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Lkw-Branche: Wie den Verkehrsinfarkt verhindern? - Es wird immer voller im Lieferwesen

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In Deutschland werden immer mehr Warentransporte über die Straße abgewickelt. Droht uns ein Verkehrs- und Umwelt-Kollaps? Die Branche muss gegensteuern.

Volle Autobahnen: Der zunehmende Gütertransport bringt die deutschen Verkehrswege an ihre Belastungsgrenzen Volle Autobahnen: Der zunehmende Gütertransport bringt die deutschen Verkehrswege an ihre Belastungsgrenzen Quelle: picture alliance / dpa

Hannover - Auf deutschen Autobahnen, etwa an der Ost-West-Achse A2, genügt oft ein Blick auf die rechte Spur und die Sache ist klar: Der Lkw-Verkehr operiert nah am Anschlag, heute schon. Wo soll das Verkehrswachstum im Frachtwesen hinführen?

Auf deutschen Straßen wickelten Fuhrunternehmen im Jahr 2010 rund 265 Milliarden Tonnenkilometer ab, also Ladung mal geschaffte Wegstrecke. Bis 2050 sollen es laut OECD-Berechnungen 40 Prozent mehr sein. Weltweit gesehen sind die Vorhersagen noch steiler. "Wahnsinn" nennen das Umweltschützer wie der BUND und der ökologische Verkehrsclub VCD.

Lkw-Hersteller profitieren vom Boom im Transportwesen

Kein Parkplatz: Die Not der Lkw-Fahrer einen Ruheplatz zu finden ist teilweise groß. Auf vielen Autobahnabschnitt sind zu wenig Stellplätze vorhanden Kein Parkplatz: Die Not der Lkw-Fahrer einen Ruheplatz zu finden ist teilweise groß. Auf vielen Autobahnabschnitt sind zu wenig Stellplätze vorhanden Quelle: picture alliance / dpa

Ein Grund: Der explodierende Online-Handel. Die Statistiken des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel zeigen nur nach oben. Kleidung, Bücher und Technik, die die Menschen früher in Geschäften kauften, kommen nun per Mausklick nach Hause. Damit rollt nicht mehr nur ein Lkw zentral zum Einzelhandel, sondern daneben entsteht eine zweite Versorgungskette: Paketdienste verstopfen in der Stadt permanent die Straßen. Auch beim normalen industriellen Güterverkehr heißt es meist: Höher, schneller, weiter.

Das sind gute Nachrichten für die, die daran verdienen: Lkw-Bauer, Spediteure und deren Dienstleister, die sich Ende September in Hannover zu ihrer weltgrößten Messe versammeln, der IAA Nutzfahrzeuge. Mehr Geschäft können sie gut gebrauchen: Der Branchenprimus Daimler und die deutschen Konkurrenten im VW-Konzern, MAN und Scania, dümpeln in jüngster Zeit eher dahin.

Probleme in den USA, China, Russland und Brasilien

In Übersee ist das Bild teils katastrophal: Für die USA erwartet der deutsche Branchenverband VDA für 2016 nach sechs Jahren Wachstum 15 Prozent Rückgang. Die Märkte Russland und Brasilien haben sich gerade halbiert. China, ein Schlaraffenland bei den Pkw, fährt bei schweren Nutzfahrzeugen den fetten Jahren vor 2015 weit hinterher. Europa dagegen soll mit 12 Prozent Plus dieses Jahr laut VDA-Präsident Matthias Wissmann die Krisen mehr als ausbügeln und so weltweit 3 Prozent Verkaufszuwachs erlauben.

Doch dem dicht besiedelten Hoffnungsmarkt Europa droht ein Kollaps aus Stau, Abgas und Unfällen. "Natürlich steigt das Risiko, dass wir noch stärker auf einen Verkehrsinfarkt zusteuern", sagt Peter Fuß, der beim Beratungsriesen EY die Branche beobachtet.

Für Fuß ist der Online-Shoppingboom aber kaum aufzuhalten: "In gesättigten Märkten wie Europa ist dieses geänderte Kaufverhalten mit den daraus resultierenden kleinteiligeren und schnelleren Logistikleistungen ein zentraler Wachstumstreiber." Darüber hinaus entscheide über Wohl und Wehe der Branche, wie sehr sie mit neuen Serviceleistungen an das Kerngeschäft andocken kann.

Der Autozulieferer Continental hat dem Trend in einer Umfrage unter Branchenexperten auf den Zahn gefühlt. "Sendungen werden nach Aussagen der befragten Experten auch durch Internethandel immer kleinteiliger, die Kunden verlangen kürzeste Lieferzeiten", so ein Fazit. Darüber hinaus wüchsen Import-, Export- und Durchgangsverkehr.

Wie passt das zu immer härteren Umweltauflagen? Laut Umweltbundesamt schlagen Schiene und Binnenschifffahrt den Lkw um Längen bei CO2-Bilanz, Stickoxiden und Feinstaub. Aber: Laut Verkehrsministerium ist eine deutliche Zunahme der Güterverkehrsleistung bis 2025 realistisch. "Der Verkehr ist schon heute für rund 20 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und verbraucht rund 70 Prozent des Mineralöls", beschreibt ein Aktionsplan der Behörde die Lage.

Platooning: Sowohl Daimler als auch die Lkw-Hersteller Volvo und MAN arbeiten an Systemen bei denen die elektronisch aneinander gekoppelten Laster in einem Konvoi über die Autobahn fahren Platooning: Sowohl Daimler als auch die Lkw-Hersteller Volvo und MAN arbeiten an Systemen bei denen die elektronisch aneinander gekoppelten Laster in einem Konvoi über die Autobahn fahren Quelle: Daimler

Lkw-Branche setzt auf Vernetzung

Die Branche ist damit zum Wandel verdammt. Auf der IAA geht es daher um Verbrauchseffizienz, lokal abgasfreies Fahren mit Batterieantrieb - und um teils spektakuläre Lösungen wie Paketlieferungen per Drohne. Vor allem aber geht es um intelligente Dienstleistungen, die getrieben sind von Digitalisierung und Vernetzung. Muss ein Müllwagen fast leere Tonnen anfahren? Oder kann ein Chip ihm mitteilen, dass die Tour nächste Woche auch reicht?

Die Vision klingt, als passten Ressourcenschonung, Wachstum und Unfallfreiheit unter einen Hut. VDA-Präsident Wissmann verspricht: "Wenn künftig digital vernetzte schwere Lkw auf der Autobahn automatisch im Konvoi hintereinander fahren - wir nennen das Platooning -, dann senkt das den Verbrauch und steigert gleichzeitig die Verkehrssicherheit."

Doch dafür braucht es Investitionen. Die Branche steckt aber im harten Wettbewerb - und hat nach eigener Darstellung kaum Budget und Zeit für Grundlagenforschung, wie die Conti-Befragung besagt. Laut Umfrage der Managementberatung Bain & Company haben vor allem die großen Lkw-Kunden eine Affinität zu digitalen Diensten. Die seien für die Kaufentscheidung aber nur von Gewicht, wenn sie über den gesamten Lkw-Lebenszyklus hinweg sparen helfen - oder einen anderen klaren Mehrwert schaffen.

Experte Fuß warnt vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: "Generell ist dort Größe entscheidend. Gerade kleinere Anbieter werden sich damit schwerer tun." Er sieht eine Parallele zu den Autozulieferern, deren Welt schon jetzt geprägt ist vom Verdrängungswettbewerb Groß gegen Klein.

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Quelle: dpa

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