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Opel Aero GT - Meine knall-orangene Zeitmaschine

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Es ist eine Zeitreise. Spannend, faszinierend und ziemlich unkomfortabel. Es ist eine 380 km lange Reise mit viel Benzinduft, in einem betagten Opel GT.

Der Aero neben einem geschlossenen GT und einer hübschen Dame Der Aero neben einem geschlossenen GT und einer hübschen Dame Quelle: Opel

Berlin/Oschersleben – Wenn der Opel seinen Blick hebt, senken ihn die Umstehenden. Warum? Um den einen halben Meter über dem Boden stattfindenden Augenaufschlag nicht zu verpassen. Denn der GT hat so viel Kraft in seinen Leuchten wie kaum ein anderes Auto. Und er hat riesige Kullerscheinwerfer, die sich seitlich aus der Versenkung ans Licht rollen. Selbst nach 44 Jahren zieht dieses Schauspiel die Zuschauer in seinen Bann.

Alles beginnt mit einem Trailer, auf dem der betagte Blitz parkt. Mitten auf der Straße, so ein Auto braucht schließlich seine Bühne. Als der GT vom Hänger vor meine Füße rollt, steht die Welt um uns herum still. Autos stauen sich, Passanten recken ihre Hälse.

Bei Autos verhält es sich so ähnlich wie bei Hollywood-Stars. Je älter sie werden, desto mehr Glamour strahlen sie aus. „Schau mal, Papa, was für eine geile Karre“, ruft ein Junge. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite zückt jemand ein iPhone und macht Fotos. Der Hauptdarsteller ist ein Opel Aero GT. Er ist mein Auto, für einen Tag.

Mit Respekt und angespannten Muskeln

Der Aero GT im Einsatz - solche Momente sind heute selten Der Aero GT im Einsatz - solche Momente sind heute selten Quelle: MOTOR-TALK Mein Kurzzeit-Oldie ist auf dieser Welt fast einzigartig. 1969 enthüllte Opel ihn auf der IAA, in quietschigem Orange. Danach wurde noch ein zweites Modell in Blau gefertigt, weil meiner nicht genügte, um überall herumgezeigt zu werden.

Nach der Zeit im Licht der Ausstellungshallen wurde das Aero-Duo an Opel-Mitarbeiter verkauft. Und von ihnen gefahren. "Meine Frau hat damit die Kinder in die Schule gebracht", sagt George Gallion. Gallion kam 1969 als stellvertretender Direktor der Design-Abteilung zu Opel und gab der Studie den letzten Schliff. Heute gehört ihm das blaue Modell. Sein Parkplatz ist das Museum in Rüsselsheim.

Ab und an besucht Gallion seinen Roadster. Die beiden drehen dann gemeinsam ein paar Runden. Beim letzten Mal sogar eine zur Kirche, denn Gallions Tochter heiratete. Im Jahr 2001 rollte der blaue Opel als Auto von Götz George durch die Kulissen des Films "Viktor Vogel - Commercial Man". Mein orangefarbenes Original gehört seit vielen Jahren wieder Opel. Die Schlüssel liegen in meiner Hand.

Vor meiner Zeit

Ein Auto ist nur ein Auto ist nur ein Auto. Doch mein Auto ist etwas Besonderes, so schön, so selten und so wertvoll - das schafft Respekt. Mein Nacken ist hart, meine Arme sind angespannt und mein Bauch meldet Aufregung, als ich versuche, den Aero zu starten. Der erste Schlüssel rührt sich nicht im Schloss. Vielleicht ist er zu abgegriffen?

Das Lenkrad des Aero erinnert an das eines Go-Karts Das Lenkrad des Aero erinnert an das eines Go-Karts Quelle: MOTOR-TALK Mit dem zweiten Schlüssel, viel Geduld und noch mehr Rütteln knacke ich die Zündung. Der Vierzylinder macht ungedämmt Radau, als er erwacht. Und ich befinde mich in einem lebendigen, phantastischen Auto vor meiner Zeit. Ohne Servo, aber mit einer Kupplung, die Kraft und Können fordert. Der Wagen braucht meine Liebe und meine volle Aufmerksamkeit.

