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Motorkultur

Lenk mich!

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Freiheit – dieser Begriff ist ziemlich relativ. Und jeder hat auf die Frage danach eine andere Antwort. In manchen Ländern kann schon der Ruf danach gröbere Probleme mit sich bringen, wir haben in Deutschland die schlimmsten Tage fast verarbeitet und jammern ziemlich priviligiert von Wahl zu Wahl.

Reise, Reise, Fahrvergnügen

Freiheit – dieser Begriff ist ziemlich relativ. Und jeder hat auf die Frage danach eine andere Antwort. In manchen Ländern kann schon der Ruf danach gröbere Probleme mit sich bringen, wir haben in Deutschland die schlimmsten Tage fast verarbeitet und jammern ziemlich priviligiert von Wahl zu Wahl.

Für mich ist Autofahren Freiheit pur, mehr geht nicht. Den Schlüssel drehen und selbst bestimmen, wohin es geht. Für ein Wochenende ins Adlon nach Berlin, wo der Service in der Nacht perfekt die Handgenähten poliert. Nach Deauville an die Atlantikküste, um an der Bar des Hotel Normandie einen 42 Jahre alten Calvados zu genießen und dabei im Hirn zu bilanzieren, dass man in den letzten Jahren öfters gewonnen als gespielt hat. An dieser Stelle ein kleines Rammstein-Zitat: „Mercedes-Benz und Autobahn, alleine in das Ausland fahren, Reise, Reise Fahrvergnügen, ich will nur Spaß mich nicht verlieben…“

Der zyklisch-zuverlässigen Wellenbewegung der heimischen Wirtschaft ist es zu verdanken, dass – wenn man in der Schule artig aufgepasst hat und sich artig täglich zur Arbeit bewegt – ein gewisser Wohlstand nicht zu vermeiden ist. Das sage nicht ich. Das zeigen die Prospekte unserer Top 3: Audi, BMW und Mercedes bieten selbst in blecherner Vertreterware einen Luxus und Aufwand, wie er vor wenigen Jahren undenkbar war. Bestes Beispiel: Das Lenkrad.

Einhundert verschiedene Lenkräder

Es gibt Lenkräder mit ganz viel Multifunktion, Multifunktion und kaum Funktion. Mit kreisrundem Durchmesser oder Ecken. Mit Schaltung und ohne. Geheizt oder kalt, beledert oder aus dem Plastik einer alten Taucherbrille. In bis zu zwölf verschiedenen Farben, gelegentlich auch aus Holz. Für ein Modell wie A6, 5er oder E-Klasse gibt es bis zu 100 verschiedene Lenkräder. Nochmal zum mitschreiben: Einhundert verschiedene Möglichkeiten, ein Lenkrad zu bestellen!

An diesem Punkt ist mir nicht klar, wo hier der Mehrwert ist. Meine Lenkräder sehen seit dem Absolventenball meiner Fahrschule immer gleich aus: Schwarz bis grau und gerne beledert. Tasten nur, wenn sie die Vorbesitzer für mich bestellte. Und ich will an dieser Stelle echt nicht über mangelnde Lebensqualität klagen. Doch ich fühle mich auch ohne Heizdraht im geleasten Lenkkranz wohl.

In den Neunzigern gab es das erste Audi Cabrio mit Nardi-Holzlenkrad. Es war wunderschön, obwohl es in einem Klassiker wie etwa einem Alfa die bessere Figur macht. Audi verhalf vermutlich aus Versehen dem Schlichten zu Kultstatus im Neuwagenprospekt. Ein Eigentor, denn mit vielen Knöpfen ist vortrefflich Deckungsbeitrag zu generieren. Für Nicht-BWLer: So ein Multifunktionslenkrad kostet beim Chinesen in der Produktion nicht dramatisch mehr als ein herkömmliches, spült aber richtig Asche in den heimischen Geldspeicher.

Ich will nicht mehr als lenken

Das Lenkrad ist für mich eines der wichtigsten Teile an einem Auto und im wesentlichen in seiner Funktion seit Generationen unverbesserlich. Lenken. Punkt. Berta Benz steuerte ihren abenteuerlichen Motorwagen nicht viel anders als ich den großen Diesel-M. Was Berta faszinierte, funktioniert heute noch immer: Es ist die eigentliche Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.

Wo liegt der Grenznutzen eines beheizbaren Volants mit Knöpfen wie ein Akkordeon? Erfüllen die Konzerne damit unsere Wünsche? Oder wird unser Begehr nach einem Steuerrad mit Moosgummi von Marketingsöldnern erst geweckt? Letzteres will ich meinen.

Ich will nicht mehr als lenken. Einen dicken, ehrlichen Lederkranz in der Faust spüren. Das ist die Freiheit, die ich meine.

 

Quelle: Chromjuwelen

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