Diesel-Fahrverbote in München und Stuttgart: Analyse

Fahrverbote sind für die Kommunen der Rettungsanker

Björn Tolksdorf

verfasst am Wed Jun 14 16:36:24 CEST 2017

Diesel-Fahrverbote in München? Mittelfristig müssen die Kommunen auf schlechte Schadstoffwerte reagieren. Die EU klagte bereits 2015. Fahrverbote wären der mächtigste Hebel.

Luftmessstation in München: Die bayerische Hauptstadt liegt bei der Stickoxid-Belastung deutschlandweit auf Rang zwei
Quelle: dpa/Picture Alliance

München - Aufregung in Bayern: Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter denkt über ein flächendeckendes Fahrverbot für Diesel in seiner Stadt nach. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er: "So sehr ich mich freuen würde, wenn es ohne solche Verbote ginge, so wenig sehe ich, wie wir künftig weiter ohne Sperrungen auskommen werden." Betroffen von einem solchen Verbot wären zwischen 133.000 und 170.000 Fahrzeuge. Insgesamt haben 295.000 der 720.000 in München zugelassenen Autos einen Dieselmotor.

München hat das gleiche Problem wie viele andere deutsche Städte: eine zu hohe Feinstaub- und Stickoxidbelastung. In München versucht die „Deutsche Umwelthilfe“ (DUH), Dieselverbote auf dem Klageweg durchzusetzen. Geschäftsführer Jürgen Resch glaubt, dass Fahrverbote auch für viele Euro-6-Diesel gelten müssten: „In vielen Fällen sind diese Fahrzeuge sogar um ein Mehrfaches schmutziger als zehn Jahre alte Euro-4-Diesel“.

Da dürfte der Lobbyverband beim Gesetzgeber auf Granit beißen, aber dazu später. In Stuttgart ist man schon weiter, dort läuft in der kommenden Woche die Einwendungsfrist gegen Fahrverbote ab. Hamburg diskutiert ebenfalls Fahrverbote. Weitere Städte werden folgen, denn zu hohe Stickoxidwerte sind ein politisches Problem. Das waren sie schon, als die Öffentlichkeit beim Thema „VW-Skandal“ noch an Gebauers leichte Mädchen dachte.

Der Straßenverkehr ist der mächtigste Hebel

Stickoxid-Emissionen in Deutschland: Insgesamt sinkt der Ausstoß seit Jahren. Der Anteil des Straßenverkehrs ist mit Abstand am größten
Quelle: Umwelt-Bundesamt

Stickoxide gelten als Ursache für verengte Bronchien, können Allergien auslösen und zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Gegenüber der europäischen Union hat sich Deutschland deshalb verpflichtet, einen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel einzuhalten. Der wird nach Angaben des Umwelt-Bundesamtes derzeit an jeder zweiten Messstation an stark befahrenen Straßen überschritten.

Bereits im Juni 2015 hat die EU deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) seien zwischen 2010 und 2013 an zahlreichen Orten nicht eingehalten worden, so die Anklage.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. In Stuttgart gehen Prognosen davon aus, dass die Grenzwerte auch 2020 überschritten werden – unabhängig davon, dass der Stickoxid-Ausstoß in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich sinkt. Der Straßenverkehr ist nicht die einzige Stickoxidquelle, aber mit rund 45 Prozent (Pkw und Nutzfahrzeuge) die größte - und zwar mit Abstand.

Das macht den Straßenverkehr für die Politik zum wichtigsten Hebel, um drohende EU-Strafen abzuwenden. Rund 13 Millionen in Deutschland zugelassene Diesel-Pkw erfüllen nicht die Euro-6-Norm. Sie aus den Städten zu verbannen, ebenso wie ältere Nutzfahrzeuge, verspricht mehr als die Auseinandersetzung mit Energieerzeugern oder wichtigen Arbeitgebern.

Widerstand aus Industrie und Politik

Geht nicht? Ging schon mal, die Einführung von Umweltzonen seit 2007 entwertete auf einen Schlag Millionen ältere Diesel. Allerdings wurden noch bis August 2015 Diesel mit Euro-5-Zulassung verkauft, die heute noch keine zwei Jahre alt sind. Klar, dass Fahrverbote da nicht nur Fans haben.

Die bayerische Landtagsfraktion der Freien Wähler teilt mit: „Es ist keine Lösung, Millionen Besitzer von erst wenige Jahre alten Diesel-Fahrzeugen aus den Innenstädten auszuschließen. Sollen Menschen, die weiterhin in die Stadt fahren wollen, ihre zwei Jahre alten Autos auf den Schrottplatz geben und sich schon wieder ein neues holen? Das ist unsozial, unrealistisch und politisch nicht umsetzbar“, lässt sich der verkehrspolitische Sprecher Thorsten Glauber zitieren.

