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Hymermobil Premiumline B PL 704: Test, Erfahrungsbericht - Mit 4,5 Tonnen Hausrat über die Alpen

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Camper-Urlaub ist nicht jedermanns Sache, liegt aber im Trend. Gerade trifft sich die Branche beim Caravan Salon in Düsseldorf. Wir haben ein Hymermobil getestet.

Die B-Klasse von Hymermobil gibt es seit mehr als 30 Jahren. Das Fahrzeug ist vollintegriert - das heißt, die Fahrerkabine ist vollständig in den Wohnbereich eingeschlossen Die B-Klasse von Hymermobil gibt es seit mehr als 30 Jahren. Das Fahrzeug ist vollintegriert - das heißt, die Fahrerkabine ist vollständig in den Wohnbereich eingeschlossen Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK

Von MOTOR-TALK-Autor Haiko Prengel

Berlin - Langsam erklimme ich mit dem Hymermobil den steilen Bergpass. Ein riesiges Auto auf engen Straßen – meine Hand am Lenkrad wird mit jedem Höhenmeter feuchter. Rechts eine Felswand, links der Abgrund. Dazwischen wenig Platz für Fehler.

So eine Alpenüberquerung ist schon für manchen Autofahrer eine Herausforderung. Ich sitze jedoch am Steuer eines fast acht Meter langen Wohnmobils. Der Viereinhalbtonner fährt sich in den engen und kurvenreichen Gebirgsstraßen arg grobschlächtig. Ständig muss man aufpassen, dass man mit dem weißen Ungetüm nirgendwo aneckt. Aber was die Form eines überdimensionalen Kleiderschranks hat, kann wohl schwerlich Fahrdynamik entwickeln.

Im riesigen Hymermobil durch das Gebirge

So idyllisch steht man eher selten: Das Hymermobil auf einem Berg-Parkplatz imPustertal in Südtirol So idyllisch steht man eher selten: Das Hymermobil auf einem Berg-Parkplatz imPustertal in Südtirol Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Wir fahren in Richtung Süden mit einem „Hymermobil“ Premiumline B PL 704. Neupreis: 94.690 Euro. Zusätzlich dabei: Großer Kühlschrank, Bord-Dusche, Fußbodenheizung, Mehrzonen-Kaltschaummatratzen – das Gefährt ist luxuriöser ausgestattet als meine Wohnung.

Doch wie sieht es mit dem Fahren aus? Lässt sich so ein Riesending vernünftig lenken, auch wenn man hauptberuflich kein Lkw- oder Busfahrer ist? Automobil- und Verkehrsclubs bieten Fahrtrainings für Wohnmobile an. Aber wer nimmt daran schon teil, bevor er sich ein Wohnmobil mietet oder kauft und damit in den Urlaub fährt?

Vor allem der lange Radstand - bei unserem Hymer liegt er bei 4,40 Meter - ist für Nicht-Routiniers sehr gewöhnungsbedürftig. Schon an normalen Ampelkreuzungen muss man beim Abbiegen weit ausholen, damit das Heck nicht hängen bleibt. Mit 2,30 Meter ist das Mobil auch viel breiter als ein normaler Pkw. Überstehende Verkehrsschilder, Hausdächer oder Felsvorsprünge: Überall ragen Gegenstände auf die Straße, die man als Autofahrer nie als Hindernis wahrnehmen würde.

Viel Häme für Wohnmobile

Volle Stellplätze wie hier bei Ravenna in Italien sind in der Hauptsaison die Regel Volle Stellplätze wie hier bei Ravenna in Italien sind in der Hauptsaison die Regel Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK "Die weiße Gefahr" nannte der Autojournalist Clemens Gleich Wohnmobile mal. Ihr typische Konstruktion erklärt er so: Man nehme eine Fahrzeugplattform wie etwa den Fiat Ducato, die auf die Fahrerkanzel und einen Hauch von Chassis reduziert ist. Fahrwerk? Weg damit! Auf diese fragile Plattform nagle man dann lose einige Tonnen Sperrmüll: Pressspanplatten, möglichst bruchfreundliche Plastikteile, labbrige Kunststofffenster und generell alles, was einem für den Bau eines Kinderbaumhauses zu windig erscheine, spottete Gleich.

Unser Hymermobil basiert tatsächlich auf einem Fiat Ducato. Einen windigen Eindruck macht es aber nicht. Auf der 190 Meter hohen Europabrücke der Brenner Autobahn trotzt der Hymer den kräftigen Böen. Während sich die großen Lkw auf den Pässen abmühen, fahren wir mit dem Hymer flott durch die Berge. Auch steilere Anstiege sind mit dem 130-PS-Turbodiesel kein großes Problem.

