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Autobauer unter Kartellverdacht: Lage am Montag - EU-Kartellwächter sollen ermitteln

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Mitten in die Ferien platzierte der "Spiegel" die Kartell-Enthüllungen über deutsche Autohersteller. Der Druck wächst. Ein Kartellverfahren existiert jedoch noch nicht.

Daimler (im Bild: Zentrale in Stuttgart), BMW, VW, Audi und Porsche stehen unter dem Verdacht weitreichender Kartell-Absprachen. Das berichtete der "Spiegel" in seiner Wochenendausgabe Daimler (im Bild: Zentrale in Stuttgart), BMW, VW, Audi und Porsche stehen unter dem Verdacht weitreichender Kartell-Absprachen. Das berichtete der "Spiegel" in seiner Wochenendausgabe

Am Freitag schockte der „Spiegel“ mit seiner Enthüllung die Branche: Die deutschen Autokonzerne Volkswagen, Daimler und BMW stehen allesamt unter Verdacht, ein Kartell gebildet zu haben. Der Ruf nach rascher Aufklärung wird laut, sowohl aus den Gewerkschaften und Betriebsräten als auch aus Politik und Forschung.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, der auch Mitglied des VW-Aufsichtsrats ist, sagte der "Welt" (Montag): "Wir verlangen eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären."

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller rechnet mit einer Klagewelle, sollten sich die Vorwürfe gegen die Autohersteller bewahrheiten. Er geht von zehntausenden Verfahren aus, in denen Käufer Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen werden. Wegen der im Raum stehenden Absprachen hätten viele Kunden einen "möglicherweise viel zu hohen Preis" für ihre Autos gezahlt, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen der "Süddeutschen Zeitung".

Kartellamt: Noch kein Verfahren

Das Bundeskartellamt führt derzeit noch kein offizielles Verfahren. Es lägen jedoch "Informationen" zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor, erklärte die Behörde am Montag in Bonn. Auch die EU-Kommission habe Einblick. Im Rahmen einer Mitte 2016 durchgeführten Durchsuchung zum Einkauf von Stahl durch Autozulieferer und Autohersteller gebe es jedoch ein laufendes Verfahren, bekräftigte das Kartellamt. Damals seien sechs Unternehmen unter die Lupe genommen worden.

Die Bundesregierung erwartet eine Aufklärung der Kartellvorwürfe gegen deutsche Autokonzerne durch die europäischen Wettbewerbshüter. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Berlin wird die EU-Kommission im Rahmen der Zuständigkeitsverteilung die Federführung übernehmen. Auch das Bundeskartellamt verfüge über Informationen, eine Prüfung werde aber nur von einer Institution übernommen, sagte eine Ministeriumssprecherin am Montag in Berlin.

Direkt in die Aufklärung einschalten will sich die Regierung nicht. "Die Kartellbehörden arbeiten aus gutem Grund unabhängig", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Die Vorwürfe dürften aber voraussichtlich auch beim "Diesel-Gipfel" von Bund, Ländern und Autobranche am 2. August zur Sprache kommen. Von den Vorwürfen erfuhren Wirtschafts- und Verkehrsressort am vergangenen Freitag nach eigenen Angaben aus den Medien.

Die Autoindustrie hält sich bisher bedeckt. Daimler sprach von "Spekulationen", VW-Chef Matthias Müller in der "Rheinischen Post" (Samstagausgabe) von "Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen". Weiter wollte er sich dazu nicht äußern. BMW stellte mit Blick auf die AdBlue-Tanks jedoch klar: "Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück."

Daimler und VW zeigten sich an

Einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge hat sich Daimler zumindest teilweise aus den geheimen Gesprächsrunden zurückgezogen. Damit sei der Stuttgarter Konzern offenbar der einzige Hersteller gewesen, der auf das Auffliegen des Lastwagen-Kartells reagiert hätte. Daimler musste deshalb 1,1 Milliarden Euro Strafe zahlen.

Der Stuttgarter Konzern führte dem Bericht zufolge 2011 spezielle Kartellrechtslehrgänge ein. In diesen haben Juristen der Belegschaft beigebracht, was erlaubt ist und was nicht. Zugleich sollen die Schwaben sich aus den Treffen mit VW, Audi, Porsche und BMW zurückgezogen haben. Ob das genügt, um Daimler vor einem neuen Bußgeld zu bewahren, bleibe abzuwarten. Daimler und Volkswagen (auch für Audi und Porsche) haben den Berichten zufolge Selbstanzeige bei den Kartellbehörden erstattet.

VW: Aufsichtsrat tagt

Bei Volkswagen tagt wegen der Enthüllungen außerplanmäßig der Aufsichtsrat. Wie ein Sprecher von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch auf Anfrage erklärte, hat Pötsch vor dem Hintergrund der aktuellen Lage kurzfristig zu einer außerordentlichen Sitzung des Kontrollgremiums eingeladen. Diese sei für Mittwoch angesetzt. Dem Vernehmen nach soll es am Mittwochnachmittag um die Kartellvorwürfe gehen, über die der „Spiegel“ berichtet hatte.

Die Grünen verlangen ein Sondertreffen des Verkehrsausschusses im Bundestag. Beantragt werde "eine kurzfristig einzuladende Sondersitzung für Ende Juli", sagte Verkehrsexperte Oliver Krischer. Man wolle so Klarheit über die möglichen "Machenschaften des Autokartells" bekommen, die - sollten sie sich bestätigen - "ungeheuerlich" seien. SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann sprach von einer größeren Dimension der Abgasaffäre als bisher bekannt.

Der "Spiegel" stützte seine Darstellung auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbshütern eingereicht haben soll. Daimler habe ebenfalls eine "Art Selbstanzeige" hinterlegt. Autoexperte Stefan Bratzel sagte, die Aufdeckung des Auto-Kartells setze die deutsche und europäische Politik unter Handlungsdruck. Es bestehe ohnehin der Eindruck in der Bevölkerung, "dass die Politik die Gesundheitsinteressen der Menschen geringer bewertet als die wirtschaftlichen Interessen der Automobilindustrie." Daher müssten die Vorwürfe "streng geprüft werden und harte Konsequenzen haben.“

 

Quelle: dpa

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