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Hintergrund: Das VW-Gesetz - Das VW-Relikt aus der Nachkriegszeit

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Das VW-Gesetz von 1960 sorgt immer wieder für Ärger. Die EU traktiert Deutschland seit Jahren mit Klagen gegen die Sonderregeln in Niedersachsen. Worum geht es eigentlich?

Ums VW-Gesetz wird schon länger gestritten. Diese Aufnahme entstand bei einer Demonstration der IG Metall im September 2008. Die Arbeitnehmer sehen das Gesetz als wichtigen Schutz vor Standortverlagerungen. Ums VW-Gesetz wird schon länger gestritten. Diese Aufnahme entstand bei einer Demonstration der IG Metall im September 2008. Die Arbeitnehmer sehen das Gesetz als wichtigen Schutz vor Standortverlagerungen. Quelle: dpa

Brüssel/Wolfsburg - Das VW-Gesetz sichert dem Land Niedersachsen seit 1960 ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen. Diese Sonderregelung stellt sich gegen die gängige Gesetzeslage, wonach in Aktiengesellschaften normalerweise Dreiviertelmehrheiten für zentrale Entscheidungen ausreichen. Neben der Blockadeerlaubnis für das Land hat auch die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat mehr Macht als üblich.

Woher kommt das VW-Gesetz?

Die Nationalsozialisten trieben den Aufbau des Volkswagenwerks in Wolfsburg als zentrales Projekt voran. Finanziert wurde es zu guten Teilen mit enteignetem Gewerkschaftsvermögen. Nach dem Krieg drohte VW das Aus, doch am Ende entschieden die Alliierten anders. Der Autobauer sollte zum Wohle Deutschlands weiter existieren.

Die Besatzungsmächte legten den Konzern in die öffentliche Hand, so sollte VW auf Jahrzehnte Jobs und Wohlstand bringen. Diesen Wurzeln trägt das VW-Gesetz mit seinen Sonderrechten noch heute Rechnung.

Wie rechtfertigen Gewerkschaften und VW aktuell das VW-Gesetz?

IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte einmal, das VW-Gesetz sei ein gutes Argument für mehr Mitbestimmung: "Mit einem VW-Gesetz und dessen Beschränkungen bei Standortverlagerungen hätten weder AEG in Nürnberg noch Nokia in Bochum dem Shareholder-Kapitalismus geopfert werden müssen."

Niedersachsens Macht macht VW auch für "Heuschrecken"-Investoren unattraktiv. Dass das Land als Ankeraktionär wie ein Fels in der Brandung wirken kann, zeigte sich etwa beim gescheiterten Übernahmeversuch von Porsche.

Für VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ist das VW-Gesetz eine einmalige Regelung, die es zu schützen gilt gegen "die einseitige Ideologie des freien Kapitalmarktes". So verbietet das Gesetz Standortentscheidungen - etwa Verlagerungen in Billiglohnländer - ohne Zustimmung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat.

Was hat die EU-Kommission gegen das Gesetz?

Die EU-Kommission bekämpft das Gesetz, weil es den freien Kapitalverkehr in der EU beschränkt Die EU-Kommission bekämpft das Gesetz, weil es den freien Kapitalverkehr in der EU beschränkt Quelle: dpa Das Gesetz behindert den freien Kapitalverkehr in der EU, also Beteiligungen oder Übernahmen. Dies verstößt nach Ansicht der EU-Kommission gegen europäisches Recht. Investoren würden abgeschreckt, Innovationen blieben aus und es würden keine neuen Jobs entstehen. Dies würde Deutschland schaden, meint die EU-Kommission.

Die Sonderregel sei eine Art "Goldene Aktie", die das Land bevorteile. Brüssel kämpft seit langem gegen solche Regeln, derzeit sind rund 40 solcher Verfahren anhängig. Im Fall VW ist die EU-Kommission besonders hartnäckig. Was auch daran liegen dürfte, dass die Wolfsburger als Europas größter Autobauer eine ganz besondere Bedeutung haben.

Wie steht die Bundesregierung dazu?

In Berlin wundert man sich über die Hartnäckigkeit der EU-Kommission. Die Auflagen des ersten EU-Urteils von 2007 seien komplett umgesetzt, lautet der Standpunkt der Regierung. Für die Sonderregelung hatte sich seinerzeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stark gemacht.

Wie ist die Vorentscheidung des Generalanwalts zu bewerten?

Der Gerichtshof folgt in etwa drei Vierteln aller Verfahren der Ansicht des Gutachters, der den Titel "Generalanwalt" trägt. Somit ist es wahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof die Klage tatsächlich abweist und Deutschland recht gibt.

Das gelingt Staaten bei Klagen auf Verletzung des EU-Vertrags nur selten: Von 14 Fällen seit dem Jahr 2000 sah der Gerichtshof nach eigenen Angaben bisher nur dreimal von Strafen für den beklagten Staat ab.

Aus der Politik kamen erfreute Reaktionen. Das Votum lasse auf ein ähnlich lautendes Urteil des Gerichtshofs hoffen, sagte Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) in einer Stellungnahme. Das VW-Gesetz sei europarechtlich abgesichert, das zeigten die Ausführungen des Gutachters eindeutig.

Wie geht es jetzt weiter?

In zwei bis sechs Monaten wird der Europäische Gerichtshof sein Urteil verkünden. Sollte er die Klage der EU-Kommission abweisen, könnte der Rechtsstreit dennoch weitergehen. Denn die Richter prüfen nicht die Frage, ob die Sperrminorität an sich zulässig ist - es geht nur darum, wie sie mit den anderen Bedingungen des ersten Urteils zusammenhängt. Voraussichtlich wird die EU-Kommission daher erneut vor Gericht ziehen. Dies wäre dann die dritte Runde - und könnte noch Jahre dauern.

 

Quelle: dpa

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