen scheint auch bei den Hinterwaeldlern ein Umdenken im Umgang mit Muscle Cars eingesetzt zu haben. Uns soll's recht sein. Inspektion und Probefahrt verlaufen ohne boese Ueberraschungen, wir legen die Kohle auf den Tisch, verabschieden uns von dem Truthahnzuechter und seiner Frau und verlassen eine Gegend Kaliforniens, in der sonst niemand wohnt und in der verirrte Touristen von Einheimischen unglaeubig mit Stoeckern angestupst werden. Am Sacramento Airport geben wir nach nur dreieinhalb Stunden Mietzeit den Aveo voellig lehmverschmiert wieder ab und begeben uns mit entspannten 70 mph im Charger auf die Interstate 5. Von hier aus koennten wir jetzt bis San diego stumpf geradeaus fahren, wollen wir aber nicht. Kurz hinter Sacramento verlassen wir die I-5 und nehmen Kurs auf den Pazifik. Fuer einen Kunden sollen wir in dem Nobelort einen 79er Porsche 911 besichtigen und Probe fahren. Mal sehen, ob uns der verantwortliche Sheriff mit unserem Prollhocker in den mondaenen Austragungsort des alljaehrlichen Concours de Elegance in Pebble Beach einreisen laesst.

Anscheinend sitzen Ordnungshueter und Sohnemann Purzelchen gerade bei Tisch, als wir uns gegen Mittag nach drei Stunden Fahrtzeit bollernd dem Oertchen naehern. Alles laeuft problemlos, keine spontanen Protestmaersche oder Strassensperren, wohl auch besser so wenn man mit abgelaufener Zulassung unterwegs ist. Der Porsche-Haendler ist auch gleich gefunden und der besagte Porsche ist auch noch nicht verkauft. Der Schwabe ist trotz seiner dreissig Jahre in einem echten Neuwagenzustand, nur bei der Probefahrt wird einem klar, dass man mit dem Sechszylinder-Boxer zwar schneller die Highway-Abfahrten nehmen kann, der Mopar Big Block ansonsten aber ungefaehr dreimal geiler in den Ruecken drueckt. Detroit - Stuttgart 1:0. Wer hat hier den Laengsten?

Am Abend geht es nach einem Einkauf im Bio-Supermarkt (was anderes gibt es bei den Gutmenschen in diesem Teil Coastal Californias nicht) mit Kraeuter-Zahnpasta und phosphatfreiem Shampoo zurueck zum Padre Oaks Motel. Ob sich Dan wohl die Zaehne putzt? Der indische Nachtportier bittet uns freundlich, nicht alle bereits schlafenden Gaeste zu wecken, so dass wir kurz ueber Leerlaufdrehzahl in unsere Parkbox von Zimmer 114 blubbern und nur in einigen Zimmern das Licht angeht und Kinder zu schreien anfangen.

http://www.motoraver.de/.../main.php?...

Montagmorgens geht es nach einem Fruehstueck bei Denny's frisch gestaerkt mit dem Muscle Car auf den weltberuehmten Highway 1. Die Strecke an der Kuestenlinie des Pazifiks ist aus den Dreissigern und war die erste Nord-Sued-Verbindung fuer Kraftfahrzeuge. Und so faehrt sie sich auch unter heutigen Gesichtspunkten. Erst recht mit einem uebermotorisierten, vierzig Jahre alten Sportcoupe aus Detroit. die zahlreichen Spitzkehren und 90-Grad-Kurven fordern Mensch und Maschine ganz schoen, aber bis auf einen erhoehten Verbrauch und etwas erwaermten Bremsen laesst sich der Charger nicht wirklich beeindrucken. Auch nicht von der grossartigen Aussicht. Gelangweilt rumort der V8 im gemaessigten Drehzahlbereich unter der elend langen Haube und schiebt ueber 5 Meter hohles Blech die verwinkelte Strasse entlang. Nach zwei Stunden Fahrt sind wir gezwungen. mit furztrockenem Tank an einer ueberteuerten Touristen-Tankstelle anzuhalten. Der schlecht gelaunte Tankwart ist ungefaehr doppelt so alt wie der Dodge, weiss aber trotzdem nicht wie der Racing-Tankdeckel aufgeht. Schlechte Performance fuer 4 Dollar pro Gallone.

Die weitere Fahrt am Pazifik entlang zieht sich wie Kaugummi, lediglich das ein oder andere Ueberholmanoever sorgt bei uns fuer Abwechslung und bei verstoerten Touristen fuer Panik an Bord ihres Rentals, ansonsten bleibt die Ueberfahrt ohne besondere Vorkommnisse. Auch die vierzig Jahre alte, unueberholte Technik arbeitet - von den 330 PS mal abgesehen - unauffaellig. Erst bei Cambria, einem noblen Weinanbaugebiet, gibt es wieder eine Moeglichkeit, zum Highway 101 zu gelangen, auf dem um ein vielfaches bessere Durchschnittsgeschwindigkeiten gen Sueden zu erreichen sind. In diese pittoreske Landschaft mit ihren Reben und kleinen Weinschloesschen aus der Anfangszeit des letzten Jahrhunderts reiht sich der Charger nicht weniger unpassend ein als in das Stadtbild Montereys. Es wird Zeit, das wir in die Naehe der mexikanischen Grenze kommen, doch bis San Diego sind es noch knapp 860 Kilometer und es ist schon wieder 3 Uhr nachmittags. Immerhin koennen wir auf der 101 konstant 80 mph fahren, was endlich mal ein Gefuehl des Vorwaertskommens zulaesst. Gas geben, tanken, Gas geben, tanken steht jetzt fuer die naechsten 7 Stunden im Programmheft. Im Grossraum-Moloch von L.A. trifft die 101 auf die altbekannte Interstate 5 was man daran erkennt, dass man eigentlich zu jeder Tageszeit hier im Verkehr festhaengt. Da wir zu zweit unterwegs sind, raeumen wir mit ausgefahrenen hidden Headlights die Car Pool Lane und kommen gemessen am Verkehrsaufkommen ganz gut durch. Fahrgemeinschaften sparen schliesslich Sprit und bei vier Zylinder fuer jeden gibt's auch keinen Streit.

Hinter L.A. lichtet sich die Blechlawine und wir koennen am spaeten Abend entspannt den Highway fuer uns allein beanspruchen, was bei Geschwindigkeiten jenseits der 85 mph auch bitter noetig ist. Pro Blattfeder eine Spur. Prost!

Nach 2 Tagen on the Road, 1100 Kilometern im Charger und viereinhalb Tankfuellungen, erreichen wir nachts um halb-elf Mission Beach in San Diego. Die Hitze abstrahlende Muscle Car-Legende tickend vorm Appartment abgestellt, geht's erledigt, aber befriedigt ins Bett. Nach diesem Hoellentrip mit Tinitus-Garantie stellt sich die Gewissheit ein, keinen Fehlkauf getaetigt zu haben. Am naechsten Tag geht die Kiste aufs Schiff, mal sehen, wer demnaechst die deutschen Autobahnen mit dem Moerderteil umpfluegt. Highway approved ist das Ding jetzt auf jeden Fall.

Text: Norman Gocke

Fotos: Antal Rupp; Norman Gocke

 

 

Quelle: Motoraver Magazin

Avatar von Motoraver
32
Diesen Artikel teilen:
32 Kommentare: