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40 Jahre Porsche 911 Turbo - Mit Druck nach vorn

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Der Turbo zählt zur Porsche-Tradition wie die Zahl 911. Sein Abgasturbolader machte die Aufladung vor 40 Jahren hoffähig – nicht nur bei Sportwagen.

Der Turbo überflügelte dank Aufladung alle bisher dagewesenen Porsche Der Turbo überflügelte dank Aufladung alle bisher dagewesenen Porsche Quelle: Fabian Hoberg

Von MOTOR-TALK Reporter Fabian Hoberg

Berlin - Ohne Turbolader wäre modernes Downsizing gar nicht möglich. Spritsparen und CO2-Reduzierung zählen heute nicht nur zur Vernunft, sondern auch zum guten Ton. Dabei hatte die Technik vor 40 Jahren einen ganz anderen Auftrag als politisch korrekt unter der Motorhaube zu arbeiten: Nämlich unter Volllast dem Fahrer wie ein massiver Spaten ins Kreuz zu knallen und alle anderen auf der linken Spur das Fürchten zu lehren. Das Fahrzeug: Porsche 911 Turbo – DER Turbo.

1973: Die Stuttgarter präsentieren auf der IAA erstmals ein Leichtbau-Coupé mit Aufladung. Da sich die Rennsportgesetze kurzfristig ändern, wird der serienfertige Rennwagen aber nicht produziert. Was tun mit so viel Technik? Die Ingenieure packen einfach etwas Luxus ins Auto - wie Leder und elektrische Fensterheber - und präsentieren das Coupé ein Jahr später auf dem Pariser Autosalon als Serienauto. Der Käufer kann nur zwei Extras ordern: einen Schriftzug und ein Schiebedach.

Auf in die Sprinter-Bestenliste

Der 1,2 Tonnen leichte Sportwagen kommt bei den Besuchern gut an, trotz Energiekrise und Sonntagsfahrverbot. Gegenüber dem bislang stärksten 911er, dem Carrera mit 210 PS, leistet er 50 PS Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 250 km/h Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 250 km/h Quelle: Fabian Hoberg mehr. Der Preis steigt von 44.230 Mark auf 65.800 Mark. Zum Vergleich: Der VW Golf kostet damals nur rund 8.800 Mark.

Dank der Aufladung schafft der Stuttgarter den Sprung in die Sprinter-Bestenliste. Tempo 100 erreicht er in 5,5 Sekunden, Schluss ist erst bei 250 km/h (der VW Golf fährt damals maximal 145 km/h). Doch der Neue ist keineswegs ein schneller Supersportwagen für die Rennstrecke. Er ist ein Rennwagen für die Straße. Das wird schon an der internen Typenbezeichnung klar – statt 911 heißt er: Turbo 930.

Neben dem Luft-Doping im Heck unterscheidet sich der Turbo von seinen Saugvarianten unter anderem durch geänderte Achskinematik, Kotflügelverbreiterungen, breitere Reifen, Heckspoiler mit dicker Gummilippe und einen Frontspoiler. Die Karosserieveränderungen sollen den Auftrieb um 100 Prozent reduzieren.

Das beeindruckt noch heute: Liegt die Drehzahl kurz vor dem Ladebereich, wird es still. Wie vor einer Sonnenfinsternis scheint die Umgebung den Atem anzuhalten. Dann setzt dieses infernalische Pfeifen der Turbine ein. Es folgt ein Schlag in den Rücken – heftig und brutal. 0,8 bar Ladedruck pressen orkanartig Luft in die sechs Brennräume und machen den Porsche 911 Turbo zur Boden-Boden-Rakete. Der Vorderbau hebt sich aus den Federn, das Heck senkt sich leicht, die Reifen krallen sich in den Asphalt und winseln um Gnade.

Keiner ist schneller

Der Turbo ist nichts für Hobby-Spieler. Er benötigt eine erfahrene Hand, zumindest im Grenzbereich. Denn das Fahrverhalten ist unberechenbar. Setzt der Turbo in einer Kurve ein, ist das Auto kaum zu halten, im Der Innenraum des ersten Porsche 911 Turbo Der Innenraum des ersten Porsche 911 Turbo Quelle: Fabian Hoberg Regen haben selbst Profis keine Chance. Anfang der 1970er-Jahre schafft kein italienischer Sportwagen den Sprint schneller als der Über-Porsche. In der Stuttgarter Turbo-Familie wird der Sprintrekord erst 1992 übertroffen.

Der Porsche ist zwar nicht das erste Serienauto mit Abgasturbolader (das ist der Oldsmobile Jetfire, und auch der BMW 2002 Turbo ist vorher auf dem Markt), doch er ist der Anfang einer technischen Erfolgsgeschichte im Motorenbau. Mittlerweile ist das Wort Turbo ein Synonym für Dynamik und Sportlichkeit.

Im unteren Drehzahlbereich vor dem Turboschub fährt sich die Ikone leicht wie ein VW Golf I. Im Heck brabbelt der Sechszylindermotor völlig undramatisch, nimmt ruhig und gelassen Gas an. Ist der Sechszylinder im Ladebereich, ist es aber vorbei mit der Gemütlichkeit. Schlagartig stehen die 260 PS sowie 343 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung und wollen den Asphalt aufreißen. Der Hecktriebler mit manueller Viergangschaltung schlägt bei Unachtsamkeit um sich wie ein durchgehender Hengst. Mit den Händen fest am Lenkrad geht es durch die labbrige Schaltung, die Gänge wollen exakt getroffen werden, sonst knirscht es im Gebälk.

Autofahren in seiner reinsten Form

Jede Kurve wird zur nervenaufreibenden Freude: kurz anbremsen, runterschalten, reinziehen und im Scheitelpunkt voll aufs Pedal treten. Leicht untersteuernd mit dem Heck wedelnd saugt sich das Auto auf Im Vergleich zum Carrera kostete der Turbo damals 21.570 Mark mehr Im Vergleich zum Carrera kostete der Turbo damals 21.570 Mark mehr Quelle: Fabian Hoberg den Asphalt. Fahrbahnunebenheiten, Längsrillen und Kieselsteine massieren derweil den Insassen die Wirbelsäule – Autofahren in seiner reinsten Form, auch wenn bei zügiger Gangart rund 20 Liter pro 100 Kilometer in die Brennräume fließen.

Dass das 4,29 Meter lange Auto ein Tier ist, wissen nicht nur die Besitzer, sondern auch die Entwickler. Deshalb entschärfen sie den Turbo, machen das Auto schwerer und lassen den Turbo nicht mehr so aggressiv zuschlagen. Von der ersten, besonders giftigen Motorengeneration werden nur insgesamt 2.876 Exemplare verkauft. Gute originale Fahrzeuge gibt es heute nicht unter 65.000 Euro.

1977 erhält der drei Liter große Sechszylinderboxer eine Hubraumerweiterung auf 3,3 Liter. Damit steigt neben dem Preis von 78.500 Mark auch die Leistung auf satte 300 PS. Der Turbo rennt jetzt 260 km/h und erledigt den klassischen 100er-Sprint in unter sechs Sekunden. Die Optik bleibt allerdings fast unverändert und festigt so den Ruf der Ikone – bis heute.

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