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Neuseeland: Null Toleranz beim Tempolimit - Kaum zu schnell, trotzdem Strafzettel

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Keine Toleranz für Tempo-Sünder: Neuseeländische Polizisten sollen selbst bei kleinen Geschwindigkeits-Übertretungen die Kelle zeigen. Eine Geschichte aus der weiten Welt.

So einsam wie hier auf der Straße nach Mount Cook ist es in Neuseeland an vielen Orten. Trotzdem testete die Polizei in den vergangenen zwei Monaten eine Null-Toleranz-Politik beim Tempolimit. Mit fragwürdigen Resultaten So einsam wie hier auf der Straße nach Mount Cook ist es in Neuseeland an vielen Orten. Trotzdem testete die Polizei in den vergangenen zwei Monaten eine Null-Toleranz-Politik beim Tempolimit. Mit fragwürdigen Resultaten Quelle: "Road to mount cook new zealand" by B.Muirhead - Own work. Licensed under CC BY 3.0 via Wikimedia Co

Wellington/NZ – Das Schlagwort „Null Toleranz“ kennen wir aus der Drogenpolitik und Verbrechensbekämpfung. Ein Land testete das Prinzip jetzt im Straßenverkehr: Bei jeder noch so kleinen Überschreitung des Tempolimits drohen Strafen. Gibt’s nicht? Gibt’s doch, und zwar in Neuseeland.

Wegen der niedrigen Einwohnerdichte und einem Tempolimit von 100 km/h geht es auf den Straßen im südpazifischen Inselstaat eigentlich beschaulich zu. 4,5 Millionen Einwohner verteilen sich auf zwei große und viele kleine Inseln.

16 Einwohner teilen sich einen Quadratkilometer, in Deutschland sind es 14-mal so viele. Etwa 2,4 Millionen registrierte Pkw und 430.000 Lkw meldet die staatliche „New Zealand Transport Agency“. Das sind je tausend Einwohner kaum weniger als in Deutschland.

Jede Übertretung wird geahndet

Seit dem ersten Dezember 2014 verfolgt die neuseeländische Autobahnpolizei nun die „Null-Toleranz“-Linie. Wer mit zu hoher Geschwindigkeit erwischt wird, und wenn es nur ein km/h ist, muss mit der Polizeikelle rechnen.

Für die klassische Ferien-und Hauptreisezeit zwischen Anfang Dezember und Ende Januar teilte die Polizei mit: „Unsere Botschaft ist klar. Alles über dem Limit ist eine Geschwindigkeitsübertretung. Jede Geschwindigkeitsübertretung wird geahndet.“

Für die Neuseeländer bedeutet das eine Umstellung: Bisher lebten sie mit einer 10-km/h-Toleranz. Eine Art Pilot-Projekt gab es aber bereits: Im Dezember 2013 und Januar 2014 schrumpfte die Toleranz auf 4 km/h. Damals verhängte die Polizei 200.000 Strafen für Tempolimit-Verstöße bis 10 km/h.

In Beutelsend besteht kein Bedarf für ein Tempolimit: Bei uns ist Neuseeland hauptsächlich für den "Herrn der Ringe" und Schafe bekannt In Beutelsend besteht kein Bedarf für ein Tempolimit: Bei uns ist Neuseeland hauptsächlich für den "Herrn der Ringe" und Schafe bekannt Quelle: dpa/Picture Alliance Das Problem mit Toleranzen laut der Polizei: Autofahrer rechneten sie in ihre Geschwindigkeit ein, setzen oft von vornherein ihren Tempomat auf 110 km/h, zehn Prozent über dem Limit. Dies wolle die Polizei unterbinden. Wer erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe rechnen. Ob es dazu kommt liegt im Ermessen des einzelnen Polizisten.

„Das ist etwas extrem“

Die Bürger sind irritiert: „Wegen einem km/h über 100 angehalten zu werden, ist etwas extrem“, schreibt ein Zuschauer des Fernsehsenders TV NZ. Ein anderer fragt: „Sind denn alle Tachometer so genau kalibriert? Ich glaube nicht.“

Wie knallhart ging die Polizei wirklich gegen Neuseelands Autofahrer vor? Es habe bis Mitte Januar für minimale Verstöße (1-4 km/h) nur einen Strafzettel mehr gegeben als im Vorjahr, meldet der „Manawatu Standard“ und folgert: Hätte die Polizei versucht, jeden Mini-Verstoß zu ahnden, wären ihr die Strafzettel ausgegangen.

Statt auf Tempoverstöße müsse die Polizei den Fokus auf überforderte Fahrer und gefährliches Fahren legen. Dieser Hinweis scheint berechtigt: Niemand muss Fahrstunden nehmen, um in Neuseeland ein Auto bewegen zu dürfen.

Ohne Fahrstunde zum Führerschein

Für das Fahren mit Begleitperson sind lediglich ein Alter von 16 Jahren und eine theoretische Prüfung erforderlich. Wer ein halbes Jahr lang mit Begleitung gefahren ist, darf tagsüber auch allein fahren. Selbst für die volle Lizenz sind praktische Übungen nicht nötig, sie verkürzen allerdings die Wartezeit.

Die Polizei konstatiert: Zu hohe Geschwindigkeit ist die Ursache von 20 Prozent aller schweren Unfälle. Allerdings steige diese Zahl in der Ferienzeit auf 24 Prozent.

Der Autojournalist Clive Matthew-Wilson rechnet dagegen: Ungeübte oder überforderte Fahrer tragen in Neuseeland die Schuld an 31 Prozent aller schweren Unfälle. 20 Prozent Unfälle bei zu hoher Geschwindigkeit bedeuten auch, dass 80 Prozent der Unfälle innerhalb der Tempolimits geschehen. Die verbleibenden „Hochrisiko-Fahrer“ seien immun gegen Vernunftappelle.

Schon Anfang Januar meldete die Verkehrsbehörde 17 Todesfälle während der Urlaubszeit. Ein neuer Höchststand, trotz Null Toleranz. Auch der konservative Politiker Ron Mark sprach deshalb von einem „gescheiterten Experiment“.

Es sorge dafür, dass „gute Fahrer sich wie Kriminelle fühlen.“ Dies habe die Polizei viele Ressourcen gekostet, aber keine Unfälle verhindert. Wenn Fahrer nur noch ihren Tacho beachten, führe das zu verminderter Aufmerksamkeit für den eigentlichen Verkehr.

Quelle: New Zealand Herald; Manawatu Standard; stuff.co.nz; nzta.govt.nz; police.govt.nz

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