• Online: 2.331

Tue May 08 09:37:16 CEST 2012    |    Oli Schwarz    |    Kommentare (11)

Autos sind in mancher Hinsicht so ähnlich wie Menschen: wenn sie in die Jahre kommen, treten zunehmend irgendwelche Krankheiten auf. Allerdings ist das Austauschen von defekten Bauteilen beim alten Auto wesentlich einfacher als bei uns Zweibeinern. Nur dass man es leider immer bezahlen muss. Und mein El Camino läßt sich gern mal ein neues Teil spendieren. Das nervt gewaltig! Er wollte schon einen neuen Kühler, mit seinem Anlasser war er auch nicht so recht zufrieden und die Wasserpumpe war schuld daran, dass wir auf der Straße eine Spur hinterließen wie ein Kieslaster in der Kurve. Dann hat er neulich noch frisches Oel bekommen und demnächst wird die Sitzbank in ein schickes neues Lederkleidchen gezwängt. Da rollen sie hin, die Euros. Aber wenn ich dann den Schlüssel umdrehe und der V8 zum Leben erweckt wird, sind wir wieder Freunde. Und die in der Nähe parkenden Autos machen sich respektvoll mit ihren Alarmanlagen bemerkbar. Ich frage mich, wozu der Vorbesitzer Lautsprecher in die Türen eingebaut hat. Die Musik wird vorne unter der mächtigen Motorhaube erzeugt. Sie besitzt fast mehr Blech als mein gesamter Polo. Damit auch alles reinpasst, braucht sie nach oben noch eine Auswölbung, obwohl mein Camino nur einen small block drin hat, sehr zum Verdruss meines Sohnes. Denn schließlich suggeriert doch der Name eine gewisse Niedlichkeit. Mein Sohn würde natürlich einen big block bevorzugen und sein zukünftiger El Camino wird selbstverständlich einen solchen Angeber unter der Haube haben. Nun ist es keineswegs so, dass ein small block weniger Hubraum haben muss, als sein großer Bruder, gemeint ist hier nur die Länge des Motorblocks. Aber big klingt eben besser als small, außer es geht um Hüftumfang oder schwarze Kleidungsstücke.

Ich bin mit dem small block voll und ganz zufrieden! Und trinken kann er schließlich wie ein Großer! Wenn wir mal ausblenden, dass das Getränk nicht umsonst ist, gibt es da noch ein weiteres Problem an der Zapfsäule. Irgendwie harmonieren Zapfpistole und Tanköffnung nicht so gut. Man kann den teuren Saft nur langsam und vorsichtig einlaufen lassen und wenn der Tank endlich fast voll ist, schwappt es auch gerne mal nach draußen. Insgeheim denke ich beim Tanken immer, wie weise es war, den Motor ausgemacht zu haben, denn sonst würden sich Angebot und Nachfrage möglicherweise die Waage halten. Warum man in einem Land, wo normalerweise alles eine Nummer größer ist, einen so kleinen Füllstutzen eingebaut hat, ist mir ein Rätsel.

Andere für uns Europäer unverständliche Eigenarten kann ich aber gut nachvollziehen. Wenn man nicht gerade mit 50 Meilen und praktisch Standgas durch die Gegend cruist, sondern das Tier unter der Haube mal brüllen lässt, will der Camino gern nach links oder rechts in den Graben ausbrechen. Zweifellos ist das noch ein Erbe des Wilden Westens, denn der Umstieg vom Hengst auf einen Camino sollte dem Cowboy wohl möglichst leicht gemacht werden. Und so ist es ratsam, die Zügel fest in der Hand zu halten, wenn man mit dem Camino ausreitet. Besonders gut merkt man das an einer roten Ampel: Irgendwie hat man das Gefühl, dass die Bremse jeden Moment ihren Kampf gegen den Vortrieb verlieren wird. Und da Cowboys wohl selten rückwärts reiten mussten, ist es kein Wunder, dass auch der El Camino nicht gerne rückwärts fährt. Wenn man das wirklich einmal tun muss, sollte man jemand dabei haben, der einem hilft. Schließlich ragen schon mindestens 2-3 Meter Auto auf die Straße, bevor man erkennen kann, ob frei ist. Und hören, ob was kommt, dürfte bei laufendem Motor auch für Abhörspezialisten eine Herausforderung sein. Reiten im Regen war wohl auch nichts für Cowboys, denn auf nasser Fahrbahn will der Camino gar nicht gern gehorchen. Ich vermute, bei Regen hat man hat früher das Pferd nur an der Leine geführt und schnell in den nächsten Stall gebracht. Im Zeitalter der Benzinkutschen sollte dieser schöne Brauch nicht verloren gehen. Am schönsten ist es eben, wenn die Sonne scheint, auch im Chevrolet. Scheibe runter und blubbern lassen.