Als Verkehrshindernis fühle ich mich damit eigentlich nie. Mit einer Autobahn-Reisegeschwindigkeit von 100 km/h ist man schnell genug, um nicht am zermürbenden Elefantenrennen der schweren Lkw teilnehmen zu müssen. Nein, die Gefahr ist eher, dass man sich vom agilen Antrieb zu einer zu flotten Fahrweise verführen lässt. Vor allem in kurvenreichen Landstraßen muss ich oft stark herunterbremsen, um das rechteckige Gefährt in der Spur zu halten.

Chassis und Cockpit stammen vom Fiat Ducato. Vor allem der Tempomat ist auflangen Autobahnfahrten ein Segen Chassis und Cockpit stammen vom Fiat Ducato. Vor allem der Tempomat ist auflangen Autobahnfahrten ein Segen Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Eine Herausforderung ist auch der Stadtverkehr: Wegen der Unübersichtlichkeit sollte man enge Straßen und Wendemanöver mit großen Reisemobilen besser meiden. Beim Zurücksetzen ramme ich einmal fast ein parkendes Auto. Die aufpreispflichtige Rückfahrkamera (695 Euro) fehlt in unserem Testfahrzeug. Beim Rangieren lasse ich mir deshalb von meiner Beifahrerin helfen. Einparken ohne Einweisung wäre der reinste Blindflug.

In den Bergen genehmigt sich der Fiat-Motor 20 Liter, ansonsten liegt der Durchschnittsverbrauch bei 10 Litern Diesel.

So richtig campt man heute gar nicht mehr

Früher waren Wohnmobile lahme Krücken. Ich erinnere mich noch gut an den VW LT 28, einen alten Werkstattwagen, den sich mein Vater in den 1980er-Jahren umbauen ließ. Lackiert hat er ihn dann selbst: mit blauer Rostschutzfarbe. Die Höchstgeschwindigkeit des LT lag voll beladen bei etwa 80 km/h. Einmal verreckte der LT mit überhitztem Motor irgendwo in Südtirol.

Damals übernachteten wir mit dem Wohnmobil immer im Freien. Wer mal musste, ging hinter die Büsche oder in den Wald. Heute ist wildes Campen in den meisten europäischen Ländern verboten. Man ist auf ausgewiesene Stellplätze angewiesen. Dort kann man sich meist ans Stromnetz anschließen und Abwassertank sowie Bord-Klo entleeren.

Viele Stellplätze bieten sogar Münz-Waschmaschinen, Sanitäranlagen und Brötchen-Service am Morgen. Doch mit dem ursprünglichen Camping-Gedanken hat das nicht mehr viel zu tun. Meist steht man in einem Heer von anderen Freizeitmobilen. Statt auf Naturpanoramen blickt man auf andere Fahrzeuge im immer gleichen Camper-Weiß.

Duschen ist auch jederzeit möglich, allerdings ist dann der Frischwasser-Tank ziemlich schnell leer Duschen ist auch jederzeit möglich, allerdings ist dann der Frischwasser-Tank ziemlich schnell leer Quelle: Haiko Prengel für MOTOR-TALK Dafür hat man es im Hymermobil schön komfortabel. In den bequemen Betten schlafen wir mindestens so gut wie zu Hause. Gekocht wird am Gasherd mit drei Kochplatten - da kann man einiges mehr zaubern als bloß Eintopf aus der Dose. Und beim Fahren entwickle ich ziemlich schnell Routine.

In Wohnmobilen fehlt noch viel Sicherheit

Für Wohnmobile gibt es inzwischen allerlei Assistenzsysteme - von ABS und ESP über Traktionskontrolle und Bergabfahrassistent bis zum Seitenwind-Warner. Der Stand wie bei Pkw sei aber „noch lange” nicht erreicht, sagt mir Lothar Angermund vom Automobilclub ADAC. „Bei unseren Wohnmobil-Tests fallen besonders schlechte Bremswege auf und die schlechte Kindersicherheit.”

Vor allem in der Sitzecke lassen sich Kindersitze oft nur schlecht oder gar nicht befestigen. Unfälle mit Wohnmobilen kommen aber relativ selten vor. Das zeigt eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen zum Unfallgeschehen von Reisemobilen von 2000 bis 2010: Demnach waren Wohnmobile und Caravans in weniger als 0,3 Prozent an Unfällen mit Personenschäden beteiligt.

Wir kommen mit unserem Hymermobil letztlich gut über die Alpen. Und dahinter ist der Reisestress schnell vergessen. Hier fehlt uns keine Elektronik, aber eine Markise. Die dürfte bei dem Preis ruhig serienmäßig an Bord sein.

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