Die blaue Plakette fand in Deutschland keine Mehrheit: Die Verkehrsministerkonferenz lehnte sie Ende 2016 ab
Quelle: dpa/Picture Alliance
Auch die Autoindustrie findet an Fahrverboten wenig Gefallen. Der Verband der Automobilindustrie setzt stattdessen auf „Grüne Welle und mehr Verkehrsfluss“ sowie auf ein Erneuerungsprogramm für Busse und Taxis. BMW mit allein in München mehr als 42.000 Mitarbeitern fordert „zumindest bundesweit einheitliche Regelungen“ statt „vorschneller Einzellösungen“. Und liegt damit auf einer Linie mit der Grünen-Fraktion im Bundestag. Für die Verbände der bayerischen Wirtschaft wäre ein Dieselverbot "eine Katastrophe". Waren könnten nicht mehr angeliefert werden und viele Pendler könnten ihren Arbeitsplatz nicht mehr erreichen, warnten sie.

Euro 6 wäre die einzige sinnvolle Lösung

Ungeachtet dessen: Bevor die Städte zu Strafzahlungen an Brüssel verdonnert werden, werden sie Fahrverbote zumindest prüfen. Wie die genau aussehen sollen, weiß bisher niemand. Auf Details, etwa zu Ausnahmen für bestimmte Verkehrsmittel, will sich auch der Münchner OB nicht festlegen.

Klar ist: Eine andere Klassifizierung als das Schadstoff-Normsystem gibt es nicht. Auch, wenn Umweltverbände das anders sehen. Abgasmessungen im Realbetrieb werden ab September diesen Jahres zwar eingeführt. Für alle heute zugelassenen Fahrzeugtypen liegen aber keine solchen Werte vor, die von einer Prüfbehörde bestätigt und damit als Rechtsgrundlage tauglich wären.

Damit bleibt der Politik nur der Bezug auf die Laborwerte, die allen aktuell gültigen Typprüfungen zugrunde liegen. Die von der Verkehrsministerkonferenz abgelehnte „Blaue Plakette“ könnte die Überwachung möglicher Fahrverbote ermöglichen. Wie sonst soll die Polizei ein technologiespezifisches Fahrverbot überwachen?

Euro 6: Darum geht es

BMW-Zentrale in München: Der Autobauer fordert bundesweit einheitliche Regelungen - und liegt damit auf einer Linie mit der Opposition im Bundestag
Quelle: dpa/Picture Alliance

Die Euro-6-Norm muss seit September 2014 von neuen Modellreihen und seit September 2015 von allen Neuwagen erfüllt werden – auf dem Prüfstand und gemäß dem auslaufenden NEFZ-Fahrzyklus. Die Norm sieht eine Absenkung des Stickoxid-Ausstoßes von 180 Milligramm pro Kilometer auf 80 Milligramm vor. Benziner dürfen 60 Milligramm emittieren.

Nach der Abgasnorm Euro 3 durften Diesel noch 500 und Benziner 150 mg ausstoßen. In Straßentests des ICCT aus dem Jahr 2015 stießen jedoch viele Euro-6-Diesel 500 mg/km und mehr aus. Ab September 2017 werden schrittweise Straßentests, sogenannte "RDE-Messungen", ergänzend zum Labortest eingeführt.

Stickoxide: Stuttgart und München vorne

An mehr als jeder zweiten Messstation an stark befahrenen Straßen wurde 2016 der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel überschritten. Die Städte mit den höchsten Werten laut Umweltbundesamt waren im Vorjahr:

  1. Stuttgart (Am Neckartor): 82 Mikrogramm pro Kubikmeter
  2. München (Landshuter Allee): 80 Mikrogramm pro Kubikmeter
  3. Reutlingen (Lederstraße Ost): 66 Mikrogramm pro Kubikmeter
  4. Kiel (Theodor-Heuss-Ring): 65 Mikrogramm pro Kubikmeter
  5. Köln (Clevischer Ring): 63 Mikrogramm pro Kubikmeter
  6. Hamburg (Habichtstraße): 62 Mikrogramm pro Kubikmeter
  7. Düsseldorf (Corneliusstraße): 58 Mikrogramm pro Kubikmeter

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter hat die Debatte um Fahrverbote für Diesel erneut angestoßen. Denn einigen stak belasteten Kommunen gehen die Alternativen aus
Quelle: dpa/Picture Alliance
Stickoxid-Emissionen in Deutschland: Insgesamt sinkt der Ausstoß seit Jahren. Der Anteil des Straßenverkehrs ist mit Abstand am größten
Quelle: Umwelt-Bundesamt
Die blaue Plakette fand in Deutschland keine Mehrheit: Die Verkehrsministerkonferenz lehnte sie Ende 2016 ab
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BMW-Zentrale in München: Der Autobauer fordert bundesweit einheitliche Regelungen - und liegt damit auf einer Linie mit der Opposition im Bundestag
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Quelle: m. Material v. dpa