Wenn eine Harley oder einer dieser Schuhkarton-ähnlichen Vans entgegenkommen, wird man im Camino als einer der wenigen verbliebenen Cowboys auf der Straße erkannt und freundlich gegrüßt. Omas und Frauen mit Kinderwagen haben hingegen Angst vor uns, männliche Jugendliche mit türkischen Wurzeln kriegen den Mund oft schwer zu. Ja, an einem El Camino scheiden sich wahrlich die Geister. Hatte ich die Grünen schon erwähnt? Mein Auto ist sozialökologisch nicht ganz korrekt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wir beide mögen auch kein E10 und würden endlich mal mehr Leute einen Camino fahren, würde das hoffentlich auch eine spürbare Auswirkung auf das viel zu kalte Klima in Mitteleuropa haben. Endlich habe ich verstanden, warum im Wilden Westen so oft die Sonne scheint. Aber andererseits ist es gerade das Schöne an dem Camino, dass nicht jeder einen hat und er nicht aussieht, wie der automobile Einheitsbrei der Gegenwart. Und die Ladefläche ist wirklich praktisch. Ich könnte, wenn ich denn wollte, meinen Polo überall mit hinnehmen. Sollte mein Fahrtziel in einer Gegend mit engen Straßen, spitzen Kurven oder knapp bemessenen Parkplätzen liegen, würde ich den Camino einfach draußen vor der Stadt anbinden und dann mit dem Polo weiter fahren. Na ja, das ist jetzt ein wenig übertrieben, aber mit dem Fahrrad habe ich das schon gemacht. Man kann also viel mehr mitnehmen, als auf einem Pferd. Das muss wohl letztlich auch der Grund gewesen sein, von vier Beinen auf vier Räder zu wechseln. Ich finde es im Camino wesentlich bequemer als im Sattel. Wenn er nicht diesen lauten prolligen Auspuff hätte, wäre er mir noch sympathischer. Wie ich meinen Camino kenne, wird er bestimmt auch irgendwann einen neuen Auspuff haben wollen. Dann baue ich ihm zwei Rohre runter, die nach hinten abblasen, ist ja beim Pferd auch so ähnlich. Ich hoffe, der V8 brüllt anschließend nicht mehr ganz so laut und ich muss nicht befürchten, dass wir eine Oma so erschrecken, dass sie sich den Schenkelhals bricht.

Irgendwie ist mein Plan nicht aufgegangen. Ich wollte einen großvolumigen V8 haben ohne aufzufallen wie ein Corvettefahrer. Ich habe mir eingebildet, der Camino sei ein cooler Typ und ich könnte auf hohem Niveau meinen Hang zum Understatement ausleben. Das klappt mit so einem Tier nicht. Ich muss mich daran gewöhnen, in einen Topf geworfen zu werden mit den Jungs, die irgendeine Unzulänglichkeit ausgleichen wollen, indem sie ein großes Auto fahren. Die Hälfte der Leute denkt vermutlich: so ein Angeber. Die andere Hälfte denkt an die Ökobilanz oder irgendwelche Emissionen und nur die 0,05% der türkischen Männer unter 30 haben Verständnis für mich. Und natürlich meine Frau und die Kinder. Sie finden den Camino cool, nicht zu protzig, aber ziemlich muskulös. Nicht umsonst gehört er zu der Gattung der muscle-cars. In Amerika ist es einfacher mit so meinem Teil, da würden wir nicht so negativ auffallen, weil es da auch keine Claudia Roth oder ähnlich abartige Zeitgenossen gibt, die uns ein schlechtes Gewissen einreden wollen. Schließlich trennen wir schon brav unseren Müll, lassen das Licht nicht unnötig lange brennen (okay, meine Frau arbeitet noch an diesem Problem) und fliegen nicht mal eben für ein verlängertes Wochenende nach Barcelona. Kommen wir wieder zurück zu unserem Chevrolet El Camino: potent, durstig, laut. Kurzum: ein cooler Typ.
[bild=1]