Der Aero und ich rollen los, der Sonne entgegen. Und das zwingt uns zu einem ersten Stopp. Sofort befreie ich das Auto von seinem Targa-Dach und bringe mich dem Himmel näher. Doch wohin mit dem sperrigen Teil? Die Ablage hinter den Sitzen? Zu klein! Einen Kofferraum gibt es nicht. Hinter die Sitze stellen? Noch während ich nachdenke, fallen die ersten Tropfen vom Himmel. Problem gelöst.

Der Opel ist nicht ganz dicht

Mit ein paar Handgriffen schnalle ich das Dach fest und rette mich auf den Fahrersitz. Denn der Himmel verliert seine Fassung. Fünf Minuten hält das Kunststoffdach dem Wolkenbruch stand. Dann überschwemmt das Wasser das Konzeptfahrzeug. Regen rinnt in die Ritze zwischen Dach und Fenster, dann in meine Jacke, meine Jeans. Nur die nächste Tankstelle rettet mich vor einem Bad am Steuer des Aero-GT.

Heute gehört der Aero einem Ex-Opel-Designer, George Gallion Heute gehört der Aero einem Ex-Opel-Designer, George Gallion Quelle: Opel Ich nutze die unfreiwillige Pause und studiere meinen Aero. Der 1,9-Liter-Motor mit 90 PS und 149 Newtonmeter stammt aus dem Rekord. Weil er nicht unter die Haube des Zweisitzers passte, beulte Opel diese kurzerhand aus. Die Targa-Karosserie mit neuem Hintern und klappbarer Heckscheibe (elektrisch!) wurde von Charles M. Jordan entworfen und vom italienischen Spezialisten Fissore gebaut. Das blaue Modell stammt vom Designer Michelotti und ist technisch viel ausgereifter, sagt Gallion.

Obwohl das Publikum den Targa bejubelte, kam er nie in den Handel. Die Schuld daran trägt nach Ansicht von Gallion die Klimaanlage. Angeblich kauften wegen ihr immer weniger Menschen ein Cabrio. Außerdem wäre die Serienfertigung des Modells ziemlich aufwändig und das Auto am Ende sehr teuer geworden. Ohne Klimaanlage.

Im Blindflug nach Oschersleben

Nach 20 Minuten rollen wir zwei auf die Autobahn und trotzen dem Regen. Es geht Richtung Magdeburg. Mein mitgebrachtes Navi schaut nur zu. Sein neumodischer Ladestecker ist zu kurz für den Zigarettenanzünder des Aero. Nicht schön, nicht bequem, aber irgendwie steuern wir auf Oschersleben zu. Die Rückspiegel sind beim Aero nach vorn auf die Kotflügel gewandert Die Rückspiegel sind beim Aero nach vorn auf die Kotflügel gewandert Quelle: Opel Der Aero unter mir wackelt, der leistungsfreudige Vierzylinder vor mir brummt.

Trotz seines hohen Alters läuft der Aero GT rund wie ein Hamsterrad. Der 1,9-Liter-Benziner dreht anstandslos, bis 3.000, bis 4.500 U/min. Die Schaltung klackt hakelfrei von Gang zu Gang, ganz so, als säße ich in einem Neuwagen.

Wie viele Jahre das Getriebe auf der Uhr hat, merke ich erst, als bei Gang vier das Ende der Schaltgassen erreicht ist. Tempo 120 reicht bei dem Wetter. Sonst wird es für meinen Oldie zu gefährlich. Außerdem spritzt immer wieder Wasser ins Gesicht meines Mitfahrers.

Das Tacho-Blatt des Aero zeigt eine maximale Geschwindigkeit von 240 km/h. 185 km/h erreichte der Hecktriebler in seinen goldigsten Zeiten. Angesichts der ungünstigen Gewichtsverteilung war das für viele aber zu viel. Der Werbespruch „Nur Fliegen ist schöner“ bekam für manch jungen GT-Fahrer einen makabren Beigeschmack. Mein Aero blieb am Boden, nur ich durfte ein Stückchen fliegen. Von Berlin nach Oschersleben und wieder zurück.

Avatar von sabine_ST
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