el-camino-am-abend-2el-camino-am-abend-2

Tue May 08 11:20:14 CEST 2012    |    Spiralschlauch27979

Cooles Fahrzeug und gute Story

Tue May 08 19:16:26 CEST 2012    |    Scenic II

Danke, war gut zu lesen. Freu mich für Dich mit.

Ich frage mich warum ich Renault fahre, schön bequem und leise.

Und dann kommt meine Frau immer mit einem Grinsen im Gesicht na ch hause, wenn ihr wieder ein Ami mit seinem Grollen begegnet ist.

Doof daß auf unserer Straße Car Spezial seinenLaden hat, da kann das leider öfter mal passieren.

Tue May 08 19:38:57 CEST 2012    |    anntike

coole story, die du da erzählst.
gefällt mir sehr gut, der steht auch schön da.

Tue May 08 19:56:32 CEST 2012    |    Andi2011

Moin,

schöne Story und schöne Wahl - Glückwunsch dazu und hoffentlich viele Blogbeiträge!
Eine kleine Anregung für zukünftige Blogs von dir:

1. mehr Fotos🙂
2. ab und an mal ein Absatz im Text erleichtert das lesen

Viel Spass mit deinem Camino!

Grüße
Andi

Tue May 08 21:50:37 CEST 2012    |    Antriebswelle19813

Wie Andi schon sagte: mehr Absätze erleichtern das Lesen...
Trotzdem es hier etwas schwerfiel, konnte ich nicht abbrechen: einfach zu gut und zu cool geschrieben, gerne mehr davon!🙂

Wed May 09 09:31:04 CEST 2012    |    Oli Schwarz

Eigentlich wollte ich mich nur ein wenig selbst auf die Schippe nehmen. Tatsächlich sind die amerikanischen Muscle Cars schon ein Phänomen. Auf viele üben sie eine große Anziehungskraft aus und wie das so ist, wenn man für jemand schwärmt, blendet man die Nachteile gern aus.

Warum man einen El Camino nicht kaufen sollte, könnte auch ne schöne Geschichte werden. Aber es ist natürlich keine wirtschaftliche Erwägung, sich so ein Teil zu halten, sondern reine Emotion. Und wer weiß, wie lange wir solche Autos noch fahren dürfen. Bislang habe ich es noch nicht bereut. Und die Einkäufe in Getränke- oder Baumarkt sind auch wirklich viel entspannter geworden.

Wed May 09 11:27:24 CEST 2012    |    Dynamix

Schöne Geschichte mit einem noch schöneren Auto 🙂 Glückwunsch zu dem Schätzchen!

Ich hoffe wir kriegen hier noch ein paar mehr schöne Fotos zu sehen 😉

Mon Jul 02 06:25:35 CEST 2012    |    Trackback

Kommentiert auf: Oli Schwarz:

Mein Musclecar

[...] Bezgl. SS und 7,4 l guckste hier:
http://www.motor-talk.de/.../warum-einen-el-camino-t3916249.html
[...]

Artikel lesen ...

Thu Jul 04 22:52:36 CEST 2013    |    ALEK3CM1

Sehr schöner Bericht, genau wie dein anderer (siehe Link oben). Ein El Camino wäre auch noch mein Traum als Zweitwagen. Bei einem Lottogewinn wäre er sicher die allererste Anschaffung. 😁

Glückwunsch zu Deinem Baby und noch viel sorglosen Spaß damit!

Deine Antwort auf "Warum einen El Camino?"

Blogautor(en)

Oli Schwarz Oli Schwarz